Kommunale Ernährungspolitik
Von vr. August Skalweit, Professor an der Universität Gießen
Einleitung
Die folgende Schilderung beruht auf den Ergebnissen einer
Studienreise, die im Aufträge des Herrn Präsidenten des
Kriegsernährungsamts von Herrn Stadtrat Dr. Krüger und dem
Verfasser im Januar und Februar 1917 gemacht wurde. Besucht
wurden die Städte: Dortmund, Dresden, Hannover, Linden,
Posen, Straßburg und Ulrn. Die Auswahl war unter dem Ge-
sichtspunkt getroffen worden, Städte mit verschiedenen allgemeinen
Ernährungsbedingungen zu erfassen; außerdem wurden solche
Städte gewählt, denen gleich anderen der Ruf guter Leistungen
auf dem Gebiete der Kriegsernährungswirtschaft vorausging.
Will man den sich unmittelbar aufdrängenden Eindruck vor-
wegnehmen, so ist es derjenige der Anerkennung für die
Fülle von geleisteter Organisationsarbeit auf einem für die
städtische Verwaltung bisher kaum bekannten Boden. Wenn
auch das Ziel der Nahrungsmittelwirtschaft für alle Städte ein
gleiches und gemeinsames war, so hat doch jede Stadt je nach
den vorhandenen allgemeinen Bedingungen ihre eigenen Einrich-
tungen treffen müssen. Es wäre daher völlig verfehlt, wollte
man von einer Einrichtung, die sich in der einen Stadt gut
bewährt hat, sagen, daß sie für alle Städte als vorbildlich zu
gelten habe. Diejenige Organisation wird am besten arbeiten,
die ganz aus den örtlichen Bedürfnissen heraus erwachsen ist. Die
Dezentralisation der Verwaltung war daher nur von Vorteil.
Es wird sich ohne Übertreibung sagen lassen, daß ohne die in der
Ausführung selbständige und differenzierte Mitarbeit der kom-
munalen Selbstverwaltung unsere Kriegsernährungswirtschaft
kaum durchführbar gewesen wäre. Die Verfechter einer scharfen
Regelung von der Zentralstelle aus haben sich gewiß die Folgen
dieser Forderung niemals recht klar gemacht.
Will man auf einige der wichtigsten wirtschaftlichen und
sozialen Voraussetzungen hinweisen, die wieder auf die Formen
der Organisation von Einfluß sind, so wird man zunächst die
Bedeutung hervorheben miissen, die die B e v ö I k e r \\ ngs -
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große der Stadt hat. Je großer die Bevölkerungszahl ist,
um so höher sind im allgemeinen die Ansprüche, die an die
Verwaltung gestellt werden. Nicht allein daß größere Mengen
zu beschaffen und zu bewegen und an ein größeres Viel
von Menschen zu verteilen sind, es muß auch eine umfang-
reiche Vorratswirtschaft getrieben werden, da anderenfalls schon
die kleinste Stockung in der regelmäßigen Zufuhr genügen
würde, um den Zusammenbruch herbeizuführen. Die Einsicht
in die Notwendigkeit einer Vorratshaltung ist vom ersten Mobil-
machungstage an bei den meisten großen'Städteverwaltungen
lebendig gewesen und hat sich im weiteren Kriegsverlauf ver-
stärkt. Mit rühmenswerter Bereitwilligkeit haben die Gemeinde-
kollegien zu diesem Zwecke große Kredite bewilligt. Erfahrungen
über eine zweckmäßige Aufbewahrungs- und Konservierungs-
methode sind gesammelt und zu einer Wissenschaft geworden.
Heute ist der Wunsch, Ware zu bekommen, weit stärker als die
Sorge, die ihre Aufbewahrung macht. Selbst für so empfindliche
Gegenstände wie Kartoffeln, Gemüse und Obst fehlt es jetzt nicht
mehr an Vorbereitungen sachgemäßer Lagerung oder an Einrich-
tungen für ihre Verarbeitung zu Dauerwaren.
Die kleineren Städte werden von solchen Sorgen naturgemäß
sehr viel weniger belastet. Die Beschaffung wichtiger, besonders
der leicht verderblichen Lebensmittel, kann meistens aus der un-
mittelbaren Umgegend in genügendem oder nahezu ausreichen-
dem Maße und regelmäßig ohne den Zwang größerer Vorrats-
wirtschaft erfolgen. Die Verteilung bedarf einer sehr viel weniger
umständlichen Behandlung. Die bei den großen Gemeinden un-
umgänglich nötige Kontrolle zur Vermeidung unrechtmäßiger Zu-
wendungen rationierter Lebensmittel wird bei den kleineren Ge-
meinden zum guten Teil ersetzt durch die gegenseitige Selbst-
kontrolle der Bürger.
«Zweitens wird bedeutungsvoll sein die Lage der Stadt
zu ihrem Versorgungsgebiet. Befindet sich eine Stadt in einem
reichen landwirtschaftlichen Erzeugungsgebiet, ohne daß eine
zweite größere Stadt sich in näherem Umkreise befindet, so genießt
auch noch heute in der Zeit der öffentlichen Bewirtschaftung der
wichtigsten Lebensmittel die Nahrungswirtschaft der betreffen-
den Stadt große Vorteile. Uralte Marktbeziehungen sichern die
Zufuhr von Gemüse und Obst auf den Wochenmarkt, auf dessen
Belieferung die Landleute angewiesen sind. Bezeichnend dafür
ist, daß es z. B. in Hannover möglich war, bei zu hohen Preis-
forderungen der Landleute auf den Wochenmarkt dadurch preis-
regelnd zu wirken, daß städtischerseits einige Mengen von
auswärts bezogenen oder auf den städtischen Gütern erzeugten
Gemüses und Obstes auf den Markt geworfen und unter Preis
verkauft wurden. Aber auch was die Versorgung mit öffentlich
bewirtschafteten Waren betrifft, so steht eine solche Stadt besser da.
Mit den benachbarten Landkreisen lassen sich für die Mehlversor-
gung Selbstwirtschaftsverbände begründen, die das Mehl billiger
liefern können als die Reichsgetreidestelle. Die Kartoffelver-
sorgung kann aus der Nachbarschaft gedeckt werden und be-
ansprucht keine teueren und risikoreichen Transporte. Dazu
kommt die Fülle von nachbarlichen Beziehungen, auf Grund
deren dem einzelnen Städter Zuwendungen aus den Überschüssen
des ländlichen Haushaltes zugute kommen, ein Vorgang, der so
althergebracht und natürlich ist, daß er sogar zu einem uner-
wünschten Schmuggelverkehr verbotener Waren, wie Eier, Butter,
Milch, Fleisch usw., geführt hat. Je kleiner eine Stadt ist, um
so mehr vergrößern sich diese Vorzüge der Lage, aber selbst bei
sehr großen Städten bleiben sie wirksam.
Weiter wird die Zusammensetzung der städ-
tischen Bevölkerung nach Altersklassen, Vermögensver-
hältnissen und Beschäftigung von Einfluß sein. Eine Stadt mit
einer ausgesprochenen Arbeiterbevölkerung wird ohne Zweifel die
höchsten Anforderungen stellen. Die große Zahl der Schwer-
arbeitenden wird die Bewegung einer verhältnismäßig größeren
Menge an Nahrungsmitteln erforderlich machen. Die Austeilung
muß besonders sorgfältig arbeiten, weil es diesen weniger bemittel-
ten Kreisen nicht leicht möglich ist, in den teuren Waren des freien
Verkehrs Ersatz für die billigeren rationierten Waren zu finden.
Dazu kommt die bei der Arbeiterbevölkerung verhältnismäßig
große Zahl der Kinder, deren Verpflegung mit Milch und leicht
verdaulichen Nährmitteln besondere Anforderungen stellt.
Faßt man alle drei Gesichtspunkte, die die Bedingungen der
Nahrungsmittelwirtschaft beeinflussen, Einwohnerzahl, Lage und
Zusamensetzung der Bevölkerung, zusammen, so ist unter den
besuchten Städten der Stand Dortmunds ohne Frage am
schwierigsten. Es ist eine große und ausgesprochene Industriestadt
mit sehr ungünstigen Marktverhältnissen. Das Gegenstück dazu
bildet U lm , eine mittelgroße Stadt in reicher landwirtschaft-
licher Umgebung, für die es weit und breit den einzigen größeren
Markt bildet. Die übrigen Städte stehen zwischen beiden, doch
neigt Dresden mehr nach der ungünstigen, Posen mehr nach der
günstigen Seite hin.
I. Die Beschaffung von Lebensmitteln
a) Die ersten Anfänge
Hatte in den Städten der älteren Zeit bis in das 19. Jahr-
hundert hinein die Nahrungsuiittelbewirtschaftung, insbesondere
die mit Brot den wichtigsten Gegenstand städtischer Verwaltung
gebildet, so war diese in der Zeit der neuzeitigen Verkehrstechnik
überflüssig geworden und durch den selbsttätigen freien Handel
ersetzt worden. Nicht einmal die Festungsstädte hatten sich
ernstlich mit diesen Fragen beschäftigt. Die breit verzweigte
und fein verästelte privatwirtschaftliche Organisation des
Handels besorgte diese Aufgabe in so sicher arbeitender
Weise, daß man die Möglichkeit einer kommunalwirt-
schaftlichen Regelung überhaupt nicht in den Kreis der Er-
wägungen gezogen hatte, selbst wenn der Gedanke an eine Be-
schränkung des Handels in den städtischen Körperschaften nicht
schon von Haus aus verpönt gewesen wäre. Freilich war in den
Verbraucherkreisen gerade in den letzten Friedensjahren wieder-
holt über unnatürliche Preisschwankungen und Teuerungen wich-
tiger Lebensmittel geklagt worden, aber alles das wurde meistens
wie ein unvermeidliches Übel seufzend, aber geduldig hin-
genommen.
Da brach der Krieg aus — und plötzlich erblickte man das
Damoklesschwert, das ungeahnt über uns geschwebt hatte.
Von vr. Krüger ist anschaulich geschildert, wie die Stadt
Dresden der Gefahr zu begegnen suchte. Zunächst befürchtete
man nur die Verkehrsstockungen infolge der Mobilmachung und
suchte sich dagegen zu sichern. Aber es ist bezeichnend, wie
zurückhaltend man gegenüber allzu kostspieligen Wareneinkäufen
war, weil man das finanzielle Risiko scheute. Immerhin erkannte
man, daß die Stadtverwaltung in die Lebensmittelversorgung
einzugreifen Veranlassung haben wiirde, gründete einen beson-
deren Ausschuß, der sich mit dieser Frage befassen sollte, und be-
willigte dem Vorsitzenden als ersten Vorschuß die nach jetzigen Be-
griffen bescheidene Summe von 750 000 Mark zum Ankauf von
Lebensmitteln.
In Hannover beschränkte man sich zunächst darauf, die
Versorgung hilfsbedürftiger Familien in die Hand zu nehmen.
Zu diesem Zweck wurden zwei Stellen, das städtische Kriegs-
fürsorgeamt und die städtische Kriegshilfsstelle gebildet, das
erstere für Kriegerfamilien, die zweite für die übrigen hilfs-
bedürftigen Familien. Beide Stellen gewährten neben Bar-
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Unterstützungen auch Unterstützung in Naturalien. Insbesondere
hat die städtische Kriegshilfsstelle sofort nach der Mobilmachung
eine größere Anzahl von Küchen, in denen unentgeltlich eine
warme Tageskost verabfolgt wurde, in Betrieb gesetzt.
Im westfälischen Jndustriebezirk sah man, den dortigen Ver-
hältnissen entsprechend, von vornherein größere Schwierigkeiten
der Lebensmittelbeschaffung voraus. Vorräte waren nur für
höchstens drei Wochen vorhanden. Eine ausreichende Versorgung
durch den freien Handel war unsicher. Man mußte daher einen
Einkauf im großen organisieren. 14 Stadt- und Landkreise
schlossen sich unter Dortmunds Führung zu einer Einkaufs-
vereinigung zusammen. Für 71/2 Millionen Mark wurden
Waren gekauft, darunter 60 000 Ballen Reis für etwa 2 Millionen
Mark. Außerdem kaufte die Stadt Dortmund noch für eigene
Rechnung größere Mengen Lebensmittel. Der Einkauf sowohl
für den Bezirk als auch für die Stadt war hinsichtlich der Verwal-
tung und der kaufmännischen Erledigung an das statistische Amt
angegliedert, das wie in Hannover und auch anderorts für eine
fehlende wirtschaftliche Abteilung in der Stadtverwaltung in die
Bresche trat. Die Lagerung und Überweisung der Waren er-
folgte durch die städtische Hafenverwaltung.
Trotz dieser mehr oder weniger großen Ansätze zu einer
eigenen Lebensmittelbeschaffung in den betrachteten Städten
wurde zunächst nicht eigentlich an eine umfassende Lebensmittel-
versorgung seitens der Stadtverwaltungen gedacht. Es handelte
sich in der Hauptsache nur darum, sich für Notstandsfälle Vor-
ratsreserven zu verschaffen, die sich vor allem auf Ware erstreckten,
nach denen infolge der Absperrung vom Auslande.die Nachfrage
besonders groß sein mußte und die sich gut einlagern ließen, wie
Reis, Hülsenfrüchte, Dauerware, Speck usw. Im übrigen glaubte
man aber, daß der freie Handel imstande sein würde, die regel-
mäßige Versorgung zu bewerkstelligen. Zudem dachte man nicht
an die lange Dauer des Krieges. Die ersten Siege waren er-
rungen. Man sah, wie das Wirtschaftsleben in Deutschland in un-
erwartet geregelter Weise seinen Verlauf nahm. Möglichst wenig
in das feine Räderwerk des Handels einzugreifen galt als Gebot
der Vernunft.
Nur in den Festungsstädten kam es unter dem Druck der
besonderen Verhältnisse von vornherein zu einer stärkeren öffent-
lichen Betätigung. Sie hatten die Aufgabe, sich für den Be-
Iagmmg§faH einzudecken, wollten sie der Gefahr, daß ihre Zivil-
bevölkerung ausgewiesen, würde, aus dem Wege gehen.
G
In Posen, das sich für fünf Monate mit Lebensmitteln
versorgen mußte, bewilligten die städtischen Kollegien dem
Magistrat einen Blankokredit zur Beschaffung von Lebens-
und Futtermitteln. In großem Stile wurden Waren aller
Art eingekauft. Eine bedeutende Hilfe lag darin, daß
der Gouverneur alle Ausländern gehörenden Lebensmittel,
die in Posen oder in der Nähe auf der Bahn lagen, zu
gunsten der Stadt beschlagnahmen ließ. Sehr zu statten kam der
Stadt ihre an Überschüssen landwirtschaftlicher Erzeugnisse reiche
Umgebung. Die Anlage eines städtischen Kartoffellagers er-
übrigte sich, weil der zwei Landkreise umfassende Festungsbereich
den Kartoffelbedarf zu Lecken vermochte. Auch mit der Ein-
stellung von lebendem Vieh brauchte sich die Stadt nicht zu be-
lasten. Man sagte sich, daß im Falle der Russengefahr die
Landwirte von selber ihr Vieh in die Festung treiben würden.
Statt daher Vieh zu kaufen, schloß man für den Bedarfsfall mit
Viehhaltern der Umgegend Anstellungsverträge, sicherte sich auf
diese Weise, ohne daß der Stadt dadurch Unkosten entstanden,
eine Menge von 6000 Stück Vieh und begnügte sich int
übrigen damit, Futter, Heu und Stroh einzukaufen und ein-
zulagern und Stallungen anzulegen.
Die Festung Straß bürg befand sich nicht in der gleichen
günstigen Lage. Hier erfolgte gleich nach Kriegsbeginn eine
Organisation der Nahrungsmittelwirtschaft, wie sie sich dann
später, als ganz Deutschlands Lebensmittelversorgung in eine
Zwangslage geriet, auch in anderen Städten entwickelt hat.
Bereits am 28. Juli 1914 hatte der Bürgermeister von
Stratzburg zum Einkauf von Lebensmitteln für die Zivil-
bevölkerung Auftrag gegeben, um 100 000 Menschen für 180 Tage
mit Lebensmitteln zu versorgen. Insbesondere sollten Mehl,
Hülsenfrüchte, Reis, Fett und Öl und Eier beschafft werden.
Tatsächlich konnten noch beträchtliche Mengen, z. T. aus dem
Auslande, beigebracht werden. Am Tage der Mobilmachung
wurde eine örtliche Ausfuhrsperre verfügt, was bei der Eigenschaft
Straßburgs als Festung und bei seiner Oktroi-Einrichtung ohne
weiteres durchführbar war. Diese Maßnahme hatte nicht nur den
Zweck, das Abströmen in privater Hand befindlicher Vorräte zu
verhindern, sondern auch die Möglichkeit zu gewinnen, solche
Waren für die Stadt zu erwerben. Natürlich war damit noch nicht
genug getan. Die Stadt mußte auch auf eine fortlaufende Lebens-
mittelzufuhr bedacht sein. Der Gedanke lag nahe, die Groß-
händler für die Zwecke der Stadt zu einer Art Einkaufsgesell-
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schaft zusamwenzuWießen und ihr den städtischen Einkauf zu
übertragen. Die Ausführung dieser Absicht wurde sofort in An-
griff genommen. Freilich stellten sich dem seitens der Handels-
welt Schwierigkeiten entgegen. Die Preise waren gestiegen. Die
Kaufleute, mit einem kurzen Kriege rechnend, fürchteten das
„Friedensrisiko", d. >h. die Gefahr, mit ihren zu teuer erworbenen
Waren im Friedenssalle sitzen zu bleiben. Zwar waren in Straßburg
schon am 3. August zum Schutze der Verbraucher Kleinhandels-
höchstpreise festgesetzt worden, die unter Umständen auch eine ge-
wisse Sicherheit gegen einen plötzlichen Preisfall gaben, doch
bedangen sich die Großhändler außerdem eine Bürgschaft gegen
das Friedensrisiko aus, die ihnen vom Ministerium auch gewährt
wurde.
Gleichwohl ist aber diese im August 1914 zusammengeschlossene
Genossenschaft nicht zu einer praktischen Tätigkeit gekommen.
Auch in diesem Falle zeigte es sich, daß dem Handelsstande für die
Genossenschaftsbildung das genügende Solidaritätsgefühl abgehen -
muß. Die einzelnen Genossenschafter erkannten sehr bald, daß
es sehr viel einträglicher war, auf eigene Hand Geschäfte zu
machen, als für die Genossenschaft zu kaufen. So sah sich denn
die Stadtverwaltung genötigt, für ihren Wareneinkauf eine
G. m. b. H. zu gründen, bestehend aus einer Straßburger Groß-
firma, der Stadtverwaltung Straßburg und dem Bezirk Unter-
Elsaß, die „Gesellschaft für Volksernährung m. b. H. Straßburg^.
Die Gründung erfolgte bereits im November 1914, ihre Tätigkeit
nahm die Gesellschaft irrt Januar 1915 auf. Sie beschaffte die
für die Ergänzung und Erneuerung der Bestände nötigen so-
genannten Spezereiwaren (Hülsenfrüchte, Reis, Kaffee, Tee usw.)..
Da die Gesellschaft eine Übersicht über die Marktlage hatte,
konnte sie vom der Stadtverwaltung auch für die Preisüberwachung
des freien Handels nutzbar gemacht werden. Die von der Gesell-
schaft eingekauften Waren wurden an die Kleinhändler zum
Weiterverkäufe abgegeben, unter Bindung der Händler an be-
stimmte Preise und andere Verkaufsbedingungen.
Bedeutete die Gesellschaft für Volksernährung m. b. H.
Straßburg eine Abkehr von der herkömmlichen Versorgung durch
den freien Handel, so war das vielleicht, in noch höherem Maße
bei der „Gemeinnützigen Gesellschaft zur Beschaffung von Mühlen-
produkten" (G. G.) der Fall, deren Gründung schon einige
Wochen früher erfolgte. Die Anregung dazu war ebenfalls schon
im August 1914 vom Bürgermeister Schwander gegeben worden.
M
Man mußte damit rechnen, daß im Elsaß eine Mehlknappheit ent-
stehen würde, und um dieser Gefahr entgegenzuwirken, sollte es
Aufgabe der Gesellschaft sein, Getreide einzukaufen, einzulagern
und gegebenenfalls an die Bedarfsgemeinden zu verteilen. Be-
teiligt am Stammkapital waren die drei Städte Straßburg,
Colmar, Mülhausen, die beiden Bezirke Ober- und Unter-Elsaß
sowie zwei Großmüller. Gewählt wurde die Form einer
G. m. b. H. auf gemeinnütziger Grundlage mit der Beschränkung
auf eine 4 prozentige Verzinsung des Stammkapitals, d. h. es
wurde eine Form gefunden, wie sie bei zahlreichen später ge-
gründeten deutschen Kriegsgesellschaften ähnlich wiederkehren
sollte. Aber nicht das ist so bemerkenswert und für die Festungs-
stadt Straßburg so kennzeichnend, als daß diese Gründung s o
früh erfolgte. Schon im Januar 1915 war die Gesellschaft in
der Lage, bereits entstandene örtliche Nöte zu beseitigen. Als
dann Ende Januar 1915 die Regelung des Verkehrs mit Brot-
getreide und Mehl von Reichs wegen erfolgte, besaßen die in der
G. G. zusammengeschlossenen Kommunalverbände bereits das
Werkzeug zur Ausführung der übertragenen Verpflichtungen. Der
Aufgabenkreis der G. G. hat sich dann ständig erweitert. Sie ist
unter anderem auch mit dem Einkauf der Kartoffeln nebst Kohl-
rüben beauftragt worden. Sie nimmt die Aufgaben der Ge-
schäftsstelle der Reichsgerstengesellschaft und der Reichshülsen-
fruchtstelle wahr.
Wir wollen es an dieser Stelle damit zunächst genug sein
lassen. Wir werden im Verlaufe der weiteren Darstellung er-
kennen, wie die Stadt nach und nach weitere wichtige Zweige der
Nahrungsmittelversorgung in die öffentliche Bewirtschaftung ge-
nommen, ja, wie sie, noch weitergehend, zum Teil auch die Er-
zeugung in ihren unmittelbaren Wirkungskreis gezogen hat. Es
handelt sich um die Organisation einer Festungsstadt, die nahe
hinter der Front liegt und deren Versorgung ein so hohes Maß
von Verantwortung in sich schließt, daß die Nahrungsmittelwirt-
schaft unmöglich dem guten Willen der Privatwirtschaft über-
lassen bleiben kann. Es kommt hinzu, daß Straßburgs Lebens-
mittelmarkt auch von Haus aus nicht sehr begünstigt ist. Die
Neigung zu einer öffentlichen Regelung war auf gewissen Ge-
bieten schon im Frieden vorhanden. So reichen z. B. die ersten
Erwägungen zur Einführung einer kommunalen Milchbewirt-
schaftung, die dann im Kriege ausgeführt werden sollte, wie auch
die Anfänge kominunaler Eingriffe auf dem Gebiete der Fleisch-
versorgung in frühere Zeiten zurück.
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Die Stadt U I in ist in dieser Richtung vielleicht noch weiter-
gegangen. Freilich nicht, weil sie unter dem gleichen Zwange der
Verhältnisse gestanden hätte. Zwar ist sie ebenfalls eine Festungs-
stadt, aber doch ohne daß sich daraus für die Ernährungswirt-
schaft irgendwelcherZwang ergäbe. Zudem hat es nur die verhältnis-
mäßig kleine Zivilbevölkerung von 50 000 Personen zu versorgen
und liegt in einem reichen landwirtschaftlichen Erzeugungsgebiet.
Mm hat von jeher als eine nahrhafte Stadt gegolten.
Wenn die Stadt Ulm eine verhältnismäßig starke Eigen-
wirtschaft und Versorgung auf Grund langfristiger Lieferungs-
verträge schon vor dem Kriege ausgebildet hatte, die ihr dann im
Kriege zugute kam, so hängt das mit den dafür besonders
günstigen Wirtschaftsbedingungen und mit dem ganzen Geiste
ihrer Kommunalpolitik zusammen. Wir haben es hier mit einem
Gemeinwesen zu tun, das, von kommunal-sozialem Geiste durch-
tränkt, den Kreis öffentlich-rechtlicher Betätigung möglichst weit
zu spannen sucht. Wie es zum Nutzen seiner Bürger eine vor-
bildliche Bodenpolitik und gemeinnützigen Wohnungsbau treibt,
hat es auch schon früh einen Einfluß auf die Nahrungsmittel-
versorgung zu gewinnen gesucht, um dort, wo der freie Handel
in dieser Hinsicht versagte, preisregelnd zu wirken. Auf dem
so vorbereiteten Boden ließ sich die Kriegsernährungswirtschaft
unschwer und ohne besondere Störungen ausführen. Es bedurfte
kaum einer besonderen Verwaltungseinrichtung. Die Organe
waren schon da und die Bevölkerung genügend geschult, um sich
ohne Staunen den neuen Anforderungen anzupassen.
Io) Die weitere Entwicklung
Die andern Städte wurden eigentlich erst mit der Einführung
der öffentlichen Brotgetreidebewirtschaftung vor die erste große
organisatorische Aufgabe gestellt.
Freilich lag bei der Bewirtschaftung des Mehles, wie sie die
Verordnung des Bundesrats vom 25. Januar für die Kommunal-
verbände zur Folge hatte, die Hauptaufgabe in der Schaffung
einer Verteilungsorganisation. Wurde doch die Beschaffung des
Mehles, von' der Kriegsgetreidegesellschaft (K. G.) verbürgt,
sobald diese in den neuen Aufgabenkreis hineingewachsen war.
Aber überall wurden die Stadtverwaltungen jetzt zum erstenmal
gezwungen, einen Hauptzweig der Nahrungsmittelversorgung in
ihren Verwaltungsbereich zu ziehen und dafür einen eigenen
Apparat zu schaffen. Fast die gesamte spätere Organisation lehnt
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sich daran an. Die Mehlstellen sind gewöhnlich die Keimzellen
gewesen, aus denen die städtischen Lebensmittelämter erwuchsen.
Fast allerorts wurde aber sofort empfunden, daß die einzelne
Stadt kein geeignetes Organ für eine auf den Stadtbezirk be-
schränkte Mehlwirtschaft sei: der Wirkungskreis war zu klein.
Feste Fäden verbanden die Städte in dieser Hinsicht gewöhnlich
mit der Umgebung.
Bezeichnend dafür ist die Entwicklung, wie sie sich in
Dresden vollzog.
Sofort zeigte es sich, daß die Absperrung der Stadt Dresden
von den benachbarten Landkreisen unhaltbare Zustände zur Folge
hatte. Die Bäckereien, die die Stadt mit Schwarzbrot zu ver-
sorgen pflegten, lagen meistens in den Vororten. Dadurch, daß die
Stadt von der Mehlbelieferung durch die K. G. abhängig wurde,
verteuerte sich das Mehl. Die gesamte bisherige Ordnung der
Erzeugung und Preisbildung des Brotes wurde erschüttert.
Diese Sachlage ließ bei der Stadtverwaltung den Plan
reifen, die Stadt mit den benachbarten Kreisen zu einem gemein-
samen Kommunalverbande für die Brotversorgung zusammen-
zuschließen. Das geschah zunächst mit drei Kreisen. Bei der
K. G. wurde die Berechtigung zur Selbstwirtschaft erlangt, ein
einheitliches Brotmarkenwesen eingerichtet und die Kontingentie-
rung der Mühlen und die Beschlagnahme des Getreides für den
Gesamtbezirk durchgeführt. Da aber immer noch ein Mehlzuschuß
der K. G. nötig blieb, der im Preise höher stand als das selbst-
gewonnene Mehl, so wurde der Versorgungsverband auf zwei
weitere Kreise ausgedehnt, so daß er nunmehr zum Überschuß-
verbände wurde. Stadt und Land waren mit dieser Regelung zu-
frieden. Daß dabei nicht nur die Stadt der empfangende Teil
war, beweist die Tatsache, daß im Sommer 1916 auf seinen
dringenden Wunsch hin noch ein weiterer ländlicher Kreis in diesen
Kommunalverband Mittelsachsens aufgenommen wurde.
In dem Aufsatz von vr. Krüger ist die Nützlichkeit eines
solchen Zusammenschlusses von Stadt und Land zu einem gemein-
samen Dersorgungsverbande hell beleuchtet worden. Die Stadt
bekommt billigeres Brot und genießt andere Vorteile, die sich für
die Versorgung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen ver-
schiedener Art, insbesondere mit Milch und Butter ergeben. Die
Landkreise haben den Nutzem, daß ihre Mühlen besser, als es von
der Reichsgetreidestelle aus geschehen könnte, beschäftigt werden,
und daß sie für ihre Viehhaltung größere Mengen Kleie erhalten.
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Es wird daher nicht Wunder nehmen, daß wir andernorts eine
ähnliche Regelung finden. So wird von der schon erwähnten
Straßburger G. G. der für die Mehl- und Brotbeschaffung
sorgende Gesaintkommunalverband Elsaß bewirtschaftet.
In Hannover haben sich die drei Kreise Hannover-Stadt,
Hannover-Land nnd Springe am 15. September 1915, um die
Selbstwirtschaft zu ermöglichen, zum Versorgungsverbande Han-
nover-Springe zusammengeschlossen, dessen Hauptgetreidestelle als
ausführendes Organ sich beim Statistischen Amte der Stadt
Hannover befindet.
InLinden hat sich gleichzeitig und zu demselben Zweck die
Stadt mit dem Landkreise Linden zu einem Versorgungsverbande
vereinigt.
Die Stadt Posen hat im Herbst 1916 mit zwei Kreisen
einen Getreideversorgungsverband geschlossen, der besonders straff
organisiert wurde. Der Geschäftsleitung, die aus dem Statistiker
bei der Stadtverwaltung und einem Getreidekaufmann besteht, ist
es gelungen, mit Hilfe einer sinnvoll angewandten Statistik das
Getreide schon beim Erzeuger scharf zu erfassen. Auch hier finden
wir, wie bei Dresden, eine nachträgliche Erweiterung des Ver-
bandes auf zwei weitere große Landkreise.
Die Eigenart des Westfälischen Jndustriebezirkes bot für
Dortmund die Möglichkeit zum Übergang zur Selbstwirt-
schaft nicht. Wenn sich hier die Stadt- und Landkreise des
Regierungsbezirks Arnsberg zu einem Verbände zusammen-
schlossen und eine gemeinsame, von dem Dortmunder Magistrat
geführte Mehlverteilungsstelle einrichteten, geschah es lediglich,
um eine zweckmäßige Verteilung des Mehls innerhalb des Bezirkes
zu bewirken.
Der Umkreis der städtischen Nahrungsmittelwirtschaft er-
weiterte sich in dem Maße, wie die Gefahr eines langen Krieges
und die Folgen der von England durchgeführten Absperrung ein-
dringlicher wurden.
Der zu Anfang des Krieges begonnene Einkauf lagerfähiger
Waren, besonders solcher aus dem Auslande, wurde mit ver-
stärktem Eifer aufgenommen. Es begann die Zeit, wo die
Städte für ihre Bevölkerung möglichst große Mengen von Waren
an sich zu raffen suchten. Die Geschäfte nahmen bald einen solchen
Umfang an, daß die Stadtverwaltungen sie häufig nicht mehr aus-
reichend übersehen und genügend fachmännisch beurteilen zu
können glaubten. Zugleich empfand man auch den Wettbewerb,
12
den sich die Städte auf den Märkten machten, als nachteilig, da er
als Folge ein gegenseitiges Überbieten hatte.
So wurden denn vielerorts Einkaufsgesellschasten gegründet,
Gesellschaften mit beschränkter Haftung, deren Mitglieder sich aus
Vertretern der Stadtverwaltung und anderer angeschlossener
Kommunalverbände und des Großhandels zusammensetzten. Ihre
Aufgabe bestand in dem Abschluß der nötigen Einkäufe, die in
privatrechtlicher Form und in kaufmännischer Weise von ihnen
ausgeführt werden sollten. Die rein geschäftliche Leitung wurde
in die Hand von Kaufleuten gelegt, doch behielten sich die Kom-
munalverbände einen ausschlaggebenden Einfluß auf die Art
und den Umfang der Geschäfte vor. Die Grundlage war eine
gemeinnützige: aus dem Gewinn wurde nur eine bescheidene Ver-
zinsung des Stammkapitals gewährleistet, im übrigen sollten
Überschüsse keineswegs erstrebt und im Falle ihrer Erwirtschaf-
tung zu gemeinnützigen Zwecken verwendet werden.
Die so gefundene Form kann als eine glückliche bezeichnet wer-
den. Sie befreit die kaufmännische Seite der Aufgabe von der
bürokratischen Fessel und wahrt zugleich die Interessen der die All-
gemeinheit vertretenden Kommunalverbände. Zugleich verbindet
sich damit der Vorteil, daß der für diese Aufgabe an erster Stelle
berufene geschulte Handel, statt lahmgelegt zu werden, dem
öffentlichen Dienste nutzbar gemacht wird. Indem die Gesell-
schaften ihren Geschäftskreis über die Stadt hinaus auf die
benachbarten Kommunalverbände, auf den Regierungsbezirk, ja
wohl auf die ganze Provinz ausdehnen, vermindern sie zugleich
die Zahl der Wettbewerber auf den Einkaufsmärkten des Jn-
und Auslandes.
In der Zielsetzung fast überall von den gleichen Grundsätzen
geleitet, ist die Organisationsform und die Zusammensetzung bei
allen Gesellschaften im einzelnen verschieden. Es würde zu weit
führen, näher darauf einzugehen.
Über die beiden Straßburger Einkaufsgesell-
schaften haben wir schon gesprochen.
Die von Dresden gegründete Einkaufsgesell-
schaft m. b. H. Ostsachsen schloß das halbe Königreich
Sachsen zu einem gemeinsamen Einkaufsverbande zusammen.
Die im Februar 1916 in Dortmund ins Leben gerufene
Westfälische Lebensmittelversorgungsgesell-
schaft m. b. H. vereinigte für ihre Geschäfte sämtliche Kommu-
nalverbände der Provinz. Beteiligt sind an ihr die Kommunal-
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verbände und der Großhandel der Provinz. Das Stammkapital
in der Höhe von 1 Million Mark wird von beiden Leiten je zur
Hälfte aufgebracht.
Im Anfang ihres Bestehens haben die Gesellschaften große
Mengen Ware im freien Handel gekauft. Infolge der Zentrali-
sierung der meisten Inlands- und Auslandswaren ist dazu die
Möglichkeit auf ein Geringes zusammengeschrumpft. Sie sind jetzt
in der Hauptsache zu einer Zuteilungsstelle für die vom Reiche
und vom Staate überwiesenen Waren geworden. Für die Be-
zirkseinkaufsgesellschaft Hannover, eine für den Regierungs-
bezirk Hannover ins Leben gerufenen G. m. b. H., gilt das aus-
fdlltefeltd); die >aus dem freien Handel noch zu beschaffenden
Waren werden dort, anknüpfend an die ursprüngliche Überliefe-
rung, unmittelbar von einem städtischen Einkaufsamt — in dem
übrigens ein erfahrener Kaufmann als sachverständiger Beirat
mitwirkt — ausgeführt. Daß hier in Hannover das Bedürfnis
zu einer Abwälzung des städtischen Einkaufs auf eine eigens dazu
gegründete Gesellschaft nicht bestand, mag damit zusammen-
hängen, daß die Lebensmittelversorgung von vornherein nicht
einem Ausschuß übertragen, sondern in die Hände eines Dezer-
nenten gelegt worden war, der, mit einem hohen Maß von Selbst-
ständigkeit ausgestattet, die für Geschäftsabschlüsse notwendige
Handlungs- und Entschlußfreiheit besaß.
Einen ähnlichen Vorgang sehen wir in Posen. Dort ist
ebenfalls neben dem unter städtischer Verwaltung arbeitenden Ein-
kauf eine Bezirkszentrale für den Regierungsbezirk Posen ge-
gründet worden. Die Leitung beider Stellen liegt in der Hand eines
der städtischen Dezernenten für die Lebensnüttelversorgung. Ein-
kaufsgesellschaften unter Beteiligung des freien Handels sind hier
nicht gegründet worden. Nach der ganzen Lage der dortigen
Verhältnisse wurde ein Bedürfnis dafür nicht empfunden. Nur
die Zuckerversorgung des Regierungsbezirks Posen ist einer unter
Aufsicht der Bezirkszentrale arbeitenden Gesellschaft von Zucker-
händlern übertragen worden.
Die Kartoffelversorgung hat sich zum größten
Sorgenkinde der städtischen Lebensmittelverwaltung ausge-
wachsen. War schon im Frieden die Kartoffel neben dem
Brote das Hauptnahrungsmittel, so hat sich im Kriege ihre Be-
deutung in dem Maße gesteigert, wie andere Waren knapper
wurden. Der Kartoffelverbrauch hat sich verdoppelt und
verdreifacht. Gegenden, die früher mit der eigenen Er-
zeugung oder derjenigen der nächsten Nachbarschaft ihren
11
Bedarf decken konnten, sind heute nicht selten zu- Bedarss-
bezirken geworden, die von weit her ihre Kartoffeln beziehen
müssen. Wurde schon dadurch die Kartoffelbewegung vor neue
Aufgaben gestellt, so mußten sich für einige Bedarfsgebiete, ins-
besondere die rheinisch-westfälischen, infolge der Absperrung des
Auslands die gewohnten Bezugswege verändern. -
Kein Wunder, daß diesen neuen Anforderungen gegenüber
der freie Handel versagen mußte. Trotz der guten und reichen
Ernten von 1914 -und 1915 trat zeitweise Mangel ein. Die öffent-
liche Bewirtschaftung wurde zu einer zwingenden Forderung.
Gleichwohl haben sich die städtischen Verwaltungen nur schwer
und zögernd dazu entschlossen. Das große Risiko, die Transport
und Aufbewahrung mit sich brachten, ließen die Kartoffeln für die
öffentliche Bewirtschaftung besonders ungeeignet erscheinen. Wenn
sich Stadtverwaltungen schon im ersten Kriegsjahre der Kartoffel-
beschaffung annahmen, so geschah es in der Hauptsache, um für
diejenigen Verbraucherkreise Vorräte zu haben, denen die Ver-
sorgung durch den freien Handel nicht möglich gewesen war. An
eine besondere Organisation zum Zwecke der Kartofselbeschaffung
wurde zunächst nicht gedacht. Nur in den Festungsstädten sah
man sich zu früherem Eingreifen veranlaßt.
In Straßburg war die Kartoffelbeschaffung schon ganz
zu Beginn der Versorgungstätigkeit (d. h. in den Mobilmachungs-
tagen 1914) eingehend beraten worden. Man kam aber damals
zu dem Entschluß, Kartoffeln zunächst in die Vorratswirtschaft
nicht aufzunehmen, weil es im Hochsommer keine Ware gab, die
sich auch nur kurze Zeit hätte aufbewahren lassen. Sobald dann
aber im Herbst 1914 haltbare Ware am Markte war, hat die
Stadt nach damaligem Begriff in ziemlich großem Umfange ein-
gekauft. Das geschah sowohl als Hilfsleistung für diejenigen Be-
völkeruugskreise, die damals schon unter sehr fühlbaren Preis-
steigerungen litten, als auch im Rahmen dtzr allgemeinen Vor-
ratspolitik. Im Frühjahr 1915 kaufte die Stadt, besorgt ge-
worden durch die damals auf dem Kartoffelmarkte eingetretene
Beunruhigung, mehrere hundert Waggons Kartoffeln ein. Leider
mußten dann diese Mengen wieder unter Preis abgestoßen
werden, weil die Zufuhr vom platten Lande sich sehr bald von
neuem belebte. Als im Herbst 1916 die aus Posen zugesagten
Zufuhren ausblieben, wurde mit dem Einkauf die von uns er-
wähnte „Gemeinnützige Gesellschaft" beauftragt, die seitdem das
Einkaufsorgan der Stadt auch für Kartoffeln verblieb. Doch
ging die Selbstversorgung seitens der Privathaushaltungen zu-
1.“
nächst unbehindert nebenher. Erst im Herbst 1916 sah man sich
dazu veranlaßt, den unmittelbaren Bezug auf solche Verbraucher
zu beschränken, die nachweislich verwandtschaftliche Beziehungen
zum Lande hatten. Kräftig unterstützt wurde die Kartoffel-
beschaffung der Stadt durch Zwangsrequisitionen, die das stell-
vertretende Generalkommando zweimal, im Frühjahr und im
Spätherbst 1916, zugunsten der Stadt anordnete.
Von Posen erwähnten wir schon, daß ein unmittelbarer
Grund zur Kartoffeleindeckung nach Kriegsausbruch nicht vorlag,
weil der Festungsbereich selber den Bedarf zu befriedigen ver-
mochte. AIs dann aber die Belagerungsgefahr nicht mehr drohte,
hat sich die Stadt sofort mit Kartoffeln eingedeckt, und zwar mit
120 000 Zentnern, die zu billigem Preise gekauft werden konnten.
Die Menge war groß genug, um anderen deutschen Städten davon
abgeben zu können, als im Frühjahr 1916 die Kartoffelpanik aus- m
brach. Die gute Ernte von 1915 ließ die Stadtverwaltung von
einem Einkauf in der Größe des vergangenen Jahres Abstand
nehmen. Die Bevölkerung konnte sich selber genügend versorgen.
Erst im Frühsommer 1916 äußerte sich eine Knappheit; mehrere
tausend Familien verlangten, von der Stadt beliefert zn werden.
Die Stadtverwaltung, die sich diesen plötzlichen Mangel nicht er-
klären konnte, wandte ein durchschlagend wirkendes Mittel an. Sie
erbat vom Gouverneur eine Beschlagnahme sämtlicher in den
Haushaltungen lagernder Kartoffelvorräte. Unter militärischer
Hilfe wurde, von Haus zu Haus gehend, Keller für Keller visitiert,
und die Vorräte wurden nachgewogen. Jedem Haushalt, der mehr
als seinen Bedarf hatte, wurde der überschießende Teil sofort abge-
nommen, wer weniger hatte, dem wurde ein Bezugsschein auf
städtische Kartoffeln ausgestellt. Das Ergebnis war verblüffend.
Zwar war die abgenommene Menge nicht sehr beträchtlich, doch
ergab sich, daß statt mehrerer tausend Haushaltungen, die vordein
Anspruch auf städtische Kartoffeln erhoben hatten, nur 300 nicht
genügend versorgt waren. Im Herbst 1916 hat man zunächst
wieder der Selbsteindeckung der Einwohner Spielraum gelassen.
Doch hörte die Zufuhr auf den Markt fast völlig auf, als der
Höchstpreis festgesetzt wurde, so daß die Stadt selbst einkaufen
mußte. Das gelang in so ausreichendem Maße, baß selbst wäh-
rend der Kartoffelnot des Januar und Februar die Bevölkerung
versorgt werden konnte.
Posen ist in seiner Kartoffelversorgung dadurch begünstigt,
daß es im reichsten Überschußgebiete Deutschlands liegt. Die an-
deren besuchten.Städte sind nicht in der gleichen glücklichen Lage.
Kn weit stärkerem Maße mußten sie daher die im Frieden übliche
Selbstversorgung der Einwohner durch eine seitens der Stadtver-
waltung organisierte Kartoffelbeschaffung ergänzen.
In D r e s d e n lag es nahe, daß der gemeinsame Versorgungs-
verband Mittelsachsen seine Geschäfte auch auf die Kartoffel-
beschaffung erstreckte, indem er Vorräte aufkaufte und auf die Ge-
nieinden des Gesamtbezirks verteilte. Doch war damit eine so
große Erschwerung der Geschäfte und eine so hohe finanzielle Ver-
lustgefahr verbunden, daß alsbald beschlossen wurde, die Kartoffel-
versorgung aus dem gemeinsamen Geschäftsbetriebe wieder aus-
zuschalten und den einzelnen Bezirken zu überlassen. Welche Ein-
richtung dann von der Stadt für die Kartoffelbeschaffung aus den
zugewiesenen Belieferungskreisen geschaffen worden ist, wird von
Dr. Krüger beschrieben.
Dortmund, das im ersten Kriegsjahre die Kartoffelbe-
schaffung in der Hauptsache dem freien Handel überlassen hatte,
schloß für die Winterversorgung 1915/16 die Kartoffelgroßhändler
zusammen mit der Stadt zu einer Gesellschaft zusammen, die im
Aufträge der Stadt die Kartoffeln besorgte und auch die Beschaf-
fung der Frühkartoffeln im Sommer 1916 übernahm. Seit der
Neuorganisation im Herbst 1916 bezieht die Stadt die Kartoffeln
selber und läßt nur die Verteilung durch den Handel besorgen.
In Hannover machte die Kartoffelversorgung im ersten
Kriegsjahre keine Schwierigkeiten. Die Einwohner beschafften
sich die Wintervorräte durch den freien Handel. Wenn die Stadt
außerdem auch auf eigene Rechnung kaufte, geschah es lediglich zur
Versorgung der Stadtkiichen und um für die Minderbemittelten
einen Vorrat für den Kleinverkauf zu haben. Bei Erlaß der Ver-
ordniing vom 9. Oktober 1915 hatte sich der größte Teil bereits
durch unmittelbaren Beziig vom Landwirt oder durch den Handel
eingedeckt. Fiir den Restbedarf wurden der Stadt die Kartoffeln
zunächst aus Posen, dann auf ihr Drängen ails der eigenen Pro-
vinz zugewiesen. Als im Versorgungsjahre 1916/17 der Stadtver-
waltung die Versorgung der gesamten Bevölkerung auferlegt
wurde, gründete sie, um die erwarteten großen Mengen git bewäl-
tigen, zum 1. Oktober 1916 die „Stadt-Hannoversche Kartoffel-
versorgungs-Gesellschaft m. b. H.", in der die Hauptkommissionäre
und Großhändler zusammengefaßt wurden.. Durch, sie wurde im
Aufträge des Magistrats die Wintereindeckung bewirkt, doch
wurde, da die Stadt in ihrem Bezüge auf Überschußkreise der Pro-
vinz verwiesen worden war, eine wahlfreie Selbstversorgung der
Einwohner dadurch ermöglicht, daß Bezugsscheine zur unmittel'
17
baren Versorgung beim Erzeuger ausgegeben wurden. Damit
wurde erreicht, daß neben dem Großbezug durch die Stadt die
früher übliche Selbstversorgung der Einwohner zur Achse und im
Stückgutverkehr nicht aufgehoben wurde. Wenn trotz alledem eine
völlig ausreichende Kartoffelversorgung auch in Hannover nicht
erreicht werden konnte, so lag es an der besonderen Ungunst der
Ernte- und Transportverhältnisse.
Die Stadt Ulm hat das Problem der Kartoffelversorgung'
durch die eigene, städtischerseits betriebene Erzeugung zu lösen
gesucht und eigene Felder angelegt. Da aber diese nicht ausreich-
ten, so ist für 1917 in Aussicht genommen, 800 bis 1000 Morgen
zu bestellen, um die Stadt von der auswärtigen Zufuhr unab-
hängig zu machen.
Der Anregung der Reichskartoffelstelle, zur Streckung der
knappen Kartoffelvorräte der Ernte von 1916 Kohlrüben zu
beschaffen, sind die Gemeinden aufs regste nachgekommen. Zum
Teil hatten sie schon vorher Einkäufe gemacht und dafür höhere
Preise angelegt, als es den dann festgesetzten Höchstpreisen entsprach.
Die Folge war, daß nicht selten beträchtliche Zubußen seitens der
Stadtverwaltungen bezahlt werden mußten. Um der Verderbgefahr
der Kohlrüben zu begegnen, haben die Gemeinden einen Teil ihrer
Vorräte durch Dörren konserviert. Die Stadt Dortmund hat
zu diesem Zwecke eine Anlage gekauft und durch Ausbau zu hoher
Leistungsfähigkeit gebracht. Auch die Stadt Posen hat sich eine
eigene, wenn auch sehr viel kleinere Dörranlage eingerichtet, auf
der sie mit Erfolg nicht nur Kohlrüben, sondern auch andere
Gemüse verarbeitet.
Die Belieferung von O b st und 'Gemüse vollzog sich in
der ersten Kriegszeit fast ohne erhebliche Stockungen aus den ge-
wöhnlichen Quellen der Friedenswirtschaft. Auch heute noch wer-
den die Wochenmärkte im allgemeinen in den besuchten Gemeinden
von den Landwirten und Gärtnern der Nachbarschaft beschickt.
Städtischerseits werden lediglich Zukäufe aus dem freien Verkehr
Md neuerdings von der Reichsstelle für Gemüse und Obst gemacht.
Diese Zukäufe haben nicht nur eine bessere Versorgung der Ein-
wohnerschaft mit diesen mehr denn je begehrten Nahrungsmitteln
ermöglicht, sie geben auch den Stadtverwaltungen eine Handhabe,
ausgleichend auf die Preisbildung zu wirken und eintretende
Stockungen zu beseitigen. Die Stadt Posen, die, als
im Überschußgebiete liegend, von der Reichsstelle nicht beliefert
wird, hat sich durch den Abschluß von Lieferungsverträgen
18
die Gemüsezufuhr gesichert. Sie hat im Frühjahr 1916
eine Anzahl gröberer und kleinerer Landwirte veranlaßt, für die
Stadt Gemüse anzubauen, ihnen aus der städtischen Gasanstalt
schwefelsaures Ammoniak zur Verfügung gestellt, auch, soweit er-
forderlich, Sämereien geliefert und von vornherein -die gesamte
Gemüseernte angekauft.
Das Fleisch ist für die Städte mehr ein Verteilungs- als
ein Beschaffungsproblem. Schlachtvieh war bis Ausgang 1916
in ausreichender Menge zu haben. Wenn Straßburg schon im
Sommer 1914 im Auslande, aber auch im Jnlande Vieh und
Fleisch und Speck in möglichst großen Mengen einzukaufen suchte, so
geschah es zur Deckung des Bedarfs im Belagerungsfalle, und wenn
sich Dortmund im ersten Kriegswinter ausländischen Speck,
Bllchsenfleisch und Salzfleisch beschaffte und einlagerte, so entsprach
das der von den Städten allgemein befolgten Vorratswirtschaft.
Durch die bekannte Verordnung vom 25. Januar 1915 „über die
Sicherstellung von Fleischvorräten" wurde den Städten und Land-
gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern aufgegeben, einen
Vorrat an Dauerwaren zu beschaffen. Die Absicht war, durch be-
schleunigte Abschlachtung von Schweinen die vermeintlich knappen
Kartoffelvorräte der menschlichen Ernährung zu sichern. Die
Möglichkeit, diese Verordnung in größerem Maßstabe auszufüh-
ren, war bei den Städten nicht überall die gleiche. Sie war ab-
hängig von dem Maße der zu angemessenem Preise erhältlichen
Schlachtviehmengen. Der Stadt Posen gelang es bei dieser Ge-
legenheit, sich auf lange Zeit mit Dauerwaren zu versehen.
Hannover hat seit, dem Sommer 1916 besondere Liefe-
rungsverträge (Mästungsverträge) mit landwirtschaftlichen Ge-
nossenschaften abgeschlossen, Schweine und einiges Rindvieh in
eigener Verwaltung geschlachtet und in eigenen Verkaufsständen
der Markthalle verkauft. Hierbei handelte es sich jedoch mehr um
eine Hilfsaktion zwecks Beeinflussung der Preisbildung des freien
Verkehrs als um die Absicht, die Fleischversorgung im ganzen
zu regeln. (Immerhin ist diese Art des Vorgehens, das darauf
hinausläuft, übertriebene Preisforderungen des freien Handels
mit seinen eigenen Waffen, nämlich durch den Wettbewerb der
öffentlichen Hand zu bekämpfen, für die ganze Art der hannover-
schen Lebensmittelpolitik bezeichnend.)
Seit dem Frühjahr 1916, als die Schlachtviehknappheit be-
drohliche -Formen annahm, haben bekanntlich die Viehhandels-
verbände die Viehbelieferung der Kommunalverbände über-
10
nommen, so daß in dieser Hinsicht die Initiative der Stadtverwal-
tungen ausgeschaltet war. Immerhin kam es den Städten bei der
notwendig bescheidenen und in der ersten Zeit vielfach auch recht
unregelmäßigen Belieferung durch die Viehhandelsverbände sehr
zu statten, wenn sie sich durch Mästungsverträge oder durch eigene
Mästereien den Zutrieb von fetten Schweinen gesichert hatten.
Das haben in mehr oder weniger großem Maßstabe alle besuchten
Städte getan. Die Verwertung der Küchenabfälle drängt die
Städte ja geradezu zur Schweinemast. Straßburg hat seit
Oktober 1916 mit einer solchen Anlage im großen begonnen und
beabsichtigt, nach Fertigstellung der im Bau begriffenen Ställe
auch zur eigenen Aufzucht überzugehen. Vorläufig sind die Dinge
aber auch hier noch im Werden. Posen hat eine Anlage ge-
schaffen, die Beachtung verdient. Es hat eine Schweinemastanstalt
eingerichtet, in der die Stadt solche Schweine auf ein höheres Ge-
wicht mästet, die ihr als zu leicht angeliefert werden. Der damit ver-
bundene allgemein volkswirtschaftliche Nutzen ist unverkennbar,
aber auch die Stadt hat den Vorteil, daß sie auf diese Art ihrer
Bevölkerung eine höhere Menge Fleisch und Fett erwirtschaftet.
Freilich bedarf eine solche Einrichtung sorgfältigster Aufsicht und
Beobachtung, da die Seuchengefahr bei diesen aus den verschieden-
sten Orten zusammengetriebenen Tieren groß ist. Posen ist es
bisher gelungen, dem mit Erfolg entgegenzuwirken.
Am weitesten ist bekanntlich die Stadt Ulm gegangen.
Schon im Frieden, im Dezember 1911, hatte die Stadtver-
waltung mit der Genossenschaft für rationelle Schweinezucht im
Amtsbezirk Neu-Ulm einen langfristigen Lieferungsvertrag ge-
schlossen. Die Stadt stellte der Genossenschaft den zur Errichtung
von 3 bis 5 Maststationen nötigen Grund und Boden kostenlos
bereit und sagte die Verzinsung der entstehenden Baukosten auf
die Stauer des Vertrages zu. In jeder Maststation sollten 200 bis
300 Schweine eingestellt werden. Zur Bestreitung der Futter-
kosten für diese Schweine räumte die Stadt der- Genossenschaft
einen ständigen unverzinslichen Kredit von 60 Mark für das ein-
gestellte Schwein ein. Die Stadt verpflichtete sich, die Mastschweine
in einem Gewichte von etwa 220 Pfund zu einem festen Preise
(60 Mark für den Zentner Lebendgewicht)mbzunehmen. Auf diese
Weise hoffte man, gegenüber den lästigen, nicht selten willkürlichen
Schwankungen der Schweinepreise ein Mittel in die Hand zu be-
kommen, regelnd auf die Preise zu wirken. Auch die Genossenschaft
ging gern auf den Vertrag ein, da ihr mehr an festen als an bald
hohen, bald niedrigen Preisen lag, die ihr Unternehmen störend be-
2*
einflussen mußten. Der Vertrag hat sich im Frieden bestens bewährt.
Die Stadt bekam nicht nur in der Güte ausgezeichnete Schweine
geliefert, sondern in der Zeit der hohen Schweinepreise auch zu
einem billigen, 30 bis 60 Prozent unter der Marktforderung
stehenden Preise. AIs der Krieg kam, der Teuerung der Futter-
mittel mit sich brachte, wurde es fraglich, ob die Genossenschaft
den Vertrag würde einhalten können. Die Stadtverwaltung war
weitsichtig genug, nicht auf ihrem Pakt zu bestehen, und ge-
währte der Genossenschaft zum Ausgleich der Mehrkosten einen
Zuschuß, der dem Unterschiede zwischen den Futtermittelkosten des
Friedens- und des Kriegsstandes entsprach. Gleichwohl war die
Belieferung billiger, als es der Handel vermocht hätte. -Sehr
viel wichtiger als die Preisfrage war aber die Sicherstellung
der Stadt mit der Belieferung von Schweinefleisch. Die Stadt
Ulm hat seit Kriegsbeginn bis Ende Dezember 1916 nahezu 6000
schwere Schweine von der Genossenschaft geliefert bekommen, das
sind wöchentlich 46—50 Schweine. Was eine solche Wochenliefe-
rung für eine Mittelstadt wie Ulm bedeutet, wird jeder ermessen
können, der weiß, mit wie wenigen Schweinen die Großstädte sich
seit Beginn des Jahres 1916 begnügen müssen.
Erwähnung verdient, daß Posen mit Erfolg Lieferungs-
verträge auf den Bezug von Wild geschlossen hat. Es sind so
große Mengen beigebracht worden, daß die städtische Fleischver-
sorgung dadurch eine fühlbare Erleichterung erfahren hat.
Die Versorgung mit Butter, Fett, Margarine und
Hl ist für die Städte, seitdem die Zuweisungen schlllsselmäßig
nach Anweisung der Reichsstellen erfolgen, fast ausschließlich zu
einer Frage der Verteilung geworden. Wir können sie daher in
diesem Zusammenhange übergehen.
Mehr Veranlassung zu städtischer Eigenwirtschaft gab
dagegen die Milchbeschaffung.
Auch hier zeigt es sich, wie Städte mit einer reichen landwirt-
schaftlichen Umgebung vor anderen sehr begünstigt sind. Freilich
ist auch dort die Milchanlieferung auf einen Bruchteil des Fric-
densstandes zurückgegangen, aber immerhin hat eine Stadt wie
Hannover selbst im Monat Dezember 1916 einen beträcht-
lichen Teil Milch mehr bekommen, als ihr nach der Bemessung der
Reichsfettstelle zustand. Zum gemeinsamen Bezug haben sich fünf
Kreise der Nachbarschaft mit der Stadt zu einem Milch- und Fett-
verbande vereinigt. Es hat also ein Zusammenschluß von städti-
21
fcfyeu Verbrauchsbezirken und ländlichen Erzeugungsgebieten statt-
gefunden, wie wir ihn ähnlich bei den Mehlselbstwirtschaftsver-
bänden kennen gelernt haben.
In Dortmund war die Milchbelieferung ganz dem freien
Handel überlassen geblieben. Aber schon im Oktober 1914 sank
die gelieferte Tagesmenge, die in normalen Zeiten 65 000 bis
70 000 Liter betragen hatte, auf etwa 52 000 Liter, bis Juli 1915
weiter auf etwa 46 000 Liter, bis Dezember 1915 auf etwa 38 000
Liter, und nach kurzem Wiederanstieg im Sommer 1916 betrug
sie im Dezember 1916 nur noch 23 000 Liter. Da die Bedarfs-
menge nach den Sätzen der Reichsfettstelle 34 000 Liter ist, so
konnten selbst den Vollmilchberechtigten nur etwa % der ihnen
zustehenden Milch verabreicht werden, ein Zustand, der für eine
so kinderreiche Stadt wie Dortmund auf das schwerste empfunden
werden mußte.
Es war daher erklärlich, daß die Stadtverwaltung darauf
sann, auf die Milchversorgung unmittelbar Einfluß zu gewinnen.
Zunächst, und zwar schon im Herbst 1915, suchte sie durch Be-
teiligung an Molkereien innerhalb der Stadt auf die Versorgung
Einfluß zu gewinnen. Im Sommer 1916 ging sie dann noch
einen Schritt weiter und kaufte selber Milchvieh, das zum Teil in
eigenen Ställen, zum Teil bei Landwirten untergebracht wurde.
Da bisher seitens der Stadt nur 450 Milchkühe aufgestellt sind,
so ist die in eigener Wirtschaft gewonnene Milchmenge im Ver-
hältnis zum Bedarf allerdings nicht groß. Die zurzeit hohen'
Milchpreise und Futtermittelpreise lassen es jedoch nicht angezeigt
erscheinen, diese Sache im größeren Maßstabe zu betreiben.
Andere Städte sind zur Eigenproduktion und zur Beschaffung
auf Grund von Lieferungsverträgen übergegangen, so auch Posen,
Ulm und Straßburg.
Posen besaß schon im Frieden eine sogenannte städtische
„Milchkllche", in der auf Grund von Lieferungsverträgen gelieferte
Milch behandelt und an die Verbraucher abgegeben wurde. Das
Streben ging dahin, einen immer größeren Teil der Milchbeliefe-
rung in die Hand zu bekommen. Heute umfaßt sie ein Drittel bis
ein Viertel der in der Stadt verbrauchten Gesamtmenge. Der
übrige Teil befindet sich noch in der Hand des Handels; doch wird
auch er neuerdings erfaßt und einer planmäßigen Verteilung zu-
geführt. Die Milchversorgung Posens ist keineswegs so reichlich,
wie man sich vielleicht nach seiner Lage vorstellen könnte.. Man darf
nicht vergessen — auch bei der Belieferung mit Gemüse tritt das,
wie wir schon sahen, hervor —, daß die bäuerlichen und kleinbäuer-
22
lichen Wirte, die auch die Hauptträger der Viehhaltung sind, in der
Umgegend Posens sehr viel weniger zahlreich vertreten sind, als
das bei den mittest und westdeutschen Städten der Fall ist. Die
Gesamtbelieferungsmenge betrug letzthin 20 000 Liter für den
Tag, eine Menge, die für eine Stadt von 164 000 Einwohnern
durchaus bescheiden ist und eben hinreichte, die Kinder bis zum
sechsten Lebensjahre zu versorgen.
Die Stadt Ulm hat ebenfalls mit Molkereien benachbarter
Gemeinden Verträge zur Milchlieferung abgeschlossen. Außerdem
betreibt sie eigene Milchviehhaltung, die, wenn auch nicht sehr um-
fangreich, so doch nach Vollendung der geplanten Erweiterungen
immerhin groß genug ist, um auf die Versorgung und Preisbildung
einen Einfluß auszuüben.
Die Straßburger Milchwirtschaft hat schon eine
gewisse Berühmtheit erlangt. Hier ist die Zentralisierung des
gesamten Milchverbrauchs in städtischer Hand durchgeführt, aber
was noch wichtiger ist, auch die Erzeugung ist in beträchtlichem
Maße erfaßt worden. Eine Unterelsässische Milchversorgungs-
G. m. b. H. ist gegründet worden, um die gesamte im Unterelsaß
über den eigenen Bedarf der Viehhalter hinaus verfügbare Milch
den Bedarfsgemeinden zuzuführen. Jede Gemeinde ist nach
Maßgabe ihres Milchkuhbestandes zur Lieferung einer bestimmten
Mindestmenge veranlagt. In den für die Belieferung Straßburgs
zugewiesenen Gemeinden hat die Stadtverwaltung je einen Ver-
trauensmann bestellt, der die Milch sammelt und den Versand
besorgt. Die. in die Stadt kommende Milch geht sämtlich *) in
die städtische Milchzentrale. Dort wird sie behandelt und für die
Weitergabe an die mit der Unterverteilung an die Verbraucher
beauftragten Milchstellen vorbereitet. Daneben besitzt die Stadt-
verwaltung noch eigene Kühe, zurzeit etwa 1200 Stück, wovon
600 bei Bauern eingestellt sind, während der Rest sich in städtischen
Stallungen befindet. Mit dieser Milch wird vor allem das Be-
dürfnis nach hochwertiger Kindermilch befriedigt. Je länger sich
die Straßburger Milchwirtschaft einlebt, um so besser bewährt sie
sich, sowohl was die Menge als die Güte ihrer Erzeugung
betrifft. Straßburg gehört zu den wenigen beneidenswerten
Gemeinden, deren Milchbelieferung sich letzthin gesteigert, statt ab-
genommen hat. Betrug im April 1916 die tägliche Milchmenge nur
29 000 Liter, so ist sie im Januar 1917 auf 33 bis 34 000 gestiegen.
*) Die in entfernter liegenden Kreisen gewonnene Milch wird in dort
gelegenen Kleinmolkereien behandelt und dann der Stadt zugeführt.
23
Der sich aus der Steigerung ergebende geringe Überschuß
wird in der Milchzentrale täglich entrahmt, die Magermilch an
Frauen und Jugendliche zur Verteilung gebracht.
Hand in Hand mit der Einrichtung der Gemeindelieferung
für Milch ist in denjenigen Gemeinden, aus denen frische Milch
nicht mehr nach Straßburg gebracht werden kann, eine Butter-
lieferung organisiert worden. Auch diese hat während der letzten
Monate des Jahres 1916 gute Fortschritte gemacht. Wo es an-
ging, sind alle Aufkäufer, die für Milch und Butter sich bewährten,
auch mit der Sammlung der Eier beauftragt worden. In einer
größeren Anzahl von Gemeinden haben die Gemeindeschreiber die
Einsammlung der Butter und der Eier selbst in die Hand ge-
nommen. Es wird auch der Gedanke erwogen, das gleiche Vor-
gehen auf andere Erzeugnisse anzuwenden.
II. Die Verteilung der Lebensmittel
a) Die Bewegung der Ware zum Verbraucher
In der ersten Zeit der städtischen Ernährungswirtschaft
stand die Beschaffung von Waren obenan. In dem Maße,
wie die öffentliche Bewirtschaftung sich auf einen größer werdenden
Kreis von Waren ausdehnte, nahm die Möglichkeit zu eigenen
Einkäufen ab, und die V e r t e i l u n g s a u f g a b e n traten an
die erste Stelle.
