78 Die rein militärische oberste Kriegsleitung über die Stimmung im Großen Hauptquartier anfangs noch nicht unterrichtet und offenbar noch im Glauben, in Rücksicht auf die be¬ gonnenen Unterhandlungen im Haag mit Vertretern der englischen Kommission über den Gefangenenaustausch sein Amt noch weiter¬ führen zu können. Am gleichen 7. Juli veranlaßte Graf Hertling den Kaiser, die Verabschiedung Kühlmanns noch hinauszuschieben. Noch am gleichen Abend aber erschien beim Kanzler plötzlich Oberst v. Win- terfeldt mit dem Aufträge, dem Kanzler zu berichten, „der Kaiser habe seine Meinung geändert und könne dem Vorschlage, mit der Verabschiedung des Staatssekretärs noch zu warten, nicht mehr bei¬ stimmen". Der Kanzler war über diesen plötzlichen Meinungsum¬ schwung des Monarchen ganz erschüttert. Tags darauf teilte der Kaiser Herrn v. Kühlmann seinen Entschluß mit. Dieser hielt ihm seinen letzten Vortrag als Staatssekretär des Äußern. Der Monarch empfing ihn mit den Worten: „Wir müssen unsere Ehe scheiden!" Über seine letzte Audienz erstattete Kühlmann einen schriftlichen Be¬ richt an den Kanzler, dessen Mitteilung weiter unten erfolgt. Für den Kaiser als Obersten Kriegsherrn war die Entlassung Kühlmanns wiederum eine schwere Machtprobe. In einem Briefe, den Graf Hertling am 8. Juli an seinen Stellvertreter, den Vize¬ kanzler v. Payer, richtete, hieß es: „Ich habe den ruhigen Herrn v. Hindenburg noch nie so abweisend gefunden. Am andern Tage (2. Juli) war ich zwei Stunden bei Seiner Majestät, die sich zwar persönlich nicht ungnädig gegen Kühlmann zeigte, es aber für aus¬ geschlossen erklärte, daß etwa auf ihren Befehl hin ein vertrauens¬ volles Zusammenarbeiten möglich sei. Eine Kraftprobe zu machen, hatte unter diesen Umständen keinen Zweck. Die Entlassung der Heerführer zu verlangen, auf die Heer und Heimat mit unbedingtem Vertrauen blickten, wäre frevelhaft gewesen und hätte selbstver¬ ständlich auch keinen Erfolg gehabt. Und was hätte es geholfen, wenn ich nun meinerseits gegangen wäre? Wäre der Kaiser hierauf ein¬ gegangen, so wäre die einzig richtige Konsequenz die Militärdiktatur gewesen, die wir doch auch nicht wünschen können und solange als möglich fernhalten müssen." Man erkennt aus diesen Worten deut¬ lich, wie schwer die um Kühlmann herum entstandene politische Krise vom Reichskanzler damals empfunden worden ist. Über die Vorgänge und Erwägungen anläßlich des Sturzes des Staatssekretärs v. Kühlmann liegen aus dem Nachlaß des Reichs¬ kanzlers Grafen v. Hertling Aufzeichnungen des Vizekanzlers v. Payer und des Staatssekretärs v. Kühlmann vor, die bisher unbekannt ge¬ blieben sind und für deren Mitteilung ich dem Sohne des Reichs¬ kanzlers, Herrn Grafen von Hertling in Ruhpolding, zu besonderem Dank verpflichtet bin. Sie lauten: