Beitrage zurKriegswirtschaft
Herausgegeben von der
Volkswirtschaftlichen Abteilung des Kriegsernährungsamts
Hest20>A
Das Schwein
in der
Kriegsernährungswirtschaft
Von
Professor Or. August Skalweit
und
Or. Walter Klaas
L- 0
I
Berlin 1917
Verlag der Beiträge zur Kriegswirtschaft
Reimar Hobbkng (Sonder-Konto)
Inhalt von Heft 20/21:
I. Das Schwein in der Kriegsernährungspolitik. Von Pro-
fessor Dr. August Skalweit (Gießen). S. 1.
1. Die Fragestellung. S. 1. 2. Verfüttcrungsbeschränkungm.
5. 8. Z. Die staatlich geregelte Abschlachtung. S. 9. 4- Preis-
bildung und Preispolitik. S. 17. 5. Ausblick auf das neue Wirt-
schaftsjahr 1917/18. S. 21.
II. Der Entwicklungsgang der staatlichen Regelung des Kriegs-
schweinemarktes. Von Dr. Walter Klaas (Berlin). S. 27.
1. Der Schweinemarkt in den ersten Kriegsmonaten, insbes. der
Erlaß von Schlachtverboten. S. 27. 2. Die Zwangsabschlachtung
des Frühjahrs 19t 5. S. Z4- 3- Das Steigen der Schweinepreise
im Sommer 1915. S. 4^- 4- Die Einführung allg. Höchstpreise
für Schlachtschweine und Schweinefleisch. S. 52. 5- Die Ver-
sorgungs- und Verbrauchsregelung des Sommers 1916. S. 62.
6. Forderung der Erzeugung, insbes. tzausschlachtungen und
Mastorganisationen. S. 66. 7. Die Preissenkung für Schlacht-
schweine im Rahmen des Wirtfchaftsplans für das Erntejahr
1917. S. 75.
Abgeschlossen Anfang August 1917.
preis des Heftes M. 1.20.
Jede gute Buchhandlung und jedes Postamt nimmt Bestellungen an.
(.^^ie Sammlung „Beiträge zur Kriegswirtschaft" ent-
^^2 stammt der Anregung des Präsidenten des Kriegs-
ernährungsamts, Exzellenz von Batocki,- sie wird von der
Volkswirtschaftlichen Abteilung des Kriegsernährungsamts
herausgegeben. Die Beamten dieses Amts sind neben Ver-
tretern der Wirtschaftswissenschaften als Mitarbeiter für die
„Beiträge" gewonnenworden,das reicheMaterialder organi-
sierten deutschen Kriegswirtschaft soll dabei verwertet werden.
2n den Einzelausführungen gibt jede Abhandlung ledig-
lich die wissenschaftliche Auffassung des Verfassers wieder.
Das Kriegsernährungsamt macht denMitarbeiternhinsichtlich
ihrer Darlegungen keine Vorschrift und überläßt ihnen für
ihre Auffassung die Verantwortung.
Das Schwein
in der Kriegsernährungspolitik
Bon Dr. August Skalwelt, Professor der Staatswissenschasten
an der Universität Gießen
1. Die Fragestellung
Das Schwein stellt die deutsche Kriegsernährungswirtschaft
vor ein schwer lösbares Problem. Für die Fleischversorgung
ist es unentbehrlich, und doch reichen Deutschlands Ernten
nicht aus, es in so großem Umfange wie im Frieden durch-
zufüttern, soll nicht für den Menschen ein Mangel an pflanz-
lichen Nahrungsmitteln entstehen. Wie kann es erreicht werden,
zum Schlachten Schweine zu haben, ohne fürchten zu müssen,
daß aufgefressen wird, was der Mensch zu seiner Nahrung
bedarf?
Von den Schweinen war vor dem Kriege der Haupt-
teil des Fleischbedarfs des deutschen Volkes befriedigt worden.
Betrug im Jahre 19l2 der Fleischverbrauch in Deutschland
3 460 000 Tonnen, so entfielen allein auf das Schweinefleisch
2 165 000 Tonnen, also nahezu zwei Drittel. Bis auf eineu
verschwindend geringen Bruchteil hatte die Schweineerzeugung
im Jnlande stattgefunden. Vor allem in den letzten Jahrzehnten
war sie stark gesteigert worden. Der deutsche Schweinebestand
war etwa doppelt so groß geworden wie der englische und
französische zusammengenommen. Vor allem dieser Entwicklung
ivar es zu danken gewesen, wenn der Fleischverbrauch in
Deutschland in dem Zeitraum von 1897 bis 1912 von 36 kg
auf 52 kg se Kopf der Bevölkerung steigen konnte. Fleisch
war in Deutschland zu einem Volksnahrungsmittel geworden,
das sich auch der kleine Mann fast tagtäglich zu leisten pflegte.
Mit Ausbruch des Krieges war die Nachfrage nach
Fleisch aber keineswegs geringer geworden. Im Gegenteil
erhöhte sich der Fleischverbrauch infolge des
Heft 2V/2L ! kiockscliuie
Nürnberg
Kibliotirek
Bedarfs der Heeres-
2
Verwaltung ganz beträchtlich. Millionen von Männern, die
sich, besonders so weit sie vom Lande stammten, im Frieden
mit einem geringeren Fleischgenuß begnügt hatten, erhielten
nunmehr die den Durchschnittssatz von 52 KZ weit übersteigende
Fleischration der mobilen Truppen. Weiter mußte das Ver-
langen gerade nach Schweinefleisch noch dadurch gesteigert
werden, daß nach Absperrung der früher umfangreichen Zufuhr
von ausländischen tierischen und pflanzlichen Fetten und Ölen
das Schwein zu einer Hauptquelle der für die Volksernährung
notwendigen Fettversorgung wurde.
Wäre demnach die Freiheit des Handelns gegeben gewesen,
so hätten die Schweine eher vermehrt als vermindert werden
müssen. Dem stand aber der Mangel an Futterstoffen
im Wege. Die Schweinehaltung hatte im Frieden zum Teil
auf Futtermitteln beruht, die das Ausland geliefert hatte.
Vom rein wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet mochte
das als durchaus zweckmäßig erscheinen, und vom Zolltarif-
gesetz von 1904/05, das im Gegensatz zu den anderen Getreide-
arten den Zoll für Futtergerste herabgesetzt hatte, war diese
Entwicklung noch stark begünstigt worden. Stellte sich doch
die Schweineerzeugung, soweit sie sich auf ausländischen Futter-
mitteln aufbaute, als ein Veredelungsgewerbe dar, das mit
fremden Rohstoffen hochwertige Fertigprodukte erarbeitete. Als
nach Kriegsausbruch die Grenzen gesperrt wurden und die
Zufuhr von Auslandsfutter fast völlig aufhörte, mußte daher
die deutsche Schweinehaltung unmittelbar betroffen werden.
Auch wurde hier der Schlag sehr viel härter empfunden
als bei anderen Tiergattungen. Zwar blieben auch die Rinder
von dem Mangel an Futterinitteln nicht unberührt, vor allem
wurde die Milcherzeugung infolge des Mangels an eiweiß-
reichem Futter beeinträchtigt. Doch war ihre Futterverjorgung
nicht in dem gleichem Maße vom Auslande abhängig gewesen.
Die für ihre Ernährung geeigneten Futterquellen reichten aus,
um sie einigermaßen durchhalten zu können. Bei den Schweinen
war das nicht in gleichem Umfange möglich. In viel stärkerem
Maße hatte ihre Haltung, um das bekannte Bild Oldenbergs
anzuwenden, auf Pfeilern geruht, deren Fundament in fremden:
Boden verankert war, und die einstürzen mußten, als sie ihre
Stütze verloren. Eine Umstellung der Produktion
war deshalb erforderlich.
Durfte man die notwendig gewordene Anpassung an den
verminderten Futtermittelstand dem freien Spiel der Kräfte
überlassen? Das wäre zu gefährlich gewesen. Das Schwein
nährt sich in der Hauptsache von Nährstoffen, die auch der
Mensch zu seiner Nahrung gebraucht und, unmittelbar ge-
nossen, besser verwertet, als wenn er sie erst den Weg durch
den Tiermagen gehen läßt. Das gilt vor allem von Getreide
und Kartoffeln. Sind die an ihnen zur Verfügung
stehenden Mengen begrenzt, so gilt es zuerst den Menschen
damit zu versorgen, ehe man das Schwein als Konkurrenten
zuläßt. Nimmt man an, daß das Schwein bis zu seiner
Schlachtreife durchschnittlich 20 Zentner Kartoffeln und daneben
— niedrig gerechnet — 3 Zentner Körnerfutter frißt, und daß
der Jahresverbrauch des Menschen 312 Pfund Kartoffeln (bei
einer Wochenration von 6 Pfund) und 170 Pfund Brotgetreide
beträgt, so ergibt sich, daß 10 Millionen Schweine so viel
Kartoffeln wie 64 Millionen Menschen verbrauchen und daneben
noch eine Menge an Getreide beanspruchen, mit der nahezu
20 Millionen Menschen ein Jahr lang auskommen können.
Das Ziel, auf das die öffentliche Kriegsernährungswirtschaft
zugehen mußte, war demnach deutlich vorgeschrieben. Die Privat-
wirtschaft aber, vor die Frage gestellt, ob sie Getreide und
Kartoffeln dem Schwein oder dem Menschen zuführen sollte,
hätte, dem Prinzip des Eigennutzes folgend, die Neigung
gehabt, die Entscheidung zugunsten des Schweines zu fällen.
Da bei der gesteigerten Nachfrage die Schweinepreise steigen
mußten, so versprachen die in Schweinefleisch umgewandelten
Getreidemengen und Knollenfrüchte einen höheren Gewinn als
ihr unmittelbarer Verkauf. Hätte man die Dinge laufen
lassen, wie sie gingen, so wären die im Herbst geernteten
Flüchte in den ersten Wintermonaten verfüttert worden.
Mangel und Not im Frühjahr und Sommer wären die
unausbleibliche Folge gewesen.
Über alles das war man sich insoweit klar. Doch welchen
Weg sollte mau einschlagen, um die für den menschlichen Genuß
unentbehrlichen Nahrungsstoffe sicherzustellen?
Das wirksamste und in seiner Ausführung einfachste
Mittel wäre die völlige Beseitigung der Schweine
gewesen. Ist doch ein allgemeines Verbot immer sehr viel
leichter durchzuführen als eine Einschränkung, die naturgemäß
viele Möglichkeiten zu einer Umgehung offen läßt. Es hat
auch nicht an Stimmen gefehlt, die auf eine radikale Be-
seitigung der Schweine drangen. Um zu zeigen, wie eindring-
lich diese Forderung gestellt wurde, sei auf einen erst vor
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wenigen Monaten in der Klinischen Wochenschrift (19. März 19171
erschienenen Aufsatz verwiesen. Dort wird gesagt: „Hätten
wir keine Schweine, hätten wir überhaupt keine Nahrungs-
sorgen. Vielleicht lernen wir noch aus dem Kriege, daß die
Schweinezucht ernährungspolitisch ein Wahnsinn ist." Der
Volkswirt brauche sich über die Gründe, weshalb den Juden
das Schwein verboten wurde, den Kopf nicht zu zerbrechen.
Das Schwein habe sich eben verboten für ein kleines Land in
verkehrsarmer Zeit, selbst wenn es ein Land sei, „wo Milch
und Honig fließt". „Auch wir lebten in einem Lande, wo
Milch und Honig fließt — bis zu dem Augenblick, wo wir
zwangsweise wieder in die verkehrsarme Zeit zurückversetzt
wurden, bis zu dem Augenblick, wo uns die Futterzufuhr ab-
geschnitten wurde. Von diesem Augenblick an aber schnappte
das Schwein uns buchstäblich Milch und Honig vor der Nase
weg — nicht nur, weil es uus die Magermilch und den Rüben-
zucker auffraß, sondern in noch größerem Maße, weil es die
Rohmaterialien vertilgte, aus denen sie hergestellt werden:
Getreide und Zuckerrüben......... Für den „Nichtwiederkäuer
mit gespaltener Klaue" und den Menschen ist kein Platz in
der „geschlossenen Volkswirtschaft". Da heißt es, „wo eines
Platz greift, muß das andere weichen; wer nicht vertrieben
sein will, mwß vertreiben".
Es ist ohne weiteres zu verstehen, daß die verantwort-
lichen Stellen diesen Weg nicht gehen mochten, lind
man wird von Glück sagen können, daß sie es nicht taten.
Die Forderung einer völligen Beseitigung der Schweine
schießt weit über das Ziel hinaus. Die deutschen Schweine
sind ja nur zu einem Teil auf ausländisches Futter angewiesen
gewesen, der Hauptteil des Futters ist im Jnlande erzeugt
worden Außerdem lebt das Schwein n i ch t n u r von Stoffen^
die auch der Mensch ißt. Im Sommer aus die Weide ge-
trieben, sucht es sich Futter, das sonst ungenutzt bliebe. Vor
allem aber sei an die Abfallstoffe aus Küche und landwirtschaft-
lichen Nebenbetrieben erinnert, für die es der beste Verwerter ist.
Insbesondere bedeutet auf dem Lande das Schwein des kleinen
Mannes eine ausgezeichnete Ausnutzung von sonst unerfaß-
baren Futterwerten. Freilich ist die Menge solcher AbfaUstoffe
im Laufe des Krieges stark zurückgegangen. Aber daß sie
immer noch, besonders in den kleineren und kleinen ländlichen
Haushaltungen, die an der Schweinehaltung hervorragend be-
teiligt sind, sich vorfinden, ist nicht zu bestreiten.
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Ein zu scharfes Vorgehen gegen die Schweinehaltung
wäre demnach ganz verfehlt gewesen und hätte unnötig eine
wertvolle Nahrungsmittelquelle verstopft.
Es darf nicht unbeachtet bleiben, daß ganz ohne das
Schwein selbst bei bescheidenen Ansprüchen eine Fleisch-
versorgung nicht möglich ist. Das Rind kann auf die
Dauer keinen ausreichenden Ersatz bieten. Freilich haben wir
uns nicht gescheut, auch in unsere Rinderbestände einzugreifen,
und gerade in der Gegenwart haben wir das in verstärktem
Maße getan. Aber das hat seine Grenze. Das Rind wird,
wenn man von der Kälberzeit absieht, in der Hauptsache erst
im fortgeschritteneren Alter Schlachttier; die Jahre vorher ist
es Produktionsmittel. Es bestellt unsere Felder und liefert
unsern Kindern die unentbehrliche Milch. Zudem hat der
Schlachtungskoeffizient der Rinder, selbst bei gleichbleibendem
Bestände, sich notwendigerweise im Kriege verringern müssen, da
die auf Krafrfuttermitteleinfuhr angewiesenen Abmelkwirtschaften,
die die Tiere besonders schnell umsetzten, sich mehr und mehr
gezwungen sahen, die reine Abmelkwirtschaft aufzugeben. Die
Kühe werden wieder zugelassen und kommen erst in höherem
Alter zur Schlachtung.
Und noch eines darf nicht übersehen werden. Wenn wir
unseren Viehstand stark einschränken, haben wir nicht nur
weniger Fleisch, wir haben auch weniger Feldfrüchte. Die Vieh-
haltung ist ein notwendiger und unentbehrlicher Bestand-
teil des landwirtschaftlichen Betriebes. Unsere landwirtschaft-
liche Erzeugung von Getreide und Hackfrüchten ließ sich nur
deshalb in einem so hohen Grade vermehren, weil die Steige-
rung der Viehhaltung mit ihr Schritt hielt. Nicht allein, daß
mir der Intensität des Betriebes die Ansprüche an die Zahl der
Arbeitstiere wachsen, auch für die Düngererzeugung ist ein reicher
Viehstand erforderlich, und zwar niemals mehr als in der
Kriegszeit, wo der künstliche Dünger knapp geworden ist. Wer
viel Brotkorn haben will, mutz auch einen starken Viehstand
wünschen; eines hängt vom andern ab. Von einem Baum,
dem man eine Hauptwurzel abgräbt, kann man nicht viel
Früchte erwarten.
Doch wird auch in dieser Hinsicht die aus der Kriegslage
sich ergebende Folgerung gezogen werden müssen. Schlecht
genährtes Vieh gibt auch nur wenig Dünger. Es wäre daher
ein vergebliches Bemühen, wollte man lediglich zur Vermehrung
des Düngers mehr Vieh halten, als man ausreichend zu füttern
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vermag. Das gilt insbesondere vom Schweine. Läßt es sich
beim Rindvieh unter Umständen rechtfertigen, es in der Hoffnung
auf zu erwartende bessere Futtergelegenheit, und weil es als
Nutzvieh wertvolle Dienste leistet, eine zeitlang auch in reduziertem
Ernährungszustände durchzuhalten, so beschränkt sich beim Schwein,
das lediglich Schlachttier ist, der betriebswirtschaftliche Nutzwert
auf die Düngererzeugung. Es wird daher bei ihm darauf gesehen
werden müssen, daß es in möglichst kurzer Lebensdauer die
höchstmögliche Menge von Fleisch, Fett und Dünger erzeugt.
Oder mit andern Worten: das Schwein muß möglichst
schnell umgesetzt werden. Es wird als eine durchaus
unerfreuliche Kriegserscheinung betrachtet werden müssen, daß die
durchschnittliche Lebensdauer des Schweines zugenommen hat.
Es stand demnach fest, daß, so wünschenswert ein starker
Viehstand im Kriege aus ernährungs- und betriebswirtschaft-
lichen Gründen an sich gewesen wäre, die Schweinehaltung in
dem Friedensumfange sich nicht aufrechterhalten ließ. Die
Zahl der Schweine mußte auf diejenige Menge herab-
gedrückt werden, die, ohne die Versorgung der Bevölke-
rung mit pflanzlichen Nahrungsmitteln zu gefährden, der zur
Verfügung stehenden Futtermenge entsprach. Das war klar
und einfach. Doch indem man an die Ausführung dieser
Aufgabe herantrat, begannen erst die eigentlichen Schwierig-
keiten. Es galt die Frage zu beantworten, wieviel
Futtermittel stehen nach Befriedigung des menschlichen
Bedarfs für die Schweine zur Verfügung? Wer Wirtschafts-
politik mit dem Rechenstifte machte, hatte freilich leichte Arbeit.
Er rechnete sich nach dem Durchschnitt der letzten Friedensjahre
aus, wieviel Futtergetreide und Futtermittel eingeführt worden
waren, und welcher Anteil davon auf die Schweine entfallen
sein mochte; er ließ sich sodann von einem Sachverständigen
sagen, wieviel Futter ein Schwein bis zur Mastreife be-
ansprucht, dividierte diese Zahl durch die für die Schweine
früher eingeführte Futtermenge, und er hatte die Zahl der
Schweine, um die der deutsche Schweinestapel vermindert
werden mußte.
Es liegt auf der Hand, daß man auf diese Weise nicht
zu ganz richtigen Ergebnissen kommen konnte. Wieviel
Schweine wir im Kriege aufziehen können, das richtet sich in
erster Reihe nicht nach der Menge der fortgefallenen aus-
ländischen Futtermittel, sondern danach, wieviel wir aus
unsern eigenen Ernten übrig haben. Dieser Uberschuß
7
muß aber in jedem Jahre verschieden groß sein. Wie hoch er
ist, läßt sich zunächst nicht feststellen, insbesondere nicht zu
dem Zeitpunkte, wo es am meisten erwünscht wäre, d. i. gleich
nach der Ernte. Im Herbst sind wir über die Ernteergeb-
nisse auf Schätzungen angewiesen. Daß sich diese von
der Wirklichkeit sehr stark unterscheiden können, haben
wir leider wiederholt erfahren müssen. Ein sicherer
Anhalt läßt sich erst im nächsten Frühjahre gewinnen,
wenn das Korn sämtlich ausgedroschen ist und die Mieten
geöffnet sind. Dann aber kann es zu spät sein. War
die Ernte zu niedrig eingeschätzt und die Zahl der Schweine
auf ein zu geringes Maß herabgemindert worden, so gingen
Futterwerte verloren, die Fleischproduktion wurde geschwächt
und die Fleischversorgung der Bevölkerung in unnötiger Weise
beeinträchtigt. Dieser Nachteil wog indes leicht im Vergleich
zu dem Schaden, der entstand, wenn der entgegengesetzte Fehler
gemacht worden war. Hatte man in Überschätzung der Ernte-
ergebnisse den Schweinebestand auf zu großer Höhe gelassen
und im Winter zu viel verfüttert, so mußten im Frühjahr
Getreide und Kartoffeln knapp werden. Nicht einmal damit
konnte man sich trösten, daß man statt ihrer für die Monate
des Mangels mehr Fleisch haben würde. Fallen doch die
Zeiten, in denen der Mensch mit den Früchten der Ernte
reichen muß, und die Hauptschlachtzeit der Schweine nicht
zusammen. Die Schweine werden mit Vorliebe in den kalten
Wintermonaten geschlachtet, während der Ernährung des
Menschen neue Frucht erst im Spätsommer zuwächst. Eine
unvorsichtige Haushaltung im Winter mußte sich daher im
Sommer rächen und konnte wohlmöglich zum Zusammenbruch
führen. Von jeher sind die Frühsommermonate die kritische
Zeit für di? Ernährungswirtschaft gewesen. Seit der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts ist das dank der entwickelten
überseeischen Verkehrswirtschaft äußerlich nicht mehr stark in
Erscheinung getreten. Aber vorher waren regelmäßig April,
Mai, Juni, auch Juli die gefürchteten Hungermonate gewesen,
in denen, periodisch wiederkehrend, die schweren Hungersnöte
sich einzustellen pflegten. Es ist bekannt, daß sich wohlregierte
Gemeinwesen und Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts,
aber auch der älteren Zeit, durch eine wohlweise Vorratswirt-
schaft dagegen zu schützen suchten. Das im Kriege isolierte
Deutschland befindet sich in dieser Hinsicht in einer ähnlichen
Lage wie die Staaten einer verkehrsarmen Zeit. Eine
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Vorratsbildung größeren Stiles war im Kriege nicht mehr
ausführbar, und wenn sie vorher vorgenommen worden wäre,
so hätte sie nicht einen solchen Umfang haben können, daß sie
für einen so langen Krieg gereicht hätte. Das einzige, was
zu tun sich ermöglichte und notwendig geschehen mußte, war,
sich dagegen zu schützen, daß in den Wintermonate» ein zu
großer Teil der Ernte verbraucht wurde. Vor allem mußte
eine übermäßige Versteuerung verhindert werden. Durch welche
Mittel ist das erreicht worden?
2. Verfüttern ngsbeschränkungen
Das Nächstliegende Mittel, um die Versorgung der Be-
völkerung mit pflanzlichen Nahrungsmitteln sicherzustellen,
die für den menschlichen Bedarf nicht entbehrt werden konnten,
war, daß man ihre Verfütterung verbot. Damit begann man
schon sehr früh. Drei Monate nach Kriegsausbruch wurde
am 28. Oktober 1914 ein Verfütterungsverbot für
Brotgetreide und Mehl ausgesprochen. Ein Vierteljahr
später ging man noch weiter, indem man durch die Bekannt-
machung vom 25. Januar 1915 das Brotgetreide beschlagnahmte.
Dem Futtergetreide gegenüber (Hafer und Gerste)
wäre ein radikales Verfütterungsverbot unmöglich gewesen.
Man begnügte sich mit Verfütterungsbeschränkungen und machte
die überschüssigen Mengen ablieferungspflichtig.
Was die Kartoffeln anbetrifft, so war die deutsche
Erzeugung in den ersten Kriegsjahren so stark, daß man von
derartigen Beschränkungen zunächst absehen konnte. Erst in
den kartoffelarmen Zeiten des Jahres 1916 zeigten sich auch
hier Eingriffe als unvermeidlich. Im Frühjahr 1916 wurde mit
Verfütterungsbeschränkungen begonnen,, die mit der Kartoffel-
krisis im Juni zu Verboten gesteigert wurden. Als die neue
Ernte von 1916 über alles Erwarten schlecht ausfiel, wurde
gleich zu Beginn des Erntejahres die Verfütterungsbeschränkung
erneuert und am 1. Dezember das Verfüttern der Kartoffeln
überhaupt verboten.
Verfütterungsverbote bieten gegen einen unrechtmäßigen
Verbrauch nur einen bedingt sicheren Schutz. Da sich
ihre Einhaltung nicht genau überwachen läßt, setzt ihre Wirk-
samkeit eine stark entwickelte Kriegswirtschaftsmoral voraus.
Am ehesten werden sich noch die Inhaber größerer Betriebe
an die Verbote gebunden fühlen; einmal, weil nach dem Stande
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ihrer Bildung ihr Verständnis für die kriegswirtschaftlichen
Notwendigkeiten stärker entwickelt ist, und zweitens, weil ihr
Tun den Auge» der Angestellten nicht entgehen kann. Dagegen
fehlt dem ohne fremde Arbeitskräfte wirtschaftenden Kleinbesitzer
gegenüber fast jede Kontrolle. Wer will feststellen, was der
Bauer oder die Bauersfrau im Dunkel des Stalles den Schweinen
in den Trog tut? So verwerflich solche Übertretungen sein
mögen, darf man sie doch nicht allzu hart verurteilen. Die
Einsicht in die bittere Notwendigkeit des Verfütterungsverbotes
muß dem kleinen Mann bis zu einem gewissen Grade abgehen,
weil er die Folgen seines Tuns nicht voll zu ermessen vermag.
Er hat gelernt: Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs.
Schreit das Vieh nach Futter, gibt er ihm das letzte, was er
hat. Die deutsche Schweinehaltung vollzieht sich aber zum
überwiegenden Teile gerade in den Betrieben solcher kleineren
Besitzer.
Die Beschlagnahme stellt eine schärfere Form der
Beschränkung der Verfügungsfreiheit des Erzeugers dar. Indes
kann auch sie eine sichere Gewähr nicht dafür bieten, daß das
von ihr betroffene Getreide nicht doch eine verordnungswidrige
Verwendung findet. Wäre es möglich, das beschlagnahmte
Getreide sofort in die öffentliche Hand zu bringen, dann würde
ohne Frage die Beschlagnahme das gewünschte Ziel erreichen.
Das ist indes technisch nicht durchführbar. Die Verkündung
der Beschlagnahme und die tatsächliche Ablieferung fallen für
den Hauptteil der Mengen zeitlich nicht zusammen. Die mit
der Bewirtschaftung beauftragten Stellen können das beschlag-
nahmte Getreide nur nach und nach abrufen, so wie es die
Verwendungsmöglichkeit und wie es der Ausdrusch erlaubt.
In der Zwischenzeit bleibt das Getreide der Verwahrung und
der Pflege des Erzeugers anvertraut. Ähnlich wie bei der
Einhaltung der Verfütterungsverbote hängt daher auch in
diesem Falle viel von der Zuverlässigkeit der Landwiite ab.
3. Die st a a t l i ch geregelte A b s ch l a ch t u n g
Solange überhaupt eine Möglichkeit zum Verfüttern vor-
handen ist, werden weder Verbote noch Beschlagnahme einen
ausretchenden Schutz gewähren können. Will inan sicherer gehen,
so muß man unmittelbar die Gefahrenquelle verstopfe», indem
man die unerwünschte Verfütterung für den Viehhalter ent-
weder unmöglich oder unvorteilhaft macht. Das kann erreicht
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werden durch eine planmäßige Verminderung der Viehbestände
oder durch Maßnahmen der Preispolitik.
Zunächst ist der erste Weg beschritten worden. Das ge-
schah im Frühjahr 1915 in der Form der bekannten Zwangs-
abschlachtung von Schweinen. Sie wird in dem nächsten
Aufsatz ausführlich behandelt werden. Hier sei nur zu dem
Meinungsstreit Stellung genommen, den der sogenannte
„Schweinemord" hervorgerufen hat. Er ist darum bemerkens-
wert, weil er zeigt, wie unklar auch die beteiligten Kreise sich
über die Ziele und Wirkungen der ganzen Aktion waren.
Die Kritik richtete sich vornehmlich gegen die „weltfremden
Professoren," die seinerzeit die Verminderung des Schweine-
bestandes mit Eifer verfochten hatten. Ein unnötiger Schade
sei angerichtet worden. Die ganze Zwangsabschlachtung hätte
dem Volke im allgemeinen, der Landwirtschaft im besonderen
erspart bleiben können. Das beweise der sich nachher im Frühling
zeigende Kartoffelüberfluß. Und zwar wurden solche Stimmen
nicht nur aus dem agrarischen Lager vernommen, sondern auch
Organe der öffentlichen Meinung, die Verbraucherinteressen
vertraten, äußerten sich in ähnlichem Sinne.
Die Angegriffenen setzten sich zur Wehr. Professor Eltzbacher
behauptete *), daß von einem Kartoffelüberfluß nicht die Rede
sein könnte. Die im Frühjahr 1915 vorhandene Kartoffelmenge
sei keineswegs groß gewesen. Die 3^ Millionen Tonnen Kar-
toffeln, die nach der Bestandsaufnahme vom 15. Mai 1915
vorhanden gewesen wären, hätten bis zum 1. August reichen
müssen. Da der monatliche Gesamt-Kartoffelverbrauch der
deutschen Bevölkerung mit etwa 1 Million Tonnen anzunehmen
sei, so wären für die Zeit vom 15. Mai bis zum 1. August
noch 2^2 Millionen Tonnen nötig gewesen. Wären die Schweine
— er nimmt 9 Millionen Schlachtungen an — am Leben
geblieben, so hätten sie bis zum 15. Mai 2 Millionen Tonnen
Kartoffeln gefressen; ohne ihre Abschlachtung wären also ain
15. Mai nur noch IV» Millionen Tonnen Kartoffeln vorhanden
gewesen, sodaß die menschliche Ernährung in Mangel geraten
wäre, wobei er allerdings übersieht, daß die Bestandsaufnahme
die große Menge aller der kleinen in den zahllosen Haus-
haltungen liegenden Vorräte unter 1 Zentner nicht erfaßte;
die Gesamtbestände müssen demnach am 15. Mai weit mehr
als 3'/» Millionen Tonnen betragen haben.
Berliner Tageblatt vom 20. Juli 1915, Nr. 365.
11
Professor Bailod führt dagegen den sich am 15.Mai zeigenden
Karioffelüberfluß nicht auf die Verringerung des Schweine-
bestandes, sondern auf andere Gründe zurück *). Die Heeres-
verwaltung habe, anstatt die von der Reichskartoffelstelle an-
geforderten 200 000 Tonnen Kartoffeln abzunehmen, aus Polen
eine sehr beträchtliche Ausfuhr organisiert (etwa 0,6 Millionen
Tonnen), auch aus Holland dürften rund 0,5—0,6 Millionen
Tonnen nach Deutschland geliefert worden sein. Ferner seien
475 000 Tonnen Zucker denaturiert und der Landwirtschaft,
den städtischen Pferdebesitzern und der Heeresverwaltung als
Schweine- bezw. Pferdefutter zur Verfügung gestellt worden.
Diese Menge Zucker habe aber dem Nährwerte nach das Fünf-
fache an Kartoffeln, d. h. rund 2^/-, Millionen Tonnen Kar-
toffeln ersetzt. Hätte man nur 200 000 Tonnen Zucker weniger
verfüttert, so hätten die Kartoffeln nicht gelangt. Es sei daher
keine Heldentat gewesen, meint er gereizt, eine Dauerware, die
zur menschlichen Ernährung geeignet war, an Schweine zu
vergeuden und dann den Professoren vorzuwerfen, das; sie zu
Unrecht Kartoffelmangel befürchtet hätten.
Wir wollen auf diese Ausführungen vorerst nicht näher ein-
gehen. Die Zwangsabschlachtung war empfohlen worden, weil man
mit einem Kartoffelmangel rechnete. Tatsache ist, daß im Früh-
sommer mehr Kartoffeln vorhanden waren, als für den mensch-
lichen Bedarf gebraucht werden konnten. Doch ist damit noch
nicht einwandfrei bewiesen, daß nicht gleichwohl Mangel ein-
getreten sein würde, falls der Eingriff in die Schweinebestände
nicht erfolgt wäre. Um diese Frage zu entscheiden, wird erst
klargestellt werden müssen, wieviel Schweine in der
fraglichen Zeit abgeschlachtet worden sind. Die An-
gaben darüber gehen weit auseinander. Nichls beleuchtet
schärfer die Verwirrung in diesem Meinungsstreit, als daß
gerade aus dem Kreise derer heraus, die am eifrigsten für die
Zwangsabschlachtung eingetreten waren, sich Stimmen erhoben,
die meinten, die Zahl der zwangsweise geschlachteten Tiere
habe sich kaum über das gewöhnliche Maß erhoben. Es habe
in Wahrheit der „Schweinemord" garnicht stattgefunden. Alle
gegen diesen gerichteten Vorwürfe seien daher gegenstandslos.
Um darüber zu einem Urteil zu kommen, schicken wir zu-
nächst die Ergebnisse der Viehzählungen vom 1. Dezember 1913
bis zum 15. April 1915 tabellarisch geordnet voraus:
Schrnollers Jahrbuch 40 (1916) S. 90 f.
12
Ergebnisse der Schweinezählungen im Deutschen Reich und in
Preußen (in Millionen Stück)
Deutsches Reich Preuß en
Über- haupt Unter '/-Jahr '/--I Jahr 1 Jahr ».älter Über- haupt Unter N>Jahr V--i Jahr IJahr u. älter
1. x^l 1913 25,7 15,3 ^ 7,4 j 2,9 18,0 10,7 5,2 2,1
2, VI. 1914 25,3 16,9 6,1 ! 2,3 18,0 11,9 4,5 1,6
V XII. 1914 25,3 14,7 7,7 ! 2,9 17,7 10,1 5,4 2,4
15. III. 1915 17,9 12,4 3,9 1,6 12,5 8,6 2,8 1,1
15. IV. 1915 16,6 11,9 j 3,2 1,5 11,5 8,2 2,3 1,0
Danach hatte der Bestand in der Zeit vom t. Dezember
1914 bis zum 15. April 1915 um 8,8 Millionen (8 771 282)
Tiere abgenommen. Vallod folgert daraus, das; „in den
Monaten Dezember bis April etwa rund 8 Millionen ge-
schlachtet wurden."') Er rundet demnach die Bestandsdifferenz
nach unten hin ab, weil er den halben Monat vom 1. April
bis zum 15. April, an welchem Tage die Zählung stattfand,
nicht mit einrechnen will. Eltzbacher, dein dagegen daran ge-
legen ist, die Schlachtungsziffer möglichst hoch erscheinen zu
lassen, rundet nach oben hin auf 9 Millionen ab?) Doch
sei das nur nebenher erwähnt. Wichtiger ist, daß in beiden
Fällen der gleiche grundlegende Fehler gemacht worden ist.
Es ist natürlich falsch, die Differenz der beiden Bestands-
zählungen mit der Schlachtungsziffer gleichzusetzen. Wenn
der Bestand sich um 8,8 Millionen verringert hat, muß unter
Einrechnung des Nachwuchses die Zahl der Schlachtungen be-
deutend größer gewesen sein. Wie groß diese gewesen ist, wissen
wir nicht, da wir für diese Zeit über keine vollständige
Schlachtungsstatistik verfügen. Die vom Kaiserlichen Statistischen
Amte fortgeführte Statistik enthält nur die beschaupflichtigen
Schlachtungen. Wir sind deshalb auf Schätzungen angewiesen
Eine gewisse Unterlage dafür bietet die preußische Statistik
der Trichinenschau, von der auch solche Schweine erfaßt werden,
die der allgemeinen Schlachtvieh- und Fleischbeschauung nicht
unterliegen. Auch Ballod zieht diese Statistik heran, doch
macht er sich die Arbeit sehr leicht, wenn er folgendes aus-
führt: „Die Statistik der Trichinenschau weist nach, daß in
Preußen vom 1. Dezember 1913 bis zum 1. April 1914
>1 Schmollers Jahrbuch 40 (1916) S. 89.
2) Berliner Tageblatt vom 20. Juli 1915, Nr. 365.
13
6,12 Millionen Schlachtschweine auf Trichinen beschaut wurden^
vom 1. Dezember 1914 bis zum 1. April 1915 dagegen
6,93 Millionen, also nur um 800 000 mehr." Er zieht daraus
den Schluß, daß nur 1,2 Millionen Schweine im Deutschen
Reich mehr geschlachtet worden seien als im Frieden.
Es ist außerordentlich gewagt, aus der Statistik der
Trichinenschau solche Folgerungen zu ziehen. Zunächst umfaßt
diese nicht alle Schlachtungen. In 10 preußischen Regierungs
bezirken ist nämlich die Trichinenschau nicht obligatorisch. Die
Angaben sind also unvollständig. Weiter leidet ein Vergleich
der Kriegsmonate mit den entsprechenden Friedensmonaten
darunter, daß im Kriege die Angaben nur sehr unvollständig
eingegangen sind. Aus 14 Kreisen fehlen sie sämtlich, und bei
vielen Kreisen sind sie unvollständig. Aus den von den Russen
besetzten Gebieten sind überhaupt keine Meldungen eingegangen.
Das hat Bollod ganz übersehen. Kuczhnski ist gründlicher
gewesen Er hat diese Fehlerquellen in Betracht gezogen
und kommt auf Grund vergleichender Berechnungen zu dem
Ergebnis, daß in Preußen in der Zeit vom 1. Dezember 1914
bis 31. März 1915, also in 4 Monaten reichlich 8 Millionen
Schlachtungen stattgefunden haben. Rechnet man noch den
halben Monat vom 31. März bis 15. April 1915 hinzu und
nimmt für ihn eine gleich hohe Schlachtmenge an, so ergeben
sich für Preußen insgesamt 9 Millionen Schlachtungen. In
dem gleichen Zeitraum hat sich der Schweinebestand um 6,2
Millionen verringert, sodaß also in Preußen 2.8 Millionen
Schweine mehr geschlachtet worden sind, als die Bestands-
minderung beträgt 46 o/o), übertrügt man das gleiche Ver-
hältnis auf das Deutsche Reich, so ergibt sich eine Gesamt-
schlachtmenge von 12,8 Millionen Schweinen.
Zu einem etwas höheren Ergebnis kommt man auf einem
anderen Wege: Wir kennen die Zahl der der allgemeinen Schlacht-
vieh- und Fleischbeschau unterliegenden Schlachtungen, die vom
1. Dezember 1914 bis 31. März 1915 7 760054 betrug. Rechnet
man die nach dem von Kuczhnski angewandten Verfahren^)
»> Kuczynski und Zuntz, Unsere bisherige und unsere künftige
Ernährung im Kriege. Braunschweig 1915. S. 8.
2) Die Berechnungen Kuczynskis hatten ergeben, daß in dem betrach-
teten Zeitraum die Zahl der nicht beschaupflichtigen Hausschlachtungen an-
nähernd um r/g kleiner war als vom 1. Dezember 1911 bis zum 30. No-
vember 1912 (oem letzten Jahre, für das alle Hausschlachtungen im Teutschen
Reiche erhoben wurden).
14
sich ergebenden nicht beschaupflichtigen Hausschlachtungen hinzu,
so kommen wir auf 12,6 Millionen Schweineschlachtungen.
Unter Hinzurechnung des halben Monats bis zum 15. April
ergibt sich demnach eine Gesamtschlachtung von rund
14 Millionen Schweinen.
Diese Zahlen beruhen bis zu einem gewissen Grade auf
Schätzung, doch werden sie am ehesten Anspruch darauf erheben
können, der Wirklichkeit nahe zu kommen. Sie find weit höher,
als Ballod und andere annehmen, bleiben aber um einiges zurück
hinter den 15 Millionen, auf die Hoesch die geschlachteten Tiere
veranschlagt*). Freilich besagt die auf den ersten Blick hoch
erscheinende Zahl an sich noch nichts gegen den Einwand, es
habe keine erheblich stärkere Schlachtung stattgefunden als unter
normalen Umständen. Kuczynski berechnet, daß in Preußen
in dem Zeitraum vom 1. Dezember 1914 bis 31. März 1915
etwa 1 Million Schweine mehr abgeschlachtet worden seien
als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Stimmt diese Be-
rechnung, und schlägt man noch den halben Monat bis zum
15. April hinzu, so würde sich für das Deutsche Reich in der
Zeit vom 1. Dezember bis zum 15. April eine Mehrschlachtung
von etwa 1,6 bis 1,7 Millionen Schweine ergeben, eine Zahl,
die eher zu niedrig als zu hoch sein wird, da in diesem Zeit-
raum allein schon die beschaupflichtigen Schlachtungen eine
Mehrschlachtung von über 1 Million Tiere aufweisen.
Wenn auch diese Mehrschlachtungen nicht allein der staat-
lich geförderten Zwangsabschlachtung zugeschrieben iverden können,
da ja der betrachtete Zeitraum mit dem 1. Dezember 1914 be-
ginnt, während die Zwangsabschlachtung erst Ende Januar ein-
setzt, so wird man dennoch die Steigerung der Schlachtungen
keineswegs als so gering ansehen können, wie es von einigen
Seiten geschehen ist, zumal wenn man bedenkt, daß es sich
bei dem Mehr der geschlachteten Schweine zum großen Teil um
Tiere handelte, die der Landwirt unter normalen Verhältnissen
und ohne Druck nicht abgestoßen haben würde.
Auf der anderen Seite wird man dagegen bezweifeln können,
ob bei einem Unterbleiben der Zwangsschlachtung Kartoffel-
mangel eingetreten wäre. Die am 15. Mai noch vorhandenen
Vorräte waren, wenn man die von der Bestandsaufnahme nicht
mit erfaßten Mengen hinzurechnet, so stark, daß die mehr-
geschlachteten Schweine nicht imstande gewesen wären, sie aufzu-
si Hoesch, Die wirtschaftlichen Fragen der Zeit. Berlin 1916.
15
fressen. Daß diese Vorräte ohne die Zufuhr aus Polen und
Holland weniger groß gewesen wären, ist zweifellos Ballod
zuzugeben. Viel weniger gilt das indes von dem zur Ver-
fütterung freigegebenen Zucker, da dieser gerade an Schweine
in so wesentlichen Mengen, wie Ballod annimmt, nicht verfüttert
sein wird; hat man doch bei den Versuchen, Zucker den Schweinen
zu geben, wenig gute Erfahrungen gemacht.
Aber wie dem auch sein mag, so wird man doch sagen
müssen, daß die damals ausgeführte Zwangsschlachtung eine
höchst rohe Form darstellte, den Schweinebestand den vor-
handenen Futtermitteln anzupassen. Da man sich keinen Einfluß
auf die Zahl der zu schlachtenden Schweine vorbehalten konnte,
hatte man auch keinen Überblick darüber, in welchem Augen-
blick der Zweck der Aktion erreicht war. Den einzigen Anhalt
dafür boten die Bestandsaufnahmen, die entweder unzuver-
lässig waren oder in ihren Ergebnissen zu spät kamen, um die
Handlungen noch rechtzeitig beeinflussen zu können. Man tappte
ständig im Dunkeln. Es war daher nur zu erklärlich, daß das
Rechenexempel nicht glatt aufgehen konnte.
Weiler führte die über den eigentlichen Bedarf hinaus
erzwungene Schlachtung zu einem unwirtschaftlichen Mehr-
verbrauch von Fleisch. Allerdings lag es in der Ab-
sicht der Regierung, die mehr geschlachteten Schweine zu Dauer-
ware zu verarbeiten, um sie in einer späteren Zeit dem Ver-
brauch zuzuführen. Doch erwies sich das nicht immer als
durchführbar, weil sowohl die Jahreszeit als auch die Be-
schaffenheit der geschlachteten Tiere—man förderte die Schlachtung
junger Tiere, weil man in ihnen die Hauptfresser sah — sich
dazu wenig eignete.
Schließlich hatte die Maßnahme auch eine höchst u n -
günstige Wirkung auf die Preisbildung. Die
infolge der Verminderung des Schweinebestandes gesteigerte
Nachfrage trieb im Sommer 1915 die Preise auf eine derartige
Höhe, daß der Erzeuger einen verstärkten Anreiz zu einer uner-
wünschten Steigerung der Produktion und damit wieder zur
Verfütterung der unmittelbar dem menschlichen Verbrauch vor-
behaltenen Nahrungsmittel erhielt.
So war denn eigentlich niemand mit der ganzen Maß-
nahme zufrieden. Der Landwirt nicht, weil er gezwungen
wurde, seine noch nicht schlachireifen Schweine herzugeben,
der Verbraucher nicht, weil die Folge Mangel und Teuerung
an Schweinefleisch war. Und da sich nachher gar ein Kartoffel-
16
Überfluß herausstellte, so waren beide sich darin einig, daß die
Abschlachtung zu vermeiden gewesen wäre.
Gleichwohl wird man sich nicht dazu verstehen können, die
Maßnahme schlechthin zu verurteilen, wenn man sich die Lage
vergegenwärtigt, in der sie angeordnet wurde. Nach den Er-
gebnissen der Bestandsaufnahmen vom 1. Dezember 1914 und
vom 15. März 1915 mußten für das Durchholten der Bevölkerung
bis zur neuen Ernte berechtigte Befürchtungen gehegt werden.
Ein schneller und durchschlagend wirkender Eingriff schien nach
der ganzen Sachlage als geboten. Selbst wenn man zugibt,
daß der Zeitpunkt ungünstig gewählt und auch d'ie Ausführung
der Maßnahme nicht in jeder- Hinsicht glücklich war, so konnte
man doch in der damaligen Lage nicht viel anders handeln,
als man es tat. Auch heute noch, nach dreijähriger Kriegs-
erfahrung, läßt sich der Fall ausdenken, daß man sich unter
gleichen Verhältnissen gezwungen sähe zu einer ähnlichen Maß-
nahme, wenn auch unter Vermeidung der damals gemachten
Fehler, zu schreiten.
Die staatlich angeordnete Zwangsschlachtung ist eine Einzel-
erscheinung geblieben. Bisher hat man sie niemals zu wieder-
holen brauchen. Das ließ sich um so leichter vermeiden, nachdem
seit Beginn des Jahres 1916 der Schlachtviehhandel in eine
staatlich geregelte Bewirtschaftung übernommen war,
und nunmehr fortlaufend die Zahl der Tiere vorher bestimmt
werden konnte, die zur Schlachtung gebracht werden sollten.
Es lag daher in der Hand der leitenden Stellen, den Umfang
der Viehhaltung mit den Bedürfnissen der allgemeinen Lage
jederzeit in Einklang zu bringen. Doch galt als Voraussetzung,
daß es gelang, die Widerstände zu überwinden, die sich einer
solchen Regelung entgegenstellen mußten. Es kam darauf an, daß
die mit der Beschaffung des Schlachtviehs beauftragten Organe,
die Viehhandelsverbände, den Anoidnungen der Zentralstelle
folgten und straff genug organisiert waren, um ihrer Aufgabe ge-
wachsen zu sein. Von den Viehhandelsverbänden wird man im
allgemeinen sagen können, daß sie, nachdem die ersten Schwierig-
keiten überwunden worden waren, die in sie gesetzten Er-
wartungen erfüllten. Doch wurden die Ziele der staatlichen Be-
wutschaftung durch die eigenartige Erscheinung der Preisbildung,
die sich im Laufe der Kricgsjahre auf dem Viehmarkie ent-
wickelt hatte, erschwert und zum Teil dadurch durchkreuzt, daß
sich die zur Selbstversorgung zugelassenen Hausschlachtungeir
der allgemeinen Regelung entzogen.
17
4. Preisbildung und Preispolitik
Unter normalen Verhältnissen würde der Preis den
Regulator abgegeben haben, durch den die Produktion selbsttätig
den allgemeinen Wirtschaftsbedingungen angepaßt worden wäre.
Was geschieht im Frieden bei einer Futtermittelknapphcit?
Die erste Wirkung wird sein, daß der Landwirt einen Teil
des Viehs abzustoßen sucht, was ein starkes Angebot mit meistens
sinkendem Preise zur unmittelbaren Folge haben wird. Das
hält aber nur ganz kurze Zeit an, weil sehr bald wieder der
Auftrieb abnehmen und unter den Bedarf sinken wird. Zugleich
steigert sich die Nachfrage, die Preise gehen in die Höhe. Und
nun setzt die Gegenwirkung ein. Die hohen Preise geben den
Anreiz zur vermehrten Erzeugung, die dann im weiteren Verlauf
das Angebot fördern und die Preise abschwächen muß. Diese
Erscheinung konnte in Friedenszeiten wiederholt auf demSchweine-
markte beobachtet werden. Gewöhnlich wechselten zwei billige
mit zwei teueren Jahren ab. Es ergab sich nachstehende Stufen-
folge: geringe Futtermittelernte — Einschränkung der Schweine-
haltungen, d- h. vermehrte Abschlachtungen — sinkende Preise —
verminderte Aufzucht und Mast — verringertes Angebot —
steigende Preise — verstärkte Schweinehaltung — sinkende
Preise — und so lief die Reihe, entsprechend den Ernteausfällen
verstärkt oder abgeschwächt, fort.
Was wäre die Folge gewesen, wenn man in derKriegswirtschaft
diesem freien Spiel der Kräfte unbeschränkt Raum gegeben hätte?
Wir können eine ziemlich zuverlässige Antwort darauf geben,
weil man sich erst verhältnismäßig spät dazu entschloß, auf dem
Viehmarkt in die Preisentwicklung einzugreifen.
Gleich nach Abschluß Deutschlands von der Futtermittel-
zufuhr setzte ein nie zuvor gesehener Auftrieb auf dem Schweine-
markte ein. Die Preisesanken zeitweise auf einen so niedrigen
Stand, daß die Regierung, eine unerwünschte Verminderung
der Erzeugung befürchtend, im Spätherbst 1914 — im Wider-
spruch zu den gleichzeitig erlassenen Verfütterungsverboten —
Schlachtbeschränkungen anordnen zu müssen glaubte. Es folgte
dann der sähe Umschwung der Meinungen über das, was
kriegswirtschaftlich geboten zu sein schien, mit den Zwangs-
abschlachtungen des Frühjahrs 1915. Nach Abschluß dieser den
Schweinebestand vermindernden Maßnahme zogen die Preise
naturgemäß an, und zwar in einem Grade, daß von neuem
ein starker Anreiz zum Verfüttern von Brotgetreide und
H«ft ro<2! 2
18
Kartoffeln gegeben wurde. Waren diese doch mit Höchstpreisen
bedacht worden, deren Höhe zu den ins Maßlose gestiegenen
Vieh- und Fleischpreisen in keinem Verhältnis standen. Das
Erwünschte und Notwendige wäre aber gerade ein um-
gekehrtes Verhältnis gewesen: die Viehpreise hätten so niedrig
sein müssen, daß auch aus Gründen gewinnbringender Ver-
wertung die Verfütterung von Erzeugnissen, die dem unmittel-
baren menschlichen Verbrauch vorbehalten waren, unrentabel
gewesen wäre. Wäre von vornherein ein nach allen Seiten
hin vorbedachter WirtschaftsPlan vorhanden gewesen, dann
hätten gleichzeitig mit den Höchstpreisen für Getreide und
Kartoffeln auch solche für Schlachtvieh eingeführt werden müssen.
Dazu konnte man sich aber lange nicht entschließen. Man
glaubte, daß allein schon aus technischen Gründen die Bestimmung
von Viehhöchstpreisen nicht möglich sei. Man überschätzte die
Schwierigkeiten, die eine Berücksichtiguüg der lokalen Preis-
unterschiede und der Qualitätsunterschiede boten. Man hat
auch wohl daran gedacht, ob man nicht durch die Festsetzung
von Fleischpreisen seitens der Kommunalverbände einen Druck
auf die Viehpreise ausüben könnte. Tatsächlich hatten schon
einige Städte mit der Verordnung von Fleischhöchstpreisen den
Anfang gemacht. Doch erwies sich das als ein Versuch mit
untauglichen Mitteln. Bei der allgemeinen starken Nachfrage
nach Vieh mußten sich die Viehpreise als die stärkeren erweisen.
Die von einzelnen Gemeinden festgesetzten Fleischhöchstpreise waren
demgegenüber machtlos. Das Vieh wanderte dahin, wo die
höchsten Preise gezahlt wurden. Die Märkte der Städte mit
Fleichhöchstpreisen verödeten. Schleunigst mußten diese wieder
aufgehoben werden.
Man hatte auch wohl geglaubt — und vom Erzeuger-
standpunkte aus wurde wiederholt darauf hingewiesen —, daß
die Preise von selbst mit der vermehrten Produktion fallen
müßten. Nichts von alledem trat ein. Die Preise stiegen in
noch stärkerem Verhältnis, als sich die Schweinebestände ver-
größerten. Die Friedensregel, daß mit wachsendem Angebot
die Preise niedriger werden, schien zu versagen. Die gleiche
Erfahrung wurde später auf dem Rindermarkte gemacht. Die
Rinderpreise sind niemals höher gewesen als im Januar 1916,
wo das Angebot etwa doppelt so hoch war wie in Friedens-
zeiten. Diese Beispiele ließen sich vermehren.
Wie erklärt sich das? Sollte der Krieg jenen Fundamental-
satz der Nationalökonomie von dem Einfluß des Angebots und
19
der Nachfrage auf die Preisbildung in sein Gegenteil verkehrt
haben? Das ist kaum anzunehmen. Freilich, tvenn man ein
einzelnes Erzeugnis aus der Gesamtheit der Nahrungsmittel
herausnimmt, dann wird man, wie es die angeführten Beispiele
zeigen, einen Widerspruch gegen jene Regel feststellen können.
Stellt man aber die Gesamtnachfrage dem Gesamtangebot gegen-
über, dann wird man ohne weiteres erkennen, daß die alte
Regel zu Recht bestehen bleibt. Mag ein einzelner Artikel
noch so stark angeboten sein, die Nachfrage nach allem, was
eßbar ist, ist in der Kriegswirtschaft so groß, daß sein Preis,
sich frei überlassen, gleichwohl ins Ungemessene steigen muß.
Ein Schulbeispiel dafür bieten die Gänsepreise des Winters
1916/17. Unbeengt durch Höchstpreise stiegen sie auf eine Höhe,
daß in Berlin für eine fette Gans so viel bezahlt wurde wie
für ein starkes Kalb. Gleichwohl gab es auch damals Leute,
die diese Entwicklung in dem guten Glauben begrüßten, daß,
durch diese Preise angeregt, im nächsten Winter ein verstärktes
Gänseangebot wieder zu angemessenen Preisen führen würde.
Da alle Hoffnungen fehlschlugen, durch andere Mittel eine
Senkung der Schweinepreise zu bewirken, mußte man sich dem
Zwange der Verhältnisse fügen und am 4. November 1915
Höchstpreise für Schweine einführen. Doch geschah das nur
für Schweine. Heute wissen wir, daß das ein Fehler war.
Mußte doch die natürliche Folge sein, daß nunmehr die Preise
für die anderen Tiergattungen sprunghaft in die Höhe gingen.
Gleichwohl hat es noch ziemlich lange gedauert, bis man die
in dieser Richtung notwendige Ergänzung vornahm.
Die Festsetzung der Viehhöchstpreije war erfolgt, weil man
wohl oder übel dem Druck, den die im freien Verkehr ins
Maßlose gesteigerten Preise ausübten, nachgeben mußte, nicht
aber deshalb, weil man sie dazu benutzen wollte, die Fleisch-
produktion den allgemeinen Bedingungen der Nahrungsmittel-
erzeugung anzupassen. Man hatte Höchstpreise gemacht, ohne
eine eigentliche H ö ch st p r e i s p o l i t i k zu treiben. Dieses
Vorgehen ist für die Höchstpreise der ersten beiden Kriegsjahre
überhaupt kennzeichnend. Da diese als ein Übel galten, dem
man, so lange es nur irgend anging, aus dem Wege zu gehen
suchte, so entschloß man sich zu ihrer Einführung gewöhnlich
erst dann, wenn ein Erzeugnis so teuer geworden war, daß
notwendig eingegriffen werden mußte. Der Planlosigkeit ihrer
Entstehung entsprach die Willkür in ihrer Bemessung. Anstatt
daß diese nach dem eigentlichen Erzeugungs- und Bedarfswerte
20
der einzelnen Produkte bestimmt worden wäre, mußte sie not-
gedrungen auf die inzwischen im freien Verkehr gebildete Preislage
eingestellt werden. So wurde man geschoben, anstatt zu schieben.
Dazu kam die Neigung, in gut gemeintem Konsumenteninteresse
gewisse Güter des Massenverbrauchs möglichst niedrig im Preise
zu halten, was sich namentlich auf den Gebieten der Kartoffel-
und der Milchversorgung bitter rächen sollte. Es fehlte jedes
ordnende Prinzip. Die einzig zu erkennende Regel war die,
daß die Höchstpreise für die einzelnen Erzeugnisse um so höher
waren, je später sie eingeführt wurden. Die Brotkornpreise aus
dem Herbst 1914 waren niedriger als die Futtergetreidepreise
des Sommers 1915. Die Höchstpreise für Schweine waren trotz
der hohen Futteransprüche und des wertvollen Fettes niedriger
als die später eingeführten Rinderhöchstpreise, und so fort. So
entstand eine Preisrelaiion der einzelnen Erzeugnisse zueinander,
die sich im inneren Widerspruche sowohl zu den natürlichen.
Verhältnissen, als auch zu den besonderen Erfordernissen der
Kriegswirtschaft befand. Die landwirtschaftliche Erzeugung wurde
dadurch in einer für die Ernährungswirtschaft unheilvollen
Weise beeinflußt. Brotkorn und Speisekartoffeln wurden
Hu Schweinefutter, Milchkühe zu Schlachtvieh. Verfütterungs-
verbote und Strafbestimmungen mußten bis zu einem gewissen
Grade unwirksam bleiben, so lange der Mangel an Futter-
mitteln bestand und der Anreiz zur verbotenen Verfütterung
dadurch angeregt wurde, daß die Verwendung von Brotkorn
und Kartoffeln als Viehfutter eine bessere Verwertung gewähr-
leistete, als ihr Verkauf für Speisezwecke. In jedem Frühjahr
oder Frühsommer wiederholte sich die beängstigende Erscheinung,
daß man sich zu tief einschneidenden Maßnahmen gezwungen
sah, weil man nicht wußte, ob man noch jene Mengen Getreide
und Kartoffeln bis zur neuen Ernte haben würde, auf. die man
im vorhergehenden Herbst glaubte rechnen zu können.
Bekanntlich hat der W i r t s ch a ft s p l a n des Kriegs-
ernährungsamts für das neue Erntejahr 1917
mit diesem unerträglichen Zustande gebrochen?) Für alle von
der öffentlichen Bewirtschaftung erfaßten landwirtschaftlichen
Erzeugnisse ist eine Preistafel aufgestellt worden, deren Sätze
daraufhin abgestimmt sind, daß erstens die Leistungsfähigkeit
der landwirtschaftlichen Erzeugung gewährleistet zu sein scheint.
Vgl. Heft 6 dieser Beiträge: „Preisverhältnisse landwirtschaftlichem
Erzeugnisse im Kriege".
21
und daß zweitens alle zur menschlichen Nahrung geeigneten
Bodenerzeugnisse an erster Stelle dem menschlichen Verbrauch
zugeführt werden müssen. Die Viehpreise und vor allem die
Schweinepreise sind so tief gesenkt worden, daß die Verfütterung
von Brotgetreide und Kartoffeln uncinträglich wird. Der
Landwirt, der in Zukunft Brotgetreide und Kartoffeln verfüttert,
schädigt sich selbst. Auch die' Staffelung der Preise verfolgt
das gleiche Ziel. Waren die früheren Höchstpreise so gestaffelt,
daß um so mehr gezahlt wurde, je höher das Gewicht war —
für Schweine von über 120 kg Lebendgewicht wurde nahezu
doppelt so viel gegeben wie für leichte Schweine, — so wird
nach den neuen Preislichen schon mit 85 kg der Höchstpunkt
der Staffel erreicht. Man will dem Landwirt keinen Anreiz
dazu geben, die Tiere auf ein höheres Gewicht zu bringen, als
ihm die zur Verfügung stehenden Futtermittel erlauben.
5. Ausblick auf das neue Wirtschaftsjahr 1917/18
Somit ist alles getan, um auch den Preis in den Dienst
der Kriegsernährungswirtschaft zu stellen. Auch er soll mit-
helfen, die landwirischafiliche Produktion in die durch die
Kriegslage vorgezeichneten Bahnen zu lenken. Ohne Frage
bedeutet das eine Verbesserung, von der man sich viel ver-
sprechen darf, doch wird sie — leider — der Schweineerzeugung
gegenüber nicht voll zur Geltung kommen können. Sind doch
nur solche Tiere unmittelbar von der Preisregelung abhängig,
die zum Zwecke gewerblicher Schlachtung von den Viehhandels-
verbänden abgenommen werden und somit in die Bewirtschaftung
der öffentlichen Hand gelangen. Sie aber machen nur einen Teil
der überhaupt zur Schlachtung kommenden Schweine aus. Die
Hauptmasse ent fällt in der Kriegszeit auf die Hausschlachtungs-
schweine der Selbstversorger. Für ihre Aufzucht aber ist unter den
heutigen Verhältnissen ein so starker Anreiz gegeben, daß die Er-
stehungskosten keine produktionshemmendeWirkung haben können.
Das gleiche gilt in veistärktem Maße von denjenigen
Schweinen, die in der Absicht aufgezogen werden, sie später
unter Überschreitung jeder Preisschranke auf dem Wege des
Schleichhandels in den Verkehr zu bringen. Die Erfahrungen
des Vorjahrs haben gezeigt, wie groß die auf diese Weise
der Allgemeinheit entzogenen Fleischmengen sind. Der Reichs-
tagsabgeordnete Hoff hat ausgerechnet, daß im vergangenen
Jahr etwa 5 Millionen Schweine heimlich geschlachtet worden
seien. Wenn auch diese Zahl zu hoch gegriffen ist, so bleiben
22
doch auch nach den Berechnungen der amtlichen Stellen etwa
2—2,5 Millionen Schweine übrig, über deren Verbleib ein
Nachweis nicht erbracht werden kann.
Die Bilanz der Schweineschlachtungen des vorigen Jahres
stellt sich folgendermaßen:
Nach den Nachweisungen der Neichsfleischstelle entfielen auf:
Gewerbliche Schlachtungen, sowie Schlachtungen für Feldheer,- . ooo
Marine, immobile Truppen, Lazarette und Gefangenenlagers
Hausschlachtungen ................................... 6 223 000
Notschlachtungen..................................... 444 000
Insgesamt 10 826 000
Erwägt man, daß von den Notschlachtungen ein beträchtlicher
Teil den Hausschlachtungen hinzugerechnet werden muß, und zählt
man auch noch die heimlichen Schlachtungen hinzu, so ergibt sich,
daß abzüglich des Heeresbedarfs die gewerblichen Schlachtungen
nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtschlachtmenge ausmachen?)
Wenn man sich im kommenden Wirtschaftsjahre gezwungen
sieht, die Schweinehaltung zu verringern, so wird man demnach
zunächst auf die Hausschlachtungsschweine sein Augen-
merk zu richten geneigt sein. Diese werden sich jedoch nicht
wesentlich vermindern lassen. Ebensowenig wie es möglich
und nützlich wäre, die Hausschlachtungen ganz zu beseitigen,
wird eine schematische Hinabdrückung ihrer Zahl etwa auf die
Hälfte, wie von Rabbethge vorgeschlagen worden ist/) durch-
führbar sein. War doch auch im Frieden die Zahl der Haus-
schlachtungen beträchtlich. Sie betrug
im Jahre 1904....... S 983 000
„ „ 1907 ...... 6 087 000
„ „ 1912 5 794000
Dabei ist zu beachten, daß diese Zahlen mit denen von
1916/17 nicht ganz vergleichbar sind, weil sie nicht die Zahlen
derjenigen Bundesstaaten enthalten, deren Hausschlachtungen
ebenfalls beschaupflichtig sind, während diese in die neue
Statistik aufgenommen wurden. Man darf daher annehmen, *
*1 Um zu zeigen, wie sich diese Verhältnisse während des Krieges ver-
schoben haben, sei darauf hingewiesen, daß im Jahre 1912 neben 5 794000
Hausschlachtungen 18 217 000 gewerbliche Schlachtungen standen.
2) E. Rabbethge, Kommerzienrat und Oberamtmann zu Kleinwanz-
leben, hat eine Reihe als Handschrift gedruckter außerordentlich beachtens-
werter Abhandlungen geschrieben, in denen das in diesem Aufsatz behandelte
Problem erörtert wird. Es seien genannt: Volksernährung und Tier-
haltung, Juni 1916; Volksernährung im neuen Wirtschaftsjahr, September
1916; Kartoffelversorgung, Schweinehaltung, Fettversorgung, Dezember
1916; Sicherstellung der Volksernährung, Juni 1917.
daß die Hausschlachtungen, soweit sie gemeldet wurden, im
Kriege kaum zugenommen haben. Gleichwohl wird man bestrebt
sein müssen, die Hausschlachtungen einzuschränken. Auf dem
Lande wird das nur in geringem Maße möglich sein. Das
selbsteingeschlachtete Schwein bildet hier vielfach die einzig
mögliche Form der Eindeckung mit Fleisch. Zudem gibt es
für die Wirischaftsabfälle der Kleinbesitzer und der Landarbeiter
kaum eine bessere Art der Verwertung als durch die Verfütterung
an Schweine. Auch das psychologische Moment darf nicht außer
Acht gelassen werden. Für den kleinen Mann auf dem Lande ist
die Aufzucht des Hausschlachtungsschweins so althergebracht, daß
seine Entziehung eine Verbitterung hervorrufen würde, die die
Arbeitsfreudigkeit des Landmanns schwächen müßte. Das Schwein
gehört sozusagen mit zur Familie. Eine Wirtschaft ohne Schwein
ist für den Landmann nicht recht vorstellbar. Zudem wird es sich
immer rächen müssen, wenn man de» Erzeuger von Nahrungs-
mittelprodukten in seiner Selbstversorgung allzu sehr beschränken
will. „Du sollst dem Ochsen, der da drischet, nicht das Maul ver-
binden". Hat man sich doch schon ohnehin in dieser Hinsicht zu
Eingriffeu gezwungen gesehen, die zwar unvermeidlich, aber vorn
Standpunkte des Landwirts aus nicht immer leicht zu ertragen sind.
Dagegen wird man unbedenklich die Hausschlachtungen
solcher Verbraucher einschränken können, die auch im
Frieden das Bedürfnis dazu nicht empfanden. Im vorigen
Jahre ist die Hausschlachtungserlaubnis stark miß-
braucht worden. Wer hat nicht hausgeschlachtet! Es bestand
zwar die Vorschrift, daß nur der es tun dürfte, der das
Schwein mindestens 6 Wochen lang im eigenen Stalle gefüttert
hatte. Aber diese Bestimmung wurde häufig umgangen oder
dadurch illusorisch gemacht, daß sich der Städler ein schon fettes
Schwein als sogenanntes Zuchtschwein kaufte, um es dann selbst
auf die Gefahr einer Gewichtseinbuße bis zum vorgeschriebenen
Termin kümmerlich durchzuhalten, falls nicht die ersehnte Not-
schlachtung schon vorher von dieser unangenehmen Pflicht entband.
Um dem vorzubeugen, ist durch die Bekanntmachung vom
2. Mai 19l7 die Haltefrist für Hausschlachtungsschweine auf
Z Monate verlängert und zugleich der Handel mit Schweinen
über 60 KZ zum Zwecke der Selbstversorgung verboten worden.
Unseres Erachtens wird man noch weiter gehen können
und die Hausschlachtungen in allen Haushaltungen ohne eigenen
landwirtschaftlichen Betrieb in Stadt und Land überhaupt
verbieten müssen. Ausnahmen werden lediglich Industrie-
24
arbeiten: gewährt werden können, die schon im vergangenen
Jahre hausgeschlachtet haben und den Nachweis ausreichender
Fütterungsmöglichkeit erbringen. Ein solches Verbot müßte recht
bald erlassen werden, damit noch vor der im Herbst beginnen-
den Mästungspeciode alle die Schweine abgestoßen werden,
die von Verbrauchern mit städtisch geführter Haushaltung in
der Hoffnung auf spätere Hausschlachtung vorgekauft wurden.
Aber auch der Landwirt wird sich gewisse Beschränkungen
auferlegen müssen. Schon im vorigen Jahre war die Haus-
schlachtung nicht uneingeschränkt erlaubt, sondern von der Ein-
holung einer vom Kommunalverbande auszustellenden Schlacht-
erlaubnis abhängig gemacht worden. Da indes das Ziel
fein muß, daß nicht mehr Schweine aufgezogen und gemästet
werden, als unbedingt erforderlich sind, so wird es zweckmäßiger
sein, den Zeitpunkt der Erlaubniserteilung früher zu legen.
Oder mit anderen Worten: Nicht die Schlachtung, sondern die
Haltung des Schweines muß konzessionspflichtig gemacht werden.
Nur der soll für die Hausschlachtung ein oder mehrere Schweine
einstellen dürfen, der dazu die Genehmigung des zuständigen
Kommunalverbandes erhalten hat. Dadurch wird erreicht, daß
in jedem Kommunalverbande die Zahl der Hausschlachtungs-
schweine schon während der Haltung genau festgelegt wird, und
daß nicht Tiere unter dem Vorwände, sie seien zur Haus-
schlachtung bestimmt, der Ablieferung an die Viehhandels-
verbände vorenthalten werden können.
Ernstlich zu erwägen wäre, ob die Konzessionierung auf
die gesamte Schweinehaltung ausgedehnt werden könnte. Es
wäre dann möglich, den Umfang der Schweinehaltung dem
Futtervorrate anzupassen. Freilich würde dadurch den schon stark
belasteten Kommunalverbänden neue Arbeit erwachsen, doch ist
nach Einführung der Wirtschaftskarte dieser Maßregel in gewisser
Weise schon vorgearbeitet. Zudem haben die Kommunalverbände,
die dafür aufkommen müssen, daß ihre statistisch erfaßten Ernte-
bestände auch abgeliefert werden, selbst ein brennendes Interesse
daran, daß diese nicht im Schweineinagen verschwinden.
Der größte damit verbundene Vorteil würde aber darin
zu sehen sein, daß dem Schleichhandel sein dunkles Hand-
werk erschwert würde. Der Schleichhandel bildet das betrübendste
Kapitel der vorjährigen Kriegsernährungswirtschaft. Er hat
nicht nur die Versorgung der Bevölkerung auf das schwerste
gestört, sondern auch, was noch schlimmer ist, auf die Be-
völkerung demoralisierend gewirkt. Würde die Schweinehaltung
25
ihrem Umfange nach genau festgelegt weiden können, so würde
der Schleichhandel in Ermangelung von ihm zur Verfügung
stehender Ware ausgeschlossen sei». Freilich wird sich das
nicht ganz rein durchführen lasse», einige Schleichwege werden
auch bei bestdurchdachten Maßnahmen offen bleiben. Es muß
daher eine scharfe Kontrolle hinzukommen. Mit eiserner Strenge
muß durchgegriffen werden. Ohne Frage sind die aufsichts-
sührenden Organe der Kommunalverwaltung gegen die Auswüchse
des Schleichhandels vielfach zu nachsichtig gewesen. Ja, es hat
Stadtverwaltungen gegeben, die womöglich ihre schützende Hand
über ihn hielten, in der Meinung, ihrer Stadt dadurch zu nützen;
kurzsichtigerweise erkannten sie nicht, daß sie damit am letzten Ende
ihre Einwohner schwer schädigen mußten, weil das Fundament
der ganzen Ernahrungswirtschaft erschüttert wurde. Eine
Zwangswirtschaft läßt sich nur mit Zwang durchführen. Man
erinnere sich, zu welch harten Mitteln der merkantilistische
Polizeistaat greifen mußte, um seiner Wirtschaftspolitik Geltung
zu verschaffen. Selbst vor der Verhängung von Todesstrafen
schreckte er nicht zurück. Wenn auch heute niemand für das
Ergreifen gleich rigoroser Maßnahmen eintreten wird, so wäre
doch dringend zu wünschen, daß dem Schleichhandel durch die
Höhe des Strafmaßes das Verwerfliche seines Tuns zum
Bewußtsein gebracht würde. Viel steht auf dem Spiele! Im
vierten Kriegsjahre können wir es uns nicht wieder leisten,
daß Korn und Getreide auch noch an solche Schweine verfüttert
werden, die, ohne von der öffentlichen Hand erfaßt zu werden
und dem breiten Ganzen zugute zu kommen, einer mehr oder
weniger kleinen Zahl skrupelloser, aber zahlungsfähiger Ver-
braucher zugeführt werden.
Mit allen Mitteln muß eine Verminderung der
Schweinehaltung erstrebt werden. War schon im
vorigen Jahre der Schweinebestand im Verhältnis zu den Ernte-
ergebnissen viel zu groß, so werden im vierten Kriegsjahre
die Verhältnisse noch ungünstiger liegen. Wenn heute auch
noch nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, wie die
Ernte ausfallen wird, so steht doch schon so viel fest, daß das
Futtergetreide sehr knapp sein wird. Dagegen gab es nach der
Viehzählung am 1. Juni 1917 12 764 000 Schweine. Bis
zum Herbst wird sich ihre Zahl voraussichtlich noch um 2 bis
3 Millionen vermehrt haben. Es ist gänzlich ausgeschlossen,
daß diese Mengen voll ausgemästet werden können. Es mutz
daher darauf gedrungen werden, daß ein großer Teil schon
26
im jüngeren Alter zur Abschlachtung gelangt. Das kann durch
verschiedene Mittel bewirkt werden. Einmal muß die Ferkel-
schlachtung gefördert werden. Es wird Aufgabe der Vieh-
handelsverbände sein, die Abnahme der Ferkel im großen Stil
zu organisieren, und wenn das Ferkelfleisch nur mit einem Teil-
gewicht auf die Fleischkarte angerechnet wird, so wird es auch
willige Abnehmer finden. Weiter wird der Handel mit Läufer-
schweinen und anderen zur weiteren Aufzucht bestimmten Tieren
unter die Kontrolle der Viehhandelsverbände kommen müssen.
Würden doch sonst die Zuchtviehmärkte, wie das schon im
vorigen Jahre der Fall war, dem Schleichhandel die Gelegenheit
geben, sich mit Ware einzudecken. Schließlich wird man darauf
dringen müssen, daß überhaupt die Schlachtschweine nicht mehr
auf ein so hohes Gewicht gebracht werden. Gerade zur Er-
zeugung von ganz fetten Schweinen wird das meiste Körner-
futter gebraucht. Die Viehhandelsverbände werden daher
darauf sehen müssen, daß die Schweine schon mit einem ge-
ringeren Gewicht zur Ablieferung gelangen. Das gleiche gilt
von den Hausschlachtungsschweinen; wenn in Zukunft leicht-
gewichtige Schweine mit einem geringeren Prozentsatz den
Selbstversorgern auf ihre Fleischration angerechnet werden, so
fällt der noch bei der vorjährigen Regelung bestehende An-
reiz zu möglichst hoher Ausmästung fort.
Sollten aber alle diese Maßnahmen nicht ausreichen, und
sollte es sich bei der nächsten Viehzählung am 1. September 1917
zeigen, daß der Schweinebestand in bedrohlicher Weise gewachsen
ist, muß mit dem stärksten Mittel eingegriffen werden: Die
Viehhandelsverbände müssen angewiesen werden, alle Schweine
über einem bestimmten Lebendgewicht, sagen wir 150 Pfund,
zwangsweise abzunehmen, soweit sie nicht für die Haus-
schlachtung konzessioniert sind. Damit müßte natürlich schon im
Herbst der Anfang gemacht werden. Fällt doch die Hauptmästungs-
zeit in die Monate Oktober, November und Dezember. Sollte es sich
dann zu Beginn des Jahres 1918 zeigen, daß die Gefahr beseitigt
ist, so könnten die Zügel wieder lockerer gelassen werden, um der
Bevölkerung für die ernährungswirtschaftlich schwere Frühsommers-
zeit wieder mehr Schweinefleisch zuwenden zu können.
Wenn diese oder in gleicher Richtung wirkende Maßnahmen
ergriffen werden, so kann die Bevölkerung dem neuen Wirtschafts-
jahre mit der Zuversicht entgegensehen, daß ihre Ernährung
mit pflanzlichen Nahrungsmitteln gesichert ist.
Der Entwicklungsgang der staatlichen
Regelung des Kriegs-Schweinemarktes
Von Dr. Walter Klaas/ wissenschastl. Hilfsarbeiter
im Kriegsernährungsamt/Berlin.
1. Der Schweinemarkt in den ersten Kriegsmonaten,
insbesondere der Erlaß don Schlachtverboten
August bis Dezember 1914
Der Ausbruch des Krieges fand den Schweinebestand
im Deutschen Reiche auf einer vorher unerreichten Aöhe.
Schon das Jahr 1913 hatte einen verhältnismäßig hohen
Schweinebestand aufzuweisen gehabt, was uns die fortlaufend
vorgenommenen Dezemberzählungen zeigend)
Schweiuebestand sin Millionen Stück) 1. Dezember
1873.... 7,1 1892.... 12,2 1904.... 18,9 1912.... 21,9
1883. .. 9,2 1900.... 16,8 1907.... 22,1 1913 ... 25,7
Die reiche Ernte von 1913 hatte die weitere Entwicklung in
hohem Maße begünstigt. Die für die Schweinehaltung wichtigste
Getreideart, die Gerste, hatte eine gute Jnlandsernte gehabt, aber
auch ihre Einfuhr war im Erntejahre 1913/14 um nahezu eine
Million Tonnen größer gewesen als im Vorjahre. ') Am 2. Juni
Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Jahrgang 1915
S. 59 und 61, und „Die Deutsche Landwirtschaft", bearbeitet im Kaiser-
lichen Statistischen Amte, Berlin 1913 S. 187.
2) Gemäß den Vierteljahrsheften Zur Statistik des Deutschen Reiches
1915, Zweites Heft S. 219, berechnet sich die verfügbare Menge von Gerste
für 1909/10 bis 1913/14 wie folgt:
Erntejahr v. I.Juli bis 30. Juni Geerntet Anssaat- menge Jnlands- menge Eingef. in ! den freien Verkehr Ausges. aus dem freien Verkehr Blieben ber- sügb. s. den Verbrauch
in M i l l i o n e n T o n n e n
1909/10 3,56 0,25 3,31 2,76 0,01 6,06
1910/11 2,96 0,24 2,72 - 3,53 0,02 6,23
1911/12 3,22 0,24 2,98 3,41 0,02 6,38
1912/13 3,55 ! 0,24 3,31 2,95 0,03 6,23
1913/14 3,74 ! 0,24 3,50 3,81 - 0,03 7,28
28
1914, zu einer Jahreszeit, wo der Schweinebestand verhältnis-
mäßig gering zu sein pflegt, wurden 3Vz Millionen Schweine
mehr gezählt, als am gleichen Tage des Vorjahres, nämlich 25,3
Millionen (am 2. 6. 1914) gegen 21,8 Millionen (am 2. 6.1913).
Angesichts des hohen Schweinebestandes bei Kriegsausbruch
erschien ein wirtschaftsgesetzlicher Eingriff zunächst nicht
erforderlich. Zwar wurde bereits unterm 31. Juli 1914 durch
Kaiserliche Verordnung ein Ausfuhrverbot für Tiere und tieriscke
Erzeugnisse erlassen/) dem Einfuhrerleichterungen durch Gewäh-
rung von Zollfreiheit für Schweine und Fleisch entsprachen?)
Indessen kam diesen Maßnahmen für die Fleischversorgung nur
bedingte Bedeutung zu, weil die Ausfuhr von Schweinen und
Schweinefleisch, wie überhaupt von Vieh und Fleisch, schon in
Friedenszeiten nur ganz geringen Umfang gehabt hatte, und die
Einfuhr, die aus veterinärpolizeilichen Gründen unbedeutend
gewesen war, mit dem Fortschreiten der gegnerischen Absperrungs-
politik keinen großen Umfang annehmen konnte. Auch die für die
Ernährungswirtschaft grundlegenden Gesetzgebungsmaßnahmen,
das Höchstpreisgesetz b) und die Bekanntmachung über Vorrats-
erhebungen ^) brauchten auf dem Gebiete der Vieh- und Fleisch-
bewirtschaftung zunächst nicht in Erscheinung zu treien.
Auf dem Schweinemarkte trat bei Kriegsausbruch zunächst
eine Stockung ein. Im Vergleich zu den Monaten Juni und Juli
ist im August eine Abnahme des Auftriebs zu beobachten, was
aus der Betrachtung der Auftriebszahlen hervorgeht. Danach
betrug der Marktverkehr mit Schweinen — lebend und geschlachtet
— auf den 40 bedeutendsten Schlachtviehmärkten Deutschlands
von Januar bis August in den Jahren 1913 und 1914:^)
bei einem Bestand von bei einem Bestand von
25,3 Millionen Schweinen 21,8 Millionen Schweinen
am 1. Dezember 1911 am 1. Dezember 1913
(in 1000 Stück) (in 1000 Stücks
Januar ............ 531,4 499,6
Februar........... 527,7 471,9
März ............. 588,2 514,1
April............. 545,9 535,1
Mai .............. 578,3 498,8
Juni ............. 553,4 500,8
Juli ............. 547,8 500,3
August ........... 525,2 483,7
Die Abnahme des Auftriebs im ersten Kriegsmonat erklärt
sich jedoch nicht etwa aus einer Zurückhaltung der Schweine
9 9 0 9 Anmerkungen s. auf S. 29.
29
seitens der Landwirte. Vielmehr ist in Betracht zu ziehen, daß
einmal in den heißen Sommermonaten stets weniger geschlachtet
zu werden pflegt, was auch die Vergleichszahlen des Jahres 1913
erweisen. Und zweitens darf nicht vergessen werden, daß in
der Mobilmachungszeit der Eisenbahnverkehr zeitweise stockte.
Es ist daher nicht anzunehmen, daß eine Neigung der Land-
bevölkerung zur Vorratswirtschaft, wie sie sich in den Städten
in den ersten Kriegsmonaten zeigte, den Anlaß zur Zurück-
haltung gegeben hätte.
Schon im September zeigte der Auftrieb eine ruckweise
Steigerung, die so stark war, daß sie sich nicht allein aus der im
September stets zunehmenden Zahl der Schlachtungen erklären
ließ. Vielmehr findet das Emporschnellen der Auf-
triebszahlen seine Begründung einmal in der Tatsache,
daß die Getreide- und Kartoffelernte des Jahres 1914 hinter
der des Vorjahres beträchtlich zurückgeblieben war. Dazu kam
zweitens, daß der Wegfall der Futtermitteleinfuhr, von der ein
großer Teil der Schweinehaltung abhängig war, sich fühlbar zu
machen begann. Die Preise für Futtergetreide und Futter-
mittel gingen aus diesen Gründen sehr in die Höhe. Ein Blick
auf die Statistik der Großhandelspreise wichtiger Waren°) zeigt
uns beispielsweise sür die Tonne Futtergerste aus dem Mann-
heimer Markte eine Preissteigerung von 147 <F im Juli auf
208 im September, für Mais von 164 c/7 auf 210 cF, um
in den folgenden Monaten noch stark weiter anzusteigen. Der
Landwirt mußte also eine allgemeine Futterknappheit befürchten
und war daher geneigt, seine gefüllten Schweineställe entspechend
zu leeren. So zeigten denn die Auftriebszahlen für
Schweine in den Monaten August bis Dezember folgendes Bild:
1914 in 1000 Stück 1913 in 1000 Stück
Augnst .......... 525,2 483,7
September........ 643,6 526,8
Oktober.......... 651,2 542,4
November......... 674,3 522,5
Dezember ........ 663,9 534,2
r) Reichs-Gesetzbl. 1914 S. 259.
Z Gesetz und Bekanntmachung betr. vorübergehende Einfuhr-
erleichterungen, vom 4.August 1914 R.G.Bl. S 399und516-
-st R.G.Bl. S. 339 und 516.
st R.G.Bl. S. 382.
5) Die Zahlen sind aus dem „Deutschen Reichsanzeiger und
Königlich preußischen Staatsanzeiger", Jahrgang 1914
und 1915, zusammengestellt.
*) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs 24 (1915) S. 3 st
Zu Seite 28:
Schweknepreise an ZO Marklorten 1911 bis 1914U
Marktor Preise im Jahre 1914 nach Monaten 1 ä? Schlachtgewicht^ -) in AI
Januar Febr. März April Mai ! Juni Juli August Septbr. Oktober Novbr. ^ Dezbr. Jahres- mittel
Königsberg. . . . 127,3 122,0 111,4 112,3 108,5 106,2 111,0 117,0 137,8 126,5 - 140,0 ^ 139,4 121,6
Danzig 725,7 726,6 768,5 767,5 765,5 j 767,7 767,5 ! 762,5 722,5 ^ 726,6! 752,5 775,5
Posen 724,7 776,5 772,A 766 6 767,6 104,0 765,7 772,5 775,7 727,9 ! 756,7 755,5 775,6
Breslau 132,3 125,3 120,3 114,8 110,9 111,6 113,6 128,4 126,1 133,6 141,9 149,1 125,7
Berlin 132,1 123,5 117,6 114,3 ^ 110,3 108,6 108,9 121,1 ! 121,2 137,9 140,4 147,1 123,6
Magdeburg . . 130,3 121,8 118,6 114,9 111,8 111,4 110,1 117,6 113,3 140,4 140,3 142,8 122,8
Kiel 126,0 116,6 112,0 110,1 106,5 104,2 104,3 105,3 106,5 142,6 135,2 142,1 117,6
Hannover . . .. 132,7 123,6 118,8 116,3 111,5 143,5 137,6 140,9 128,1
Dortmund . . . . 131,5 124,0 118,0 115,8 i 110,8 108,6 110,3 112,0 143,5 137,6 142,5 123,1
Essen - -t- - - - 132,3 123,5 118,8 116,3 112,8 110,6 112,5 117,6 112,0 148,0 140,4 ! 146,3 124,3
Elberfeld .... 133,5 127,0 121,6 118,5. 114,5 112,8 114,3 114,0 117,0 149,8 142,2 152,3 126,5
Düsseldorf . . .. 134,9 124,8 120,6 120,0 114,1 114,9 116,0 119,0 114,9 151,4 145,0 149,4 127,1
Cöln 131,0 123,8 118,3 114,6 109,6 109,1 108,9 ^— - — 141,3 137,2 ! 145,8 124,0
Aachen 137,5 126,5 119,4 118,8 114,0 115,0 114,5 120,4 104,8 141,8 142,8 148,0 125,3
Frankfurt a. M. 140,3 132,3 125,4 123,0 120,8 114,6 115,5 129,7 120,8 150,2 146,4 152,3 130,9
München . ... 132,0 126,5 120,5 117,4 116,8 112,5 117,4 131,3 116,8 124,0 122,5 124,4 121,8
Nürnberg . . . . 772,5 757,7 729,6 725,6 726,6 727,6 727,6 757,7 727,5 757,5 772,5 ! 776,6 757,5
Würzburg . . . . 134,8 126,5 120,0 114,8 109,5 110,5 108,4 134,5 127,5 135,2 134,5 134,0 124,3
Dresden ' 142,4 134,0 124,8 124,7 ! 112,3 112,1 116,1 132,4 123,0 146,3 145,0 147,9 129,8
Leipzig 135,9 127,3 122,3 119,2 114,6 113,4 114,4 128,4 118,5 146,6 146,4 148,7 128,0
Chemnitz 136,0 126,0 121,3 117,6 114,3 113,0 113,2 124,4 117,5 147,6 146,4 149,6 127,2
Zwickau 141,0 129,8 124,2 120,0 116,5 112,4 114,8 128,5 126,3 160,5 158,6 159,3 132,7
Stuttgart .... 139,8 132,0 126,5 122,1 119,8 116,3 117,5 137,0 124,3 142,3 148,2 148,9 131,2
Karlsruhe . . . . 145.6 136,3 130,0 ! 128,0 123,6 123,0 122,5 137,8 129,0 146,0 153,0 152,0 135,6
Mannheim. .. . 139,7 130,5 123,8 ! 121,0 116,6 117,0 118,4 137,3 123,6 150,1 145,6 146,6 130,9
Mainz 147,6 ^ 136,0 129,3 123,3 120,6 119,5 113,2 — -- . — 127,1
Lübeck 127,3 , 118,3 112,5 112,0 109,1 107,0 107,0 103,7 104,0 134,6 130,1 110,7 117,2
Bremen 126,4 ! 116,6 114,8 110,9 106,6 109,3 106,6 100,2 94,8 136,0 ! 120,3 123,6 113,8
Hamburg . . . . 725,6 777,7 772,7 776,5 ! 766,6 765,5 767,5 ^ 767,5 765,5 755,6 ! 725,6 ^ 759,9 776,7
Straßburg i. E. 143,5 136,0 130,3 125,0 120,6 120,0 125,8 ^ 153,0 139,0 149,6 ! 153,0 156,4 137,7
Jahr 1914.. 134,4 126,0 120,2 117,1 113,0 112,0 112,7 122,6 117,5 141,0 139,9 144,2 125,2
1913.. 767,6 757,2 755,6 775,5 755,6 1S7,S 752,7 755,5 757,6 757,9 775,7 755,5 779,5
1912.. 779,7 ! 727,9 756,6 ! 772,6 772,5 757,7 765,5 767,7 766,7 767,5 766,5 779,5
1911.. 726,6 i 727,6 776,9 776,6 775,7 777,5 725,6 726,6 725,2 779,5 777,5 779,7
Statisti k des De ätschen s 2 tUIL, >eft . S. 17. — 2) Die i
Urnrechrrurrseri dl nrcy 25°/ -
31
Gleichzeitig mit der Steigerung der Auftriebszahlen im
September sanken die Preise. Freilich nicht überall gleichmäßig,
wie das aus der nebenstehenden Tabelle auf S. 30 zu ersehen
ist. Ein Abweichen von der Regel in den 8 Städten Berlin,
Hamburg, Bremen, Lübeck, Kiel, Königsberg, Posen und
Elberfeld mag sich aus Gründen örtlicher, vor allem wohl
militärischer Art erklären.
Die allgemeine Marktlage, das steigende Angebot bei den
sinkenden Preisen, machte sich die private Konservenindustrie
zunutze, indem sie in großem Umfange Dauerwaren herstellte.
Auch der Deutsche Städtetag wies seine Mitglieder auf die
Zweckmäßigkeit der Dauerwarenaufstapelung hin. Er
machte dabei auf den Abschluß von Lieferungsverträgen auf-
merksam, des Inhalts, daß Landwirte und Schlächter in den
Produktionsgebieten die Herstellung von Dauerwaren für die
Städte übernehmen sollten. Insbesondere benutzte die Stadt
Berlin die günstige Gelegenheit, um erhebliche Mengen von
Schweinen zur Schlachtung und Einpökelung aufzukaufen und
in Kühl- und Gefrierhäusern einzulagern, was wohl eine der
Ursachen dafür war, daß die Preise auf dem Berliner Markte
nicht sanken. Allgemein wurde allerdings diese weitsichtige
Borratsanhäufung nicht durchgeführt, obwohl man amtlicher-
seits und in der Presse immer wieder darauf hinwies, man
solle den Genuß des Schweinefleisches bevorzugen und sich
einen Dauervorrat davon beschaffen. Schien es doch, wie
die dem Reichstag vom Stellvertreter des Reichskanzlers
überreichte „Denkschrift über wirtschaftliche Maßnahmen
aus Anlaß des Krieges" sich ausdrückt, dringend erwünscht,
„um die Schweinehalter nicht zu entmutigen, für einen
flotteren Absatz des Schweinefleisches zu sorgen, da die
Schweinepreise auf einen völlig unlohnenden Tiefstand ge-
sunken waren."')
Zu einer einheitlichen Organisation des Absatzes schritt
man aber nicht. Vielmehr schlug die Negierung, als der Über-
auftrieb zum Teil in verstärktem Maße sich auch auf dem
Rindermarkte zu zeigen begann, im Kampfe gegen die Abstoßung
der Viehbestände den Weg der Gesetzgebung ein und erließ
Schlachtverbote. Durch diesen ersten unmittelbaren Ein-
griff in die Viehhaltung glaubte man dem Überangebot ein
Drucksachen, des Reichstags 13. Legislaturperiode !!. Session 1914
Nr. 26 S. 69-. -
32
Ziel setzen und einer Gefährdung der künftigen Fleischversorgung
vorbeugen zu können. Durch eine Bekanntmachung vom 11. Sep-
tember *) ermächtigte der Bundesrat die Landeszentralbehörden,
Beschränkungen für die Schlachtung von Schweinen anzuordnen.
Von einem allgemeinen Schlachtverbot, das man für Kälber
unter 75 kg Lebendgewicht und für weibliche Rinder bis zu
7 Jahren einführte, sah man bei Schweinen ab, um die Züchter
nicht zur Aufzucht von Ferkeln zu zwingen, für die sie nicht
das nötige Futter besaßen. Doch machten die meisten Bundes-
staaten von der Ermächtigung insofern Gebrauch, als sie Schlacht-
verbote für Schweine unter einem bestimmten Lebendgewicht
und für sichtbar trächtige Sauen erließen. So setzt.e Hessen
bereits unterm 16. September für Schweine ein Mindestschlacht-
gewicht von 80 kg fest, Bahern, Baden, Württemberg und
Elsaß-Lothringen folgten. Preußen drohte am 7. Oktober die
gleiche Maßnahme an, für den Fall, „daß das Abschlachten
nicht mastreifer Schweine weiter zunehmen sollte." Ein
Schlachtungsverbot für trächtige Sauen wurde am 6. Oktober
zuerst von Preußen erlassen-), dessen Beispiel eine Reihe
anderer Bundesstaaten folgte. Da mit dem 19. Dezember
das Septemberschlachtverbot, das nur für ein Vierteljahr
erlassen worden war, außer Kraft trat, erging an diesem
Tage eine neue Bekanntmachung^), die die einzelstaatlichen
Schlachtungsbeschränkungen für Schweine aufrechterhielt, des
weiteren aber auch für Rinder und Kälber die zentrale
Regelung verließ. Die Schlachtverbote für Rinder und
Kälber wurden nunmehr ebenfalls dem Ermessen der Bundes-
regierungen überlassen.
Es ist noch auf die Wirkung der Verbote in
wirtschaftlicher Hinsicht einzugehen. Das Schlachtverbot für
Rinder und Kälber — das im übrigen durchaus im Vorder-
gründe stand — scheidet dabei unserer Aufgabe gemäß aus der Be-
trachtung aus. Auf die Schweinehaltung hatten die einzelstaatlichen
Schlachtverbote, die in der Hauptsache in Süddeutschland
erlassen worden waren, nur geringen Einfluß. Zwar war
mancherorts eine Steigerung des Lebendgewichts der zur
Schlachtung gelangenden Tiere zu beobachten, auf der anderen
Bekanntmachung betreffend Verbot des vorzeitigen Schlachtens von
Vieh, vom 11. September 1914, R. G. Bl. S. 405.
Reichsanzeiger 1914 Nr. 236 und. Nr. 305.
Betreffend das Schlachten von Schweinen und Kälbern, R. G. Bl.
S. 536.
33
Seite aber auch ein Steigen der Schlachtschweinepreise. Die
zweckmäßigen Schlachtverbote für trächtige Sauen hielt man,
von dem grundlegenden Gesichtspunkte abgesehen, daß einer
Zerstörung der Schweinezucht dadurch vorgebeugt werden sollte,
auch um deswillen für notwendig, weil man glaubte, daß das
Verbot der Kälberschlachtung die Steigerung der Kälbermast
und damit eine Einschränkung der Schweinehaltung zur Folge
haben könnte. Tatsächlich waren Jungschweine billiger und
schwerer absetzbar geworden. Im allgemeinen konnten die
Schlachtverbote auf die Entwicklung des Kriegsschweinemarktes
aber schon deshalb kaum Einfluß haben, weil sie territorial
und inhaltlich beschränkt waren und beschränkt sein mußten.
Denn während für Rindvieh bei dem guten Ausfall der Rauh-
futter- und Rübenernte Futtermangel, der eine Abstoßung der
Tiere hätte rechtfertigen können, nicht bestand, wäre es bei dem
Mangel an Futtergerste gefährlich gewesen, die Schweinehalter
zur Aufzucht von Ferkeln dort zu zwingen, wo sie nicht die
erforderlichen Futtermittel dazu besaßen.
Die am 1. Dezember 1914 vorgenommene Viehzählung
zeigt denn auch, daß die gesteigerte Abschlachtung nicht
wirkungslos geblieben ist. Freilich, wenn man das Er-
gebnis der Zählung vom 1. Dezember 1914 mit dem der
Zählung vom 1. Dezember 1913 vergleicht, wird man finden,
daß sich der Schweinebestand nur um etwa 300 000 Stück ver-
mindert hatte. Man muß indessen, um zu einer richtigen
Vorstellung zu kommen, die Dezemberzählungen mit den Juni-
zählungen in beiden Jahren vergleichen. Während vom 2. Juni
bis zum 1. Dezember 1913 eine Zunahme des Bestandes um
nahezu 4 Millionen Schweine zu verzeichnen war, war im
gleichen Zeitraum des Jahres 1914 ihre Zahl bloß um
35 000 Tiere gewachsen. Noch eindrucksvoller wird der Ver-
gleich bei der Betrachtung der Zählungsergebnisse in einzelnen
Gebietsteilen, etwa in den beiden preußischen Provinzen mit
der größten Schweineaufzucht, in Hannover und Schleswig-
Holstein. Im Jahre 1913 war nämlich von Juni bis
Dezember die Zahl der Schweine in Hannover um etwa
600 000 Stück, in Schleswig-Holstein um etwa 300 000 Stück
gestiegen. Im Jahre 1914 aber sind in Hannover durch die
Dezemberzählung nur etwa 100 000 Schweine mehr als im
Juni dieses Jahres ermittelt worden. In Schleswig-Holstein
war ihre Zahl sogar um 100 000 Stück gesunken.
Heft M<21 3
34
2. Die Z w a n g s a b s ch l a ch t u n g des Früh-
jahrs 1915
Januar bis Mai 1915
Die bis dahin getroffenen und geplanten Maßnahmen
waren einerseits auf die Verwertung des unwillkommenen
Überangebots gerichtet gewesen, andererseits hatten sie auf die
Erhaltung des Schweinebestandes abgezielt. Die Mitte Januar
bekannt gewordenen Ergebnisse der Viehzählung vom
1. Dezember und der am gleichen Tage vorgenommenen
Getreidebestandsaufnahme^) veränderten indessen die
Sachlage von Grund aus. Die bisher gehegte Befürchtung,
daß „das planlose und überstürzte Angebot in nicht allzu ferner
Zeit in einen bedauerlichen Mangel an Schweinen umkehren
würde",') hatten die Zählungsergebnisse nicht bestätigt.
Nicht Mangel an Schweinen, sondern Mangel an Getreide
und Kartoffeln für die menschliche Ernährung schien zu
drohen. Hatte es sich doch herausgestellt, daß schon am 1. De-
zember die Getreidebestände durch die umfangreichen Verfüt-
terungen bis etwa auf die Hälfte der ganzen Ernte zusammen-
geschrumpft waren, ein Beweis dafür, wie sehr es bereits an
Futtermitteln für Schweine fehlte, und wie sehr ihre Zahl noch
immer in unrichtigem Verhältnis zu den Futterstoffen stand,
die unbeschadet der menschlichen Ernährung für sie verfügbar
waren.
Es galt daher, die Mengen von Nahrungsmitteln, die
bisher infolge des Ausfalls der ausländischen Kraftfutter-
einfuhr noch in stärkerem Maße als sonst zu Fütterungszwecken
verwendet worden waren — also namentlich Brotgetreide und
Kartoffeln — für die menschliche Ernährung sicherzustellen. Zu
diesem Zwecke erfolgte unterm 25. Januar die Beschlagnahme
der noch vorhandenen Brotgetreidevorrüte für die Kriegsgetreide-
Gesellschaft H. Um aber auch die Kartoffeln vor weiterer über-
mäßiger Verfütterung zu bewahren, schien es nur ein durch-
greifendes Mittet zu geben: man mußte den hohen Schweine-
bestand nach Möglichkeit zu vermindern suchen.Z
Bekanntmachung, betr. statistische Aufnahmen der Vorräte von
Getreide und Erzeugnissen der Getreidemüllerei, vom 29. Oktober 1914,
R. G. Bl. S. 466.
ft Vgl Reichstagsdenkschrift S. 69.
ft Vgl. die Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Brot-
getreide und Mehl, R. G. Bl. 1915, S. 35.
Vgl. Reichstagsdenkschrift 2. Nachtrag Nr. 44 S. 56.
35
Am 25. Januar 1915 erteilte daher der Bundesrat dem
ihm vorgelegten Entwurf einer Verordnung über die Sicher-
stellung von Fleischvorräten seine Zustimmung'). Da-
durch wurden die Städte und Landgemeinden mit mehr als
5000 Einwohnern verpflichtet, sich einen Vorrat von Fleisch-
dauerwaren zu beschaffen und seine Aufbewahrung sicherzustellen
<8 1). Zur Erfüllung dieser Verpflichtung konnte den Ge-
meinden oder einem Dritten das Eigentum an den Schweinen
von der zuständigen Behörde übertragen werden (8 2). Als
Übernahmepreis galt die amtliche Preisfestsetzung des Schlacht-
viehmarktes nach dem Durchschnitt der beiden letzten Haupt-
markttage vor dem Eigentumsübergang (8 3).
Diese Bekanntmachung, die gesetzliche Grundlage des viel
umstrittenen „Schweinemordes", wie man die daraufhin er-
folgenden Zwangsabschlachtungen bezeichnet hat, brachte in ihrer
Durchführung eine ganze Reihe von Schwierigkeiten
mit sich.
Für die Gemeinden bedeutete die Rechtspflicht zur Her-
stellung von Fleischdauerwaren naturgemäß eine nicht geringe
finanzielle Belastung. Es wurde daher von ihrer Seite
eine Beteiligung des Reiches gefordert, insbesondere die Über-
nahme der Verlustgefahr für den Fall, daß die aufgestapelten
Waren nicht oder nur mit Verlust verkauft werden könnten,
wie z. B. bei Eintritt des Friedens. Es wurden daraufhin
durch die Zentral-Einkaufsgesellschaft Verträge mit den Ge-
meinden abgeschlossen, die auf eine Teilung des Risikos für die
bei Friedensschluß noch nicht verbrauchten Konservenbestände
hinausliefen.
Damit war es indessen nicht genug. Die rasche und wirk-
same Durchführung der Verminderung des Schweinebestandes
wurde von der Reichsregierung für so wichtig gehalten, daß alles
andere hinter die Sicherstellung der Kartoffeln vor der Ver-
fütterung zurücktrat. Man war der Ansicht, daß besonders die
Durchhaltung der geringgewichtigen Schweine die Kar-
toffelvorräte gefährdete, weil diese mehr Erhaltungsfutter bean-
spruchten, als die ganz schweren Tiere. Man suchte daher vor
allem die jungen Schweine zur Abschlachtung zu bringen. Gerade
diese Schweine waren aber bisher zu Dauerware wenig verarbeitet
worden. Sie sind infolge ihres geringen Fettansatzes für die
Protokoll der 6. Sitzung, Session 1915,'Bundesratsdrucksache Nr. 20.
Unterm gleichen Datum erschien die Bekanntmachung im R. G. Bl. S. 45.
Z.
36
Aufbewahrung durch Salzen und Räuchern nicht so sehr ge-
eignet^). Die Besorgnis der Gemeinden war daher erklärlich, daß
die aus diesen Schweinen hergestellte Dauerware nicht in
dem Maße wie die aus den höheren Gewichtsklassen ge-
wonnene haltbar sei. Damit die Abschlachtung aus diesen
Gründen nicht verzögert würde, und weil die ganze Maß-
nahme „allgemeine nationale Bedeutung" hatte, ermächtigte der
Reichskanzler (Neichsschatzamt) die Zentral-Einkaufsgesellschaft,
den Gemeinden Lieferungsverträge bezüglich der Schweine-
konserven und Schweinedauerwaren anzubieten, und er über-
nahm seinerseits der Gesellschaft gegenüber die ganze aus den
Verträgen sich ergebende Verlustgefahr.
Damit waren aber die Schwierigkeiten, die sich einer ener-
gischen Durchführung der Abschlachtung entgegensetzten, noch
nicht beseitigt. Ein weiterer, die Maßnahmen hindernder Um-
stand tauchte auf dem Gebiet der Preisbildung auf.
Es war nur natürlich, daß die starke Nachfrage nach
Schweinen seitens der Gemeinden die Preise in die Höhe trieb.
Das Angebot an Schweinen war auf der anderen Seite nicht
groß, da die Schweinehalter, auf weiteres Steigen der Preise
spekulierend, ihre Tiere zurückhielten. Während Anfang Dezember-
auf dem Schlachtviehmarkte Berlin Schweine der Gewichtsklasse
von 100 bis 120 leg 70 bis 74 für 50 leg Lebendgewicht
gekostet hatten, betrug der Preis am 23. Januar 87 bis
88 und stieg bis zum 10. Februar auf 100 bis 108 cL.ch
Man zentralisierte daher den gesamten Schweineeinkauf für
die Gemeinden in den Händen der Zentral-Einkaufsgesellschaft.
Es wurde eine Schweine-Einkaufszentrale ge-
schaffen, die unter Mitwirkung der Landwirtschaftskammern
arbeitete. Die Zentrale kaufte die Schweine durch beauftragte
Händler für die Vertragsgemeinden auf. Durch eine Kommission
wurden allwöchentlich die Preise bestimmt. Aufgekauft sollten
insbesondere die Schweine von 60 bis 90, ausnahmsweise bis
100 kg werden. Außerdem übernahm die Zentral-Einkaufs-
gesellschaft die Verarbeitung von etwa einer Million Schweinen,
um sie später an die Gemeinden abzugeben.
Der hohe Stand der Schweinepreise hatte aber auch zur
Folge, daß ein starkes Angebot ausländischer Schweine
auf dem deutschen Markte erschien. Man hielt angesichts der
r) Plank und Kallert, „Uber die Behandlung und Verarbeitung dorr
gefrorenem Schweinefleisch" 1915 S. 1.
2) Vgl. Neichstagsdenkschrift S. 57.
Preisverhältnisse einen Transport der Tiere selbst aus Holland,
Dänemark, Italien und Rumänien noch für lohnend. Wenn
es auch, äußerlich betrachtet, nahelag, mit Rücksicht auf die der
ganzen Abschlachtungspolitik zugrunde liegende Absicht gegen die
Einfuhr dieser Schweine einzuschreiten, so tat man es dennoch zu-
nächst nicht, aus der Erwägung heraus, jede Vermehrung unserer
Nährwerte zu dulden, die ohne Verminderung unserer Futter-
mittel erfolgen konnte. Außerdem hoffte man, daß das aus-
ländische Angebot auf die hohen Inlandspreise ermäßigend wirken
würde. Als aber auch einzelne Stadtverwaltungen in Verkennung
der Regierungsmaßnahme sich die gesetzlich vorgeschriebenen Vor-
räte durch Bezug billigerer ausländischer Schweine beschafften,
sah man sich doch veranlaßt, auf den Zweck der Bekanntmachung
vom 25. Januar ausdrücklich aufmerksam zu machen und darauf
hinzuweisen, daß durch ein solches Verfahren das angestrebte Ziel
vereitelt würde.
Schwierigkeiten entstanden ferner in rein technischer
Hinsicht insofern, als die in Frage kommende Industrie nicht
auf die plötzlich zu verarbeitende Fleischmenge eingestellt war,
und man mit der Verarbeitung des Fleisches leichtgewichtiger
Schweine, das doch besonders in Betracht kam, wenig oder
keinerlei Erfahrungen gemacht hatte. Ferner herrschte in den
Gemeinden vielfach ein solcher Mangel an geeigneten Schlächtern,
daß er durch militärische Bereitstellungen beseitigt werden mußte.
Zur Beschaffung geeigneter Lagerräume wurde vom preußi-
schen Minister für Handel und Gewerbe eine Erhebung über
die zur Aufbewahrung von Dauerware verfügbaren Kühl- und
Gefrierräume angeordnet. In weiterem Umfange wurde ferner
zur Herstellung der Fleischdauerwaren das Gefrierverfahren
herangezogen, obwohl diese Technik in Deutschland noch wenig
erprobt war.
Die den Städten gemachte Auflage stellte, wie wir aus
alledem sehen, in finanzieller und technischer Hinsicht keine
geringen Anforderungen an ihre Leistungsfähigkeit. Hatte doch
der Preußische Minister des Innern unterm 8. Februar die
Gemeinden angewiesen, sich auf den Kopf ihrer Bevölkerung
für 15 cE Dauerwaren zu beschaffen. Das wäre, in dem Maße
allgemein durchgeführt, außerordentlich viel gewesen. Es
kamen deshalb die Städte darum ein, daß ihnen der ganze in
ihrer Stadt schon in den Einzelhaushaltungen aufgespeicherte
Dauerwarenvorrat auf ihren Pflichtteil angerechnet werden
möchte, was dann auch geschah.
38
Die getroffenen Maßnahmen vermochten jedoch am ständigen
Steigen der Sch weine preise nichts zu ändern. Diese
hatten alsbald nach der Bekanntmachung des Bundesrats das
Doppelte der Höhe vor Kriegsausbruch erreicht. Auch die
Enteignungsmöglichkeit, die die Verordnung bot, konnte die
Schweinehalter nicht zu vermehrtem Auftrieb bewegen. Das
lag daran, daß der Enteignungspreis nach dem Markt-
preise der beiden letzten Hauptmarkttage vor dem Eigentums-
übergang berechnet werden mußte. Der Schweinehalter konnte
es also ruhig auf die Enteignung ankommen lassen. Es wurde
deshalb vorgeschlagen, als Marktpreis bei der Enteignung den
der beiden ersten Hauptmarkttage des Monats Januar 1915
gelten zu lassen, also aus diese Weise Enteignungshöchst-
preise für Schweine einzuführen. Auf dem Berliner Markte
wurden Anfang Februar für den Zentner Lebendgewicht 108, ja
selbst 112 bezahlt, und ein Stillstand in der steigenden
Tendenz der Preisentwicklung war nicht abzusehen. Es stellten
sich daher die Städte auf den nicht unberechtigten Standpunkt, daß
ihre Einkaufsverpflichtung nicht dahin verstanden werden könnte,
daß die Schweine von ihnen zu jedem beliebigen Preise beschafft
werden müßten: Dem Zwang den Gemeinden gegenüber, Dauer-
ware herzustellen, müßte eine Verpflichtung der Erzeuger ent-
sprechen, das Material zur Dauerware zu liefern. Die Haupt-
sache aber war, daß die schleunige Verminderung der
L> ch Weineb e stä n d e um etwa die Hälfte ihrer Zahl, was
ziemlich allgemein zur Schonung der Kartoffelvorräte im
Interesse der Volksernährung für dringend notwendig gehalten
wurde, durch die Gestaltung der Preise schier un-
möglich gemacht wurde.
Eine unterm 25. Februar ergangene Bekannt-
machung i) setzte daher in Abänderung der Januarverordnung für
Schweine bis zu 100 kg Lebendgewicht örtlich nach vier Preis-
gebieten sowie nach Gewichtsklassen abgestufte Enteignungs-
höchstpreise fest, während es für Schweine über 100 kg bei
der bisherigen Regelung verblieb. Für die Bemessung der
neuen Höchstpreise hatten die an den beiden letzten Haupt-
markttagen im Januar 1915 in Berlin herrschenden Preise
als Grundlage gedient. Allgemeine Höchstpreise wurden damit
wohlgemerkt nicht eingeführt. Die Begründung des Entwurfs
'1 Bundesratsdrucksache Nr. 51 und Bekanntmachung betr. Änderung der
Bekanntmachung über die Sicherstellung von Fleischvorräten, vom 25. Januar
1915, R. G. Bl. S. 45, vom 25. Februar 1915, R. G. Bl. S. 109.
39
meinte vielmehr: „Es kann abgewartet werden, ob die Weiter-
entwicklung der Marktverhältnisse zu einer so entscheidenden
Maßnahme drängen wird."
Es entsprach den „außerordentlich wichtigen nationalen
Interessen", die bei der Durchführung der abgeänderten Ver-
ordnung auf dem Spiele standen, daß man das bereits durch
die Januarbekanntmachung begründete Enteignungsrecht
nicht bloß auf dem Papier stehen ließ, sondern von ihm
energischen und schleunigen Gebrauch dann machte, wenn ein
Schweinehalter den freihändigen Verkauf seiner Schweine zu
angemessenem Kaufpreise verweigerte. Es wurde daher besonders
auf die Notwendigkeit hingewiesen, bei Erlaß der Ausführungs-
bestimmungen zu der abgeänderten Bekanntmachung den Aus-
führungsbehörden nachdrücklich zur Pflicht zu machen, alle
Enteignungsanträge der Gemeinden und der Zentral-Einkaufs-
gesellschaft „mit dem größten Wohlwollen und in einem vorzugs-
weise beschleunigten Verfahren zu entscheiden."
Überhaupt wurden von Seiten der Regierung alle Maß-
nahmen getroffen, um den Verordnungen eine möglichst
durchschlagende Wirkung zu geben. „Die Königliche
Staatsregierung", heißt es in einem Runderlaß des Preußischen
Ministers des Innern an die Landräte der Monarchie vom
7. März 1915, „erblickt in der schleunigen weiteren Verminde-
rung der Schweinebestände eine der wichtigsten Maßnahmen
bei der Sicherung der Volksernährung, von deren Gelingen
die wirtschaftliche Durchhaltung des Krieges in der Ernährungs-
frage zum großen Teil abhängt". Der Erlaß schließt mit dem
Ersuchen an die Landräte, „ihren ganzen amtlichen und per-
sönlichen Einfluß auf die ländliche Bevölkerung dahin aufzu-
bieten, daß mit aller Beschleunigung und im weitesten Um-
fange mit der Abschlachtung von Schweinen und Ansammlung
von Dauerware vorgegangen wird."
Trotzdem wurden die Maßnahmen zur Erreichung des
gesteckten Zieles vielfach nicht für ausreichend gehalten.
Es fehlte nicht an Vorschlägen, die eine Zwangsabschlachtung
der Schweine befürworteten oder eine Haltung von Schweinen
nur dann zulassen wollten, wenn sie mit den in eigener
Wirtschaft erzeugten Futtermitteln gemästet würden. Man
führte ferner ins Feld, daß die vorgesehene Enteignung schwer
durchzuführen sei, weil Händler und Einkäufer ihr passiven
Widerstand entgegensetzen würden, aus Furcht, ihre Kundschaft
zu verlieren. Auch seien durch die Februarverordnung beträcht-
40
liche Prämien für Schweine über 200 Pfund ausgesetzt worden,
sodaß jeder Landwirt Kartoffeln füttern werde, um seine
Schweine möglichst schwerer als 200 Pfund zu machen.
Auf die große Gefahr, die unserer Volksernährung durch
den starken Schweinebestand erwachsen würde, wurde besonders
auch von Seiten namhafter Theoretiker immer wieder
hingewiesen. Sie legten überzeugend dar: Wir haben zu
wenig Kartoffeln und zu viel Vieh, wir müssen daher
die Schweine abschlachten, um unsere Kartoffelvorräte zu
strecken. „Denn die zur menschlichen Ernährung geeigneten
Stoffe, vor allen Dingen Getreide und Kartoffeln, können
eine sehr viel geringere Zahl von Menschen ernähren,
wenn wir sie durch Verfütterung in Fleisch und Molkerei-
produkte verwandeln, als wenn wir sie selbst als menschliche
Nahrung verwenden. — Mit der Milch, dem Getreide und
den Kartoffeln, die ein Schwein verzehrt, kann man doppelt
soviel Menschen ernähren, als mit dem daraus entstehenden
Schweinefleisch'"). Man berechnete u. a., daß, wenn man nicht
entschieden einschritte, Ende Juni derKartoffelvorrat verbraucht sei.
Man müsse ungefähr 12 Millionen Schweine schlachten. Eine
Zwangsabschlachtung auch der unreifen Schweine von 40 bis 45 kg,
ja die Tötung aller Schweine über 35 kg wurde gefordert.
Anträge dieser Art waren auch an den Reichstag gelangt,
von diesem aber abgelehnt worden. Zwar wurde auch von
landwirtschaftliche Interessen vertretenden Abgeordneten zu-
gegeben, daß „ernste Maßnahmen notwendig seien, um zu
verhindern, daß oie Schweine das Kartoffelquantum, das
nötig sei, um die menschliche Ernährung bis zum 15. August
durchzuhalten, verzehrten'"), aber man warnte auch vor
Übertreibungen. Man dürfe nicht vergessen, daß in den
Schweinen ein wertvoller Bestandteil unseres Volksvermögens
verkörpert sei, den man nicht ohne die äußerste Not aus der
Welt schaffen dürfe. Es würden ja auch nicht alle Schweine
mit Kartoffeln gefüttert, sondern vielfach auch mit anderen, zur
menschlichen Ernährung nicht ohne weiteres geeigneten Mitteln.
Als an sich naheliegende Anordnungen erschienen unterm
4. März Bekanntmachungen über die Vornahme von Vieh-
zählungen am 15. März und 15. April und über die Vor-
H Eltzbacher u. a., „Die deutsche Volksernühruug und der eng-
lische AushungerungsPlan". Braunschweig 1914, S. 78.
2) Graf von Westarp gemäß Stenographischem Bericht der Sitzung vom
9. März S. 74/75.
II
»ahme einer Kartoffelbe st andsauf nah m e am 15. März').
Daß man sich über das Ergebnis des bisher Erreichten einmal
vergewissern wollte, war natürlich. Es tauchte nämlich des
öfteren die berechtigte Frage auf: ist die Sicherstellung unserer
Kartoffelvorräte nicht inzwischen erreicht, greifen wir nicht schon
an die Wurzel unserer Fleischversorgung, wenn wir der gesetz-
lich vorgeschriebenen Schweineabschlachtung kein Ende machen?
Eine Bestandsaufnahme der Kartoffeln einerseits, und eine
Zählung der Schweine anderseits mußten, am selben Zeit-
punkt vorgenommen, durch vergleichende Gegenüberstellung der
Ergebnisse die Antwort auf diese Fragen geben können. Nur
so ließ sich feststellen, „in welchem Maße die vermehrten Ab-
schlachtungen auf den Bestand der Schweine eingewirkt haben und
mit welchem Nachdruck auf eine weitere Verminderung des Be-
stands hingearbeitet werden muß."
Anfang April lag das Ergebnis der Schweinezählung
vom 15. März 1915 vor, wonach zu dieser Zeit im Deutschen
Reiche 17 904 092 Stück Schweine vorhanden waren, gegenüber
25 341 272 Stück am 1. Dezember 1914. Die Abnahme unr
7 437 180 Stück bedeutete eine Verminderung um 29,5 U. Das
Gesamtergebnis der Kartoffelbestandsaufnahme
vom 15. März 1915 betrug nur 10 Millionen Tonnen, ohne
die Vorräte unter 50 KZ, die der Anzeigepflicht nicht unter-
legen hatten. Obwohl dieses Ergebnis von vielen Seiten für
unrichtig gehalten wurde, so mußte doch eine Gegenüber-
stell u n g des ungünstigen Ausfalls der Kartoffelerhebung mit dem
Ergebnis der Schweinezählung den Erfolg haben, daß man an dem
durch dieJanuarbekanntmachung angestrebtenZiele einer weitgehen-
den Verminderung der Schweine unverändert festhielt. Sah man
sich doch unmittelbar vor einer Kartoffelnot stehen. Nur durch
weitere Abschlachtung glaubte man die Kartoffeln vor der Ver-
fütterung an die Schweine retten zu können. Und so erreichte
denn in der Folgezeit die Aktion ihren Höhepunkt.
In den folgenden 4 Wochen bis zur zweiten Schweine-
zählung am 15. April 1915 sank der Bestand noch um weitere
l-Vz Millionen Stück. Es wurden an diesem Zeitpunkt
16 569 990 Schweine ermittelt. Seit dem 1. Dezember 1914
hatte damit der Bestand um nahezu 9 Millionen oder 35 v. H.
abgenommen. Die Verminderung des Bestandes würde noch
größer gewesen sein, wenn nicht die Schweinepreise eine
H Bundesratsdrucksachen Nr. 59 und 62. N.G.Bl. S. 132 und 127.
42
derartige Hohe erreicht hätten, daß es der Zentral-Einkaufs-
gesellschaft trotz aller Bemühungen nicht mehr gelingen wollte,
in den Besitz der für die Städte zu beschaffenden Schlachttiere
zu gelangen. Man hatte sich deshalb gezwungen gesehen, eine dem
dringendsten Bedarf der Gemeinden entsprechende Menge von
Schweinen auf die ländlichen Kommunalverbände umzulegen.
Das Ergebnis der zweiten Schweinezählung am 15. April
hatte indessen die Regierung davon überzeugt, daß die Gefahr der
Verfütterung der zur menschlichen Ernährung geeigneten Kar-
toffeln im wesentlichen behoben oder doch erheblich herabgemindert
war. Das Ziel der Maßnahmen, die eine vermehrte Ab-
schlachtung der Schweine und ihre Umwandlung in Dauerware
zum Gegenstand hatten, betrachtete man damit als erreicht.
Von einer weiteren Verminderung der Schweine befürchtete
man eine Gefährdung der Versorgung der Bevölkerung mit
frischem Fleisch sowie der Nachzucht für das künftige Jahr.
Anderseits waren infolge der Öffnung der Kartoffelmieten
mehr Abfallkartoffeln zur Verfütterung vorhanden. Die
weitere Verarbeitung von Schweinefleisch zu Dauerwaren war
durch den verminderten Bestand sehr erschwert und wurde,
durch die bevorstehende wärmere Witterung auch technisch un-
möglich gemacht. Außerdem erwies es sich als dringend nötig,
auf die Preishöhe einzuwirken, die man durch Ausschaltung der
Zwangskäufe der Gemeinden und der Zentral-Einkaufsgesell-
schaft auf ein den Marktverhältnissen tatsächlich entsprechendes
Maß herabzudrücken hoffte *). So entschloß man sich dazu, die
grundlegenden Verordnungen vom 25. Januar und 25. Februar
am 8. Mai 1915 außer Kraft treten zu lassen-).
Es blieb zwar noch übrig, eine Auseinandersetzung
der Gemeinden mit der Zentral-Einkaufsgesellschaft herbeizu-
führen, doch überließ man zweckmäßigerweise die Abwicklung der
Geschäfte und Bestellungen dem freien Ermessen der Beteiligten.
Sofort nach der Aufhebung der grundlegenden Verordnungen
erhob sich ein Sturm der Kritik, in den Volksvertretungen
sowohl wie in der Presse''). Da eine zweite Kartoffelbeftands-
aufnahme am 15. Mai nach Öffnung der Mieten und nach
Reichstagsdenkschrift, 3. Nachtrag S. 46.
Bekanntmachung über das Außerkrafttreten der Bekanntmachung
über die Sicherstellung von Fleischvorräten vom 25. Januar 1915 und der'
Bekanntmachung betreffend Änderung der Bekanntmachung über die Sicher-
stellung von Fleischvorräten vom 25. Februar 1915, R.G.Bl. S. 271.
3) Vergl. die Sitzungen des Reichstages vom 29. Mai und vom
August 1915, sowie vom 13. Januar 1916.
43
Beendigung der Aussaat noch 3 Vz Millionen Tonnen ermittelt
hatte, fürchtete man, unnötigerweise vom Schweineüberfluß und
von der Kartoffelnot in Kartoffelüberfluß und Fleisch- und Fettnot
geraten zu sein. In weiten Kreisen bedauerte und verurteilte
man daher die Zwangsabschlachtung der Schweine.
Allerdings machten sich die Folgen der Schweine -
abschlachtung in verschiedener Hinsicht recht unangenehm be-
merkbar. So vor allem auf dem Gebiet der Preise, worauf
wir noch zurückzukommen haben werden.
Auch die später fühlbare Knappheit an Fett war zum Teil eine
Folge der verringerten Schweinezahl. Endlich wurde vielfach
die Behauptung verbreitet, daß größere Mengen der von den
Gemeinden aufgestapelten Dauerwaren verdorben seien. Ob sich
das so verhalten hat, blieb zwar nicht unbestritten. Aber die
Kürze der Zeit und die unzureichenden Mittel und Erfahrungen,
die zu der Herstellung solcher Mengen und solcher Art von
Schweinefleisch-Dauerwaren zur Verfügung standen, könnten
bedauerliche Vorkommnisse dieser Art erklären.
Bei der Beurteilung der geschilderten Ereignisse ist davon
auszugehen, daß man zu der Zeit, als die Regierung sich zu
der Zwangsabschlachtung der Schweine entschloß, unter dem
Eindruck der Bestandsaufnahmen stand, deren geringe Ergebnisse
zu den schwersten Befürchtungen Anlaß gaben. Das Durchhalten
der Bevölkerung bis zur neuen Ernte war in Frage gestellt.
Es mußte eingegriffen werden. Daß sich die erste Schätzung
der Kartoffelvorräte nachher als falsch herausstellte, insofern als
später die tatsächlich vorhandenen Kartoffelmengen größer waren,
als man nach der auf Schätzungen der Landwirte beruhenden >
Erhebung hatte annehmen müssen, war nicht vorauszusehen.
Jedenfalls wäre es für eine sich ihrer schweren Verantwortung
bewußte Regierung nicht zu rechtfertigen gewesen, wenn sie
von vornherein mit dieser Fehlerquelle gerechnet und sich jedes
Eingriffs enthalten hätte.
3. Das Steigen der S ch w e i n e p r e i s e im
Sommer 1915
Juni bis Oktober 1915
Im Zusammenhang mit der Zwangsabschlachtung, wenn
auch nicht allein von ihr hervorgerufen, war auf dem Schweine-
markt eine unerträgliche Teuerung eingetreten.
Während unmittelbar vor dem Kriege die Schweinepreise,
wie das aus der oben auf S. 30 wiedergegebenen Tabelle ersichtlich
44
ist, ungewöhnlich niedrig, dann im Januar 1915, also zu Beginn
der Zwangsabschlachtung, schon etwa auf durchschnittlich 161 ^
gestiegen waren, betrug 1915 der Jahresdurchschnittspreis 265
Die Hoffnung, daß die am 8. Mai erfolgte Aufhebung der Ver-
ordnungen vom 25. Januar und 25. Februar durch die Aus-
schaltung der Zwangskäufe der Gemeinden und der Zentral-
Einkaufsgesellschaft die Nachfrage nach Schweinen zu verringern
und die Preise zu drücken vermöchte, erfüllte sich nicht. Mit
dem Wegfall der Enteignungsmöglichkeit war vielmehr jede
Schranke für die Preisforderungen der Schweinehalter gefallen.
Um die gewaltige Steigerung in den einzelnen Monaren des
Jahres 1915 vor Augen zu führen, sei die gegenüber-
stehende Preistabelle auf S. 45 wiedergegeben.ch
Die Gründe für dieses beängstigende Anschwellen der
Schweinepreise sind unschwer zu finden. Eine Reihe von
Ursachen kommen dafür zusammenwirkend in Betracht.
In erster Linie ist natürlich die Friedenszeiten gegenüber
beträchtliche Verringerung des Angebots für die Preis-
steigerung verantwortlich zu machen. Und zwar hatte einerseits
der Schweinebestand an sich infolge der Zwangsschlachtungen
des Frühjahrs beträchtlich abgenommen, anderseits stand den
Landwirten den Sommer über eine größere Menge von Futter-
mitteln zur Verfügung, so daß für sie ein Zwang zum Verkauf
nicht bestand 2). Dazu kam ferner die leichtverständliche
Neigung der Landwirtschaft, die Schweinebestände möglichst
rasch wieder auf die Höhe zu bringen, von der sie in den
vergangenen Monaten gesunken waren.
So erklärt sich denn der überraschende Rückgang des
Marktauftriebs an lebenden Schweinen, was die folgenden
Zahlen dartun:
1915
Januar........ 741481
Februar ...... 696 281
Mürz.......... 784 927
April......... 543 987
Mai .......... 889420
1915
Juni...... 272 181
Juli.......... 246 ^98
August...... 227 272
September.. 238 111
Oktober..... 281 384
Neben dem stark gesunkenen Auftrieb wies man vielfach auch
auf d ie Einkäufe der Heeresverwaltung als Ursache
für die Preissteigerung hin, weil bei ihnen der Preishöhe
0 Aus den Vierteljahrsheften
Jahrgang 1916, Heft III, S. 48.
2) Vgl. Bundesratsdrucksache
5. Nachtrag S. 50.
zur Statistik des Deutschen Reiches,
Nr. 162 und Reichstagsdenkschrift,
Schwerneprerse an HO M arktorten 1911 bis 191^.
Schweinepreise <rn ^ 0 M crrktorten 1911 bis 191S.
Marktorte
Preise im Jahre 1915 nach Monaten I 62 Schlachtgewichtes in .l(
Januar Februar März Llpril Mai Juni
Juli August September Oktober2
Königsberg . .. .
Danzig . ......
Posen..........
Breslau........
Berlin.........
Magdeburg . .. .
Kiel...........
Hannover.......
Dortmund.......
Essen..........
Elberfeld .....
Düsseldorf.....
Cöln ..........
Aachen .....'. .
Frankfurt a. M.
München........
Nürnberg.......
Würzburg.......
Dresden........
Leipzig .......
Chemnitz.......
Zwickau........
Stuttgart......
Karlsruhe......
Mannheim.......
Mainz..........
Lübeck . ......
Bremen.........
Hamburg .......
Straßburg i. E^
Jahr
T
1915
1914..
1913..
1912 .
1911..
163,5 208,7 195,2 224,3 266,8 ! 287,6 272,0 ^ 308,4 ! 333,0 ! 336,5
75ch9 787,9 297,8 277,9 269,7 ^ 297,5 276,7 697,6 ! 667,9 666,8
75ch8 786,8 799,8 297,6 266,9 285,6 275,7 697,7 ! 629,5 669,/
165,9 203,4 213,7 230,9 307,5 ! 315,6 308,1 337,4 366,8 374,1
168,6 206,1 216,0 277,5 ! 296,7 ! 679,6 695,5 669,7 665,9 666,5
164^8 202,6 209,7 243,1 297,6 ! 6/6,9 ! 679,9 677,9 667,7 662,8
160,3 190,8 202,3 ! 235,8 272,2 ! 283,0 ^ 278,4 304,3 337,9 ! 344,0
164,0 190,6 216,1 235,8 277,4 ! 298,1 292.8 319,1 322,4 325,6
161,5 189,5 215,8 ^ 239,3 ! 294,5 282,5 311,8 ! 332,0 342,0
162,3 198,8 232,4 ! 260,5 289,6 ^ 302,5 307,0 324,0 343,3 347,5
167,0 197,5 222,8 247,8 266,4 301,3 293,8 318,5 346,5 —
166,0 203,6 211,3 > 242,1 — — — — — —
16<0 201,1 228,2 257,4 286,8 298,8 295,9 677,6 675,6 679,7
167,0 194,5 219,0 254,5 — — — — 3 / /,5
170,8 200,0 214,6 234,3 287,8 304,3 294,0 348,2 374,8 356,3
134,3 161,5 176,4 191,8 248,8 264,5 267,8 297,3 313,6 308,3
756,5 792,5 295,6 275,6 277,9 286,8 ! 287,8 666,5 678,/ 665,5
149,5 171,0 173,2 200,0 258,5 268,0 274,5 322,0 ! 338,0 334,0
169,3 204,8 ! 202,7 219,8 284,7 ^ 311,6 301,4 329,2 36l,3 370,3
163,3 204,5 211,8 220,3 287,2 310,1 310,0 333,8 365,6 351,6
166,4 201,3 ^ 197,7 219,3 275,3 300,9 276,1 317,8 347,3 352,5
178,5 224,3 243,6 257,5 307,6 327,3 323,0 353,2 390,0 ! 396,8
161,9 190,6 199,6 214,4 267,3 281,2 275,9 321,3 ! 340,9 334,5
201,5 216,0 230,0 268,0 302,5 288,4 321,0 362,0 360,0
164,5 192,6 204,6 225,3 276,9 293,5 287,0 327,3 362,0 353,0
. 236,0 277,5 309,4 ^ 298,0 334,4 377,0 364,5
159,1 158,1 174,8 ^ 199,3 210,0 210,0 210,0 220,6 225,0 265,6
130,0 170,1 179,3 216,2 241,4 243,3 253,9 272,8 287,8 277,0
757,9 197,7 297,7 272,8 277,8 287,7 286,8 6/6,6 677,5 652,9
169,0 ! 204,0 , 208,6 235,0 ! 269,0 ^ 299,5 ^ 316,6 j 327,5 351,0 343,6
161,2 193,8 206,5 229,8 274,3 292,1 287,6 318,2 342,1 34^,1
767 7 ^ 726,9 ! 729,2 7/7,7 776,9 7/2,9 7/2,7 722,6 777,5
767,9 757,2 755,6 - 776,5 ! 768,9 i 767,6 ! 752,7 758,5 757,9 >
779,7 727,9 0 766,6 ! 772,6 ! 772,6 ! 777,6 ! 757,7 765,6 ^ 767,7
726,9 727,9 ^ 776,9 - 776,9 776,7 ! 777,6 777,5 725,9 ^ 726,9
Die schrägen Zahlen bedeuten Umrechnungen
2) Vom 12. November 1915 ab galten Höchstpreise,
der notierten Lebendgewichtspreise durch 25 0/g Ausschlag.
46
oft nicht die entscheidende Bedeutung beigemessen wurde. Die
Wirkung davon glaubte man auch auf dem übrigen Markte zu
verspüren. Des weiteren meinte man eine Teuerungsursache
in der Veröffentlichung der amtlichen Preisnotierungen
aus den einzelnen Schlachtviehmärkten und Schlachthöfen zu
sehen. Die Preise würden dadurch insofern beeinflußt, als
Landwirte und Händler die Kenntnis der Notierungen bei der
Preisbemessung verwerteten. Man befürwortete daher ihre
Einstellung.
Wie auf anderen Gebieten, so trieb auch auf dem Schweine-
markte der Kettenhandel sein Unwesen. Auch an den hohen
Provisionen der Viehkommissionüre nahm man in weiten
Kreisen Anstoß. Zu alledem kamen endlich noch die Preis-
treibereien der deutschen Händler im Auslande, bis man dem
preissteigernden Wettbewerb wenigstens für die Aufkäufer der
Zentralmächte durch ein Abkommen mit Österreich ein Ende
macht«?).
Die aufgezählten Gründe vermögen in ihrer Gesamtheit
dcks gewaltige Anziehen der Preise in den Sommermonaten
wohl zu erklären. Ein Eingriff in diese ungesunde Ent-
wicklung war daher dringend geboten, sollte nicht die Fleisch-
versorgung der Bevölkerung ernstlich gefährdet werden.
Schon beim Erlaß der Bekanntmachung vom 25. Februar,
welche die geschilderten Enteignungshöchstpreise für Schweine bis
zu 100 KZ gebracht hatte, war man vor die Frage gestellt
worden, ob nicht die Einführung allgemeiner Höchstpreise
für Schweine ratsam sei. Damals hatte man sich nicht dazu
entschließen können. Vielmehr glaubte der Bundesrat „zu
einer in das Privatwirtschaftsleben so einschneidenden Maßnahme
nicht früher schreiten zu sollen, ehe nicht jeder andere Weg
zum Ziele versucht worden war"?)
Als aber auch die Aufhebung der Abschlachtungsverord-
nungen die erhoffte Wirkung auf die Preise nicht auszuüben
vermochte, und der Wunsch nach Festsetzung von Höchstpreisen
in den Kreisen der Verbraucher immer allgemeiner wurde, sah
sich die Regierung veranlaßt, in eingehende Untersuchungen
in der Höchstpreisfrage einzutreten. Unmittelbar nach
0 Vgl. hierzu auch die Verordnung über das Verbot der Durchfuhr
von Tieren und tierischen Erzeugnissen vom 25. November 1915, R. G. Bl.
S. 777.
2) Reichstagsdenkschrift, 2. Nachtrag S. 58,
47
Beendigung der Zwangsabschlachtungen, also im Mai 1915, leitete
man umfangreiche Verhandlungen über die Zweckmäßigkeit der
Höchstpreiseinführung ein. Zunächst sammelte man die mit
Fleischhöchstpreisen gemachten Erfahrungen. Solche Höchstpreise
waren beispielsweise in Breslau, Danzig, Stuttgart, Frankfurt
a. M. und Hannover eingeführt worden. Meist waren sie nur
von kurzer Dauer gewesen, da sie sich bei dem fortgesetzten
Steigen der Viehpreise nicht hatten halten lassen. Denn nur
solange die Schweinepreise einigermaßen gleichmäßig blieben,
konnten ihnen die Preisregelungen folgen. Als dann die
Preise sprunghaft in die Höhe gingen, hatten die Gemeinden
die Fleischpreisfestsetzung meistens wieder aufgeben müssen. Es
wurde offenbar, daß ein kommunaler Höchstpreis für Fleisch
einen festen Schlachtviehpreis zur Grundlage haben muß.
Gegen die Schaffung einer solch festen Viehpreisunterlage
in Gestalt von Höchstpreisen für Schweine wurden in den
angestellten Verhandlungen eine ganze Reihe von Bedenken
geltend gemacht. Man wies dabei auch auf den Unterschied
hin, der zwischen der Wirkung von Höchstpreisen für Getreide
und solchen für Fleisch besteht; die ersteren beeinflussen
die Erzeugung nicht in dem Maße wie Höchstpreise für
Vieh und Fleisch, dessen Produktion viel beweglicher und
anpassungsfähiger ist. Ferner schien es nicht leicht, die Er-
zeug erlösten genau zu berechnen, sowie die Zwischen-
gewinne der Händler und Großschlächter, die ja erheblich
zur Steigerung der Preise beitrugen. Bemaß man nämlich
diese Zuschläge zum Einkaufspreise zu niedrig, so schaltete man
den Handel aus und gefährdete damit die Fleischversorgung;
nahm man sie zu hoch an, so wurde das Fleisch nicht billiger.
Weiterhin glaubte man bei der Festsetzung von Höchstpreisen
außerordentlichen Schwierigkeiten deshalb zu begegnen, weil
Qualität und Ausbeute sowie die örtlichen Verhältnisse
ungemein verschieden und deshalb der Einspannung in Höchstpreis-
grenzen schwer zugänglich waren. Am 26. Juni wurde vom
Preußischen Landwirtschaftsminister folgendes in der Tages-
presse veröffentlicht:
„In den Klagen über die Höhe der Fleischpreise wird viel-
fach darauf hingewiesen, daß die fortgesetzte Preissteigerung
namentlich aus dem Grunde nicht zu erklären sei, weil ein
Mangel an Schlachtvieh nicht bestehe. Diese Annahme beruht
auf einem Irrtum. Durch die seinerzeit zur Sicherung der
Kartoffelvorräte veranlaßten Schlachtungen sind die heimischen
48
Bestände an schlachtfähigen Schweinen so erheblich vermindert
worden, daß für längere Monate mit einem starken Mangel
an solchen Schweinen gerechnet werden muß. Ihm kann vor-
läufig nur durch die allmähliche Abgabe der von den Gemeinden
sichergestellten Fleischdauerwaren in gewissem Maße abgeholfen
werden. Die große Zahl der vorhandenen Jungschweine läßt
erhoffen, daß nach deren Aufzucht und Mästung der Bedarf an
Schweinefleisch später wieder in der früheren Weise gedeckt wird.
Diese Hoffnung würde ernstlich beeinträchtigt werden, wenn den
wiederholt geäußerten Wünschen entsprechend Höchstpreise für
Schlachtvieh eingeführt würden. Die Schweinehalter würden
dann leicht in der Besorgnis, in den Höchstpreisen keinen ge-
nügenden Ausgleich für die Aufwendungen für Futtermittel
zu finden, die Aufzucht stark einschränken und zum Teil ganz
aufgeben. Es ist aber zur Beseitigung der fetzigen Fleisch-
knappheit in erster Linie dahin Zu streben, daß. möglichst die
gesamten Bestände an Jungschweinen zur Zucht und Mast be-
nutzt werden."
Angesichts der stetig wachsenden Preishöhe eine rein ab-
wartende Haltung einzunehmen, erschien aber doch zu bedenklich.
Da man auf Höchstpreise verzichten zu müssen glaubte und
der Ansicht war, daß „die infolge reichlicherer Aufzucht zu er-
wartende stärkere Beschickung der Märkte im Herbst und Winter
von selbst ein Nachlassen der hohen Preise bewirken würde"),
lag es nahe, auf diesem Umwege den Kampf gegen die hohen
Preise aufzunehmen. Dadurch, daß man das Angebot auf dem
Schweinemarkte nach Möglichkeit vergrößerte, hoffte man eine
Senkung der Preise zu erreichen. Aus diesen Erwägungen
heraus suchte man daher mit allen Mitteln die Erzeugung
zu fördern. Senkung der Preise und Sicherstellung der
Fleisch- und Fettversorgung im kommenden Winter dachte man
dadurch zugleich zu erreichen.
Begünstigt wurde die ganze Bestrebung, die unmittelbar
mit der Beendigung der Zwangsabschlachtung einsetzte, dadurch,
daß im Sommer Mangel an Futtermitteln wie im vergangenen
Winter nicht bestand. Eine unrechtmäßige Verfütterung von
Brotgetreide und Speisekartoffeln war daher nicht zu befürchten.
Zur Stärkung der Erzeugung griff man wieder zu dem
alten Mittel der Schlachtverbote. Denn die Tatsache, daß
andauernd nicht schlachtreife Schweine und Kälber sowie trächtige
r) Reichstagsdenkschrift, 5. Nachtrag S. 50.
49
Tiere in erheblichen Mengen zur Schlachtung gelangten, —
ließen doch die hohen Preise eine Schlachtung auch solcher
Tiere vorteilhaft erscheinen — legte die Anwendung derartiger
Mittel nahe. Man bezeichnete allgemein den Auftrieb von
unreifen und trächtigen Tieren als einen im Interesse der
Volksernährung bedauerlichen Mißstand. Zwar machte man
gegen den Erlaß eines Schlachtverbots geltend, daß man die
Landwirtschaft nicht in der ihr geeignet erscheinenden Ver-
wertung des Viehs beschränken dürfe, zumal man nicht
wissen könne, ob nicht eine mangelhafte Futterernte im Herbst
und Winter wieder zur Zwangsabschlachtung führen würde.
Doch erschien auf alle Fälle ein Schlachtverbot für erkennbar
trächtige Tiere empfehlenswert. — Für Sauen bestand in
Preußen noch das unterm 6. Oktober bezw. 23. Dezember 1914
(vergl. S. 32) erlassene Schlachtverbot. Man beschloß indessen,
einer für das ganze Reichsgebiet unmittelbar wirkenden An-
ordnung den Vorzug zu geben, die dann unterm 26. August
1915 vom Bundesrat erlassen wurdet.
Für die Belebung der Schweinezucht bezeichneten
es die Landwirtschaftskammern zusammen mit dem Landwirt-
schaftsministerium als weiterhin erforderlich, die Viehhalter von
der Befürchtung einer Wiederholung behördlicher Eingriffe zu
befreien. Man dachte dabei an etwaige Enteignungsmaßnahmen
und Höchstpreisfestsetzungen. Entscheidend blieb aber neben an-
reizender Prämienverteilung und belehrenden Wandervorträgen
die Möglichkeit, genügend Futtermittel für die Schweine
zu beschaffen. Ausdehnung des Waldweidebetriebes, Sammlung
der Bucheckern, Herstellung von Fleischmehl aus Schlachtabfällen
und künstlicher Futterhefe, Ausschließung der Holz- und Stroh-
fasern. Vermahlung von Heidekraut, alles dies kam zur Be-
schaffung von Elsatzfuttermitteln in Betracht. Zuweisungen
von beschlagnahmefreier Gerste wurden dadurch erschwert, daß
eine Bekanntmachung vom 28. Juni 1915 H solcher Gerste
Freizügigkeit nur innerhalb des Kommunalverbandes gewährte,
sodaß also Überweisungen aus Gerstenüberschußgebieten an
Bekanntmachung über ein Schlachtverbot für trächtige Kühe und
Sauen, Bnndesratsdrucksache Nr. 240 und R. G. Bl. S. 515. Die preußischen
Ausführungsbestimmungen ergingen durch das Landwirtschastsministerium
am 3. September 1915. Weitergehende Beschränkungen gemäß Z 4 Abs. II der
Bekanntmachung, der die Landeszentralbehörden Zu weiteren Schlachtungs-
beschränkungen ermächtigt, enthielten sie nicht.
') R. G. Bl. S. 384.
Heft 20/21
4
i- 50 Z
gerstenarme Kommunalverbände unmöglich waren. Diese Sorgen
um eine ausreichende Futtermittelbeschaffung wurzelten im
Grunde in dem geringen Ausfall der Hafer- und Gerstenernte
gemäß den vorläufigen Ergebnissen der Ernteabschätzungen.
Die Senkung der Preise und die Sicherstellung der
Fleischversorgung der Bevölkerung suchte man nicht nur durch
Produktionsförderung zu erreichen. Beiden Zielen glaubte man
auch auf anderen Wegen näherkommen zu können. So brachte
man die von den Gemeinden aufgestapelten Fleischdauer-
waren in den Verkehr. Damit nun diese nicht in den
Strudel der Preistreibereien hineingerissen würden, ermächtigte
der Bundesrat unterm 24. Juni 1915V dieGemeinden, den Weiter-
verkauf der von ihnen auf den Markt gebrachten Fleisch- und
Fettwaren zu verbieten oder zu beschränken, sowie für einen
gestatteten Weiterverkauf die Preise festzusetzen^). Der Zweck
der Verordnung ist klar: man wollte die überflüssigen Zwischen-
gewinne wenigstens für diese Waren aus der Welt schaffen^).
Auf der weiteren Suche nach Mitteln, die hohen Schweine-
preise zu bekämpfen, erwog man, ob Gewerbescheine und
Kontrollbücher für die Viehhändler nach dem Beispiel Österreichs
einzuführen wären?)
Vor allem aber schritt man zu einer Einschränkung
des Verbrauchs. Zu diesem Zweck war von Bayern schon
im Juni 1915 die Einführung fleischloser Tage vorgeschlagen
worden. Damals hatte man davon abgesehen, da die herrschenden
Preise ohnehin den Fleischverbrauch einschränkten, was — außer
der Tatsache, daß sie die Erzeugung von Schlachtvieh unter-
schwierigen Verhältnissen günstig beeinflußten — mancherorts
begrüßt wurde.
Als aber das ständige Steigen der Preise den Schweinebestand,
der Mangel an Futtermitteln auch den Rinderbestand und damit
die künftige Fleisch- und Fettversorgung der Bevölkerung zu
gefährden drohten, entschloß man sich doch dazu, die Fleischvorräte
st Bekanntmachung über den Verkauf von Fleisch- und Fettwaren,
R. G. Bl. S. 35,2.
st Eine ähnliche Regelung war bereits hinsichtlich der städtischen
Kartoffelvorräte getroffen worden. Vgl. 88 10 und 19 der Bekanntmachung
vom 12. April, RGBl. S. 217.
3) Eine Einwirkung auf die Kleinhandelspreise versprach man sich auch
von der unter dem gleichen Datum erlassenen Bekanntmachung über den
Aushang von Preisen m Verkaufsräumen des Kleinhandels, R. G. Bl. S. 353.
st Verordnung des österreichischen Ackerbauministers vom 8. Mai 1911,
betreffend den Handel mit Vieh, R. G. Bl. S. 192.
51
durch die Einführung fleischloser Tage zu „strecken". Auch
sollten dadurch „alle Kreise der Bevölkerung rechtzeitig an eine
Einschränkung des Fleisch- und Fettgenusses gewöhnt" Werder?).
So wurde denn am 28. Oktober 1915 die Bekanntmachung zur
Einschränkung des Fleisch- und Fettverbrauchs erlasse»?). Sie
führte bekanntlich zwei f l e i s ch l o s e T a ge in jeder Woche
ein und für Gastwirtschaften zwei weitere Tage, an denen der
Verbrauch von Fett beschränkt, und ferner einen Tag, an dem
die Verabfolgung von Schweinefleisch verboten war. Allzu großen
Erfolg durfte man sich im übrigen von diesen Maßnahmen nicht
versprechen. Die Einführung von Fleischkarten, die verschiedentlich
befürwortet wurde, sparte man sich für später auf, zumal es
dabei große Schwierigkeiten, insbesondere in der Überwachungs-
frage, zu überwinden gab.
Die Maßnahmen, die man gegen den hohen Stand der
Schweinepreise in der geschilderten Weise ergriff, sollten die
Einführung allgemeiner Höchstpreise unnötig machen. Wie
groß die Erwartung war, die man von ihrer Durchführung
hegte, zeigt der Umstand, daß man für den Herbst und Vor-
winter wieder einem Überauftrieb von Schweinen
entgegensah. Aus den im Vorjahre gemachten Erfahrungen
heraus wurde die Regierung von Verbrauchern und Erzeugern
um Vorkehrungen ersucht, die einer „Vergeudung von Fleisch"
oder einem „Preissturz" vorzubeugen geeignet wären. Es
wurde daher in der Weise Vorsorge getroffen, daß die Heeres-
verwaltung Vieh, das wegen Futtermangel abgestoßen wurde,
nach Belgien und Kurland bringen, und die Zentral-Einkaufs-
gesellschaft die Überstände auf den Märkten zur Verarbeitung,
insbesondere zum Einfrieren, übernehmen sollte.
Man sieht aus diesen Vorbereitungen, daß man auf eine
Wiederholung der Ereignisse des Jahres 1914 gefaßt war. Aber
dazu kam es nicht. Zwar hatte sich der Schweinebestand tatsächlich
wieder erholt. Das bewies eine am 1. Oktober 1915 vorgenommene
Viehzwischenzählung, die im Zusammenhang mit der Ernte-
statistik „die Grundlage für weitere Maßnahmen während des
Krieges" bilden sollte b). Die Zählung ergab einen Schweinebestand
9 Reichstagsdenkschrift, 6. Nachtrag S. 43 und Bundesratsdrucksache
Nr. 312.
-> R. G.Al L. 711.
2) Vgl. Entwurf zu einer Verordnung über die Vornahme einer
Viehzwischenzählung am 1. Oktober 1915 nebst Begründung in Bundesrats-
drucksache Nr. 237, sowie die Bekanntmachung oom 26. August 1915,
R. G. Bl. S.525. -
52
von 19239483 Stück. Er war damit seit der letzten Zählung
am 15. April um fast 3 Millionen (16 v. H.) gestiegen. Die
Zunahme bei den Schweinen über 1 Jahr betrug 46,6 v. H.,
hei den */z bis 1 Jahr alten Schweinen sogar 87 v. H.si),
was für die Fleischversorgungsausfichten recht erfreulich war.
Ein die Preise drückendes und die Fleischversorgung bedrohen-
des Überangebot erschien indessen auf dem Markte nicht, zumal
der reiche Ausfall der Kartoffelernte das Durchhalten der Be-
stände stark begünstigte. Die Betrachtung der oben (S. 45)
wiedergegebenen Tabelle ergibt vielmehr, daß das Ziel, eine
Senkung der Preise für Schlachtschweine herbeizuführen, sich
weder durch die Förderung der Erzeugung noch durch die
Einschränkung des Verbrauches hatte erreichen lassen. Die
Einführung von Höchstpreisen war damit doch unvermeidlich
geworden, so sehr man sich auch bemüht hatte, ohne ihre Ein-
führung die Preissteigerung aufzuhalten und zurückzudämmen.
4. Die Einführung allgemeiner Höchstpreise für
Schlachtschweine und Schweinefleisch
November 1915 bis Februar 1916
Da die im vorigen Kapitel geschilderten Maßnahmen das
Ansteigen der Schweinepreise nicht hatten verhindern können,
war man zu der Einsicht gelangt, daß es auf die Dauer ver-
geblich war, den Kampf gegen die Fleischteuerung ohne all-
gemeine Höchstpreise fortzusetzen. Man hätte, wie wir gesehen
haben, auf ihre Einführung gerne verzichtet, weil man die mit
der Preisfestlegung verbundenen Schwierigkeiten kannte und
scheute. Aber „die außerordentliche, sprunghafte Steigerung
der Preise in den letzten Monaten erforderte beschleunigtes
gesetzliches Einschreiten."Und so schuf man denn am 4. No-
vember 1915 Höchstpreise für Schlachtschweine und Schweine-
fleisch?)
Bei der grundlegenden Bedeutung dieser Verordnung, die
den lange gehegten Wünschen der Verbraucher Rechnung tragen
r) Vgl. Reichstagsdenkschrift, 6. Nachtrag S. 15.
2) Vgl. Begründung zum Entwurf einer Verordnung zur Regelung
der Preise für Schlachtschweine und für Schweinefleisch vom 1. November
1915, Bundesratsdrucksache Nr. 325.
3) Bekanntmachung zur Regelung der Preise für Schlachtschweine und
für Schweinefleisch. Der aufgestellte Entwurf wurde nebst Begründung
unterm 1. November dem Bundesrat zu schleuniger Beschlußfassung vor-
gelegt, mit geringen Ergänzungen angenommen und unterm 4. Novemberr
veröffentlicht, R.G.Bl. S. 725
53
wollte, ist es notwendig, sich mit ihren wichtigsten Bestim-
mungen näher zu befassen. Der 8 1 führt Höchstpreise für
Schlachtschweine nach Lebendgewicht ein, abgestuft nach den ört-
lichen Verschiedenheiten der Hauptmärkte und nach Gewichts-
klassen. Die Abstufung nach Hauptmärkten trug den Ver-
schiedenheiten der natürlichen Preisbildung des Friedensmarktes
Rechnung, die Schaffung von Gewichtsklassen sollte die Auf-
zucht von Fettschweinen durch die zunehmende Preisspannung
begünstigen. Die danach aufgestellten Preise bewegen sich bei
Schweinen von 80—100 kg Lebendgewicht zwischen 90 lz. B.
in Königsberg und Danzig) und 110 (z. B. in Metz und
Strastburg) für 50 kg Lebendgewicht. Tie Gewichtsklasse über
60—80 kg liegt im Preise zwischen 75 und 95 >^, unter 60 kg
zwischen 60 und 80 -//i. Der Preis für Sauen beträgt 85 bis
105-Ä/i. — Für Schweine im Lebendgewicht von über 100 bis
120 kg, und von über 120 kg werden die Höchstsätze um 10
bezw. 20 v. H. erhöht. Die Höchstpreise gelten auf 37 in der
Verordnung aufgeführten Schlachtviehmärkten. Gemeinden,
die nicht dazu gehören, aber öffentliche Schlachthäuser besitzen,
sollen sich nach den nächstgelegenen Schlachtviehmärkten richten.
Der vereinzelt noch übliche Verkauf nach Schlachtgewicht mustte
verboten werden zugunsten des einheitlichen Verkaufs nach
Lebendgewicht (8 2). Um die überflüssigen Gewinne des
Zwischenhandels auszuschalten, setzt der 8 5 Verbraucher-Höchst-
preise fest, indem er Verhältniszahlen zur Begrenzung des
höchsten zulässigen Kleinhandelspreises für Schweinefleisch und
frisches Fett aufstellt. Auf dieser Grundlage wurde es chen
Gemeinden ermöglicht, Höchstpreise für die einzelnen Fleisch-
arten einzuführen. Und zwar durfte danach der Preis für
Schweinefleisch 140 v. H., für frisches Fett 180 v. H. des in
der nächstgelegenen Schlachthausgemeinde für Schweine im
Gewicht von 80—100 kg geltenden Höchstpreises nicht über-
steigen.
Höchstpreise galten also: erstens auf den 37 aufgeführten
Märkten für den Handel nach Lebendgewicht, zweitens für die
Gemeinden mit öffentlichen Schlachthäusern, die nicht zu diesen
Marktorten gehörten, drittens galten allgemein Höchstpreise
für Fleisch. Der Höchstpreisregelung unterlagen danach nicht:
Kaufe der Heeresverwaltung, der Konfervenindustrie und der
Privaten (zu Hausschlachtungen), wenn sie unmittelbar beim
Erzeuger erfolgten; es gab also keine Höchstpreise
ab Stall.
54
Wie war die Wirkung der Höchstpreise?
Mit dem 12. November 1915, dem Tage des Inkrafttretens
der Höchstpreisverordnung, stockte die Zufuhr auf den Vieh-
märkten. In welchem Maße der Auftrieb auf dem Schweine-
markte nach Einführung der Höchstpreise zurückgegangen war,
das zeigt die folgende Tabelle über den wöchentlichen Schweine-
auftrieb auf 16 der größten Schlachtviehmärkte Deutschlands
vor und nach der Einführung der Höchstpreises.
Danach betrug der wöchentliche Schweineauftrieb
auf dem Schlachtviehmarkte:
Schlachtviehmarkt 1915 Vor den Höchstpreisen Anfang November Nach den Höchstpreisen Mitte November
Berlin ...... 23 098 8 377
Danzig 1038 459
Breslau 2 152 443
Magdeburg ........ 3 443 1 041
Dresden 1160 182
Leipzig 736 283
Hannover 1 767 409
Hamburg 10 954 1 399
Dortmund 1 070 308
Essen 2 478 755
Kola 3 938 885
Frankfurt a. M. . 1 032 276
Mannheim 856 252
Stuttgart 1 126 493
Nürnberg 1907 404
München 3 810 907
Zusammen 60 565 16 873
Der Vergleich der Zahlen ergibt eine Abnahme des
Auftriebs auf nahezu ein Viertel, wobei allerdings zu
berücksichtigen ist, daß die angekündigte Einführung der Höchst-
preise vorher noch zu einer besonders starken Beschickung der
Märkte geführt haben mag.
Längere Zeit hindurch erschien die Versorgung der Städte
mit frischem Schweinefleisch gefährdet, zumal die Schweine
meistens in Wurst- und Konservenfabriken wanderten.
Z Deutscher Reichsanzeiger vom 22. Dezember 1915 Nr. 301
55
Um die Fleischversorgung aufrechtzuerhalten, bis die Zu-
fuhren wieder normal geworden waren, griff man daher auf
die Vorräte der Zentral-Einkaufsgesellschaft und der Gemeinden
an Fleischdauerwaren zurück, ohne Rücksicht zunächst auf die
unumgänglichen Verluste dort, wo man die Vorräte über die
Höchstpreise sich beschafft hatte. Sehr bald richteten aber
Zentral-Einkaufsgesellschaft und Städte Eingaben an die Re-
gierung, in denen sie um Befreiung wenigstens ihrer aus
dem Auslande eingeführten Schweinefleischbestände
ersuchten. Da die Auslandspreise weit über den Höchstpreisen
lagen, wäre auch die Zentral-Einkaufsgesellschaft nicht weiter
in der Lage gewesen, fernerhin Ankäufe zu machen. Denn
durch die Höchstpreise wurde der deutsche Handel auf den
Auslandsmärkten ausgeschaltet. In den Eingaben wurde daher
ersucht, für das aus dem Auslande bisher eingeführte und künftig-
hin einzuführende Schweinefleisch Ausnahmen von der Höchstpreis-
verordnung zu bewilligen. — Während man zunächst auf die
einzelnen Gesuche hin Ausnahmen gestattete, unter der Be-
dingung, dasi das Auslandsfleifch getrennt vom Jnlandsfleisch
zum Verkauf gebracht würde, ergänzte man unterm 29. No-
vember 1915 die Höchstpreisverordnung in der Weise, daß man
die eingeführten Schweine und das ausländische Schweinefleisch
von der Höchstpreisregelung ausnahnst).
Es entstanden ferner Zweifel darüber, welche Wirkung
die Höchstpreisverordnung auf die im Schweinehandel vielfach
üblichen „Vorverkäufe" habe. Solche „Vorverkäufe" liegen
vor, wenn der Landwirt oder Schweinemäster an einem
bestimmten Tage eine Anzahl Schweine „verkauft", während
deren Übergabe erst später erfolgen soll. Der Preis wird
beim Vertragsschluß vereinbart, aber erst bei der Übergabe
bezahlt 2). Auf derartige Verträge, die vor dem 12. November
abgeschlossen, aber nach diesem Termin erfüllt wurden, fand
die Verordnung keine Anwendung. Sie waren also auch nach
dem 12. November zu den vereinbarten Preisen zu erfüllen.
Anders lag der Fall, wenn bei den sogenannten Vorverkäufen
die endgültige Preisvereinbarung erst bei der nach dem 12. No-
vember erfolgenden Lieferung stattfand. Alsdann durften die
Höchstpreise nicht überschritten werden. *)
*) Bundesratsdrucksache Nr. 354, R.G.Bl. S. 788.
2) Derartige Verträge siud keine Vor-Verträge, sondern perfekte Kauf-
verträge, bei denen nur die Erfüllung hinausgeschoben wird.
56
Notwendig erwies sich auch eine Regelung der Preise
fürWurst-undDauerwaren. Andernfalls stand nämlich
zu befürchten, daß man in ausgedehntem Maße Schweinefleisch
verarbeitete, um dadurch nicht mehr an die Höchstpreise gebunden
zu sein. Tatsächlich hatte auch die Verarbeitung der Schweine
in den Wurst- und Konservenfabriken einen für die Frisch-
fleischversorgung bedrohlichen Umfang angenommen. Allgemeine
Höchstpreise für diese Waren festzulegen erschien in Anbetracht
der etwa 70 verschiedenen Wurstsorten und der großen Verschieden-
heit der Fleischkonserven unmöglich. Es wurde daher vor-
geschlagen, die Gemeinden nicht nur zu berechtigen, sondern zu
verpflichten, Höchstpreise für Wurst- und Dauerwaren festzusetzen.
Die Gemeinden wurden dann auch angewiesen, im Verhältnis
zur Preisgrenze für frisches Schweinefleisch die Preise für
zubereitetes Fleisch, für Speck, für ausgelassenes Schweinefett
und für Wurstwaren festzusetzen *). Indessen wurden derartige
gemeindliche Höchstpreise vielfach gar nicht oder nur lückenhaft
eingeführt oder so hoch gewählt, daß sie dem Verkäufer des
verarbeiteten Fleisches immer noch einen unverhältnismäßigen
Gewinn im Vergleich mit dem Fleischverkauf abwarfen. Man zog
daher im weiteren Verlauf der Entwicklung eine Einschränkung
der Herstellung von Fleischkonserven und Wurstsorten in
Erwägung, weil die starke Nachfrage für diese Verwendung
Mangel an frischem Schweinefleisch verursacht hatte. Eine zu
diesem Zweck angestellte Erhebung über Konservenfabriken ergab,
daß die Dauerwarenherstellung seit Kriegsbeginn zwar erheblich
gestiegen war, indessen zum weitaus größten Teile für Heeres-
und Marinezwecke erfolgte. Als dann angesichts der im
Januar 1916 angekündigten Neuregelung des Viehhandels mit
Hilfe von Händlerverbänden die Ankäufe von Schweinen und
Rindern durch die Fabriken einen geradezu bedenklichen Umfang
annahmen, wurde durch Bekanntmachung vom 31. Januar 1916^)
die gewerbsmäßige Herstellung von Konserven aus Fleisch
oder unter Zusatz von Fleisch verboten. Das Verbot erstreckte
sich auch auf die Verarbeitung von Auslandsfleisch. Zur
gewerbsmäßigen Herstellung von Wurstwaren durfte von nun
an nicht mehr als ein Drittel des Gewichts der ausgeschlachteten
Rinder, Schweine und Schafe verarbeitet werden. Aufträge
/I Vgl. die Ausführnngsanweisnng d"es Preußischen Landwirtschafls-
ministers vom 11. November 1915 zu Z 5 der Verordnung vom 4. November.
2) Bekanntmachung über die Beschränkung der Herstellung von Fleisch-
konserven und Wurstwaren, R. G. Bl. S. 75.
57
der Heeres- und Marineverwaltung waren ausgenommen^.
Damit war es den Fleischkonserven- und Wurstfabriken un-
möglich geworden, durch Einkäufe unmittelbar beim Landwirt,
wobei sie an die Höchstpreise ja nicht gebunden waren, die aus-
reichende Versorgung mit frischem Schweinefleisch zu gefährden.
Mit dieser Herstellungsbeschränkung erübrigte sich eine Fest-
setzung einheitlicher Höchstpreise, wie sie vielfach gewünscht
worden war. Die Preisüberwachung für die noch im Verkehr
befindlichen Konserven war Aufgabe der örtlichen Preisprüfungs-
stellen. ----
Es war natürlich, daß die Höchstpreisverordnung vom
4. November 1915 von allen Interessentenkreisen einer ein-
gehenden Kritik unterworfen wurde, die sich in einer Fülle
von Ergänzungs- und Abänderungsvorschlägen äußerte. Je nach
den Interessen derer, die sie vertraten, waren die Urteile ver-
schieden in Inhalt und Maß.
Am schroffsten war der Gegensatz zwischen Erzeugern und
Verbrauchern. Die Stellung der Erzeuger gegenüber
den Höchstpreisen war klar: sie wünschten ihre schleunige
Wiederaufhebung. Die Höchstpreise „brächten die Schweine-
mästereien an den Bettelstab" — die „absolut falsche Preis-
politik der Negierung würde in wenigen Wochen sämtliche
Schweine verschwinden lassen". Man war der Ansicht, die
Höchstpreise seien zu niedrig, deckten nicht die Kosten der
Futtermittelbcschaffung und müßten wieder beseitigt werden,
wolle man nicht die Vernichtung der Schweinezucht herbei-
führen. Als Beweis dafür, daß die Schweinemast nicht mehr
rentabel sei, wurde auf das Sinken der Ferkelpreise hingewiesen.
Während die Landwirtschaft die Höchstpreisfestlegung als
„verfehlte Maßnahme" bezeichnete, wurde sie von Seiten der
Verbraucher mit Genugtuung begrüßt: die Höchstpreise
seien keineswegs zu niedrig bemessen, die Negierung möchte
vielmehr „dem ursprünglichen Sinn der Höchstpreisfestsetzung
für Schweinefleisch durch verschärfte Ausführungsbestimmungen
erst zu voller praktischer Geltung verhelfen und den Umgehungs-
versuchen nachdrücklich steuern". Es wurde nämlich verschiedent-
lich darauf aufmerksam gemacht, daß die Landwirte die fest-
Unterm 17. April 1916 erging von den Preußischen Ministern für
Handel lind Gewerbe und des Innern ein Erlaß betreffend die Einführung
eines Ein- und Verkaufsbuches für die Fleischereien und Wurstfabriken,
wodurch ; die Befolgung der Verordnung vom 31. Januar wirksamer
kontrolliert werden konnte.
58
gelegten Markthöchstpreise schon ab Stall verlangten. Von
den auf dem Lande auskaufenden Militärlieferanten, Wurst-
fabriken und nahewohnenden Fleischern konnte dieser Preis auch
in voller Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften
bezahlt werden. Von dieser grundsätzlichen Haltung der Höchst-
preiseinführung gegenüber abgesehen richteten sich die Bean-
standungen im einzelnen gegen folgende Bestimmungen:
Eine Änderung der Verordnung hinsichtlich der Regelung
der Fleischpreise strebten eine Reihe von Stadtverwaltungen
an, der Art, daß ohne Steigerung des im Gesetz fest-
gelegten durchschnittlichen Höchstpreises für Schweinefleisch den
Gemeinden die Möglichkeit gegeben werde, Anordnungen zu
treffen, nach denen einzelne Fleischteile zu einem höheren Preise
abgegeben werden dürften, um andere zu einem entsprechend
niedrigeren Preise zu verkaufen. In diesem Sinne hatten
übrigens einzelne Stadtverwaltungen unter offenem Verstoß
gegen das Gesetz den Höchstpreis bereits zum Durchschnittspreise
für die verschiedenen Fleischsorten gemacht und für die besten
Stücke Preise festgesetzt, die den Höchstpreis um 20—40 M
überschritten.
Die Ladenschlächter klagten darüber, daß die Groß-
schlächter die zwischen dem Schlachtviehpreise und dem Klein-
handelspreise gegebene Spanne zu einem übermäßig hohen
Teile für sich in Anspruch nähmen. Besondere Groß-
handelshöchstpreise durch die Gemeinden festsetzen zu
lassen erschiene daher wünschenswert.
Sehr scharfe Kritik erfuhr der in der Verordnung fest-
gelegte Zuschlag für die Fettschweine, während im
übrigen die Fleischhöchstpreise dem Preise für 2 Zentner
Lebendgewicht angepaßt seien. Brachte nämlich ein Bauer ein
Schwein von 240 Pfund vor dem Verkauf noch auf 242 Pfund,
so bekam er 20 U pro Zentner mehr, also für die 2 Pfund
über 240 Pfund mußte der Fleischer jetzt 27,72 zahlen;
auf diese Weise könne er natürlich nicht seine Rechnung finden.
Des weiteren schlug man aus Kreisen des Handels und
des Fleischergewerbes eine Vermehrung der Preisstaffeln vor,
damit die Preisunterschiede in den einzelnen Gewichtsklassen
nicht mehr so bedeutend seien. Auch de?l Schlachtgewichts-
handel müsse man wieder zulassen, weil bei ihm die Verlust-
gefahr für den Fleischer geringer sei. Der Vorkauf auf den
Schlachtviehmärkten sei zu verbieten, der Schlußscheinzwang
einzuführen. Allgemein aber hielt man die Einführung
59
von S t a l l h ö ch st p r e i s e n neben den bestehenden Markt-
Höchstpreisen für erforderlich — und zwar seitens des Fleischer-
gewerbes, weil die Metzger auf dem Markte ja doch das
Stall-Lebendgewicht statt des Marktgewichts mit dem Höchst-
preise bezahlen müßten und sie außerdem noch die gesamten
Zwischenspesen zu tragen hätten. Der Handel wünschte die
Spannung zwischen Stall- und Marktpreis auf 18 v. H. fest-
gelegt — wenn der Viehhändler einen Gewinn von 2—3 v. H.
erzielen solle.
Auf der durch diese Vorschläge und Gutachten geschaffenen
Grundlage befaßte sich die Reichsregierung mit der Frage der
zweckmäßigen Abänderung der Höchstpreisverord-
nung vom 4. November 1915. Denn darüber, daß diese verbesse-
rungsbedürftig sei, konnte man nicht lange im Zweifel sein.
In erster Linie mußte man sich über die Einführung von
Stall höchstpr ei sen schlüssig werden. Zu ihrer Einführung
drängte der allseitig hervorgehobene Umstand, daß die Produ-
zenten bisher den Markthöchstpreis oder noch mehr vom Händler
zu fordern pflegten und auch in dem Falle erhalten konnten,
wenn der Händler die Schweine vom Stall, von einer Verlade-
stelle, in Gemeinden ohne öffentliche Schlachthäuser unmittelbar
an die Heeres- oder Marineverwaltung, zur Wurstverarbeitung
oder Konservenherstellung verkaufte. Denn in allen diesen
Fällen galten die Höchstpreise der Novemberverordnung nicht.
Die natürliche Folge dieser Entwicklung war die erwähnte
Entblößung des städtischen Marktes von frischem Schweine-
fleisch. Die Einführung von Höchstpreisen ab Stall konnte
das vermeiden; schwierig war es aber, ihre Höhe so zu bemessen,
daß die Spannung zwischen Markt- und Stallpreis die Un-
kosten des Viehhändlers für Fracht und Versicherung, seinen
Verdienst und den Gewichtsverlust zwischen Stall und Markt
berücksichtigte. Wie der Marktpreis dem Händler, so mußte
der Stallpreis dem Erzeuger einen angemessenen Nutzen
gewährleisten, damit eine ausreichende Beschickung des Marktes
erfolgte. Zu beachten war dabei auch die Möglichkeit, daß das
Schwein auf dem Wege zum Markte durch Gewichtsverlust in
eine tiefere Klasse gleiten konnte, wodurch der Händler ge-
schädigt wurde.
Außer dieser grundlegenden Frage der Ergänzung der
Markthöchstpreise durch Stallhöchstpreije mußte man sich über
die Art der Staffelung klar werden, die ja in ihrer bis-
herigen Form vielfach zu Klagen Anlaß gegeben hatte. Ferner
60
fehlte in der Novemberverordnung eine Preisregelung für bereits
geschlachtet eingeführtes Schweinefleisch, und endlich mußte man
zu den Anträgen Stellung nehmen, welche die Höchstgrenzen für
die Fleischpreise erhöht, und den Zuschlag nicht als Höchstgrenze,
sondern als Durchschnittsgrenze festgesetzt haben wollten.
Die Ansichten der Bundesregierungen gingen
durchweg dahin, daß die Einführung von Stallhöchstpreisen
erforderlich sei, und zwar schlugen sie zumeist eine Abschlags-
spanne von den bisherigen Markthöchstpreisen von 7—10 v. H.
vor. Über die Staffelungsbehandlung herrschte keine Über-
einstimmung, empfehlenswert war jedenfalls der Wegfall der
Staffel in der Gewichtsklasse von 120 kg. Eine Preisbindung
auch für bereits geschlachtet eingeführtes Schweinefleisch wurde
befürwortet, ebenso daß die von den Gemeinden festzusetzende
Fleischhöchstpreisgrenze als Durchschnitts nicht als Höchstgrenze
anzunehmen sei. Die ganzen Beratungen hatten das Ergebnis,
daß unterm 14. Februar 1916 eine neue „Regelung der,
Preise für Schlachtschweine und für Schweinefleisch" erfolgte?)
Die neue Bekanntmachung führte Höchstpreise für
Schweine ab Stall oder ab Wiegeplatz ein; also wurde die
Preisbindung, die bisher für den Verkauf des Händlers auf
dem Markte bestand, jetzt zum Verkauf vom Viehhalter an
den Händler im Stall verlegt. Die bisherigen Markthöchst-
preise der Novemberverordnung wurden als Grundlage für
die nunmehrigen Stallhöchstpreise genommen, „um den seit
Erlaß der Verordnung vom 4. November 1915 immer schwieriger
gewordenen Futterverhältnissen Rechnung zu tragen und die
Schweinemast im Interesse der Fleisch- und Fettversorgung
der Bevölkerung tunlichst zu heben." Die Preise sind ab-
gestuft, natürlich nicht mehr nach den Marktorten, sondern
nach Wirtschaftsgebieten. Sie sind gestaffelt von 10 zu 10 kg.
Als Anreiz zur Fettmast werden die bisherigen Zuschläge für
die Gewichtsklassen über 100 kg zu 10 kg gestaffelt bis zu
140 kg und um 10 bis 25 v. H. erhöht. Für Sauen und
Eber werden ebenfalls Gewichtsklassen eingeführt. Die Regelung
der Markt- bezw. Handelshöchstpreise wird den Landes-
zentralbehörden überlassen. Eine reichsrechtliche Festsetzung
erschien „bei der Mannigfaltigkeit der Handelsgewohnheiten
und Frachtverhältnisse und bei der Verschiedenheit der Lage
zum Marktort" nicht möglich. Nach wie vor darf der Handel
') Bundesratsdrucksache 1916 Nr, 31 und R.G.Bl 99.
61
grundsätzlich nur nach Lebendgewicht erfolgen. Der Vorkauf,
das Vorzeichnen und das Zurückstellen von Schweinen auf
Bestellung ist verboten. Während der Entwurf als Verbraucher-
höchstpreisgrenze für frisches Schweinefleisch 160 v. H., für
frisches Fett 195 v. H. des für den Verkaufsort geltendeil
Höchstpreises der Gewichtsklasse von 90 bis 100 KZ festsetzte,
sah die Bekanntmachung selbst hiervon ab. Die den bis-
herigen Sätzen gegenüber als Heraufsetzung der Verbraucher-
preise anzusehende Regelung des Entwurfs war indessen dadurch
abgeschwächt gewesen, daß die Sätze als Durchschnittsgrenzen
gedacht waren, um einen Ausgleich zwischen den Fleischsorten
herbeizuführen. Die Verordnung trifft eine solche Regelung
nicht, sondern überläßt den Gemeinden die volle Verantwortung
für die Preisregelung, aus der Überlegung heraus, daß sie am
besten in der Lage seien, von Fall zu Fall diejenigen Ein-
schließungen zu treffen, die einerseits die Fleischpreise möglichst
billig gestalten und anderseits doch genügend Anreiz geben,
um die Städte in ausreichender Menge mit Schweinefleisch zu
versorgen. Es wird daher nur den Gemeinden an Stelle
des bisherigen Rechts die Pflicht auferlegt, Kleinhandels-
höchstpreise für die einzelnen Sorten frischen und zubereiteten
Schweinefleischs, für Schweinefett, Speck und Wurstwaren fest-
zusetzen.'Außerdem müssen die Gemeinden bestimmen, wieviel
oder welche Teile vom Schlachtviehgewicht des Schweines frisch
zu verkaufen sind. Im übrigen gibt die Verordnung unter
Aufrechterhaltung einer Reihe von Bestimmungen der bis-
herigen Höchstpreisverordnung den Landesbehörden die Mög-
lichkeit, Ausnahmen von dieser grundsätzlichen Regelung zuzulassen
und Ergänzungen in den Ausführungsbestimmungen zu treffen.
Die preußische A u s f ü h r u n g s a n w e i s u n g zu der
Verordnung erging unterm 16. Februar 1916. Sie übertrug
die durch die Verordnung vielfach gegebenen bundesstaatlichen
Befugnisse zum großen Teil den in der Gründung begriffenen
Viehhandelsverbänden. Es griff dann auch der Preußische
Zentralviehhandelsverband alsbald in die Ent-
wicklung der Preise ein, indem er Richtlinien für die beim
Weiterverkauf zulässigen Aufschläge aufstellte, die sämtliche
Spesen und den Handelsgewinn einschlössen?)
Die angekündigte Neuregelung der Schweinepreise hatte an
manchen Stellen zur Beunruhigung der Bevölke- *)
*) Vgl. „Beiträge zur Kriegswirtschaft", Heft 10, Skalweit, Die Vieh-
handelsverbände.
62
rung geführt, in der Erwägung, daß die erhöhten Schweine-
preise auch eine Erhöhung der Preise für Speisekartoffeln zur
Folge hätten, da doch der Futterwert der Kartoffel gestiegen
sei. Man machte auf den bedauerlichen Kreislauf aufmerksam:
das Schweinefleisch werde verteuert, deshalb würden auch die
Speisekartoffeln teurer, und wegen der hohen Kartoffelpreise
verlange der Landwirt wieder höhere Schweinepreise.
Mochte nun auch die in der getroffenen Neuregelung der
Preise für Schweine und Schweinefleisch gelegene Erhöhung der
Preise im Verbraucherinteresse zu beklagen sein, so durfte man
dabei nicht vergessen, daß die Februarverordnung nicht erging,
um durch erhöhte Preise zur Schweinemästung anzureizen,
sondern daß man mit ihr nur tatsächlich herrschende Preis-
verhältnisse legalisierte, um der geringeren Beschickung der
Märkte und der gefährlichen Verminderung der Jungschweine
zu steuern.
5. Die Versorgung s- und Verbrauchsregelung
des Sommers 1916
März bis September 1916
Die Einführung von Höchstpreisen mußte die Durchführung
der öffentlichen Bewirtschaftung von Vieh und
Fleisch nach sich ziehen. Ist es doch zu einem Erfahrungssatz
der Kriegswirtschaft geworden, daß Höchstpreise, Beschlagnahme
und Rationierung untrennbar zusammengehören, will man dem
Ziel einer gerechten Verteilung der vorhandenen Nahrungsmittel-
menge möglichst nahekommen. Neben diesem ganz allgemeinen
Gesichtspunkte war für Vieh und Fleisch eine schleunige Regelung
der Versorgung und des Verbrauches aber auch aus Gründen
weitgehender Einschränkung dringend erforderlich geworden.
Denn der Schweinebestand hatte zu dieser Zeit einen selbst bei
Berücksichtigung der Winterschlachtungen bemerkenswerten Tief-
stand erreicht, was eine am 15. April 1916 abgehaltene Zählung be-
wies^), die 13337202 Schweine ermittelte, gegen 16569990 Stück
nach Abschluß derAbschlachtungen 1915, und gegen 17292 892Stück
bei der vorhergehenden Zählung am 1. Dezember 1915?) Diese
Verminderung des Schweinebestands bedeutete für das Jahr 1916
eine Verringerung der Versorgung mit Schweinefleisch um etwa
0 Bekanntmachung über die Vornahme einer Viehzwischenzählnng am
15. April 1916 vom 23. März 1916, R. G. Bl. S. 186.
2) Bekanntmachung über die Vornahme einer Viehzählung am 1. De-
zember 1915 vom 4 November 1915, R. G. Bl. S. 1249.
63
die Hälfte der Menge, die in normalen Zeiten zum Verbrauche
kam? Es mußten daher zur Deckung des Fleischbedarfs des
Heeres und der Zivilbevölkerung in entsprechend erhöhtem Maße
die Rinder herangezogen werden — eine Entwicklung, die auf
die Dauer schwere Gefahren mit sich brachte.
Aus diesen Gründen nahm man eine umfassende Regelung
der Vieh- und Fleischversorgung in Angriff. Die Einbeziehung
des Fleisches in den Kreis der öffentlich bewirtschafteten Güter
erfolgte somit später als die anderer wichtiger Nahrungsmittel,
und zwar deshalb, weil es bei Vieh und Fleisch ihrer natürlichen
Beschaffenheit nach größere Schwierigkeiten zu überwinden gab.
Indessen kamen der Organisation der Fleischversorgung die auf
anderen Gebieten unserer Nahrungsmittelwirtschaft gemachten
Erfahrungen zu Gute.
Man begann damit, die in Friedenszeiten unentbehrliche
Tätigkeit des freien Handels auf dem Viehmarkte einer strengen
behördlichen Regelung zu uuterwerfen, indem man im ganzen
Reiche Organisationen zur Regelung des gesamten Viehankaufs,
meistens in der Form der bekannten Viehhandels-
verbände schuf *). Des weiteren errichtete man durch
Bekanntmachung vom 27. März eine Reichsfleischver-
teil u n gs st e ll e ^), die „Reichsstelle für die Versorgung mit
Vieh und Fleisch", welche die Höhe der zulässigen Schlachtungen
auf Grund von Viehzählungen und Bedarfsberechnungen zu
ermitteln und ihre Umlegung auf die Bundesstaaten, bezw.
ihre Viehhandelsverbünde vorzunehmen hatsch So grundlegend
diese Zentralisations- und Syndizierungsmaßnahmen für die
gesamte Fleischversorgung auch sind, kann es doch nicht unsere
Aufgabe sein, hier näher darauf einzugehen, da ihre Be-
deutung sich weit über den Schweinemarkt hinaus erstreckt.
Eine Betrachtung des Anteils, den die Schweine an den
Gesamtschlachtungen der von der Reichsfleischstelle festgesetzten
Verteilungsperioden der Folgezeit haben, ergibt folgendes
Bild:
^ Vgl. die Anordnung der Preußischen Ressortministerien vom
19.Januar1916. Reichsanzeiger Nr. 18. Die Anordnung erging auf Grund
der Verordnung des Bnndesrats zur Ergänzung der Bekanntmachung über
die Errichtung von Preisprüfnngsstellen und die Versorgungsregeluug vom
25. September 1915 lR. G. Bl. S. 607, und vom 4. November 1915 IR. G.
Bl. S. 728,.
Bekanntmachung über Fleischversorgung, R. G. Bl. S. 199.
3) Vgl. Hefte 10 und 17—19 der „Beiträge zur Kriegswirtschaft".
64
Während zunächst für die Zivilbevölkerung 50 v. H. des
Durchschnitts der beschaupflichtigen Schweineschlachtungen des
zweiten Vierteljahrs der Jahre 1911 bis 1915 zur Schlachtung
freigegeben wurden N betrug die Zahl der in der zweiten
Verteilungsperiode (vom 1. Juni bis 15. Juli 1916) zur
Abschlachtung gelangenden Schweine nunmehr 23 v. H. des
Jahresdurchschnitts der Jahre 1911 bis 1913. In der vierten
Umlageperiode (vom 1. September bis 15. Oktober) mußte
die Schlachtziffer aus Mangel an schlachtreifen Tieren wiederum
erheblich herabgesetzt werden^). Die Periode vom 1. Februar
bis 30. April 1917 hatte die Lieferung von 1282 356 Schweinen,
d. h. 18,8 v. H. des Bestands an Schweinen über VZ Jahr
verlangt b), gemäß der Viehzählung vom 1. Dezember 1916,
die einen Bestand von 16 960026 Schweinen ergabt. Diese
Entwicklung, sowie weiterhin die Tatsache, daß die eine Zeit-
lang als Ersatz für die verringerte Brotration gewährte Wochen-
fleischmenge in der Hauptsache dem Ninderbestande entnommen
werden mußte, beweisen, in welchem Maße der Anteil der
Schweine an der Deckung des Fleischbedarfs gesunken ist.
Die „Bekanntmachung über Fleischversorgung" vom 27. März
1916 regelte in ihrem zweiten Teile den Verbrauch. Und
zwar legte man diese Verbrauchsregelung zunächst in die Hände
der Gemeinden, „um sie den bestehenden Verhältnissen anzu-
passen". Diese Art der dezentralisierten Regelung bewährte
sich nicht, zumal sie von den Gemeinden in sehr mannigfaltiger
Weise und in recht verschiedenem Umfange vorgenommen wurde °).
Unterm 17. August 1916 ermächtigte daher der Bundesrat den
Reichskanzler, eine für das ganze Reich einheitliche Ver-
brauchsregelung durchzuführen ^) — was trotz der entgegen-
stehenden Bedenken sich als notwendig erwies. Die Regelung
Reichstagsdenkschrift, 9. Nachtrag S. 64. .
2) Daran waren die unterm 23. September und 24. Oktober 1916
erlassenen Kartoffelverfütterungsverbote (R. G. Bl. S. 1075 und 1165) in
erster Linie schuld.
3s Reichstagsdenkschrift, 10. Nachtrag S. 45.
Vgl. die Bekanntmachung betreffend Vornahme einer Viehzählung
am 1. Dezember vom 4. November 1916, R. G. Bl. S. 1249.
5) Vgl. dazu die weite Fassung der Preußischen Ausführungsanweisung
vom 29. März 1916 zu Z 10 der Bekanntmachung vom 27. März. — Unterm
21. Juni 1916 wurde wenigstens für Preußen eine Einheitlichkeit insofern
erzielt, als den Gemeinden die planmäßige Bewirtschaftung des Schlachtviehs
sowie die Einführung von Fleischkarten zur Pflicht gemacht wurde.
6) Bekanntmachung betreffend Änderung der Bekanntmachung übev
Fleischversorgung vom 27. März — vom 17. August 1916, R. G. Bl. S. 935..
65
selbst erfolgte untern: 21. August 19160 durch die Einführung der
Reichsfleischmarke^). Träger der Verbrauchsregelung sind
danach die Kommunalverbände, die sie jedoch Gemeinden über
10000 Einwohnern auf Antrag übertragen müssen.
DerobersteGesichtspunkt, unter demdieseingroßenZügen dar-
gestellte Regelung des Verbrauchs erfolgte, war der der Ein-
schränkung des Fleischgenusses zur Schonung der Viehbe-
stände— wie ja auch die Fleischkarte ursprünglich als Sperrkarte
gedacht war, um dann allerdings mehr und mehr zur Verteilungs-
karte bzw. Gewährkarte gleich der Brotkarte zu werden. Demselben
Zwecke hatte auch eine Reihe anderer Maßnahmen gedient,
die teils neben der Durchführung der Organisation herliefen,
teils durch sie verursacht worden waren. Denn die Syndizierungs-
und Zentralisationsbestrebungen hatten den Markt beunruhigt
und die Fleischversorgung zunächst zum Stocken gebracht.
Einzelstaatliche Viehausfuhrverbote und solche der stellver-
tretenden Generalkommandos, mangelndes Zusammenarbeiten
der einzelnen Landesorganisationen, Unsicherheit in der Ver-
teilung des Heeres- und Zivilbedarfs auf die verschiedenen
Bundesstaaten, große Anforderungen der Heeresverwaltung,
deren Befriedigung beträchtliche Schwierigkeiten machte, —
alles wirkte zusammen, um eine geregelte und gesicherte Fleisch-
versorgung in diesen Monaten zu gefährden. So suchte man
die Vorräte von Fleischkonserven und Fleisch-
waren, die sich noch im Handel befanden 0 in der Hand
der Reichsfleischstelle zu erfassen, und man schuf ferner ein-
heitliche Ersparnisvorschriften für den Verbrauch von
Fleisch und Fett in Sp.eisewirtschaften/) In wirksamer Weise
wurde auch der Fleischbedarf beim Heere eingeschränkt. DadieVieh-
handelsverbände auch den gesamten Heeresbedarf an lebendem Vieh
beschafften, war fortan eine unmittelbare Einwirkung der Heeres-
cinkäufe auf die Preise ausgeschlossen, worin man bisher viel-
fach einen preistreibenden Einfluß erblickt hatte.
ü „Verordnung über die Regelung des Fleischverbrauchs" R.G.Bl. S.941.
2) über ihre Ausgestaltung im einzelnen erging unter gleichem Datum
eine besondere Bekanntmachung, R. G. Bl. S. 945.
o) Bekanntmachung über den Verkehr mit Fleischwaren vom 22. Mai
1916, R. G. Bl. S. 397.
ü Bekanntmachung zur Vereinfachung der Beköstigung vom 31. Mai
1916, R. G. Bl. S. 433
Völlig unvereinbar mit den herrschenden Verhältnissen erschien die
noch vielfach üblich gewesene Abhaltung von „Schlachtfesten", gegen die man
in Preußen bereits zu Beginn des Jahres 1916 einzuschreiten genötigt war.
. Heft 20/21 ^
66
,6. Förderung der Erzeugung, insbesondere
H a u s s ch l a ch t u n g e n und M a st o r g a n i s a t i o n e n
Sommer 1916
In Anbetracht der Fleischversorgungsschwierigkeiten glaubte
man sich eine Förderung der Erzeugung nach
Möglichkeit angelegen sein lassen zu müssen. Vor allem erhoffte
man von der schnellen Vermehrungsmöglichkeit der Schweine
eine Entlastung der Rinderbestünde.
Es hatte sich besonders als nötig herausgestellt, den zu
Beginn des Jahres 1916 ausserordentlich gestiegenen Ferkel -
preisen Beachtung zu schenken. 150 — 165 cF betrug der
Preis für ein Paar stärkste Ferkel gegenüber einem den be-
stehenden Höchstpreisen an sich angemessenen Preise von höchstens
90 für ein solches Paar. Während diese Preisentwicklung
einerseits einer erwünschten Ausbreitung der Schweinezucht
hindernd im Wege stand, sodaß die Einführung von Höchstpreisen
für Ferkel vielfach angeregt wurde, mußte man sich anderseits
sagen, daß eine Senkung der Ferkelpreise zur Einschränkung
der Aufzucht führen würde. Man suchte deshalb durch Beihilfe
aus Staatsmitteln den Ankauf von Ferkeln namentlich für die
minderbemittelten Viehzüchter zu erleichtern. Auch durch Bereit-
stellung besonderer Futtermengen für die Erhaltung von Zucht-
sauen bemühte man sich die Schweineaufzucht zu heben. Von
einer Einführung von Ferkelhöchstpreisen sah man ab,
in der Befürchtung, daß sie einer raschen Vermehrung der
Schweinezucht und Schweinehaltung unmittelbar entgegenwirken
könnten.
Des weiteren griff man durch Gewährung von Prämien
in Form von Futtermitteln oder von Geld fördernd in die
Erzeugung ein und wies auf die durch Grünfütterung und
Weidegang mögliche Vergrößerung der Schweinehaltung hin. Die
Einfuhr von Vieh und Fleisch legte man einheitlich in die
Hände der Zentral-Einkaufsgesellschaft, wie das bereits früher
für andere Lebensmittel geschehen warH. Bei diesen Maß-
nahmen blieb man indessen nicht stehen. Im Interesse der
Produktion erfuhr auch das im vorigen Kapitel dargestellte
System der Vieh- und Fleischbewirtschaftung — mit der
Kontingentierung durch die Reichsfleischstelle, der Viehauf-
bringung durch die Viehhandelsverbände und der einheitlichen
Bekanntmachung über die Einfuhr von Vieh und Fleisch sowie von
Fleischwaren vom 18^ März 1916, R. G. Bl. S. 175 und Ausführungs-
bestimmungen dazu vom 22. März 1916, R. G. Bl. S. 179.
67
Verbrauchsregelung durch die Kommunalverbünde — tief-
greifende Durchbrechungen durch die Art, wie man die
Selbstversorger behandelte, und durch die Einrichtung
von Mastorganisationen.
Die Art und Weise, wie man die Hausschlachtungen,
d. h. „Schlachtungen von Vieh ausschließlich für den eigenen
Wirtschaftsbedarf des Viehhalters" regelte, erfuhr im Verlaufe
verhältnismäßig kurzer Zeit eine ganze Reihe von Wand-
lungen.
Es war an sich eine Forderung der Gerechtigkeit, daß man
den Einzelnen zu verhindern suchte, sich zum Nachteil der
Gesamtheit Vorräte anzuschaffen und aufzuspeichern, die dadurch
dem allgemeinen Markte entzogen wurden. Aber man entschloß
sich zunächst nicht dazu, die Hausschlachtungen selbst zu be-
schränken oder gar zu verbieten. Die Höchstpreisverordnung
vom 14. Februar 1916 hatte vielmehr den Landeszentralbehörden
nur die Möglichkeit gegeben, „die Abgabe von Fleisch aus
Hausschlachtungen an Dritte gegen Entgelt zu beschränken oder
zu verbieten." Man gab sich der Hoffnung hin, daß die an-
geführte Bestimmung allein schon eine stärkere Beschickung der
Märkte herbeizuführen vermöchte?) Indessen erwies sich diese
Regelung nicht als wirksam genug. Sachsen hatte z. B. schon
unterm 3. Februar 1916 die Hausschlachtung nur solchen Personen
erlaubt, welche die Schlachttiere „in ihrer Wirtschaft aufgezogen
oder mindestens sechs Wochen lang gemästet hatten." Baden
und Hessen hatten zu ähnlichen Maßnahmen gegriffen. Ihrem
Beispiel folgte die Regelung in der Bekanntmachung vom
27 März 1916. Danach sind außerdem die Hausschlachtungen an
bestimmten Stellen anzuzeigen und dem Kommunalverbande oder
der Gemeinde anzurechnen. Auch wurden die Landeszentral-
behörden ermächtigt, noch weitergehende Beschränkungen anzu-
ordnen. Preußen machte davon anfänglich noch keinen Gebrauch,
sondern wiederholte in seiner Ausführungsanweisung^') lediglich
die aufgeführten Bedingungen.
Das Erfordernis, daß das gewonnene Fleisch nur un-
entgeltlich oder an Personen abgegeben werden durfte, die zum
Haushalt des Viehhalters gehörten oder in seinem Dienste
standen, wurde vielfach angefochten, weil dadurch die bisher
Vgl. die Bekanntmachung von 17. März 1916, Z 6.
2) Vgl. die Preußische Ausführungsanweisung zu dieser Verordnung,
vom 16..Februar 1916.
3) Vom 29. März 1916.
5*
68
landesübliche Versorgung der Bevölkerung und des Handels
mit Schinken, Wurst und Speck unterbunden und die Erzeuger
zu erhöhtem Fleischverbrauch angeregt würden.
Da in den Sommermonaten „ein Bedürfnis für Haus-
schlachtungen nicht anerkannt werden konnte," ging man auch
in Preußen alsbald gegen die Hausschlachtungen vor. Nachdem
man zunächst die Oberpräsidenten bloß ermächtigt hatte, sie
weiter, als in der Ausführungsanweisung zur Märzverordnung
vorgesehen, einzuschränken oder ganz zu verbietend, — stellte
man sich unterm 15. April 1916 auf den Standpunkt, daß „eine
der allgemeinen Einschränkung des Fleischverbrauchs entsprechende
Einschränkung der Selbstversorger im Verbrauch ihrer Vorräte
am leichtesten dadurch erreicht würde, daß ihnen bis zum 1. Ok-
tober weitere Hausschlachtungen nicht gestattet würden 2)". Großen
Nachdruck legte die Verfügung indessen darauf, daß das Verbot
am 1. Oktober wieder außer Kraft trat, um „diese an sich
durchaus zweckmäßige Form der Selbstversorgung für den
nächsten Winter nicht zu unterbinden." Da aber die Vorschriften
über Hausschlachtungen Anlaß zu Zweifeln und Mißverständ-
nissen gaben — was bei ihrem ständigen Wechsel nicht weiter
zu verwundern war —, namentlich aber die erlassenen Verbote
die Neigung der kleinen Viehhalter, Schweine aufzustellen,
beeinträchtigt hatten, hob man alsbald die Verbote wieder auf
und ließ die Hausschlachtungen unter den alten, oben auf-
geführten Bedingungen wieder zu^), Als neues Erfordernis
für die Zulassung wurde die Einholung einer schriftlichen Ge-
nehmigung des Kommunalverbandsleiters verlangt.
Nachdem noch kurze Zeit vorher vom Präsidenten des
Kriegsernährungsamts für alle Bundesstaaten einheitliche Richt-
linien für die Zulassung von Hausschlachtungen aufgestellt
worden waren, befaßte sich die Verbrauchsregelung der August-
verordnung eingehend auch mit den Selbstversorgern: Selbst-
versorger ist danach, „wer durch Hausschlachtung (und Jagd)
Fleisch oder Fleischwaren zum Verbrauch im eigenen Haushalt
gewinnt", ferner auch mehrere Personen, die für den eigenen
Verbrauch gemeinsam Schweine mästen (Kompanieschweine),
endlich können als Selbstversorger vom Kommunalverbande
anerkannt werden „Krankenhäuser und ähnliche Anstalten, die
Schweine ausschließlich zur Versorgung der von ihnen zu ver-
-) Erlaß vom 4. April 1916.
2) Verfügung der Ressortministerien betr. Fleischversorgung.
2) Preußische Verfügung vom 27. Mai 1916 betr. Fleischversorgung..
69
köstigenden Personen, sowie gewerbliche Betriebe, die Schweine
ausschließlich zur Versorgung ihrer Angestellten und Arbeiter
mästen" (Jndustrieschweine). Die Hausschlachtung ist geneh-
migungspflichtig; sechswöchige Haltung und keinerlei Gefahr
für ein etwaiges Verderben des Fleisches waren wie bisher
Voraussetzungen. Das gewonnene Fleisch wird dem Haus-
schlächter zu drei Fünfteln, bezw. beim ersten in jedem Jahre
geschlachteten Schwein zur Hälfte des Schlachtgewichts auf die
Fleischkarte angerechnet. Die Anrechnung eines Teiles des aus
Hausschlachtungen gewonnenen Fleisches war aus Gründen der
Gerechtigkeit notwendig. Daß man es nicht ganz anrechnete,
geschah, um besonders den kleinen Mann für die Mühe und
Sorge des Mästens durch einen reichlicheren Fleischanteil zu
entschädigen, und weiterhin wollte man eine Einschränkung der
Erzeugung insbesondere von Schweinen dadurch verhüten, daß
man auf diese Weise zur Hausschlachtung anreizte. Gerade im
Erzeugeranreiz lag der Hauptgrund, der zu einer Be-
günstigung der Hausschlachtungen geführt und auf die geschil-
derte Weise die Selbstversorger aus dem Rahmen der einheit-
lichen Rationierung herausgehoben hatte. Man sagte sich, daß
eine Vermehrung unserer Schweinebestünde und damit eine
Besserung unserer Fleisch- und insbesondere Fettversorgung am
ehesten dadurch zu erreichen sei, daß man den kleinen Mann,
der seine Schweine mit anderweitig kaum verwertbaren Wirt-
schaftsabsällen füttert, auf diese Weise zur Aufstellung von
Schweinen anreizt. Da die Schweinezucht zum überaus größten
Teil — 73 v. H?) — in den Kleinbetrieben bis zu 20 Hektar
zu finden ist, — wäre eine Einschränkung der Aufzucht und
Mästung gerade dort natürlich am ineisten fühlbar. Entschließt
sich jemand überhaupt zur Mast von Schweinen, so kommt es
ihm nicht so sehr darauf an, ob er ein oder mehrere Tiere
aufstellt. Dadurch steigt dann die Gesamterzeugung, wie auf
der anderen Seite durch die Selbstversorgung der allgemeine
Bedarf entlastet wird, wenn man auch letzteren Umstand nicht
überschätzen darf. Diesen nicht zu verleugnenden Vorzügen
stehen indessen schwerwi gende Bedenken gegenüber.
Von den Nachteilen, die eine Durchbrechung des Grundsatzes
einheitlich gleichmäßiger Verbrauchsregelung an sich schon mit sich
bringt, abgesehen, hängt die Zweckmäßigkeit der ganzen bisherigen
Selbstversorgungsrcgelung von der Art und Weise ab, wie der
9 Vgl. „Beiträge zur Kriegswirtschaft" Heft 5 S. 18.
70
Kommunalverband die Überwachung der Hausschlachtungen
durchführt. Ist die Kontrolle — wie das vielfach der Fall war
— nicht ganz streng, so birgt die Selbstversorgerbevorzugung
schwere Gefahren in sich. Nur zu sehr verleitet sie zu unrecht-
mäßiger Verfütterung von dem menschlichen Verbrauch vor-
behaltenen Nahrungsmitteln, nur zu leicht gibt sie den Anlaß
zu „Schiebungen" aller Art. Es sei dabei nur des all-
bekannten „Pensionsschweins" gedacht, das gesetzwidrigen Um-
gehungen der Bestimmungen über das „Kompanieschwein" sein
Leben verdankt, indem eine Beteiligung an der Mästung nur
in geldlicher Hinsicht oder durch bloße Bereitstellung von
Hausabfällen an den eigentlichen Mäster erfolgt. Nach dem
Sinne der Bekanntmachung ist aber eine gemeinschaftliche Selbst-
versorgung nur bei gemeinsamer Wirtschaftsführung anzunehmen.
Es müssen also alle wesentlichen Vorgänge der Mästung ge-
meinsam durchgeführt werden. Vielfach wurde das außer Acht
gelassen, sodaß die Bestimmung zu einem Vorrecht der be-
mittelten Kreise zu werden drohte. Das Schwein des „kleinen
Mannes" wollte man schützen — es war vielfach zum Schwein
des wohlhabenden Maunes geworden. So hat man denn, und
vielleicht nicht mit Unrecht, die lange Zeit herrschende Knappheit
an Brotgetreide und Kartoffeln auf das Vorhandensein der
Hausschlachtungsschweine zurückgeführt, deren Schlachtungsziffer
im letzten Jahre (1. April 1916 bis 31. März 1917) die Zahl
der gewerblichen Schlachtungen von Schweinen ganz erheblich
überschritten hat. Auch vom Standpunkt der Viehhändels-
verbände ist ihre Bevorzugung nicht zu begrüßen, da sie ihnen
mangels ausreichender Kontrolle den Überblick über den Schweine-
bestand und damit über die Lieferungsmöglichkeit erschwert.
Die aus diesen und ähnlichen Erwägungen sich ergebende
Notwendigkeit, die Hausschlachtungen in allen Fällen einzu-
schränken, wo eine unrechtmäßige Verfütterung von Brot-
getreide und Kartoffeln zu befürchten stand, legte eine Neu-
regelungderSelb st Versorgung nahe. Von verschiedenen
Seiten wurde daher das Kriegsernährungsamt um den Erlaß
neuer Selbstversorgungsbestimmungen ersucht. Als wesentlichste
Grundsätze für die Neuregelung wurden u. a. in Vorschlag ge-
bracht:^) Kontingentierung der Hausschlachtungen in Höhe von
etwa 4 Millionen, Genehmigung zur Schlachtung grundsätzlich
Vgl. hierzu Nabbethge, „Kartoffelversorguug, Schweinehaltung, Fett-
versorgung". Magdeburg, Dezember 19l6, sowie die Anträge des Reichs-.
Lagsabgeordneten Hoff.
71
nur für solche Personen und Betriebe, die bereits in den
Jahren 1912 und 1913 hausgeschlachtet haben, sowie Er-
höhung der bisher sechswöchigen Haltezeit der Schweine auf
acht Monate.
Eine Kontingentierung der Hausschlachtungen war in
Sachsen versucht worden, ohne daß dabei besondere Erfolge er-
zielt worden wären. Die unbiegsame Kontingentierung schließt
eben manche an sich berechtigten Fälle aus, ohne andere, unbe-
rechtigte verhindern zu können. Der zweite Punkt, die Ge-
nehmigung zur Hausschlachtung nur dort zu erteilen, wo schon
vor dem Kriege Selbstversorgung üblich war, bedeutete eine
unsoziale Härte, namentlich gegen die Jndustriebevölkerung,
deren Fleisch- und Fettversorgung durch die Hausschlachtungen
gerade begünstigt werden sollte. Eine Verlängerung der Frist,
während der das Schwein vom Selbstversorger gehalten werden
muß, erschien indessen angebracht. Auch der Reichstagsbeirat
für Volksernährung sprach sich für eine Verlängerung der
Besitzfrist von Hausschlachtungsschweinen aus. Zwar war
die vorgeschlagene Mästungszeit von 6 bis 8 Monaten zu lang.
Es lag nämlich alsdann die Gefahr nahe, daß der Schweine-
halter zu verbotenem Futter griff, da Ferkel nicht mit Haus-
haltungsabfällen allein gemästet werden können. Die Schweine
werden in den acht Monaten zwar alt, bleiben aber mager,
während in drei Monaten bereits angefleischte Schweine fett
gemacht werden können. Man einigte sich daher aus diesen
Gründen auf eine Dreimonathaltefrist, wie sie in
manchen Bundesstaaten bereits eingeführt worden war.
Für den Sommer 1917 eine Neuregelung der Hausschlach-
tungen zu treffen, war insofern nicht so dringend, als die
Schlachtungen im Hinblick auf die leichte Verderblichkeit des
konservierten Fleisches in dieser Zeit ohnehin stark abzunehmen
pflegen. Außerdem waren ja auch die Selbstveisorger den Sommer
über aus ihren Vorräten versorgt. Wenn trotzdem unterm
2. Mai 1917 eine Bekanntmachung über die Re-
gelung des Fleischverbrauchs erging"), welche die
Selbstversorgungsbestimmungen der Augustverordnung in
wesentlichen Punkten abänderte, so geschah das einesteils, um
die neuen Bestimmungen im Interesse der davon betroffenen
Kreise möglichst frühzeitig zu veröffentlichen, des weiteren
aber auch, um offenkundige Mißstände abzustellen.
9 R. G. Bl. 1917 S. 387.
72
So enthielt denn die Verordnung, neben der Einführung
der Dreimonathaltefrist ab 1. Oktober 1917 das Verbot,
Schweine mit einem Lebendgewicht von mehr als 60 kg zum
Zwecke der Selbstversorgung zu erwerben. Dadurch soll der
verbreitete Mißbrauch verhütet werden, daß zur Schweine-
mästung gänzlich ungeeignete Haushaltungen, nur um die
Selbstversorgungsvorteile in Form der erhöhten Fleischration
zu genießen, Hausschlachtungen veranstalten. Weiterhin haben
die Landeszentralbehörden Vorkehrungen dafür zu treffen,
daß in Fällen, wo der Fleischvorrat die zustehenden Fleisch-
rationen übersteigt, oder die Gefahr des Verderbens zu be-
fürchten steht, die Genehmigung zur Schlachtung versagt, oder
der Überschuß gegen Entgelt abgenommen wird. Da bisher die
Kartenanrechnung oft ohne genaue Nachprüfung des Schlacht-
gewichts vorgenommen worden war, haben die Kommunal-
verbände nunmehr die Hausschlachtungen zu über-
wache n. Das Schlachtgewicht wird dabei am besten durch
die als Hausschlachtungsüberwacher bestellten amtlichen Fleisch-
beschauer festgestellt. Die bisherige Anrechnungsweise (VZ
bzw. b/^) wurde beibehalten, aber neu gefaßt, da vielfach der
Irrtum verbreitet war, daß stets die Hälfte des Schweines
freigegeben werden müsse, ohne Rücksicht auf die Zahl der
Selbstversorgungsberechtigten. Neu ist die zeitliche Be-
grenzung der Selbstversorgungsdauer auf ein Jahr, da zu
lange Vorversorgung unwirtschaftlich ist. Während bisher der
Verkauf von Hausschlachtungsfleisch ohne weiteres zulässig war,
hat man nunmehr den Handel mit solchem Fleisch aus-
geschlossen und Verkäufe nur an den Kommunalverband
gestattet oder an seine Genehmigung gebunden. War doch
bisher mit angeblich aus Hausschlachtungen stammendem und
daher kartenfreiem Fleisch in schwunghafter Weise wucherischer
Kettenhandel getrieben worden.
Die ganze Neuregelung ging davon aus, daß die Nützlich-
keit und Notwendigkeit der Hausschlachtungseinrichtung als
beste Abfallverwertung dann unanfechtbar sei, wenn es sich
um echte Hausschlachtungen handelt. Aber alle Auswüchse
müssen entschieden beschnitten werden, soll nicht die gesamte
Nahrungsmittelversorgung in Gefahr geraten.
Haben wir bereits in den Bestimmungen über die Selbst-
versorgung eine die Durchführung der allgemeinen Vieh- und
Fleischbewirtschaftung, und insbesondere die Tätigkeit der Vieh-
handelsverbände erschwerende Ausnahme erblickt, so trifft das
73
auch für die nunmehr zu schildernde Einrichtung der Mast-
organisationen zu, der zweiten wichtigen Durchbrechung
des gesamten Bewirtschaftungssystems.
Mit ihrer Schaffung hatte man die Erzeugung des Schweine-
fleischs nach Maßgabe der für diese Zwecke verfügbaren Futter-
mittel zu fördern gesucht. Erhebliche Reichsmittel wurden zur
Bereitstellung von Futtermitteln zwecks Heranmästung fetter
Schweine aufgewandt, ein Ziel, das ja auch die Preiszuschläge
für höhere Gewichtsklassen anstrebten. Die Mastorganisationen
faßten nun die Erzeuger zusammen für die unmittelbare Be-
lieferung der Verbraucher, insbesondere der großen Städte, aber
auch des Staates und des Heeres auf Grund von Lieferungs-.
Verträgen. Diese Verträge hatten zum Inhalt, daß die Verbraucher
den Mästern Futtermittel zu ermäßigten Preisen lieferten, wofür
dann die Schweinemäster ihrerseits sich verpflichteten, die ge-
mästeten Schweine zu einem bestimmten Preise abzugeben.
Die Schweinemastverträge waren schon vor dem Kriege
üblich gewesen als Versuche, die Schweinepreise stetiger
zu gestalten und die starken Schwankungen in ihrer Höhe zu
vermeiden. Seit 1912 waren die Landwirtschaftskammern und
größeren landwirtschaftlichen Genossenschaften an die Stadt-
verwaltungen herangetreten, um mit ihnen langfristige, meistens
fünfjährige Abschlüsse auf Lieferung bestimmter Schwcinemengen
zu festen Preisen zu erzielen. Solche Verträge waren z. B.
zwischen der pommerschen Landwirtschastskammer und dem
Berliner Magistrat zustande gekommen, und zwar wurde die
wöchentliche Lieferung von 1200 Schweinen für 55 je Zentner
Lebendgewicht vereinbarst). Doch hatten diese und ähnlich?, ander-
wärts abgeschlossene Verträge nicht selten darunter gelitten, daß die
Städte keine dauernden Abnehmer fanden. Die Kriegswirtschafts-
verhältnisse schufen darin Wandlung. An genügender Absatz-
möglichkeit fehlte es nun den Stadtverwaltungen wahrlich nicht.
Bekannt istdieindieserBeziehungmustergültigeRegelungderStadt
Ulm, die ebenfalls in die Zeit vor dein Kriege zurückreicht und den
Erfolg hatte, daß bis Ende Dezember 1416 der Stadt nahezu 6000
sckiwere Schweine, d. h. 45—50 Schweine wöchentlich, von der
^Genossenschaft für rationelle Schweinezucht" geliefert wurden^).
Herter und Wilsdorf S. 252. „Die Bedeutung des Schweines
für die Fleischversorgunq" in den Arbeiten der Deutschen Landwirtschafts-
gesellschaft, Berlin 1914 " " '
^ Vgl. Skalweit, „Nahrungsmittelwirtschaft großer Städte im
Kriege" in . den „Beiträgen zur Kriegswirtschaft" Heft 7/8 S. 2Y.
74
Besondere Schwierigkeiten inachte es oft, die Mastorgani -
sationen in ihrer Tätigkeit von den Viehhandels-
verbänden abzugrenzen. Man war der Ansicht, daß
die Einrichtung der Mastorganisationen insofern im Interesse
der Verbraucher läge, als sie eine sichere und mancherorts auch
verhältnismäßig billige Lieferung gewährleisteten^). Eine Ver-
schmelzung beider Organisationen lag aber nahe, entweder in
der Form, daß man den Mastorganisationen zwar Werbearbeit
und Abschluß der Lieferungsverträge überließ, dem Mäster aber
dann durch die Viehhandelsverbände die Schweine abnahm —
oder in der Weise, daß die Viehhandelsverbände selbst die
Belieferung der Kommunalverbände übernahmen und damit
zwischen Mastorganisation und Verbraucher traten.
Man entschloß sich zunächst, die Selbständigkeit der Mast-
organisationen aufrechtzuerhalten und ihnen das ganze Geschäft,
Futtermittelverteilung, Abnahme und Ablieferung zu über-
lassen — allerdings auf Grund des aufgestellten Verteilungs-
planes der Reichsfleischstelle. Eine Änderung des Verhält-
nisses zwischen beiden Organisationen suchte man vielfach deshalb
herbeizuführen, weil, wie oben bereits erwähnt, die Vertrags-
schweine den Viehhandelsverbänden die Übersicht über den zur
Lieferung verfügbaren Bestand erschwerten. Eine Arbeitsteilung
in der geschilderten Form — daß die Mastorganisationen die
Lieferungsverträge schließen, die Vertragsschweine aber dann an
die Viehhandelsverbände abgeliefert werden — erschien aus
diesen Gründen als zweckmäßig. Bei der Beurteilung der
ganzen Frage ist indessen wohl zu berücksichtigen, daß der
genossenschaftliche Aufbau der Mastorganisationen über den
Krieg hinaus zu Pflegen ist, während die Viehhandelsverbände
nach Eintritt des Friedens abzubauen sein werden.
Vielfach haben sich die Stadtverwaltungen auch dazu ent-
schlossen, Mästereien in eigener Verwaltung ein-
zurichten, und sie haben dabei im allgemeinen günstige Er-
fahrungen gemacht.
Auch das Heer und vor allem die Marine machte sich
die Vorteile eigener Mästereien mehr und mehr zu Nutze, was
eine nicht unbedeutende Entlastung für die Aufbringung des
Bedarfs der Zivilbevölkerung bedeutete.
So konnte Pommern die Schweine an Berlin rund 17 billiger
abgeben als die Viehhandelsverbände. Anderwärts arbeiteten sie-indessen
infolge besonderen Aufschlages und höherer Handelsprovision teurer.
75
7. D ie'Preissenkung für S ch la ch t s ch w e i n e
im Rahmen des Wirtschaftsplans für das Ernte-
jahr 1917
Winter 1916 und Frühjahr 1917
Den geschilderten Bestrebungen, die Schweinezucht den
Sommer über im Sinne einer „vorausschauenden Vorrats-
politik" durch Einschränkung der Schlachtungen und Förderung
der Aufzucht nach Möglichkeit zu heben, machte der Ausfall
der Ernte 1916 ein jähes Ende. Zwar war die Nauh-
futter- und Rübenernte befriedigend ausgefallen. Die Futtcr-
gerstenernte konnte aber dem gesteigerten Bedarf nicht gerecht
werden, und die Kartoffelernte war mißraten. Während also
die Rinder von dem Ernteergebnis unmittelbar kaum betroffen
wurden, mußte es in der Schweinemarktpolitik einen völligen
Umschwung Hervorrufen.
Als daher in den Herbstmonaten infolge der knapper
werdenden Futtermittel ein stärkerer Schweineauftrieb einsetzte,
sah man sich nicht veranlaßt, durch künstliche Maßnahmen dem
entgegenzutreten. Im Gegenteil, man hielt es für nötig, für
eine Ausdehnung der Schlachtungsmöglichkeit
Sorge zu tragen.
Bestärkt wurde man in diesem Entschluß, als im Oktober
und November Klarheit darüber erzielt wurde, in welchem
Maße die Kartoffelernte mißraten war. Nunmehr suchte
man planmäßig der drohenden Gefahr vorzubeugen, daß durch
das Mißverhältnis zwischen dem vorhandenen Viehbestände und
der zur Verfütterung verfügbaren Erntemenge die menschliche
Ernährung in Frage gestellt würde. Man wies daher
die Bundesregierungen und Viehhandelsverbände an, mög-
lichst viele, wenn auch unreife Schweine gegen einen ent-
sprechenden Preis abzunehmen, wenn der Viehhalter nicht mehr
in der Lage war, sie durchzufüttern. Ebenso verfuhr man
mit den zur Abstoßung gelangenden Ferkeln, von denen 8 bis
10 einem Schweine gleichzurechnen sein sollten, währenv man
früher sorglich darauf geachtet hatte, daß die Viehhandelsvtzr-
bände möglichst nur schlachtreife Schweine zur Alblieferung
brachten. Demselben Ziel, alle übersiändigen, wenn auch schlachl-
unreifen Schweine zu beseitigen, um dadurch den Anreiz zur
unrechtmäßigen Verfütterung von Brotgetreide und Kartoffeln
zu verringern, diente auch eine vorübergehende Änderung
der Preisgestaltung. Das Preußische Landesfleischamt
bestimmte nämlich unter Zustimmung des Präsidenten des
76
Kriegsernährungsamtes, daß vom 19. Februar 1917 ab für alle
Schlachtschweine im Gewicht von über 100 Pfund, auch wenn
sie 180 Pfund nicht erreichten, der für Schweine der fünften
Gewichtsklasse (180 bis 200 Pfund) geltende Höchstpreis bezahlt
werden durfte. Die in den anderen Bundesstaaten entsprechend
durchgeführte Maßnahme hatte natürlich auch eine Erhöhung
der Kleinhandels-Fleischpreise zur Folge. Doch handelte es sich
dabei im Hinblick auf die folgende allgemeine Preissenkung
um eine Anordnung bloß vorübergehender Natur. Es war
deshalb auch von einer förmlichen Änderung der Preisverord-
nung abgesehen worden.
War es nicht möglich, die unreif abgestoßenen Tiere zur
Weitermast, z. B. an die Heeresverwaltung, abzugeben, so mußten
sie eben — so bedauerlich es auch sein mochte — unter An-
rechnung auf das Schlachtungskontingent als Schlachttiere Ver-
wendung finden. Auch die Verwertung der Schweine in den
Armeekonservenfabriken kam zu diesem Zweck in Betracht.
Unter den herrschenden Verhältnissen lag es nahe, daß
man von der Begünstigung der Mästung möglichst fetter
Tiere abließ, da sich Schweine, die ein Gewicht von 160 bis
180 Pfund überschritten haben, ohne Kartoffeln nicht mehr
weiter mästen lassen. Man stellte daher die Gewährung von
Fettprämien ein, auch bei solchen Schweinen, die von den
Mastvrganisationen mit einer bestimmten Futtermenge über
die vertragsmäßig abzuliefernde Zahl hinaus schlachtreif ge-
macht wurden.
Natürlich mußte man bei einem derartigen Vorgehen auf
die Erhaltung des Zuchtmaterials bedacht sein. Aber
gerade dadurch, daß man die überständigen Tiere, vor allem
die Spanferkel, abnahm, verhinderte man bei ihnen einen
übermäßigen Preissturz und sicherte damit die Durchhaltung
der Muttersäue und Zuchteber.
Mit diesen Maßnahmen hoffte man dasselbe Ziel zu er-
reichen, das man im Frühjahr 1915 auf gewaltsamem Wege
angestrebt hatte, nämlich die Anpassung des Viehbestandes an
die vorhandene Futtermittelmenge.
Diese Frage nach der zweckmäßigen Erreichung des
Gleichgewichtszustandes zwischen der Viehzahl und der
ohne Inanspruchnahme der zur menschlichen Ernährung un-
mittelbar geeigneten Nahrungsstoffe für die Tiere verfügbaren
Futtermittelmenge war, wie die bisherigen Darlegungen gezeigt
haben, der leitende Gesichtspunkt gewesen für die Politik, d>e
77
man jeweils auf dem Kriegsschweinemarkte einschlug. Je
nachdem sich das Übergewicht nach der einen oder anderen
Seite hinneigte, schonte und förderte man die Schweinezucht,
oder man hemmte und verminderte sie.
Auch in der Theorie war der Kampf um dieses Problem
unverändert fortgeführt worden. *) Während die Vertreter der
Abschlachtungstendenz die Beseitigung der die menschliche
Ernährung bedrohenden Schweine noch für das Frühjahr 1916 im
Wege zwangsweiser Abschlachtung verlangt hatten, schlugen sie
späterhin als einfacheres Mittel die Senkung der Vieh-
preise vor, die unverhältnismäßig hoch — 250 bis 280 v. H.
— über den Friedenspreisen lagen und damit eine ansehnliche
Verfütterungsprämie gewährten.
Mit dem Vorschlage, die Anpassung der Viehbestände an
die Futtermittelmenge nicht gewaltsam, sondern durch Senkung
der Viehpreise vorzunehmen, war ein neuer Gesichtspunkt
in die ganze Frage getragen worden:
Eine „gewaltsame Verkehrung aller natürlichen Wert- und
Preisbildung" sei mit der Zeit eingetreten, die nur durch eine
gänzliche Veränderung der Preisverhältnisse und zwar durch
Senkung der Viehpreise einerseits und Erhöhung der Brot-
fruchtpreise andererseits verbessert werden könnte.^)
Dieser insbesondere von Rabbethge mit großer Ent-
schiedenheit verfochtenen Forderung eines Eingriffs in die
Preisgestaltung 4) entsprach ein Anfang Dezember 1916 im
Reichstagsbeirat für Nolksernährung gestellter Antrag der
Abgeordneten Hoff und Dr. Wendorff?)
Z Am deutlichsten traten die Gegensätze der Anschauungen in der
Polemik hervor, die Zu Beginn des Jahres 1916 Zwischen dem Verfechter
des alten ALschlachtungsgedankens des Frühjahrs 1915, dem Kommerzienrat
und Oberamtmann Rabbethge („Sicherstellung der Volksernährung" vom
15. Januar, „Volkseruährung und Tierhaltung" vom 21. Februar und
31. März 1916) und dem Vertreter der die Erhaltung des Viehstandes
begünstigenden Partei, dem Zuchtdirektor Momrnsen („Stellungnahme"
und „Erwiderung" zu Rabbethges Schriften, vom 10. April und 9. Mai 1916,
ausgefochten wurde.
2) Rabbethge, „Volksernährung und Tierhaltung", Juni 1916.
3) Rabbethge, „Volksernährung im neuen Wirtschaftsjahr", Sep-
tember 1916.
Z Derselbe, „Kartoffelversorguug. Schweinehaltung. Fettversorgung",
Dezember 1916.
5) „Der Beirat wolle beschließen, den Herrn Präsidenten des Kriegs-
ernährungsamts aufzufordern, die Schweiuepreise so Zu bemessen, daß die
Verfütterung von Getreide und Kartoffeln finanziell nicht günstiger wirkt
als der Verkauf dieser Produkte zum gesetzlichen Höchstpreise."
78
Ihren umfassendsten Ausdruck fand aber die ganze Be-
wegung in den bekannten und vielbesprochenen „Leitsätzen
der Hochschullehrer für landwirtschaftliche Betriebslehre"?)
Hinsichtlich der Schweine, die hier allein in Frage stehen, besagen
sie: „Die Schweinehaltung erschwert am meisten die Verhinde-
rung widerrechtlicher Verfütterung menschlicher Nahrungsmittel.
Die Anpassung der Schweinezahl an die dafür verfügbare
Futtermenge ist also unter Berücksichtigung des Weide- und
Abfallfutters besonders wichtig". Erreicht wird die Anpassung
im Nahmen des gesamten Preisausgleichssystems durch „die
Herabsetzung der setzt geltenden Preise der Schlachtschweine
unter 80 kg um 20 U, über 80 kg um 25 U. (Punkt 18 der
Leitsätze.) Im übrigen sei vor allem durch Erhöhung der
Getreide- und Kartoffelpreise anzustreben, daß jeder Anreiz,
diese Nahrungsmittel zu verfüttern, wegfalle, da sie dann zur
menschlichen Ernährung unmittelbar verwandt sich höher ver-
werteten als bei ihrer Verfütterung an die Tiere.
Hierüber angestellte eingehende Beratungen führten im
Hinblick auf die angesichts der herrschenden Kartoffelnot un-
vermeidliche Beseitigung der Verfütterungsprümie dazu, daß
am 19. März 1917 der allgemeine Preisausgleich seine
gesetzliche Grundlage erhielt'). Damit hatten die gesamten
Bestrebungen in Gestalt eines einheitlich gegeneinander aus-
geglichenen Preissystems ihre Verwirklichung gefunden. Die
regulierende Senkung der Preise für Schlachtvieh bereits mit
Abschluß der laufenden Stallmastperiode eintreten zu lassen,
erschien zweckmäßig, und zwar traten die neuen Preise für
Schweine am 1. Mai, für Rinder am 1. Juli in Kraft. Beide
Termine zusammenfallen zu lassen, erschien unrätlich, wegen
des vorher einsetzenden Überangebots, für dessen Abnahme und
zweckmäßige VerwertungVorbereitungen getroffenwerden mußten.
Der Z 6 der Verordnung befaßt sich mit den Schweinen,
deren Stallhöchstpreise, in vier Gewichtsklassen gestaffelt, eine
Senkung um 20 bis 25 v. H. erfahren?') Die örtlichen Ver-
Vgl. „Beiträge zur Kriegswirtschaft", Heft 6, über die „Preis-
verhältnisse landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Kriege".
2) „Verordnung über die Preise der landwirtschaftlichenErzeugnisse aus der
Erute1917und fürSchlachtvieh",BundesratsdrucksacheNr.99undR.G.Bl. S.243.
3) Die in der Verordnung aufgeführten Preisgrenzen verwirklicheil
die Vorschläge der Leitsätze in etwas abgeänderter Form. Die oberen
Preisstafseln (von 85—100 ktz') weisen eine verhältnismäßig höhere Senkung
auf, etwa 25 v. H., als die unteren, (bis 60, von 60—70 und 70—80 lv^j,
diese etwa 20 v. H.
79
schiedenheiten im einzelnen zu berücksichtigen, sowie Höchstpreise
für Schweine über 100 kg Lebendgewicht und für fette Sauen
und Eber festzusetzen, ist dem Präsidenten des Kriegsernährungs-
amts vorbehalten.
Unterm 5. April 1917 erging dann die Verordnung über die
Schlachtvieh- und Fleisch preise für Schweine und Rinderft,
welche die im § 6 der Märzverordnung aufgestellten Preisgrenzen
im einzelnen ausbaut und festlegt. Die Preise für Schlacht-
schweine sind darin, wie bisher, nach neun Erzeugungsgebieten
in der Weise gestaffelt, daß im Osten des Reiches die
niedrigsten, im Westen und Süden die höchsten Preise gelten.
Vergleicht man Ostpreußen mit Elsaß-Lothringen, so er-
gab sich bisher für ein Zweizentnerschwein ein Preis-
unterschied von 17 o/i, während er nunmehr 8 c/i beträgt.
Denn der Preisunterschied in derselben Preisklasse ist für zwei
in der Staffelung unmittelbar aufeinanderfolgende Erzeugungs-
gebiete in der neuen Verordnung auf je eine Mark herabgesetzt.
Die Verordnung führt nur drei Gewichtsstaffeln ein, und zwar
bis zu 70 kg, über 70 bis 85 kg und über 85 kg. Die noch
in der Märzverordnung vorgesehene Staffel bis zu 60 kg ist
weggefallen. Bereits bei einem Gewichte von 85 kg wird der
höchste Preis erreicht, sodaß eine Mästung über dieses Gewicht
hinaus unrentabel wird. Im übrigen bewegen sich die Preise in
dem vom Wirtschaftsplan vorgezeichneten Rahmen. Nur für die von
den staatlich zugelassenen Mästungsorganisationen für die Heeres-
verwaltung gemästeten Schweine dürfen die bisherigen höheren
Preise, jedoch ohne Gewährung besonderer Fettprämien bis
zum 1. September 1917 weiter bezahlt werden. Von sqlchen
Schweinen abgesehen, werden Tiere über 100 kg kaum noch mit
Nutzen gemästet, werden können. Des weiteren wiederholt die
Verordnung, die sich auch mit den Preisen für Schlachtrinder
befaßt, schon bisher geltende allgemeine Preisvorschriften. Zur
Festsetzung von Fleisch höchst preisen sind nach wie vor die
Gemeinden verpflichtet.
Am 1. Mai 1917 traten die neuen herabgesetzten Preise
in Kraft. Bereits am 5. April war die Verordnung erschienen.
Die natürliche und beabsichtigte Folge davon sollte eine
aus privatwirtschaftlichen Erwägungen sich ergebende Abstoßung
der Bestände in den zwischen beiden Zeitpunkten liegenden
Wochen sein.
0 R.G.Bl. S. 819.
80
Gerade dadurch hoffte man die Anpassung der Schweine-
zahl an die Futtermittelmenge zu erreichen. So unerfreulich
der unvermeidliche Rückgang der Schweinehaltung für unsere
künftige Fleisch- und Fettversorgung auch sein mag, — die
Darlegungen haben gezeigt, daß unter dem Drucke der Ver-
hältnisse eine Sicherstellung der Volksernährung anders nicht
zu erreichen ist. Die physiologisch begründete rasche Vermehrungs-
möglichkeit der Schweine — wie sie sich ja im Verlauf derKriegs-
sahre immer wieder gezeigt hat, bietet eine Gewähr dafür, daß ein
Wiederaufblühen der Zucht unter veränderten Verhältnissen
unschwer wieder möglich sein wird. Fleisch und Fett werden
allerdings zunächst knapp werden, aber Brotgetreide und
Kartoffeln müssen vorhanden sein. Die sichere Fettversorgung
der Rüstungsindustrie muß künftig hinter die Notwendigkeit
ausreichender Brot- und Kartoffelversorgung zurücktreten. Denn
Kartoffeln und Brot sind für den Menschen nötiger noch als
Fleisch und selbst Fett. Das haben die gemachten Erfahrungen
gelehrt.