Zunächst waren diese verhältnismäßig einfach gewesen. Die von
der Stadt oder im Aufträge der Stadt beschafften Waren galten
lediglich als ein Zuschuß zu den vom freien Handel vertriebenen
Waren. Der Absatz an die Verbraucher konnte entweder durch
Vermittlung des Kleinhandels oder aber in städtischen Verkaufs-
stellen geschehen. Beide Formen hatten ihre Vorzüge und ihre
Nachteile. Im ersteren Falle konnte die Stadtverwaltung auf die
denkbar bequemste Art sich der Organe zur Verteilung bedienen,
die von jeher die gleichen Waren dem Verbraucher zugeführt
hatten. Es bedurfte nicht weiter besonderer Mühewaltung und der
Herstellung besonderer Einrichtungen. Freilich war die Gefahr
damit verbunden, daß die Kaufleute, mochten ihnen noch so strenge
Verkaufsbedingungen vorgeschrieben sein, sich zum Schaden der
Einwohnerschaft Unregelmäßigkeiten, wie Bevorzugung einzelner,
besonders der größeren Kunden, Übertretung der Preisvorschriften,
Vertauschung der städtischen mit der eigenen Ware usw. zuschulden
kommen ließen. Auch die Befürchtung einer übermäßigen Ver-
teuerung der Waren war nicht ganz von der Hand zu weisen,
21
wollte mein den ans den viel größeren Friedensumsatz eingestellten
Geschäften einen ihren Bestand sichernden Gewinnsatz zugesteheir
Gegen alle diese Übelstände bot der städtische Warenverschleiß in
eigenen Verkaufsstätten sichere Gewähr. Doch ließ sich wieder da-
gegen einwenden, daß dadurch ein großer Berufszweig geschädigt
MM. und daß es gerade im Kriege, wo jede Kraft gebraucht wird.
die vorhandenen Wirtschaftsorgane auszunutzen. Aber
,WWKM M'aMcharüber hinweggesetzt hätte, so wäre es bei der
MrEungsarbeit schon technisch gar nicht mög-
fim^Selbstwirtschaft einzurichten, ganz
abg^febM Moni- oMÄeserMe,Miige,Warenkenntnis und -behänd-
Hütte.
Wohl oder übel mutztendaher^leMcidfe sus, dem Zwange der
Verhältnisse heraus nach Vcitrem suchen. ihre Verteilungsaufgabe
MMMOe^kdchMr^ezrME^^G^^-
lich ist das nicht überall vollständig und nicht überall in gleicher
Weise geschslhünn/iSalbstlaist- groWniGtäÄt-nnsittdeji2v(iL für gewisse
'MA-iUMkuMrkWWM M
25
Geschäfte des Versorgungsverbandes mit versieht. Als
Unterverteiler sind eine größere Anzahl Mehlgroßhändler
tätig. Die Stadt Dortmund gibt das ihr von der
Mchlverteilungsstelle für den Regierungsbezirk Arnsberg über-
wiesene Mehl an den Großhandel, an Großverbraucher (Konsum-
vereine) und Einkaufsvereinigungen der Bäcker und Konditoren
ab, die ihrerseits die weitere Unterverteilung besorgen. Auch der
Posener Getreideversorgungsverband hat die Mehlhändler zu-
gelassen, um die Zufuhr des Mehles an die Bäcker zu bewerk-
stelligen.
Ebensowenig wie den Bäcker hat man den Schlächter
ausschalten können. Immerhin sehen wir hier die Neigung zu
stärkerem Eingriff, weil beim Fleisch, der Art der Ware ent-
sprechend, eine Kontrolle über die Verteilung sehr viel schwieriger
ist als beim Brot. Die Klagen darüber, daß die Schlächter nicht
so viel Fleisch ausschlachten, als erwartet wird, wollen nicht ver-
stummen. Aber den Kleinverkauf ganz in städtischer Verwaltung zu
bewirken, dem stehen in den größeren Gemeinden technisch unüber-
windliche Hindernisse entgegen. Nur die Mittelstadt Ulm hat das
'iii/KWtem Maßstabe durchführen können. Sehr viel ist aber schon
wenigstens die Wurstmacherei dem freien Ge-
Wnd. Der damit verbundene Vorteil ist ein
einmal,chird^eine wirtschaftliche Ausnutzung der für die
fD^,MrMsnnd Köpfe, gewährleistet, und
Dft^gMommen, die Fleisch-
iriWKm Ktz sie. das für den
MrUMMMtk '„benutzen,
^r^WtjjMnKstreW^^Weise
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<2(5
die Unterverteilung zu überlassen. Von grobem Einfluß ist natür-
lich, ob den Schlächtern das Vieh lebend oder geschlachtet zugeteilt
wird. Wenn das lebende Stück Vieh nach seinem Schlachtgewicht nur
geschätzt und auf dieser Unterlage dem Schlächter zugeteilt wird, so
muß ein solches Verfahren naturgemäß zu Unregelmäßigkeiten
führen. Jeder Sachkenner weiß, daß am lebenden Stück Vieh sich
beim besten Willen das Schlachtgewicht nicht genau abschätzen läfet;
der Schlächter wird in einem Falle bevorteilt, im anderen benach-
teiligt werden. Alle besuchten Städte sind daher dazu
übergegangen, daß sie das Vieh in geschlachtetem Zustand in
Hälften oder Vierteln nach ihrem Gewicht verteilen lassen. Von
wesentlichem Einfluß ist auch, wie und ob den Schlächtern Kops
und Kram der geschlachteten Tiere bei der Zuteilung angerechnet
und welcher Prozentsatz als Hauverlust zugestanden wird. In
dieser Hinsicht konnten in den einzelnen Städten größere Ungleich'
Mäßigkeiten festgestellt werden.
Was jene Waren anbetrifft, die die Städte gleich seit Beginn
des Krieges zum Gegenstand der Vorratswirtschaft machten, wie
Reis, Kolonialwaren, Graupen, Grieß, Teigwaren, Hülsenfrüchte,
Trockcngemüse usw., so ist vielfach für den weiteren Absatz an den
Verbraucher von Einfluß gewesen, ob die Waren unmittelbar in
eigener Verwaltung von der Stadt oder ob sie durch eine von der
Stadt damit beauftragte Einkaufsgesellschaft beschafft worden
waren.
Im ersteren Falle ist nicht selten die Neigung vorhanden
gewesen, auch den Weiterverkauf selbst in der Hand z»
behalten. In der Stadt U l m werden grundsätzlich die von
der öffentlichen Hand erfaßten Waren auch von der Stadt
unmittelbar an städtische Verkaufsstellen vertrieben. Auch die
Posener Stadtverwaltung steht auf dem Standpunkte,
daß städtische Ware nicht zusammen mit gleichartiger anderer
Ware gehandelt werden soll. Sie hat eine Hauptverkaufshalle mit
zehn städtischen Zweigstellen eingerichtet. Kleinhändler werden von
der Stadt nur zugelassen, wenn sie sich verpflichten, die Waren zn
vorgeschriebenen Preisen zu verkaufen. Bei dem ständig knapper
werdenden Angebot auf dem freien Markte nimmt die Zahl der
Kleinkaufleute zu, die sich dieser Bedingung unterwerfen. H a n >
n o v e r läßt auch den .Kleinhandel zu, hat aber daneben auf die
Fortführung städtischer Verkaufsstellen nicht verzichtet, so daß der
Verbraucher in der Lage ist, städtische Ware auch unmittelbar von
der Stadtverwaltung zu beziehen, worin für ihn ein Schutz gegen
etwaige Überteuerungen seitens des Kleinhandels liegt.
27
Wo dagegen die Warenbeschaffung ausschließlich durch
Händlerverbände ausgeführt wird, liegt es nahe, auch für den
weiteren Absatz den Handel allein zu benutzen. Die Stadt
Dresden schloß den Kleinhandel zu einem Syndikat zusammen,
der Warenverteilungsgcsellschaft m. b. H., die die Verteilung für
die öffentlich bewirtschafteten Waren ausführt. Andcrorts, wie
in Straßburg und Dortmund, hat man die Einkaufs-
gesellschaften auch unmittelbar mit dem Weitervertrieb an bcn
Kleinhandel betraut.
Je stärker eine Stadt den freien Handel für die Verteilung
benutzt, um so schärfer muß natürlich der Kontrollapparat aus-
gebaut sein, um allen möglichen Unregelmäßigkeiten entgegen-
zuwirken. Wir werden darauf noch zu sprechen kommen.
Wenn wir noch einige Worte über die anderen Handelszweige
hinzufügen wollen, so wäre darauf hinzuweisen, daß auch für die
M i l ch Verteilung der berufsmäßige Kleinhandel nirgends ganz
entbehrt werden kann. Selbst in Straßburg, wo die Milch-
beschaffung und die Oberverteilung in der Hand der Stadtverwal-
tung liegt, werden die Verkaufsstellen der ehemalig freien Milch-
händler, die nunmehr Organe der städtischen Milchzentrale gewor-
den sind, für die Abgabe an den Verbraucher benutzt. Die sonst so
stark eigenwirtschaftlich arbeitende Stadt Ulm begnügt sich dem
Milchhandel gegenüber mit einer städtischerseits ausgeübten Über-
wachung. In D o r t ni u n d ist ebenfalls der freie Milchhandel
in seiner Tätigkeit erhalten geblieben, doch wird von der Stadt
dafür gesorgt, daß zwecks gleichmäßiger Verteilung an die Ver-
braucher unter den einzelnen Händlern im Bedarfsfälle ein Milch-
ausgleich stattfindet. In Dresden wurde der schon vorher
syndizierte Milchhandel als das gegebene Werkzeug für die
Milchverteilung benutzt. Die Stadt Hannover hat eine unter
Oberaufsicht des Magistrats stehende Milchverteilungsgesellschaft
m. b.H. gegründet, bestehend aus der Molkereigenossenschaft han-
noverscher Milchhändler und der Zentralmolkerei Hannover A. G.,
die die zweckmäßige und gerechte Regelung des Milchverkehrs
übernimmt.
Für die Butter - und Fettverteilung sind gewöhn-
lich ebenfalls die alten Verkaufsstellen des ehemals freien Handels
beibehalten worden. Die Oberverteilung erfolgt, wie in Dort-
mund und Hannover, durch die Bezirksfettstellen oder durch eine
eigens gegründete Butter- und Fettverteilungsgesellschaft wie in
Dresden. In Posen ist von der ©tobt ein Großhändler mit der
Bütterverteilung an die Kleingeschäfte beauftragt worden.
Die Bewegungsfreiheit des Kartoffel Handels hat in dem
Maße eingeschränkt werden müssen, als die öffentliche Bewirtschaf-
tung weiter ausgriff. Doch ist, soweit sich die Bevölkerung nicht '
unmittelbar von den Bahnwagen oder den städtischen Lägern ans
oder auch wohl unmittelbar vom Landwirt versorgte, die Mitarbeit
des berufsmäßigen Groß- und Kleinhandels in Anspruch ge-
.nommen worden. Der Großhandel wurde zu diesem Zwecke städ-
tischerseits syndiziert oder konzessioniert und der Kleinhandel zum
Träger'der Bezirksausgabestellen gemacht.
Bei Gemüse und Obst findet allerorts ein Nebenein-
ander des Verkaufs durch die Stadt und durch den freien oder städ-
tischerseits gebundenen Handel statt. Soweit Gemüsehändler der
Nachbarschaft in altgewohnter Weise den Markt beschicken, sind sie
naturgemäß nicht am Verschleiß ihrer Waren gehindert worden.
Seit der Gründung der Neichsstelle für Gemüse und Obst sind
aber unter städtischer Verwaltung oder Aufsicht stehende Groß-
märkte eingerichtet worden, die den Vertrieb der von jener Stelle
gelieferten Waren übernehmen und gewöhnlich zum weiteren Ab-
satz an den Handel abgeben. Daneben ist aber nicht auf den
eigenen Verkauf unmittelbar an die Verbraucher verzichtet worden,
uin auf diese Weise auf dem Wochenmarkte preisbeeinflnssend zu
wirken. Sowohl in Hannover wie in D o r t m u n d ist das
der Fall. Am stärksten ist dieses Verfahren in Straß bürg
ausgebildet, wo die Markthalle ausschließlich dem städtischen
Kleinverkauf eingeräumt wurde.
b) Die Rationierung
‘ Die Rationierung, d. h. die öffentliche, nach Grund-
sätzen der Gleichmäßigkeit und Billigkeit geregelte Verteilung der
vorhandenen Warenmengen auf die Bevölkerung, ist begründet in
der Tatsache, daß die für den Verbrauch vorhandene Warenmenge
geringer ist, als dem in der Nachfrage zum Ausdruck kommenden
BÄ>ikrf entspricht. Überläßt man bei einem solchen Zustande den
Warenverkehr dem freien Spiel der Kräfte, so wird die Folge.sein,
dä^ögW^M kdkrW tznfließt, die dafür die der gesteigerten Nach-
zahlen können. Es tritt also der
MM Wchst,^u^ÄM?ischM^ZMnW"ein, daß der Arme darbt,
MWMV^iAI^KcW^ÄW^WMbM M^Rätionierung hat dem-
MMÄe^^AÄAstÄ^M3W'uw'^ans"t>ie''WWnWä'^ Gütermenge
zu beschränken, und das geschieht in der Weise, daß jeder Person
ihr Anteil zugewiesen wird.
Die Ausführung dieser Aufgabe bedeutet eine so völlige Um-
stellung der bisherigen Wirtschaftsordnung, daß sich die Stadt-
verwaltungen von sich aus kaum dazu entschlossen hatten. Zwar
empfanden sie, daß es notwendig sei, für die minderbemittelte Be-
völkerung Vorsorgen zu müssen, und wir sahen, wie sie sich gleich
nach Kriegsausbruch eifrig bemühten, Lebensmittel einzukaufen
— allein die Art, wie dann ihre Verteilung ausgeführt wurde, ent-
sprach noch nicht entfernt den Ansprüchen einer planmäßigen
Rationierung. Gewöhnlich begnügte man sich mit dem rohen Ver-
fahren, daß der einzelnen Person nur eine gewisse kleine Höchst-
menge verabreicht wurde. Man verlangte auch wohl den Nach-
weis des geringen Einkommens, wodurch die ganze Aktion den
leidigen' Beigeschmack öffentlicher Mildtätigkeit erhielt.
Erst die vow Reich angeordnete Regelung des Verkehrs mit
Brotgetreide und Mehl vom 25. Januar 1915 brachte das erste
Beispiel einer völlig durchgebildeten Rationierung. Die Brot-
marke ist seinerzeit von der öffentlichen Meinung mit einem ge-
wissen Enthusiasmus begrüßt worden. Sah man in ihr doch eine
wirksame Abwehrwaffe gegen den Deutschland auferlegten Aus-
hungerungskrieg. Für die Kommunalverbände bedeutete die
Ausführung eine schwere Aufgabe, und es' wird unvergessen
bleiben, mit welchem Erfolge sie ihr gerecht wurden. Wie die
Brot- und Mehlverteilung im einzelnen ausgeführt wurde, können
wir übergehen. Die im folgenden Aufsatz gegebene Beschreibung
der Dresdener Einrichtung mag als Musterbeispiel dienen. Doch
sei hinzugefügt, daß die in jeder Stadt verschiedenen örtlichen Ver-
hältnisse und Auffassungen im einzelnen zu Besonderheiten Ver-
anlassung gaben. In der einen Stadt wurde die Verwaltung
möglichst breit dezentralisiert, während in der anderen eine stärkere
Zentralisation bevorzugt wurde. Auch die Regelung des Kontroll-
wesens war im einzelnen höchst verschieden. Aber im Prinzip
war das System fnst überall das gleiche.
Die für die Mehl- und Brotverteilung■ geschaffene Orga-
nisation wurde dann zum Grundstock für die Einrichtung der
Rationierung anderer Lebensmittel. Nach und nach ist ein Artikel
nach dem anderen in den Kreis der geregelten Zuteilung ein-
bezogen worden. Von dem heutigen Zustand wird man sagen
können, daß mit wenigen Ausnahmen alle Waren davon erfaßt
sind, die einer öffentlichen Bewirtschaftung - unterliegen.
30
Die bekannte Form, mit der man die Rationierung praktisch
zu regeln sucht, ist die Lebensmittelkarte. Sie verweist den Ver-
braucher auf den Bezug einer bestimmten Warenmenge. Zu einer
höberen Forderung, als nach der Karte ibm zusteht, ist er nicht be-
rechtigt. Durch die Lebensmittelkarte wird demnach der Verbrauch
des einzelnen auf eine bestimmte Menge beschränkt: sie stellt also
eine in ihrer Art höchst einfache und zuverlässige Überwachung des
Verbrauchers dar. Ihre Wirksamkeit kann seitens des Verbrauchers
nur durchbrochen werden, wenn er sich auf Umwegen ihm nicht zu-
stehende Karten, echte oder gefälschte, verschafft oder Ware an sich
zu bringen vermag, die der öffentlichen Bewirtschaftung wider-
rechtlich entzogen ist.
Allein mit dieser dem Verbraucher gegenüber angewandten
Kontrolle ist dem Bedürfnis noch nicht Genüge geschehen. Auch
die mit der Zuteilung an den Verbraucher Beauftragten müssen
überwacht werden, damit die Verteilung ordnungsgemäß aus-
geführt wird.
Wo und insoweit die Verteilung an den Verbraucher von
der Stadtverwaltung selbst erfolgt, ist diese Aufgabe nicht so sehr
schwer. Die Ware bleibt in der Hand der Stadtverwaltung bis
zu dem Augenblick, wo sie den Verbraucher erreicht. Un-
regelmäßigkeiten können kaum vorkommen. Man kann in
diesem Falle auch auf die Lebensmittelkarte verzichten.
Es genügt, daß dem Verbraucher eine Bescheinigung dar-
über abgenommen wird, daß er seinen Anteil erhalten hat.
Von der Stadtverwaltung U l m empfängt jeder Verbraucher ein
sogenanntes Lebensmittelbuch, in das von Fall zu Fall die an den
städtischen Verkaufsstellen erhaltenen Warenmengen eingetragen
werden. Eine Kartenausgabe wäre damit an sich überflüssig. Tat-
sächlich gibt es wohl wenige Städte in Deutschland, wo es so wenige
Karten gibt, und ein Teil der ausgegebenen Karten könnte sogar
noch entbehrt werden, wenn behördliche Anordnungen dem nicht
entgegenstünden.
Wo aber Gewerbetreibende mit der Verteilung betraut sind,
scheinen Karten unentbehrlich zu sein, weil nur so eine
Gewähr dafür geboten ist, daß auch tatsächlich ebensoviel Ware
ausgegeben wird, wie die Verbraucher beanspruchen können. Der
Geschäftsmann muß die verteilte Warenmenge mit den von den
Käufern eingezogenen Lebensmittelkarten belegen können. Prak-
tisch gestaltet sich der Vorgang in der Weise, daß der Geschäftsmann
31
neue Ware oder einen Bezugsschein auf solche nur dann erhält,
wenn er vorher mit dem Lebensmittelamt über die geleistete
Warenausgabe abgerechnet hat.
Diese Kontrolle ist nach der Art der Ware verschieden zuver-
lässig.
Bei Waren, die von dem Verkäufer in derselben Form aus-
gegeben werden, wie er sie erhalten, wie etwa Grieß, Graupen,
Zucker, Butter usw., bilden die zurückgelieferten Abschnitte einen
vollen Beleg. Unregelmäßigkeiten können höchstens infolge
falscher Verwiegung, Vertauschung und ähnlicher betrügerischer
Handlungen entstehen.
Anders verhält es sich bei Waren, die vor der Abgabe an
den Verbraucher noch einer Verarbeitung durch den Gewerbe-
treibenden unterliegen, wie Brot und Fleisch. Es handelt sich dabei
um die Schwierigkeit, dem Gewerbetreibenden möglichst genau die
Menge des Urproduktes zu geben, die im verarbeiteten Zustande
der Verbrauchsmenge entspricht. Mit der Rückgabe der Karten-
abschnitte durch den Bäcker und Fleischer ist in diesen Fällen noch
nicht alles erreicht; es muß auch das richtige Verhältnis zwischen
Rohprodukt und verarbeitetem Erzeugnis gefunden und seine Ein-
haltung überwacht werden. Da der Bäcker verschiedene Backware
herzustellen pflegt, deren Preisbildung unter Umständen den Ver-
kauf einer Ware besonders vorteilhaft erscheinen läßt, so ent-
steht die Gefahr, daß auf Kosten des dem unentbehrlichen Verzehr
dienenden Brotes Mehl nicht zu dem eigentlichen Zweck ver-
wandt, daß z. B. statt Schwarzbrot Weißbrot oder gar Kuchen
gebacken wird. Gänzlich beseitigen läßt sich die Möglichkeit dieses
Mißbrauchs nur durch ein Kuchenbackverbot und Herstellung eines
Einheitsbrotes. Wo man sich, wie in den besuchten Städten, zu
diesen drakonischen Maßnahmen nicht entschlossen hat, ist aber die
allerschärfste Aufsicht geboten. Wollte man sich lediglich auf die
selbsttätig wirkende Kontrolle durch die Markenrückgabe verlassen,
indem man es damit genug sein läßt, dem Bäcker stets nur soviel
neues Mehl zu geben, als er Marken abliefert, so könnte die_Stadt-
verwaltung in große Verlegenheiten kommen. Zwar könnte der
Bäcker, der einen Teil seines Mehles falsch bewirtschaftet hat, da-
durch gestraft werden, daß er auf eine niedrigere Mehlmenge ge-
setzt würde. Aber zugleich mit dem schuldigen Bäcker wurde auch
der unschuldige Verbraucher gestraft. Denn wenn dieser Vorgang
sich fortsetzt oder bei einer größeren Anzahl von Bäckern. sich
wiederholt, dann wird sehr bald der Augenblick eintreten, wo die
82
Bäcker nicht mehr imstande sind, der Nachfrage nach Brot zu ge-
nügen. Es tritt eine Brotknappheit mit allen ihren unangenehmen
Begleit- und Folgeerscheinungen ein, und am letzten Ende bleibt
der Leidtragende der Kommunalverband, der, weil er seine Ein-
wohnerschaft nicht hungern lassen kann, die Bäcker wieder „auf-
bessern", d. h. mit Mehl beliefern muß, auf das sie eigentlich
keinen Anspruch haben. Das auf diese Weise mehr zugewiesene
Mehl ist so gut wie vertan, ohne daß außer dem unzuverlässigen
Bäcker irgend jemand einen sichtbaren Vorteil davon gehabt hätte.
Solche Vorkommnisse sind in der ersten Zeit der Regelung nicht
selten gewesen. Später haben ihnen die Stadtverwaltungen durch
eine Verschärfung der Kontrolle vorzubeugen gesucht. Die Mehl-
verteilungsstelle der Stadt H a n n o v e r pflegt den Grundsatz zn
befolgen, dem Bäcker erst dann einen Bezugsschein auf neues Mehl
auszustellen, wenn die Summe der abgelieferten Markenabschnitte
der bei der letzten Zuteilung überwiesenen Mehlmenge entspricht.
Zeigt sich, daß der Bäcker bei der alle zehn Tage stattfindenden Ab-
rechnung nach Maßgabe seiner Brotmarkenabschnitte noch einen
größeren Mehlbestand haben muß, so wird er zunächst angewiesen,
die Derbackung dieses Mehles durch Nachlieferung der noch fehlen-
den Brotmarken zu erbringen. Kann er das nicht, so wird ihm
unweigerlich für die nächsten Tage das Mehl gesperrt, in
schwereren Fällen auf längere Zeit. Diese ständig ausgeübte Über-
wachung ist sehr viel wirkungsvoller als die in anderen Städten
angewandte periodische Lokalrevision der Bäckereien, die gewöhn-
lich den Schaden erst feststellt, wenn er nicht wieder gutzumachen ist.
Dem Schlächter gegenüber ist die Möglichkeit, zuverlässig zn
kontrollieren, daß er das ihm überlieferte Fleisch ordnungsgemäß
verteilt, noch weniger sicher gegeben. Die ihm überwiesene Fleisch-
menge wird sich niemals bis auf die letzten Pfunde genau be-
stimmen lassen.Bemißt man sie knapp, so wird ein Teil der
Karteninhaber nicht befriedigt werden können und es zur
Schlangenbildung kommen; ist sie größer, so behält der Schlächter
Fleisch übrig, dessen Absatz er nicht mit Marken belegen muß, und
wird dazu verleitet, es an bevorzugte Kunden abzugeben, womög-
lich unter Übertretung der Höchstpreise. Ganz wird sich dieser
Übelstand niemals vermeiden lassen. Immerhin hat man durch
Einführung der Kundenliste, auf die wir noch zu sprechen kommen
werden, einen gewissen Ausweg gefunden. Um außerdem eine Vor-
zugsbelieferung der Großabnehmer zu verhindern, hat die Stadt
Dresden ein empfehlenswertes Verfahren eingeführt, indem
sie für die Gastwirtschaften besondere Kundenlistcn führt, die erst
33
beliefert werden dürfen, wenn die kleinen Abnehmer befriedigt
sind. Weiter wird durch ständige Nachprüfungen, Probeschlach-
tungen usw. danach gestrebt werden müssen, daß das richtige
Verhältnis zwischen dem Fleisch in großen Stücken, wie es die
Schlächter erhalten, und dem ausgehauenen Fleisch gefunden wird
und außerdem Kram, Kopf und Abfälle richtig berechnet werden.
Haben die beiden bisherigen Beispiele gezeigt, daß die Lebens-
mittelmarke allein noch keine zuverlässige Rationierung gewähr-
leistet, so muß sie völlig ihren Zweck verfehlen bei solchen Waren,
die der Händler ohne Markenrllckgabe bekommen kann. Bezeich-
nende Beispiele dafür sind Wild und Hühner, die der Händler un-
mittelbar vom Jäger oder Geflügelhändler bezieht. Die Folge-
erscheinung war, daß die Kleinverbraucher selbst auf Marken wenig
oder gar nichts bekamen, während in den Wirtschaften Wild- und
Hühnerspeisen als markenfreie Gerichte verabreicht werden konnten.
Die Rationierung auf Grund von Marken kann eben nur
dann ihrer Aufgabe gerecht werden, wenn die Marke dazu dient,
nicht nur den Verbraucher, sondern auch den Händler sicher zu
kontrollieren. Anderenfalls ist die äußere Form eines an sich gut
bewährten Systems für den Inhalt genommen worden; es bleibt
die mit jeder Rationierung notwendig verknüpfte Belästigung,
ohne der Bevölkerung dafür die erwünschten Vorteile zu
gewähren. Verwirrung, Unzufriedenheit, Untergrabung der
Gesetzesautorität werden ausgelöst.
Außerordentlich wichtig ist natürlich, daß sich die Zahl der aus-
gegebenen Karten mit der Zahl der ortsanwesenden Bevölkerung
deckt. Daß das keineswegs immer zutrifft, haben die Ergebnisse
der Volkszählung vom 1. Dezember 1916 bewiesen. Vielfach zur
größten Überraschung der Städte selber. Glaubten sie doch, durch
das von ihnen angewandte Verfahren, Karten nur solchen Personen
zu geben, die polizeilich gemeldet waren, und durch eine sorg-
fältig gehaltene Kartei davor gesichert zu sein. Freilich wird es
wohl stets zutreffen, daß die polizeilich gemeldeten Personen auch
sofort ihren Markenanspruch erheben, dagegen wird es weniger
genau mit der Abmeldung gehalten werden. Eine Einwohner-
kartei wird daher niemals absolut richtig sein, wenigstens nicht an
einem bestimmten Tage. Von dieser Erwägung ausgehend, nehmen
daher die Städte Hannover und Linden bei jeder neuen
Kartenausgabe, d. i. alle vier Wochen, die markenberechtigte Bevöl-
kerung neu auf. Das geschieht in der Form von Hauslisten. Für
jedes Haus ist ein verantwortlicher Brotmarkenverwalter bestellt,
der für die Hausbewohner den Verkehr mit der zuständigen Vcr»
34
teilungsstelle vermittelt und Len Hausbogen auszufüllen hat. Es
mag zugegeben werden, daß auch bei diesem Verfahren Mehr-
forderungen möglich sind, weil keine unbedingte Gewähr für die
Zuverlässigkeit des Brotmarkenverwalters geleistet werden kann,
doch wird man sagen können, daß es das denkbar beste Verfahren
darstellt, nur zu einer möglichst sicheren Erfassung der Karten-
berechtigten zu kommen. Ist doch sehr viel eher anzunehmen,
daß es unterlassen wird/fortgezogene Personen abzumelden, als
daß nicht mehr in einem Hause wohnende in die Hausbogen auf-
genommen werden.
Eine Ergänzung der einfachen Markenausgabe durch ondere
Zuteilungsmittel wird erforderlich bei solchen Waren, deren Be-
lieserungsmenge nicht ein für allemal, wie 3.. B. bei Brot und
Mehl, feststeht, sondern periodisch schwankt. Lautet in solchen
Fällen die Lebensmittelkarte auf eine bestimmte Menge, ohne daß
die Erfüllung des durch den Ausdruck ausgesprochenen Lieferungs-
versprechens -gewährleistet werden kann, so wird ein Teil der
Karten uneingelöst bleiben. Die Stadtverwaltungen sind daher
dazu übergegangen, bei solchen Waren Anteilmarken ohne be-
stimmte Mengenangaben auszugeben. Die. Wochenmenge des auf
jede Marke entfallenden Anteils wird dann von Fall zu Fall be-
kanntgegeben. Diese Markenform ist in einzelnen Städten, und
zwar von den besuchten Städten am folgerichtigsten in Dort-
mund,, noch nach einer anderen Seite ausgebildet worden, indem
für eine große Anzahl von Waren nicht nur auf die Mengenangabe,
sondern auch auf die Bezeichnung der Warenart verzichtet wird.
Dieses Verfahren hat den Vorzug größter Beweglichkeit. Die
Stadt kann es der jedesmaligen Entschließung vorbehalten, nicht
nur welche Menge, sondern auch welche Waren sie allwöchentlich
ausgeben will. Zugleich wird das, verwirrende Viel nebenein-
ander laufender Karten eingeschränkt. Das Bild der ersten beiden
Blätter, der als ein Heft von 60 Anteilsmarken zu denkenden
Dortmunder Warenkarte drucken wir auf Seite 36 und 37 ab.
, Doch ist diese Form weniger wichtig als die Lösung der Auf-
gabe, auf welche Art man den Verbraucher sichert, daß er diese
periodisch in. ungleichmäßigen Mengen zur Austeilung kommenden
Waren auch erhält.. Er muß wissen, an welcher Stelle der für ihn
bestimmte Anteil bereit liegt, und davor bewahrt bleiben, daß er
. die Ware erst suchen oder sich „erstehen" muß. Das Kettestehen
ist nicht.nur die häßlichste und unwürdigste Erscheinung der öffent-
lichen Lebensmittelbewirtschaftung, es bedeutet zugleich auch eine
35
unwirtschaftliche Kräftvvergeudung, die gerade in dieser Zeit
höchster Kraftanspannung unbedingt verhindert werden mutz.
Um das zu erreichen, wurde die Lebensmittelkarte mit der
Kundenliste verbunden. Die Kundenliste verweist den Verbraucher
für den Bezug der Ware auf eine bestimmte Ausgabestelle. Von
vr. Krüger ist ihre Einführung gelegentlich der Dresdener Butter-
verteilung beschrieben worden.
Die K u n de n I i st e ist Allgemeingut der städtischen Lebens-
mittelwirtschaft geworden. In den besuchten Städten war sie, mit
Ausnahme von Ulm, das bei seiner Eigenwirtschaft darauf ver-
zichten kann, für die meisten öffentlich bewirtschafteten Waren,
mit Ausnahme von Brot, Mehl und Gemüse, eingefiihrt worden.
Die äußere Gestaltung der Kundenliste zu beschreiben können
wir uns ersparen. Sie ist durch ihre Zweckbestimmung gegeben.
Sie wird von dem Geschäftsmann geführt. Die. Gefahr,
daß sich der Verbraucher für dieselbe Ware bei , ver-
schiedenen Stellen zugleich eintragen läßt, ist gering, da ja da-
neben noch die Markenkontrolle wirksam bleibt. Sie kann außer-
dem auf die einfachste Art vermieden werden, wenn dem Kunden,
was gewöhnlich geschieht, eine Bescheinigung auferlegt wird, bei
ivem die Eintragung erfolgt ist. Eine höchst zweckmäßige Einrich-
tung hat wiederum die Stadt Dortmund eingeführt, indem sie,
wie das Bild auf Seite 36 unten veranschaulicht, bei allen Karten
für Waren, die eine Eintragung in die Kundenliste nötig machen,
zur Ausfüllung von Namen und Wohnung des Verbrauchers einen
Abschnitt anfügt, der bei der Anmeldung des Kunden -von dem
Geschäftsmann abgetrennt wird. Dadurch wird nicht nur erreicht,
daß eine Doppeleintragung unmöglich wird, sondern, da die Ab-
schnitte dem Lebensmittelamt eingeliefert werden müssen, hat
dieses zugleich einen sicheren Anhalt für die bep jedem Geschäfts-
mann eingetragenen Kunden und den Umfang der entsprechenden
Barenzuteilung.
Eine höchst sinnvolle Verfeinerung der Kundenliste stellt ihre
Ergänzung durch die Forderung der Vorbestellung dar.
Die Kundenliste verbürgt zwar dem Kunden eine bestimmte
Äelieferungsstelle, aber eine vollständige Belieferung nur dann,
wenn die Verwaltung der Abgabestelle auch die der Kundenzahl
und Anteilhöhe entsprechende volle Warenmenge zur Verfügung
stellt. Nun pflegen aber nicht alle Kunden die ihnen zustehende
Ware abzuholen. Ein Teil, wenn er meistens auch sehr klein
36
Heft Nr.
STADT DORTMUND.
Warenkarte
für den Bezug von Körnerfrucht-Erzeugnissen (Graupen,
Grieß, Grütze, Haferflocken), Hülsenfrüchten, Teigwaren und
anderen Lebensmitteln, die nach besonderer Anordnung des
Magistrats auf Warenkarten verkauft werden.
Name Bezirksausgabestelle Nr
Wohnung: Straße Nr (Vom Verbraucher auszufüllen.)
Der Bedarf ist angemeldet bei:
Firma: Wohnung:
(Unterschrift oder Firmenstempel)
Hier abtrennen!
Oegenkarte für die Anmeldung zur Kundenliste.*
Bezirksausgabestelle Nr.
Name
Wohnung: Straße Nr. ........
Vom Verbraucher vor der Anmeldung auszufüllen und von dem
Verkäufer bei der Anmeldung abzutrennen.
* Diese Gegenkarten sind zu 100 Stück gebündelt, unter 100 Stück
zu je 10 Stück, der Zuteilungsstelle des Krlegswirtschaftsamts am Donnerstag
einer Jeden Woche abzugeben.
Stadt-
wappen
88
Wird, fällt regelmäßig aus. ES bleibt bann in der Hand -er
Abgabestelle ein Restbestand, der besser ebenfalls mit zur Vertei-
lung und in die Hände des Verbrauchers gelangt wäre.
Schreibt man mit Rücksicht darauf einen höheren Kopfanteil
aus, so entsteht die Gefahr, daß — da ja dieser Faktor niemals
mit Genauigkeit in Anschlag gebracht werden kann — ein Teil der
Kundschaft unbefriedigt bleibt. Die Lebensmittelkarte wirkt dann
lediglich als Sperrkarte.
Findet dagegen eine Vorbestellung statt, dann Weiß die Ver-
waltung bis auf das letzte Pfund genau, wieviel Ware sie der ein-
zelnen Stelle zuteilen muß. Dem Verbraucher wird damit zwar
die Mühe eines doppelten Weges zugemutet, er -genießt aber dafür
den Vorteil, daß er sicher beliefert wird und sein Kopfanteil so
hoch wie möglich gehalten werden kann, weil keine Ware unaus-
geteilt bleibt. Eine überflüssige Vorratshaltung, die ini
allgemeinen unzweifelhaft einen Nachteil der öffentlichen Waren-
wirtschaft überhaupt darstellt, wird vermieden. Die - Vorteile
dieses Verfahrens sind von solcher Überzeugungskraft, daß seine
allgemeine Einführung zu erwarten ist. Von den besuchten Städten
hatte die D r e s d e n e r Verwaltung das System der Kunden-
liste mit Vorbestellung am weitesten ausgebaut.
Die Vorbestellung kann aber auch noch zur Erreichung eines
anderen Zweckes mit Vorteil benutzt werden. So hat Linden für
Waren, die nur in geringer Menge verteilt werden können, eine
völlig freie Form der Vorbestellung eingeführt, um solche Artikel,
für die sich die Einrichtung fester Verkaufsstellen nicht lohnt, in
die von den Verbrauchern gewünschten Verkaufsstellen zu bringen.
(Vergleiche dazu „Beiträge zur kommunalen Kriegswirtschaft" 17.)
Die sehr knappen Waren bilden überhaupt ein besonderes
Verteilungsproblem. Überläßt man ihren Verkauf gang der Will-
kür -des freien Handels, so wird es ohne Frage zu Mißständen
kommen, die vor allem -im Kettenstehen in die Erscheinung
treten werden. Die Ware -erhält nicht, wer ihrer am drin-
gendsten bedarf, sondern wer -die meiste Zeit unb Lust zum Her-
umstehen hat. Zudem werden diejenigen, die die meiste Ausdauer
haben, von Geschäft zu Geschäft laufen können, um das Wenige
zu -hamstern. Auch wird es nicht selten dm Großverbrauchern dank
ihrer -guten Beziehungen zu den Geschäftsleuten gelingen, den
Hauptteil an sich zu bringen. Diese Erwägung genügt schon allein,
um davon zu überzeugen, -daß dieser Mißstand, wo er noch besteht,
unbedingt beseiftgt werden muß. Die eben erwähnte Lindener
39
Vorbestellung oder ähnlich wirkende Verfahren sind nur möglich,
wenn die zur Verteilung kommende Warenmenge noch eine Kopf-
anteilsbestimmung ermöglicht. Um zumindest das Hamstern knap-
per, nicht rationierter Waren zu verhindern, besitzt Hannover
ein Mittel, indem es den Geschäftsleuten die Verpflichtung auf-
erlegt, bei der Abgabe von Ware in die für jeden Haushalt aus-
gestellte Lebensmittelkarte eine Eintragung zu machen, die.sie
selbst und jeden folgenden Händler über die bisherige Verkaufs-
.menge unterrichtet, und über eine bestimmte Grenze hinaus den
weiteren Verkauf derselben Ware an den Verbraucher verbietet
Dieses Verfahren hat sich, so roh es auch sein mag, nicht
schlecht bewährt. Es darf nicht vergessen werden, das;
wir uns hier auf der Grenzlinie befinden, wo alle' Ra-
tionierungskunst zu versagen beginnt —. und wir uns mit. einem
Notbehelf zufrieden geben müssen. Dagegen ist nicht.einzusehen,
warum selbst in gut verwalteten Kommunalverbänden der Pferde-
fleischverkauf mit Kettenstehen verbunden sein muß. Freilich han-
delt es sich hier um eine Ware, die nur von einem kleinen Teile der
Bevölkerung begehrt wird. Eine allgemeine Kartenausgabe ist
daher nicht möglich, doch ließe sich ohne weiteres eine Form der
Vorbestellung finden.
Eine vernunftgemäße Rationierung wird sich nicht mit der
schematischen Zuweisung von gleichen Kopfanteilmengen begnügest
können. Nach Alter sowohl wie nach Arbeitsleistung und Ein?
kommen der Verbraucher ist der Bedarf an einzelnen Nahrungs-
. Mitteln verschieden groß. Eine eingehende Berücksichtigung aller
dieser Umstände ist freilich nicht möglich; das schon ohnehin nicht
sehr einfache Kartenwesen würde dadurch bis zum undurchsichtig«
Wirrwarr verwickelt werden. Man hat sich mit bescheidenern
Ansätzen, die in dieser Richtung liegen, zufrieden geben müssen.
So bekommen bekanntlich auf Grund der Reichsregelung die klei-
nen Kinder nur halbe Fleischrationen, während sie für die Milch-
belieferung als Vorzugsberechtigte gelten; die Jugendlichen er-
halten eine größere Brotration, und den Schwerarbeitern werden
ganz beträchtliche Zulagen an Brot, Fleisch und Fett gewährt. Au'
diese Weise findet eine gewisse Staffelung statt, um die rohe Form
der Rationierung den besonderen Bedürfnissen entsprechend zu ver-
feinern. Die Kommunalverbände sind von sich ans auf. dem. glei-
chen Wege vorgegängen. Gelegenheit dazu bot vor allem die Brot-
»nd Mehlverteilung. Es fragte sich, ob man die kleineren Kinder
mit der gleichen Menge versehen sollte wie die Erwachsenen;
40
Die Ansichten darüber waren geteilt. Auf der einen Seite glaubte
man, daß Eltern mit kleinen Kindern in der Vollkraft der Jahre
ständen und es nur erwünscht sei, wenn sie durch die Vollbeliefe-
rung der Kinder für sich einen Zuschuß erhielten. Dem aber
wurde entgegengehalten, daß das eine sehr rohe Art sei, die Härten
der Mehlanteilbemessung auszugleichen, besonders jetzt im Kriege,
wo die stärksten Esser, nämlich die jungen Väter, meistens im Felde
sind. Viele Städte haben sich daher entschlossen, den kleinen
Kindern geringere Rationen zu geben und die daraus erwachsen-
den Mehlüberschüsse einzusparen oder anders zu verwenden. So
erhalten in Hannover Kinder unter 2 Jahren: 500 Gramm
Brot oder 360 Gramm Mehl, in Dresden: Kinder unter
4 Jahr ein Viertel, Kinder vom vollendeten 1. bis zum 6. Jahre
drei Viertel des für den Erwachsenen geltenden Normalsatzes,
Außer den für Schwerarbeiter und Jugendliche geltenden Zu-
lagen werden in Hannover und Dortmund den hoffenden
Frauen Zufatzbrotmarken gewährt. Dortmund gibt außerdem
noch den Bergarbeitern für jede unter Tage verfahrene Über-
und Nebenschicht eine besondere Zulage.
Sehr wünschenswert ist eine Verfeinerung der rohen Ratio-
nierung in der Form, daß den Einwohnern mit kleinem Ein-
kommen für manche Waren eine besondere Bevorzugung gewährt
wird, in Berücksichtigung der Tatsache, daß ihnen der Zukauf noch
freier Waren sehr viel schwerer fällt als den wohlhabenderen Schich-
ten der Bevölkerung. Zum guten Teil wird dieser Forderung schon
durch die Schwerarbeiterzulagen entgegengekommen. Außerdem
wirkt in der gleichen Richtung die Tätigkeit der in allen Städten
arbeitenden und öffentlich unterstützten Wohlfahrtseinrichtungen,
wie insbesondere der Volks- und Mittelstandskllchen. Im übrigen
ist leider die Möglichkeit dazu bei der an sich schon knapp bemesse-
nen Belieferung der Städte gering. Doch sei hervorgehoben, daß
die Stadt Dresden die allgemeine Lebensmittelkarte, auf die
Öl, Eier, Kunstfett, Kaffee, Tee usw. verkauft werden, für die
Minderbemittelten in einer besonderen Farbe ausgegeben hat,
um daraufhin eine Vorzugsbehandlung zu ermöglichen. Straß-
burg führt zu dem gleichen Zwecke die Lebensmittelkarten in
drei Farben: für Minderbemittelte, Mittelstand, Gutsituierte. Die
gute und billige Wurst z. B., die die Stadt in eigener Regie her-
stellt, wird ausschließlich an die Minderbemittelten ausgegeben;
es sind das 8000—10 000 Haushaltungen, nahezu ein Drittel der
Bevölkerung. Der Kreis der Minderbemittelten ist demnach sehr
weit -gezogen.
41
Werfen wir einen Blick auf -die als Kopfanteile ausgegebenen
Mengen, so fallen die Unterschiede ins Auge. Selbst bei der Brot-
und Mehlverteilung sind sie nicht unbeträchtlich. Es werden aus-
gegeben als Normalration für den Erwachsenen auf Kopf und
Woche:
2050 Gramm Brot oder 1360 Gramm Mehl
2000 ................ 1200
2000 1200
in Straßburg:
Dresden:
Posen:
Hannover
und Linden:
Dortmund:
185.0 ............. 1295
1750 „ „ „ 1226
Es wird nicht uninteressant sein, auf die Gründe dieser Un-
terschiede mit einigen Worten einzugehen. Die niedrige Ziffer
Dortmunds kann sich nicht etwa allein daraus erklären, das;
diese Stadt im Gegensatz zu den anderen aufgeführten Gemeinden
keine Mehlselbstwirtschaft hat. Es kommt vielmehr in Betracht,
daß Dortmund die kleinen Kinder ebenso hoch bedenkt wie die
Erwachsenen und außerdem, wie schon erwähnt, Sonderzulagen
für hoffende Frauen und für über- und Nebenschichten der Berg-
arbeiter gibt. Überhaupt mutz gerade bei der Industriestadt Dort-
mund daran gedacht werden, daß die Zahl derjenigen, die die vor-
geschriebenen Schwerarbeiterzulagen erhalten, besonders groß ist,
so daß die Normalmenge für den wirklichen Zustand nicht völlig
bezeichnend ist.
Bei Dresden fällt der im Vergleich zu der verhältnis-
mäßig hohen Brotbemessung niedrige Mehlanteil auf. Er ist auf
die Absicht zurückzuführen, der Stadt eine stille Reserve zu ver-
schaffen, die die Bewilligung der Schwerarbeiterzulagen erleichtert.
Hannover verwendet das aufgesparte Getreide auch
dazu, um es zur eigenen Bereitung von Grieß zu be-
nutzen, der als willkommener Zuschuß zu den von der Bezirks-
stelle zugewiesenen Nährmitteln ausgegeben werden kann. Von
den besuchten Städten war auch keine in dieser Hinsicht in einer
annähernd gleich günstigen Lage. Wenn man bedenkt, welche
Bedeutung gerade der Grieß für die Kinderernährung hat, so
wird man diese Art der Getreidebewirtschaftung nur begrüßen
können.
Die Fleischmengenverteilung bietet keinen Anlaß
zur Besprechung. Sie ist vom Reich aus einheitlich geregelt, und
nachdem sich die Organisation eingespielt hat, ist man dem Zu-
stande immer näher gerückt, wo eine volle Belieferung mit der
Normalmenge erreicht wurde. Die Besserung, verglichen mit den.
Zustande int Frühjahr 1916, ist unverkennbar. Freilich bedeutete für
Straßburg und Ulm, die vor der Einführung der Reichsfleischkarte
größere Mengen auszugeben pflegten, der neu geschaffene Zustand
eine Verschlechterung; doch wird man das — vom Standpunkt aus-
gleichender Gerechtigkeit aus betrachtet — nicht zu bedauern
brauchen.
Allgemein geklagt wird über die unzureichende Belieferung
mit Fett. Immerhin ist eine Gleichmäßigkeit und Regelmäßig-
keit der Zuteilung erreicht, die früheren Zuständen gegenüber als
Fortschritt bezeichnet werden muß.
Was die Milch anbetrifft, so steht unter den besuchten
Städten Dortmund ohne Frage am ungünstigsten da. Es
kann die Reichssätze nur bis zu zwei Dritteln erfüllen, während
Städte wie H a n n o v e r, S t r a ß b u r g und Ulm mehr hatten.
Es ist zu wünschen, daß mit der Zeit auch solche Ungleichmäßig-
keiten zugunsten der jetzt benachteiligten Städte mehr und mehr bc-
festigt werden. Gerade eine Stadt wie Dortmund, die infolge
der Zusammensetzung ihrer Bevölkerung besonders kinderreich ist,
bedarf dringend einer ausreichenden Milchversorgung.
Die Karto ff el v e rsorgungin diesem besonders schwie-
rigen Jahre war für denjenigen Teil der Einwohnerschaft der
Städte am besten gesichert, die sich mit Kellervorräten einzudecken
vermochten. Leider war das aber nur für einen mehr oder weniger
großen Bruchteil möglich. Die übrige Bevölkerung mußte sich dann
jene allgemein bekannte Beschränkung der Rationen unter den
vorgesehenen Satz gefallen lassen. Nur Posen, S t r a ß b u r g
und Ulm befanden sich in günstigerer Lage.
III. Die Preispolitik
Bis auf einen Bruchteil ist der gesamte dem Verbraucher
zugewandte Nahrungsmittelverkehr unter städtische Kontrolle ge-
kommen. Damit haben die Stadtverwaltungen einen Einfluß
auf die Preisbildung der Waren erhalten, der von höchster Be-
deutung für die Allgemeinheit ist und ihnen ein hohes Maß von
Verantwortung auferlegt hat. Naturgemäß sind sie bestrebt ge-
wesen, zum Nutzen der Einwohner die Preise so niedrig zu halten,
wie es sich mit dem obersten Ziel, vor allem die nötige Ware zu
bekommen, vereinigen ließ. Wir erwähnten schon, daß das Stre-
ben der einzelnen Städte, möglichst viel Ware im In- und Aus-
lande einzukaufen, zu einem Wettbewerb führte, der nicht un-
wesentlich zu der allgemeinen Preissteigerung beitrug. Diese
43
Vorgänge führten dann zu jener Entwicklung einer Zentralisation
des öffentlichen Wareneinkaufs, der die Beschaffung von Waren
aus dem freien Handel mehr und mehr den Stadtverwaltungen
abnahm.
Doch wurde ihnen damit nicht aller Einfluß auf die Preis-
bildung genommen. Die Beschaffung wichtiger, ja vielleicht der
wichtigsten Lebensmittel blieb dezentralisiert. Außerdem unter-
stand bald in größerem, bald in geringerem Maße ihrer Einwir-
kung die Preisregelung der Waren, unmittelbar bevor sie in die
letzte Hand, in die Hand des Verbrauchers kamen.
' Die städtische Lebensmittelverwaltung arbeitet nicht ohne
Unkosten. Nicht nur, daß der große Vevwaltungsapparat und das
Kartenwesen nicht wenig Geld verbrauchen, es kann auch nicht aus-
bleiben, daß Warenposten mit Verlust abgestoßen werden müssen,
wobei es sich gleich um ansehnliche Summen zu handeln pflegt.
Leitende Richtschnur für die städtische Finanzverwaltung ist,
bei der Nahrungsmittelwirtschast weder mit Verlust noch mit
Gewinn zu arbeiten. Eine Zuschußwirtschaft war abzulehnen,
weil bei den großen Umsätzen, die in Frage kommen, eine Er-
schütterung des Stadthaushaltes für Jahre hinaus die Folge ge-
wesen sein würde. Ebenso aber verbietet es sich, Gewinne zu
machen, weil das eine Verbrauchsbesteuerung sein würde, die weder
mit den Grundsätzen der Steuergerechtigkeit, noch mit den For-
derungen sozialer Billigkeit vereinbar ist.
Der Möglichkeit, zugunsten des Stadtsäckels durch Preisauf-
schläge Gewinne zu machen, haben sich die Städte in den Fällen
fast völlig begeben, in denen sie mit dem Einkauf und der Vertei-
lung der Waren gemeinnützige Gesellschaften betraut haben.
Der streng gemeinnützige Charakter dieser Gesellschaften
schützt den Verbraucher in hohem Grade vor unberechtigten Preis-
forderungen. Freilich können auch die Gesellschaften nicht ohne
Handelszuschläge arbeiten. Da sie der Stadtverwaltung den Haupt-
teil der Verlustgefahr abnehmen, müssen sie, um einen Ausgleich
entstehenden Ausfällen gegenüber zu haben, Aufschläge erheben.
Auch die Ansammlung eines gewissen Betriebskapitals wird sich
nicht ganz umgehen lassen. Doch ist eine Thesaurierungspolitik
unbedingt zu verwerfen. Erklärlicherweise besteht dazu bei den
Gesellschaften eine gewisse Neigung, weil sie dadurch zu einem
höheren Maße von Handlungsfreiheit zu kommen hoffen. Die
Stadtverwaltung hat es in ihrer Hand, dem entgegenzuwirken.
Die nicht selten von den Vertretern der Kriegsgesellschaften ge-
44
äußerte Auffassung, es käme in.dem Derbranchspreise doch nicht
zum Ausdruck, ob die von ihnen erhobenen Zuschläge um ein
Prozent höher oder niedriger seien, ist grundsätzlich abzulehnen.
Die Gesellschaften dürfen niemals außer acht lassen, daß sie ini
öffentlichen Aufträge und nicht für den eigenen Nutzen arbeiten.
Es wird auch darauf zu achten sein, inwieweit die Erhebung
von Handelszuschlägen in dem übernommenen Risiko ihre Berech-
tigung findet, wobei zu erwägen ist, daß dieses bei dem jetzt
sehr schnellen Umsatz der Waren weit niedriger zu sein pflegt als
im Frieden.
In dem Verbraucherpreise sind nicht nur die von den Ein-
kaufs- und Verkaufsgesellschaften erhobenen Aufschläge enthalten,
sondern auch die dem Kleinverkäufer bei der Verteilung entstehenden
Unkosten. Für ihre Berechnung das richtige Maß zu finden,
bedarf sorgfältiger Erwägungen. Es muß dabei berücksichtigt
werden, daß die Arbeitsleistung und der Gewichtsverlust nach
Art der Ware und nach Umfang der zu verteilenden Mengen sehr
verschieden zu sein pflegt. Im allgemeinen wird man den Ge-
winn des Kleinverkäufers so bemessen, daß der Gewerbtreibende ein
Interesse am ordnungsgemäßen Absatz behält. Natürlich darf
auch der Verbraucher nicht zu stark belastet werden. Ist es nicht
möglich, diese beiden sich kreuzenden Ziele zu vereinigen, dann
muß das Vevbraucherinteresse vorangehen und der Warenvertrieb
in städtische Verwaltung genommen werden. Für. diesen Vorgang
gibt die bisherige Darstellung Beispiele.
Es wird sich lohnen, auf die Preisbildung der wichtigsten
Nahrungsmittel, von Brot und Mehl, näher einzugehen) und
zwar beschränken wir uns auf das Roggenmehl und das gewöhn-
lich aus ihm hergestellte Schwarzbrot.
Städte Roggenmehl * 100 kg Schwarzbrot 1 kg Preisspanne zwischen Mehl- und Brotpreis für 100 kg
M. M. M.
Dresden .... 31,60 0,32 0,40
Dortmund . . . 34,50 0,39 4,50
Hannover u. Linden 32,45 0,35 2,55
Posen 30,69 0,33 2,31
* Preis wie ihn der Bäcker zu zahlen hat, ohne Sack.
Betrachten Nur zunächst den Mehlpreis, so drängt sich die
Frage auf, wie es sich erklärt, daß er in den einzelnen Städten
so verschieden hoch bemessen ist. Die nächste Tabelle gibt Auf-
schluß, aus welchen Posten er sich bis zum Verlassen der Mühle
zusammensetzt.
Erstehnngskosten des Mehls bis zum Verlassen der Mühle:
Kostenbestandteile Dresden Dort- mund Han- nover Posen
M. M. M. M.
Für 100 kg Getreide (Roggen) . . . 22- — 22,50 21,50
Vorfracht bis zur Mühle .... 0,30 — 0,15 0,15
Kommissionsgebühr 0,30 — 0,60
Getreidesäcke 6,10 — — } 0,35
Getreideschwund __ — 0,47 J
Mahllohn 2,20 — 1,50 1,60
Lagerspesen | 0,50 —- 0,24 0,10
ginsverlust — 0,10
Generalunkosten — . — 0,40 —
25,40 — 25,86 23,80
Davon ab Kleie 1,95 — 1,95 1,95
82 kg Mehl kosten demnach . . . 23,45 — 23,91 21,85
100 kg Mehl 28,60 32,25 29,16 26,65
Es ergibt sich also, daß zunächst die Kosten des Getreides ver-
schieden hoch sind. Bekanntlich sind die Höchstpreise nach der Bun-
desratsverordnung vom 29. Juni 1916 gestaffelt worden. In Posen
sind sie am niedrigsten. Weiter zeigen die Unterschiede hei der
Bemessung der Spesen, die bis zur Verwandlung des Getreides in
Mehl entstehen. Der eine Verband berechnet diese Kosten- teurer
als der andere. Zum Teil werden diese Unterschiede in den ört-
lichen Verhältnissen ihre Begründung finden. Ein Kommunal-
verband, dem große und vollbeschäftigte Mühlen zur Verfügung
stehen, kann mit einem niedrigeren Mahllohn auskommen als ein
Verband, der in teuer arbeitenden Betrieben mahlen lassen muß.
Auch die übrigen Unkosten können nicht überall die gleichen sein.
Weit größere Ungleichmäßigkeiten entstehen bei den weiteren
Aufschlägen, die auf dem Wege von der Mühle bis zu dem Hause
des Bäckers erhoben werden und sich aus Kommissionsgebühren,
Kosten für Mehlsäcke, 'Fracht, Händlernutzen und Rollgeld zu-
sammensetzen. Die Unterschiede sind so groß, daß der Hinweis darauf
vielleicht für den einen oder anderen Kommunalverband den Anlaß
geben könnte, seine Mehlpreise neu zu kalkulieren und insbesondere
46
auch nachzuprüfen, ob die von ihm zu seinen Gunsten erhobenen Ge-
bühren nicht hier und da zu hoch bemessen sind. Niemand kann
etwas dagegen haben, daß die Kommunalverbände ihre Unkosten
decken, aber zur Erhebung einer Mehlsteuer fehlt ihnen jede Be-
rechtigung. Den Einwand, daß die so erzielten Einnahmen zur
Deckung von Unkosten benutzt würden, die bei der Bewirtschaftung
anderer Lebensmittel, wie z. B. der Kartoffeln, entstehen, kann
man nicht gelten lassen.
Die auffallend verschieden große Preisspanne zwischen Mehl-
preis und Brotpreis erklärt sich nicht allein aus dem verschieden
hohen Backlohn, der dem Bäcker in den einzelnen Städten zu-
gestanden, wird. Wenn dieser auch schwankt, so ist der Einfluß
des Backlohns auf den Brotpreis verhältnismäßig gering. Von
weit größerem Einfluß ist die Zusammensetzung des Brotes. Es
macht natürlich für den Brotpreis sehr viel aus, ob z. B. das
Brot zu 80 oder 70 Prozent aus Roggenmehl besteht und zu einem
größeren oder kleineren Teil aus dem teueren Weizenmehl. Die
selbstwirtschaftenden Verbände haben natürlich auch den Vorteil,
daß ihnen das zugesetzte Weizenmehl billiger zu stehen kommt als
Städten, die nicht in der glücklichen Lage sind. Der Brotpreis
Dortmunds läßt sich aus diesem Grunde mit dem der
anderen Städte nicht vergleichen. Auch darauf wird viel
ankommen, wie der Backlohn für Weizengebäck be-
rechnet wird. In Dresden z. B. wird dieser zum Aus-
gleich für den verhältnismäßig niedrigen Backlohn des
Schwarzbrotes benutzt, in Dortmund dagegen niuß
dem Bäcker für Schwarzbrot mehr gewährt werden, weil dort
das Weizenbrotbacken stark eingeschränkt ist. Ganz aus dem Rah-
nren heraus fällt Straßburg. Hier gibt es ein Genrischbrot,
das aus 60 Kilogr. Weizen- und 30 Kilogr. Roggenmehl nebst
den hinzukomenden Streckungsmitteln besteht. Diese Mischung
muß entsprechend teurer sein als die in Nord- und Mitteldeutsch-
land übliche, die auf dem fast umgekehrten Verhältnis beruht.
Wenn Straßburg daraus hergestelltes Brot zu 38 Pf. das Kilo-
gramm verkaufen läßt, so kann die Spannung zwischen Mehlpreis
und Brotpreis nicht als hoch bezeichnet werden.
Bei der Preisbildung des Kleinverkaufspreises für Fleisch
spielen so viel Umstände mit, daß sich hier noch sehr viel weniger als
beim Brot Normen für einen allgemein angemessenen Preis auf-
stellen lassen. Zu beachten ist, daß zunächst das Vieh, lebend ge-
wogen, ganz verschieden hoch zu stehen kommt. Die Stallhöchst-
preise sind zwar m Süddsutschland ziemlich die gleichen wie io
Preußen. Die Provisionen bei den an den preußischen Zentral-
viehhandelsverband angeschlossenen Verbänden sind zwar hoch,
kommen aber im Kleinhandelspreise nur in geringem Maße zur»
Ausdruck. Eine sehr viel größere Wirkung haben dagegen die
Kosten für den Transport unb vor allem der auf dem Wege vom
Stall bis zur Schlachtbank eintretende Gewichtsverlust des leben-
den Viehes. Dazu kommt, daß die Preise der Rinder, die heute
das Hauptschlachttier darstellen, nach Güte-Klassen abgestuft sind,
wodurch eine weitere Erschwerung für die Berechnung des Fleisch-
preises eintritt.
Bei alledem wird man ermessen können, daß es für die mit
der Verteilung an die Metzger betrauten Stellen eine fast unlös-
bare Aufgäbe darstellt, dem Metzger einen Preis zu machen, der
auf der einen Seite die eigenen Gestehungskosten deckt und auf
der anderen Seite den Kleinhandelspreisen gerecht wird, die der
Schlächter von seinen Kunden fordern darf. Die Stadt Dort-
mund hat daher überhaupt darauf verzichtet, einen einheit-
lichen Kleinhandelspreis vorzuschreiben. Jedes dem Metzger zu-
gestellte Schlachttier wird nach der Güte bewertet, und danach
der Kleinverkaufspreis für jedes Stück einzeln von der Schlacht-
hofsverwaltung nach einfachen Merkmalen festgesetzt. Die so be-
stimmten Preise werden in Verzeichnisse eingetragen, die von der
Schlachthofsverwaltnng gestempelt und im Laden ausgehängt
werden müssen.
Dresden hat ähnliches erreicht, indem es für die einzelnen
Qualitätsklassen verschiedene Kleinhandelspreise festgesetzt hat.
Je nach der Güte-Klasse, die der einzelne Schlächter erhalten
hat, muß er in seinem.Laden die entsprechende Preistafel an-
schlagen.
Noch schwieriger wird die Preisbildung, für die Schlächtereien,
wenn es dein Metzger freisteht, selbst Wurst zu machen. Zwar
lassen sich auch für Wurstwaren Höchstpreise festsetzen. Man hat
somit einen Einfluß auf ihre Preise, aber nicht auf ihre Zusammen-
setzung. Auch aus diesem Grunde erscheint die Übernahme der
Wursterei in städtische Regie als wünschenswert.
Bei der. Kartoffelversorgung haben die Städte fast durchweg
Zubußen zahlen müssen, vor allem im Frühjahr 1916, wo die da-
malige Panik die Städte zu teuren Einkäufen von Kartoffeln ver-
anlaßte, die dann mit Verlust wieder abgestoßen werden mußten.
(Nur Posen schloß damals mit Gewinn ab, weil es aus seinen
großen Vorräten an andere Städte verkaufen konnte.) Auch bei
48
der Überbelieferung mit Frühkartoffeln im Jahre 1916 entstanden
Verluste. Eine Ertvirtschaftung dieser Aufwendungen durch Auf-
schlage auf die Kleinhandelspreise verboten die Höchstpreisbestim-
mungen. Daran scheiterten gewöhnlich auch die Versuche, eine
Staffelung der Kartoffelpreise nach Maßgabe der Einkommen
der Einwohner festzusetzen, wozu z. B. Straßburg im Sommer
1916 übergegangen war.
Schluß
Bei diesen Betrachtungen wollen wir es bewenden lassen.
Wir sind uns wohl bewußt, daß wir die gesamte Nahrungsmittel-
wirtschaft der Städte nicht erschöpft haben. Vor allem fehlt die
Darstellung des Volksküchenwesens und der Massenspeisung. Der
Behandlung dieses Stoffes wird ein besonderesHeft der „Beiträge
zur Kriegswirtschaft" gewidmet werden.
Will man den Gesamteindruck zusammenfassen, so wird man
anerkennen müssen, daß eine Fülle schwieriger, aber auch fruchtbarer
Organisationsarbeit geleistet worden ist. Erst eine spätere Zeit wird
das voll würdigen können. Die öffentliche Meinung der Gegenwart
ist darauf noch nicht gestimmt. Das ist nur allzu gut zu verstehen.
In einer Zeit, die von allen so viel Entsagung fordert, liegt es
nahe, die zugemuteten Entbehrungen vermeintlichen Mängeln
der geschaffenen Neuregelung zuzuschreiben.
So ist es ganz erklärlich, daß die Kritik sich heftiger zu Worte
meldet als die Anerkennung. Den Kommunalverwaltungen ge-
genüber, die in unmittelbarem Verkehr mit dem Verbraucher
stehen, wird diese Neigung der Volksstimmung auch am stärksten
zum Ausdruck kommen. Regelmäßig ist die Beobachtung zu
machen, daß auch in Gemeinden mit einer ausgezeichneten Nah-
rungsmittelwirtschaft weite Kreise des Glaubens sind, in ihrer
Stadt sei die Organisation besonders fehlerhaft. Der einzelne
empfindet den Mangel an Nahrungsmitteln und schreibt ihn, da
ihm der nötige Überblick fehlt, der Organisation zu, vergessend,
daß die Organisation erst die Folge eines tatsächlich vorhandenen
Mangels ist, und daß für die Gesamtheit der Verbraucher der
Mangel ein sehr viel größerer sein würde, wenn die Organisation
fehlte.
Dresdens Lebensmittelverwaltung
Von Stadtrat Dr. Hans Krüger, Dresden
I. Entstehung der Organisation
Als der Krieg ausbrach, war die Stadtgemeinde Dresden so
gut wie nicht auf eine öffentliche Versorgung mit Nahrungsmitteln
eingerichtet. Es bestand als eine Abteilung des Rates das Militär-
und Qrmrtieramt, das im Frieden die Aufgabe gehabt hatte, für
den Fall der Mobilmachung die notwendigsten Maßnahmen vor-
zubereiten. Bei der Aufstellung der Mobilmachungspläne im
Frieden hatte man sich nur in einzelnen Punkten mit der Frage
beschäftigt, ob etwa der Gang der Mobilmachung hem-
mend auf die regelmäßige Nahrungsmittelversorgung der Stadt
einwirken könnte, während die Idee eines Wirtschaftskrieges, der
dauernd eine öffentliche Bewirtschaftung von Nahrungsmitteln
erforderlich macht, völlig unbekannt war. Man hatte die Befürch-
tung gehabt, daß insbesondere die völlige oder zeitweise Aus-
schließung des normalen Güterverkehrs auf der Bahn durch die
Mobilmachungs-Truppentransporte eine Stockung in der Zufuhr
von Milch, Mehl, Kohlen und Fleisch auf mehrere Wochen her-
vorrufen könnte. Deshalb war bereits im Frieden mit der
Linienkommandantur verhandelt worden, die einerseits auf Wunsch
der Stadt in die Mobilmachungsfahrpläne sogenannte Milchzüge
eingelegt, d. h. dafür gesorgt hatte, daß auch während der
Wochen der Mobilmachung auf den wesentlichen Zufuhrstrecken
Wagen zur Beförderung der Milchkannen am Morgen und zur
Zurückbeförderung der leeren Gefäße am Tage vorhanden waren,
während sie andererseits mit den sonst zuständigen Stellen er-
klärt hatte, daß die Kohlenversorgung durch die Stapel der
Militär- und Bahnverwaltungen für die Dauer der Mobilmachung
gesichert sei.
Die Verhandlungen über die Frage, ob in der Fleischver-
sorgung durch die Mobilmachung eine Stockung eintreten könnte,
hatten zwar gewisse Befürchtungen ergeben, weil man feststellte, daß
über 90 Prozent des benötigten Fleisches in Form von lebendem
Vieh regelmäßig wöchentlich von zum Teil weit entfernt gelegenen
60
Stationen angeliefert wurden. Die Ziffern indessen, die errechnet
wurden, um eine Fleifchreserve in Form von Gefrierfleisch für
mehrere Wochen dauernd zu halten, erschienen damals den be-
teiligten Stellen so bedeutend und die dauernde Haltung der
Reserve so schwierig, daß man angesichts der Tatsache, daß der
städtische Schlachthof stets etwa für eine Woche mit Vieh eingedeckt
war, davon Abstand nahm, größere Reserven zu halten.
Auch in der Frage der Mehlversorgung, in der mehrfach von
den Mllhleninteressenten die Forderung größerer Stapelung aus-
gestellt worden war, war man immer wieder zu dem Schlüsse ge-
kommen, daß die Vorräte der rat Orte befindlichen fckhr bedeuten-
den Mühlen so erheblich seien, daß eine etwa zweiwöchige Sperrung
der Zufuhr nicht schädlich empfunden werden könnte.
Als der Krieg ausbrach, entstand in der Stadt, verursacht
durch Gerüchte aller Art, eine nervöse Stimmung, die einen
zwecklosen Ansturm auf die Lebensmittelgeschäfte hervorrief. Das
Publikum kaufte insbesondere Mehl und merkwürdigerweise Salz
in erheblichen Mengen zusammen. Es war übersehen worden, daß
die Salzvorräte der Kaufleute nicht bedeutend waren und daß
eine achttägige Sperrung der Zufuhr allerdings schon einen ge-
wissen örtlichen Mangel hervorrief. Selbstverständlich stiegen die
Preise, und die Leere der Läden erhöhte die Ängstlichkeit der
Käufer.
Der Rat verschaffte sich zunächst, um diesem Übelstande zu be-
gegnen, aus den Speichern einiger großer Firmen in Riesa einen
größeren Posten Mehl, und zwar 2600 Zentner Weizenmehl, die
am 6. August erworben und auf der Elbe herangeholt wurden.
Außerdem kaufte er zur Behebung des augenblicklichen Mangels
600 Zentner Speisesalz, die von zwei Firmen herangeschafft
wurden. Dieser Kauf wurde in der Zeit vom 6. bis 8. August
getätigt.
Es erschien hiernach offenbar, daß die Stadt mehrfach Gelegen-
heit haben würde, in die Nahrungsmittelbeschaffung einzugreifen.
Insbesondere mußte auch der Absatz der Waren geregelt werden.
Auf Anregung des Oberbürgermeisters, Geheimrat Dr. Dr.-Jng.
Beutler, wurde deswegen bereits am 8. August der Anfang einer
Organisation hierfür geschaffen, indem durch Direktorial-Ver-
fügung ein sogenannter Lebensmittelausschuß und ein sogenannter
Fleischversorgungsausschuß eingesetzt wurden, die beide im Sinne
der rev. Städteordnung gemischte Ausschüsse waren, also aus
Mitgliedern beider Kollegien und unter Zuziehung sachverstän-
diger Bürger zusammengesetzt wurden. Der Lebensmittelausschuß
Bl
trat am 12. August 1914 zusammen, um die Lage des Marktes für
die sämtlichen Lebensmittel, außer Fleisch, das dem Fleischver-
sorgungsausschuß vorbehalten blieb, zu besprechen. Er legte sich
an diesem Tage insbesondere die Frage vor, ob nicht Höchstpreise
für alle Lebensmittel zweckmäßig seien, ob nicht die Militärbehörde
die geregelte Zufuhr von Lebensmitteln mit der Bahn besonders
organisieren müsse und ob nicht zur Erhaltung der Kartoffeln für
die menschliche Ernährung das Kontingent der Spiritusbrennerei
herabzusetzen sei. Weiter beschloß er, die gekauften Mengen an
Mehl und Salz durch den Kleinhandel abzusetzen.
Von dem Militär- und Quartieramt war inzwischen ein so-
genanntes Kriegsunterstützungsamt abgetrennt worden, dem der
Lebensmittelausschuß angegliedert ward.
Das Dezernat für diese sämtlichen Stellen blieb in einer Hand,
während der Fleischversorgungsausschuß zu der Schlachthofver-
waltung (bei der Wohlfahrtspolizei) geschlagen wurde.
In den darauffolgenden Sitzungen des Lebensmittelaus-
schusses wurde es als notwendig angesehen, daß bei der fortschreiten-
den Unsicherheit der Zufuhr und bei dem immer deutlicher her-
vortretenden Charakter des Krieges als Wirtschaftskrieg städtische
Vorräte gestapelt werden müßten, die für Zeiten der Not der
Kommune die geregelte Versorgung der Bürgerschaft ermöglichten;
insbesondere erschien dies wichtig für Getreide und Mehl, für
Trockengemüse und Reis, für Salz und für die Hebung des sofort
scharf hervortretenden Benzinmangels. Gleichzeitig war vom
Rate übrigens auch ein besonderer Volkskllchenausschuß eingesetzt
worden, der eine große Anzahl von Volksküchen, insbesondere zur
Speisung der Kriegerfamilien einrichtete, so daß als möglich er-
schien, daß auch für diese Einrichtungen Nahrungsmittel sicher-
gestellt werden müßten. Die Frage der Höchstpreise trat zurück,
da die Königliche Kreishauptmannschaft sich in ihr auf einen vom
Markt- und Gewerbeausschuß der Stadt erstatteten Vortrag ab-
lehnend verhalten hatte.
Der Vorsitzende des Ausschusses wurde ermächtigt, nachdem
ihm von den städtischen Kollegien ein Vorschuß in Höhe von
zunächst 750 000 Mark bewilligt worden war, Lebensrnittel zu
erwerben. Für Fleifchankäufe wurde ein besonderer Kredit
eröffnet.
Anfang Oktober befanden sich in dem Besitze des Ausschusses
6000 Ztr. Roggen, 2600 Ztr. Roggenmehl, 900 Ztr. Salz,
53130 Kilo Reis, 20 000 Kilo Erbsen, 60 000 Kilo Graupen.
62
Der Kleinhandel stellte sich dieser Nahrungsmittelpolitik der
Stadt zunächst nicht wohlwollend gegenüber, da er einen Verkauf
in städtischer Eigenwirtschaft fürchtete. Er wurde deshalb durch
geeignete Vertreter zu den weiteren Sitzungen des Ausschusses
zugezogen.
In den nun folgenden Wochen wurde lebhaft die Frage des
Kartoffeleinkaufs erörtert, bei der die große Verlustgcfahr, die im
Wesen der Ware begründet ist, zunächst gefürchtet wurde, wäh-
rend andererseits der Einkauf von sonstigen Nahrungsmitteln
energisch fortgesetzt wurde. Man forderte zunächst Höchstpreise
für Kartoffeln. Im übrigen trat man mit dem damaligen „Reichs-
einkauf" in nähere Fühlung und erwarb von ihm möglichst viel
Vorräte, beschäftigte sich auch mit der Frage des Petroleum-
mangels und erzielte die Freigabe von Benzin von der Heeres-
verwaltung.
Im November wurde ein starker Rückgang des Roggenmehl-
angeböts beobachtet, der den Ankauf dieser Ware nahelegte.
Die Bestände des Ausschusses wuchsen ungeheuer schnell, so
daß sich die Anlage großer Läger in Speichern erforderlich machte.
Außerdem empfand man das Bedürfnis, mehr Sachverständige
dem Ausschuß hinzuzufügen. Deswegen erweiterte der Rat am
26. Januar 1915 den Ausschuß ganz wesentlich durch Hinzuziehung
von Kaufleuten, Händlern, Mühlenbesitzern, Bäckern und dergl.
Als am 25. Januar 1915 die Verordnung des Bundesrats
über die Beschlagnahme des Brotgetreides erschien, faßte man den
Entschluß, den Lobensmittelausschuß im Sinne dieser Verordnung
und der hierzu ergehenden sächsischen Ausführungsverordnungen
vom 26. Januar 1915 auszugestalten, was unverzüglich durch ent-
sprechende Zuwahlen bewirkt wurde, die sich insbesondere auf Ver-
braucher erstreckten. Hierbei traten mehr als bisher auch Vertreter
der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Partei in den
Ausschuß ein. Der Ausschuß übernahm damit die Durchführung
der Brot- und Mehlverforgung sowie ferner die Behebung der sehr
bald einsetzenden Stockung in der Kartoffelzufuhr und der Futter-
mittelversorgung.
Die spezielle Bearbeitung der Ankäufe von Trockengemüsen
und Reis wurde einer aus der Mitte des nunmehr sehr umfang'
reichen Ausschusses bestellten Sonderkommission übertragen.
Es setzte sodann der Kartoffeleinkauf in erheblichem Um-
fange sowie der Absatz von Kartoffeln und Mehl ein. Auch die
Salzvorräte wurden abgesetzt, da für ihre weitere Erhaltung ein
53
Bedürfnis nicht vorlag. Außerdem erfolgte die Regelung
des Mehlverbrauchs durch die Einführung der Brotkarten und die
Bildung eines Selbstwirtschaftsbezirkes (Kommunalverband Dres-
den und Umgebung). Der Ausschuß beschäftigte sich sehr ein-
gehend mit der Frage der Einfuhr von Waren aus dem Auslande
zur Erhöhung der Bestände und führte große Bezüge aus
Rumänien ein, die sich insbesondere auf Hlllsenfrüchte, Mehl und
Mais erstreckten. Es wurden auch Sojabohnen in großeni
Umfange eingekauft sowie der Bezug von Strecknngsmehl geregelt.
Im Mai 1916, nachdem der Ausschuß inzwischen die Rationie-
rung der Futtermittel geregelt hatte, beschäftigte man sich mit dem
Beginn des'Absatzes des städtischen Lagers in Trockengemüsen und
Reis, das inzwischen einen Wert von über 1 Million Mark erreicht
hatte und rund 30 000 Zentner enthielt. Man beschloß damals den
Absatz in städtischer Eigenwirtschaft, weil die Waren der Stadt
zu einem weit unter dem Marktpreise liegenden Satze abgegeben
werden konnten und die Befürchtung bestand, daß der Kleinhandel
bei ungenügender Kontrolle diese billigen Mengen mit den teuren
Waren des freien Handels vermischen würde. Der Ausschuß
richtete deswegen unter lebhaftem Widerspruch des Kleinhandels
eigene Geschäftsstellen ein, gab sogenannte Gemüsekarten aus und
verkaufte auf diese in Kopfrationen monatlich etwa 3000 Zentner
Trockengemüfe bzw. Reis. In derselben Zeit beschaffte er auch
Nudeln, die er versuchsweise durch den Kleinhandel mit gebun-
denen Preisen absetzte, und beschäftigte sich mit der Frage der
Hereinholung von Eiern.
Im Juli 1916 regelte der Ausschuß die Versorgung für
das neue Erntejahr vollständig für Brotgetreide, Hafer, Gerste,
Kraftfutter und Kartoffeln, soweit dies nach dem Stande der
Reichsgesetzgebung möglich war. Der Ausschuß wurde in dieser
Zeit durch den Hinzutritt der Vorstände der Preisprllfungs-
stelle und der Markthallenverwaltung erweitert, während er im
Oktober dazu überging, auch Frauen, und zwar sowohl aus den
Kreisen der Arbeiterinnen wie des Mittelstandes, zuzuziehen. Erst
viel später, im Februar 1916, wurden auch noch Vertreter der
Beamtenschaft und des Kriegsausschusses für Konsumenteninter-
essen hinzugewählt, nachdem im August 1915 eine grundsätzliche
Neugestaltung der Organisation durchgeführt worden war. Letztere
führte damals zur Gründung eines besonderen Dezernates mit
dem Namen „Städtisches Lebensmittelamt", das in der Hand des
bisherigen Dezernenten mit dem Militär- und Quartieramt und
Kriegsunterstützungsamt zwar zunächst vereinigt blieb, aber eine
64
völlig selbständige Kanzlei erhielt und das nunmehr die Organi-
sation der Nahrungsmittelversorgung auf breitester Grundlage in
die Hand nahm. Letztere erfolgte im Wege der Syndizierung des
Handels, die in einem besonderen Abschnitte geschildert werden
wird, und die nach ihrer Durchführung die Aufrechterhaltung
der städtischen Verkaufsstellen, und zwar vom Januar 1916 ab,
unnötig machte.
Dem städtischen Lebensmittelamte blieb in der Folge die ge-
samte Nahrungsmittelpolitik anvertraut, mit Ausnahme der
Fleischversorgung, die, wie bisher, bei einem Fleischversorgungs-
ausschusse verblieb, und mit Ausnahme der Preisprüfungsstelle,
die unter einem besonderen Dezernat steht.
Erst im Dezember 1916 mußte bei den wachsenden Geschäften
das Dezernat weiter geteilt werden, wobei mit der Fleifchver-
sorgung die Fragen der Milch-, Futtermittel-, Butter- und Fett--
beschaffung vom bisherigen Lebensmittelamte abgetrennt und
einer besonderen Abteilung überlassen wurden.
II. Selbstwirtschaft mit Getreide; Verhältnis
zu den Vororten
Als die Verordnung über die Beschlagnahme des Brot-
getreides erschien, entstand die Sorge, daß die Absperrung des
Kommunalverbandes der Stadtgemeinde gegenüber den Kommu-
nalverbänden der umliegenden Landkreise außerordentliche
Schwierigkeiten für die Brotversorgung mit sich bringen würde.
Bisher hatten die Bäcker der Stadt verhältnismäßig wenig
Schwarzbrot gebacken, letzteres war von großen Brotfabriken und
Mühlenbäckereien erzeugt worden, die in der Hauptsache in den
Vororten außerhalb der Stadt lagen, so daß ein lebhafter Wechsel-
verkehr in Mehl und Brot zwischen den verschiedenen Ortschaften
stattfand. Der Abschluß der Stadt und ihre Abhängigkeit von
den Zuweisungen der Kriegsgetreidegesellschaft mußte die Folge
haben, daß eine völlige Veränderung in der Produktion eintrat,
deren Wirkung zunächst nicht zu übersehen war, andererseits er-
schien sicher, daß eine starke Verteuerung des Brotes eintreten
würde, wenn das Mehl von der Zentralstelle bezogen würde,
während es bisher aus der nächsten Umgebung in Form von
Getreide herangeschafft worden war. Auch die Landbezirke in der
Umgebung der Stadt fürchteten eine Absperrung des städtischen
kaufenden Publikums, weshalb am 30. Januar 1915 die Vorstände
55
der Amtshauptmannschaften Dresden-Neustadt, Dresden-Altstadt
und Pirna mit dem Dezernenten des Löbensmittelamtes zu-
sammentraten und die Bildung eines gemeinsamen Kommunal-
verbandes für die Brotversorgung für ihre sämtlichen Bezirke
in Aussicht nahmen. Es war von vornherein zu erkennen, daß
dieser gemeinsame Kommunalverband nach Maßgabe der vorhan-
denen Vorräte an Getreide und Mehl bis zu 90 Prozent des
Verbrauches bis zur neuen Ernte decken konnte und daß durch
Einführung einer gemeinsamen Verbrauchsregelung und einer
gemeinsamen Brotmarke die Friedensbeziehungen und Friedens-
zustände in der Versorgung aufrechterhalten werden konnten.
Es wurde daraufhin eine völlige Verschmelzung dieser Bezirke be-
schlossen, unter Befürwortung des Königlichen Ministeriums des
Innern, und auch die Erlangung der Selbstwirtschaft bei der
Kriegsgetreidegesellschaft erreicht. In einer umfassenden gemein-
samen Bekanntmachung wurden Anfang Februar die Grundsätze
für die Versorgung festgestellt, und zwar unter Annahme einer
zwanzigprozentigen Streckung des Brotmehles und unter Durch-
führung strenger Vorschriften für den Absatz von Gebäck sowie
mit Rationierung des Verbrauchs. Der gkmeinsame Kommunal-
verband konstituierte sich in Form eines Vorstandes auf Grund
fester Satzungen. Die Vorstände der einzelnen Unterbezirke
traten zu einem engeren Vorstande zusammen, dem die Vorbera-
tung und Durchführung aller Maßnahmen übertragen wurden.
In den Gesamtvorstand wurden Vertreter der städtischen Kolle-
gien sowie der Bezirksausschüsse der Landkreise Hinzugewählt.
Dieser gemeinsame Kommunalverband hat alsbald das einheitliche
Brotmarkensystöm sowie die Regelung des Verkehrs mit Mehl, die
Kontingentierung der Mühlen und die Beschlagnahme des Brot-
getreides für den Gesamtbezirk durchgeführt, die Streckungs-
mittel beschafft und auch den in diesem ersten Jahre notwendigen
Zuschuß von der Reichsgetreidestelle erworben. Er erstreckte seine
Geschäfte sehr bald auch auf die Kartoffelversorgung, indem er
Reserven ankaufte und auf die Gemeinden des Gesamtbezirks ver-
teilte. Der Lebensmittelausschuß der Stadt galt als vorberaten-
des Organ (Ernährungsausschuß im Sinne der Verordnung vom
25. Januar 1916). Die gleiche Stellung übten die Ernährungs-
ausschüsse der beteiligten Landkreise aus. Ihnen allen wurde nur
eine vorberatende Stimme zugebilligt, die Entschließung des
Vorstandes erfolgte selbständig.
Im Laufe dieses Erntejahres lehrte die Erfahrung,
daß die gemeinsame Kartoffelversorgung zu einer starken Er-
66
schwerung der Geschäfte und zu einem sehr hohen finanziellen
Risiko Anlaß gab, so daß vom 25. August 1916 an beschlossen
wurde, die Kartoffelversorgung aus dem gemeinsamen Ge-
schäftsbetriebe wieder auszuscheiden und den einzelnen Bezirken
zu überlassen. Dagegen übernahm der Kommunalverband die
gemeinsame Beschaffung von Teigwaren (Nudeln und Mak-
karoni) sowie die Anschaffung und den Vertrieb von aus-
ländischem Mehl.
Me gemeinsame Erledigung der Versorgung war so befrie-
digend, daß die Einrichtung des gemeinsamen Kommunal-
verbandes auch für die künftigen Erntejahre beibehalten wurde.
Nur führte die Tatsache, daß ein Zuschuß der Reichsgetreide-
stelle erforderlich war, zu dem Wunsche, den Verband so zu er-
weitern, daß solche Zuschüsse nicht erforderlich schienen. Grund
hierfür war, daß das Zuschußmehl in der Qualität den örtlichen
Ansprüchen oft nicht genügte und im Preise stets höher stand als die
eigene Erzeugung. Es wurden deshalb bei Beginn des Ernte-
jahres 1916/16 Verhandlungen mit den Landkreisen Meißen und
Großenhain gepflogen, die schließlich zum Eintritt dieser Bezirke
in den Kommunalverband, der künftig den Namen „Mittel-
sachsen" trug, führten. Der nunmehr entstandene große Verband
erzeugte so viel Getreide, daß er zum Überschußbezirk gegenüber
der Reichsgetreidestelle wurde und folglich völlig auf eigenen
Füßen stand. Er erledigte gemeinsam die Verteilung des be-
schlagnahmten Getreides, die Verbrauchskontrolle und die Abliefe-
rung der Überschüsse, während er die Rationierung, die bisher in
den Bezirken Meißen und Großenhain eingeführt war, unberührt
ließ, nachdem schon vorher eine gegenseitige Anerkennung der
Brotmarken mit nachfolgendem Mehlausgleich der Bezirke zur Tat
geworden war.
Der Kommunalverband Mittelsachsen hat während des Ernte-
jahres 1916/16 sämtliche Geschäfte befriedigend erledigt und den
Überschuß an Getreide ordnungsmäßig abgeliefert. AIs das
Erntejahr 1916/17 herannahte, meldete sich zum Eintritt der Land-
bezirk der Amtshauptmannschaft Kamenz, der bisher sein Getreide
in der Hauptsache der Reichsgetreidestelle abzuliefern hatte und
folglich seine ausgebildete Mühlenindustrie sehr ungenügend be-
schäftigen konnte. Obwohl ein zwingendes Bedürfnis für den
Eintritt des Bezirks Kamenz nicht vorlag, erfolgte seine Aufnahme
auf Wunsch des Königlichen Ministeriums des Innern, so daß für
das neue Erntejahr der Kommunalverband aus 7 Einzclbezirken,
nämlich dem Stadtkreise Dresden und 6 Landbezirken bestand.
57
Der gemeinsame Kommunalverband 'bewirtschaftete natur-
gemäß auch die entfallende Kleie und verfügte nach den
Grundsätzen der Neichsverordnung über die Kleie, die seinem
Getreidebedarfsanteil entsprach. Da hierbei der große Verbrauch
der Stadt Dresden mitspielte, ergaben sich dadurch beträcht-
liche Mengen, die eine verhältnismäßig gute Versorgung, ins-
besondere tn-s Milchviehes, ermöglichten. Dieser Vorteil wurde
vom Erntesahre 1916/17 an im wesentlichen dadurch hinfällig, daß
das Königliche Ministerium des Innern, um einen gerechteren
Kleie-Ausgleich im Lande zu erreichen, die Kleie im ganzen König-
reich Sachsen regelmäßig zu verteilen beschloß- und folglich dem
Kommunalverbande Mittelsachsen eine starke Ablieferungspflicht
zugunsten schlechter gestellter Kommunalverbände auferlegte.
Der gemeinsame Zusammenschluß von Stadt- und Land-
kreisen hat während der Versorgung auch außerhalb der Wirtschaft
mit Brot und Mehl und Streckungsmitteln in mehrfacher Be-
ziehung höchst segensreich gewirkt; insbesondere bildete er die
Grundlage dafür, daß die in dem ursprünglichen Kommunalver-
bande Dresden und Umgebung zusammengeschlossenen Bezirke/be-
stehend aus der Stadt selbst und den die zahlreichen Vororte um-
fassenden Kreisen, niemals jene Reibungen erlebten, die in der
Umgebung der Großstädte sonst so oft die Nahrungsmittelversor-
gung ganz wesentlich erschwert haben. Die genannten Bezirke
halfen sich mit Kartoffelreserven aus, führten gemeinsam die
Rationierung der Teigwaren durch, arbeiteten Hand in Hand bei
der Butter- und Milchversorgung und ließen in allen aufkom-
menden Nahrungsmittelfragen eine stete persönliche enge Füh-
lungnahme zu, die schließlich auch zu einer gemeinsamen Fleisch-.
Versorgung und Fleischrationierung führte. Auf diese Weise wurde
erreicht, daß in den meisten Fällen das Publikum der Vororte von
den Einrichtungen der Stadt beim Einkauf und bei der Ver-
sorgung Nutzen ziehen konnte, während andererseits der Stadt die
Bezugsquellen des Landes nicht verschlossen blieben.
III. Die Organisation des Handels
Im Laufe des Sommers 1915, als das Lebensmittelamt ge-
gründet wurde, trat deutlich hervor, daß die immer umfassendere
städtische Organisation, die offensichtlich nach und nach auf alle
wesentlicheren Nahrungsmittel ausgedehnt wurde/unmöglich völlig
M eigener Stadtwirtschaft durchführbar war. Der Rat hatte zwar
68
städtische Verkaufsstellen -geschaffen, in denen er Trockengeniüse
und Reis abgab, er erlebte aber damit insofern Unerfreuliches, als
wiederholt Veruntreuungen vorkamen, als er einen immerhin be-
trächtlichen Regieaufwand hatte, und als er weiter dem Klein-
händlertum Konkurrenz machte. Außerdem war vorauszusehen,
daß die städtische Wirtschaft zur Plage werden müßte, wenn sie sich
auf alle Nahrungsmittel erstrecken sollte.
Andererseits leuchtete ein, daß die einfache Herausgabe der
städtischen Vorräte an den sogenannten freien Handel einerseits
die Gefahr in sich barg, daß der freie Handel die Vorräte wenig-
stens zum Teil zu unzulässigen Preisen absetzte oder zurückhielt
oder nach auswärts schaffte, während das Publikum, das damals
in hervorragendem Maße -aus der steigenden Tendenz der Preise
den Vorwurf des Wuchers schöpfte, kein Vertrauen mehr zur
Tätigkeit des Handels zu haben schien.
Eine Preisprüfungsstelle bestand damals noch nicht, und auch
die Nachkontrolle einer solchen Stelle konnte nur unvollkommen
den Boden für ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Kon-
sument und Händlertum schaffen.
Das Lebensmittelamt schritt deswegen im August 1916 dazu,
die beteiligten Händlerkreise möglichst so zu organisieren, daß sie
zum Absätze der städtischen Waren geeignet wurden, indem sie zu
Werkzeugen der öffentlichen Hand gemacht und unter strenge Ver-
brauchs- und Verteilungskontrolle gestellt wurden. Dieser Grund-
gedanke konnte nur in Form des Syndikats erfüllt werden, für das
die Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung geeignet
erschien. Einen Vorgang bildete die im Kommunalverbande Dres-
den und Umgebung erfolgte Syndizierung der Brotgetreide-
Kommissionäre zu einer Getr eide-E inkaufs-Gese li-
sch a ft mit beschränkter Haftung. Diese Gesellschaft
mit beschränkter Haftung bestand aus den drei maßgebendsten
Firmen der Branche, unter denen die Landwirtschaftliche Zentral-
genossenschaft war, und beschäftigte die sogenannten Landgetreide-
händler als Unterkommissionäre. Sie arbeitete zu einem festen
Provisionssätze von 3 Mark für die Tonne, der zur Hälfte den
Unterkommissionären zufiel, und gewährleistete somit einen
Spesensatz, der erheblich unter den vom Reiche zugelassenen Sätzen
blieb. Außerdem arbeitete sie genau nach den Listen des Kom-
munalverbandes, mußte sich also stets ausweisen, was sie eingekauft
und abgesetzt hatte, und war genötigt, das beschlagnahmte Getreide
bis zur letzten Spitze hereinzuholen.
69
Entsprechend diesem Borgange wurde zunächst eine Syndi-
zierung der Futtermittelhändler beschlossen, damit die Preis-
unsicherheit und die Mängel der Verteilung in dieser Branche
beseitigt würden. Man schloß die bisher mit dem Vertriebe von
Futtermitteln in der Hauptsache beschäftigt gewesenen Firmen zu
einer Futtermittelverteilungs-Gesellschaft mit
beschränkter Haftung zusammen, in der auch die Ver-
einigung der Dresdner Fouragehändler, also der Detaillisten, ver-
treten war. Diese Gesellschaft, die nur mit einem kleinen Kapital
von 20 000 Mark gegründet wurde, wurde gehalten, der Stadt
sämtliche Waren auf Erfordern abzunehmen, die diese freihändig
oder kraft Zuweisung von Reschsstellen erwarb. Sie mutzte hierzu
die Mittel ihrer Gesellschafter anspannen und hatte dann die Wa-
ren an ihre Unterverteilungsstellen, als welche 20 Detaillisten be-
stimmt wurden, zu verteilen. Der Absatz der Ware erfolgte dann
gegen Bezugsschein, der von der städtischen Polizei nach bestimmten
Verteilungsgrundsätzen des Lebensmittelausschusses jedem Tier-
halter auf gewisse Zeitperioden ausgestellt wurde. Die verein-
nahmten Bezugsscheine ermöglichten eine Kontrolle dahin, daß die
zugewiesenen Waren voll an die Verbraucher gelangten. Die vor-
geschriebenen Preise waren durch Preisaushang und dadurch ge-
sichert, daß jeder Käufer das Recht der Einsicht in die entsprechen-
den Festsetzungen des Lebensmittelausschusses besaß.
Diese Form der G. m. b. H. unter Beteiligung des orga-
nisierten Kleinhandels und der Bezugsscheinkontrolle bildete die
Urform, nach der die weitere Syndizierung des Dresdner Handels
erfolgte.
Es wurde im August eine Warenverteilungs-
Gefells ch a f t m. b. H. begründet, die aus einem Großbetriebe
des Kleinhandels (Görlitzer Waren - Einkaufsverein), einem
Konsumverein (Konsumverein Vorwärts) und dem Verein
Dresdner Kaufleute bestand. Diese Gesellschaft bildete das Organ
zum Absatz der städtischen Bestände, wobei von besonderer Be-
deutung die Preisbildung wurde, da ihr Geschäftskreis sich auf
alle nur möglichen Waren erstrecken sollte, die nicht anderen Syn-
dikaten oblagen. Entsprechend dem Grundgedanken, daß vor allem
das Vertrauen der Verbraucherkreise wiederhergestellt werden
sollte, wurde ihr eine Preiskommission beigegeben, die
unter Vorsitz des Lebensmittelamtsvorstandes gleichmäßig von
Händlern und Verbrauchern besetzt wurde und nach bestimmten
Grundsätzen die Preise wöchentlich für jede einzelne Ware zu kal-
kulieren hatte. Die festgestellten Groß- und Kleinverkaufspreise
mußten den Abnehmern der Gesellschaft auf der Rechnung vor-
geschrieben werden und waren außerdem im Kleinverkaufsgeschäft
auszuhängen.
Neben der Warenverteilungs-Gesellschaft fand die Gründung
einer M e h lv e r t e i l u n g s - G e s e 11 s ch a ft m. b. H. statt, die
aus den wichtigsten Großhändlern und dem Verein Dresdner
Mehlhändler, der zu diesem Zwecke auf Anregung des Lebens-
mittelamtsvorstandes gegründet wurde und die kleineren Zwischen-
händler umfaßte, bestand. Sie hatte die Aufgabe, die Mehl-,
bestände des Kommunalverbandes zu übernehmen und gegen Ab-
nahme von Bezugsscheinen in den Handel zu bringen. Insbeson-
dere vermittelte sie den sehr erheblichen Mehlumsatz aus den
Mühlen der später dem Kommunalverbande Mittelsachsen hinzu-
tretenden Außenbezirke.
Das gleiche Bedürfnis nach Syndizierung bestand für den
Kartoffelhandel. Es wurde zunächst ein K a r t o ff e l k o n ko r
gegründet, das sich zur Verteilungsgesellschaft auswuchs und die
drei größten Grossisten dieses Erwevbszweiges umfaßte. Die
Kartoffelverteilungs'-Gesellschaft hatte die Ein-
gänge der Stadt an Kartoffeln zu übernehmen und ebenfalls nach
festen Grundsätzen gegen Bezugsscheine unterzuverteilen.
Im November 1916 traten nach Einführung der Butterhöchst-
preise die bekannten Schwierigkeiten in der Versorgung mit Butter
und Fett auf. Auch hier erfolgte die Zentralisierung des Handels
sofort in Form der Butter- und Fettverteilungs-
Gesellschaft, die aus Butter-Großhändlern bestand und die
Bestände der Stadt an Butter, Margarine, Kunstspeisefett und
dergleichen auf Grund eines streng rationierten Systems an die
Kleinhändler zu bringen hatte.
Diese sämtlichen Verteilungsgesellschaften arbeiteten aus-
schließlich nach den Weisungen des Lebensmittelamts zu gebunde-
nen Groß- und Kleinhandelspreisen unter vollster Öffentlichkeit
und unter Befolgung eines Verteilungssystems, das besonders
geschildert werden soll. Sie haben den Vorzug gehabt, daß zu allen
angeforderten Preisen die Öffentlichkeit das unbedingte Vertrauen
haben konnte, daß sie behördlich einwandfrei festgesetzt waren, und
führten zu dem unschätzbaren Erfolge, daß die Waren, die in jeder
einzelnen Gattung nach Millionen-Werten zählten, stets in der
sachverständigen Hand des Fachhandels, meistens in dessen Lägern
und unter seiner Kontrolle blieben. Die Dresdner Kaufmann-
schaft hat sich dabei in jeder Beziehung mit den Verteilungsvor-
01
schristen ab gefunden nnd ihren Stolz darin gesehen, die Ver-
teilung einwandfrei durchzuführen.
AIs die Fleischverteilung wichtig wurde, konnte deswegen nach
diesen Vorgängen auch das Fleisch ohne große Schwierigkeiten
durch ein Syndikat erworben und verteilt werden. Hierzu diente
die Einkaufs- und Verwertungs-Gesellschaft für
Fleischerei und Rohprodukte (kurz Talghaut genannt),
die bereits im Frieden bestanden hatte und das gesamte Gewerbe
umfaßte. Dieses Syndikat tritt als Abnehmer dem Viehhandels-
verbande gegenüber auf und bewirkt die Schlachtungen sowie die
Fleischverteilung selbst.
Auch beim Milchhandel konnte ein bestehendes Syndikat zur
Durchführung der Organisation verwendet werden, soweit nicht
Großmolkereien dem Rate zur Verfügung standen, da die „Vec*
einigten MiIchhändler" mit ungefähr 1100 Mitglieder»
sich als Organisationszentrum zur Verfügung stellten.
Der Vertrieb des Zuckers ist von der Staatsregierung selbst
für das ganze Land organisiert worden, wobei nach demselben
Gedankengange eine Syndizierung des sächsischen
Zuckergroßhandels erfolgte, die die den sächsischen Kom-
munalverbänden zustehenden Mengen erfaßte und nach dem
System der Bezugsscheine verteilte.
Die Dresdner Süßstoffverteilung hat die Einkaufs-
gesellschaft der Dresdner Drogisten und eine
Organisation der D r es d n e r A p o t h e k er zu gleichen Teilen
nach denselben Grundsätzen übernommen.
Die letzte Gründung in der bezeichneten Richtung war die
Bildung der V e r m i t t l u n g s st e l l e für Gemüse und
Obst, einer G. m. bi H. aus den namhaftesten Großhändlern
dieses Geschäftszweiges, die den Verkehr mit der Reichsstelle für
Gemüse und Obst nach den Grundsätzen eines Großmarktcs auf-
nahm und unter strenger Preisbildung durch die Stadt zu
arbeiten hatte.
IV. Die Organisation der Warenbeschaffung
Während im ersten Halbjahr des Krieges von der Stadt eine
Vorratswirtschaft getrieben wurde, trat später die reichsrechtlich
zugemessene Zuweisung in den Vordergrund, da Getreide, Mehl,
Hafer, Gerste, Kraftfutter, Fleisch, Fett, Butter, Kunstfette, Kar-
toffeln, Eier und dergl., Z. E. G.-Waren, später auch die Waren
der Reichsstelle für Gemüse und Obst schlllsselmäßig zugewiesen
wurden. Hierfür war im wesentlichen der Erwerb durch die Hilfe
62
der unter MI geschilderten Gesellschaftsbildungen geregelt. Das
Getreide erwarben die Kommissionäre des Kommunalverbandes
(Getreide-Einkaufsgesellschaft m. b. H.), die sonstigen Lebensmittel
die Stadt, die sie dann durch jene Hilfsstellen verleilte.
Besondere Einrichtungen erforderten folgende Waren:
a) Kartoffeln
©sr Stadt war eine große Zahl von Lieferungskreisen zu-
geteilt. Diese stellten zwar Kommissionäre; es ergab sich aber, daß
die geregelte Zufuhr unmöglich war, solange nicht Vertreter der
Stadt in den Lieferungskreisen an Ort und Stelle nach Prüfung
der Qualität die Ware abnahmen und das Tempo der Lieferung
beeinflußten. Weiter stellte es sich als dringendes Bedürfnis her-
aus, die Lieferungen aus etwa 25 Kreisen so gegeneinander ab-
zustimmen, daß nicht zeitweise alle Kreise, zeitweise aber über-
haupt keine Kreise lieferten. Die stoßweise Zufuhr gefährdete die
rasche Ausladung und damit die Erhaltung der Qualität. Außer-
dem konnte es nicht dem Zufall überlassen bleiben, auf welchen
Bahnhöfen der Stadt die Waren zur Ausladung kamen, da Ver-
teilungswaren je nach Bedarf nach einzelnen Stadtteilen unmittel-
bar, Ware zum Einmieten und Einkellern aber tunlichst in die
Nähe der Mieten oder Keller verfügt werden mußten.
Es wurde deshalb in jeden Lieferungskreis ein städtischer
Kommissionär gesetzt, dem eine gewisse, einen Bruchteil der von
der Reichsstelle Zugelassenen Provision betragende Vergütung zu-
gebilligt wurde. Dieser hatte abzunehmen, wozu er sich Leute
halten mußte, da in großen Kreisen, wie solche meistens lieferten,
am selben Tage zumeist vielerorts, stunden- und tageweise vonein-
ander entfernt, Kartoffeln verladen wurden.
Diese Kommissionäre hatten in ständiger Fühlung mit einem
Oberkommissionär zu arbeiten, der seinen Sitz in Posen nahm und
auf Grund der Berichte möglichst für ein Tempo der Lieferungen
in den Kreisen sorgte, daß täglich 20 bis 25 Waggons für den
laufenden Bedarf und außerdem die für Vorräte bestimmten
Mengen in Dresden eintrafen.
Die sonach aus den verschiedensten Teilen des Reichs täglich
nach Dresden laufenden Waggons wurden endlich in Arnsdorf,
einer Übergangsstation vor Dresden, überwacht und von einem
Beauftragten der Stadt, der hier seinen Sitz hatte, so verteilt, daß
sie in Dresden an den Bahnhöfen oder Zweiggeleisen einliefen, wo
ihre zweckmäßige Verwendung zum Verkauf, zum Einmieten oder
zum Einkellern nötig war.
63
b) I. E. G.-Waren usw.
Bekanntlich verteilte früher die Z. E. G. nicht streng schlüssel-
mäßig, sondern verkaufte auf Bestellung nach Preislisten. Außer-
dem liefen täglich Lebensmittelangebote des Handels ein. Es
wurde zunächst versucht, die Erwerbungen nicht durch die Stadt,
sondern durch die Warenverteilungs-Gesellschaft m. b. H. zu
leiten. Dies ergab schwierige Fälle, weil diese Gesellschaft mehr
für die Verteilung zugeschnitten war und weil sie das erforderliche
Großkapital nicht aufwies, um selbst große Läger zu halten.
Andererseits litt die Verwaltung des Lebensmittelamts sehr
darunter, daß sie nicht sofort alle Angebote sachkundig beurteilen
konnte und daß die Verkäufer eine Stadt bezw. Gemeinde gegen
die andere ausspielten. Die Konkurrenz der Gemeinden trieb die
Preise und beunruhigte die Entschließungen.
Es wurde deshalb vom Lebensmittelamt der Plan vorgelegt,
wenigstens für Sachsen hierin geordnete Verhältnisse durch den
Zusammenschluß der Gemeinden für den Einkauf zu schaffen.
Der Gedanke war, z. B. durch den Landbezirk Glauchau-
Meerane, der eine Einkaufszentrale geschaffen hatte, und durch
den bekannten Zusammenschluß süddeutscher Städte unter Füh-
rung Stuttgarts, gewissermaßen vorbereitet.
Das Königliche Ministerium des Innern griff diesen Vor-
schlag auf und förderte die ihm zugrundeliegende Idee. Schließ-
lich erfolgte die Gründung der zwei sächsischen Einkaufsgesell-
schaften Ostsachsen und Weftsachsen.
Dresden gründete die Einkaufsgesellschaft m. b. H. Ost-
sachsen auf folgender Grundlage: die sämtlichen städtischen und
ländlichen Kommunalverbände der Regierungsbezirke der Kreis-
hauptmannschaften Dresden und Bautzen, einschließlich der Stadt
Dresden und sonstiger kreisfreier Städte, schlossen sich zu einer
G. m. b. H. zusammen. Sie schossen zusammen 400 000 Mark
Grundkapital voll ein. Zweck der Gesellschaft war der gemeinsame
Einkauf aller Waren von der Z. E. G. und aus dem freien Handel
und deren schlüsselmäßige Verteilung auf die Kommunalverbände.
Zu Geschäftsführern wurden zwei der hervorragendsten Dresdner
Großkaufleute bestellt, während die Überwachung einem aus der
Mitgliederversammlung bestellten Überwachungsausschusse unter
Vorsitz des Dresdener Lebensmittelamtsvorstandes zufiel.
Der Sinn der Gründung war der Ausschluß des gemeindlichen
Wettbewerbs bei der Z. E. G. und dem Handel. Die Z. E. G.
erkannte dies an, indem sie mit Ostsachsen den bekannten Der-
64
trag schloß uni) es als Bezirkszentrale anerkannte und belieferte.
Die Einzclgemeinden hatten mit der Z. E. G. nichts mehr zu tun.
Sie durften auch aus dem freien Handel solche Waren, die Ost-
sachsen in seinen Geschäftsbereich nahm, nur noch im Einver-
nehmen mit den Geschäftsführern, also nachdem diese den Ein-
kauf abgelehnt bezw. gebilligt hatten, erwerben.
Andererseits war Zweck der G. m. b. H., möglichst viel Ware
zur Versorgung der Gemeinden Heranzubringen. Hierzu eröffnete
der Staat ihr einen Wechselkredit von 2 Millionen Mark, außerdem
wurde ein noch höherer Bankkredit in Anspruch genommen. Auf
diesem Wege konnte vom 1. Januar 1916, dem Beginn der Arbeit
an, die Beschaffung im weitesten Rahmen betrieben werden. Der
monatliche Einkauf stieg rasch auf mehrere Millionen Mark Wert.
Es konnten sehr beträchtliche Lager aller Art beschafft und ver-
teilt werden.
Für die Verteilung galt als Grundsatz, daß die Waren den
Kommunalverbänden in Preislisten angestellt wurden. Die
G. m. b. H. arbeitete mit einem Prozent Nutzen, also bei Z. E. G.°
Waren, da die Z. E. G. ihr ein Prozent gutschrieb, mit den
Originalpreisen der Z. E. G.
Soweit die Bestellungen der Kommunalverbände hinter den
verfügbaren Warenmengen zurückblieben, wurden sie voll befrie-
digt. Soweit sie die Ware überstiegen, setzte die schlllsselmäßige
Zuteilung ein. Es wurden hierzu die von der Z. E. G. aufgestellten
Verteilungsschlüssel zugrunde gelegt.
Schließlich mußte aber auch für eine glatte und fachgemäße
Abnahme der Waren in den Kommunalverbänden gesorgt werden.
Dies geschah so, daß jeder Bezirk verpflichtet wurde, eine kauf-
männische Abnahmestelle einzurichten. Hierzu wurden meistens
Großkaufleute bestellt, denen der Bezirk Nutzen und Verteilung an
die Gemeinden vorschrieb. Teilweise wurden Organisationen des
Kleinhandels benutzt, so in Meißen, Lommatzsch usw. Für die
Stadt Dresden wurde die Warcnverteilungsgesellschaft m. b. H.
als Abnahme- und Verteilungsstelle bestellt, die gleichzeitig auch
von den benachbarten Landkreisen Dresden-Alt- und Neustadt hier-
mit beauftragt wurde. Hiernach versorgt sie die Stadt Dresden
und etwa 160 Gemeinden, für die alle die „Preiskommission" die
Preise bestimmt. Der G. m. b. H. sind drei Prozent Nutzen zu-
gebilligt worden.
Auch hier bewährt es sich, daß die Vororte mit der Stadt
gleichmäßig versorgt werden.
In einzelner: Fällen ntachte sich eine weitere Gliederung
nötig. Dies galt zunächst für Eier. Diese besonders empfindliche
Ware gelangte an die Warenverteilungsgesellschaft einmal durch
Ostsachsen von der Z. E. G., sodann aber auch vom Handel, später
von den Sammelstellen. Die Eierhändler wurden deshalb zu einer
„Sammelstelle" vereinigt, die irrt Aufträge der Warenverteilungs-
gesellschaft als deren Eierabteilung die Eier sammelte, abnahm,
prüfte, mit den Preisen stempelte und auf die Bezugsscheine der
Kleinhändler verteilte.
Ähnlich gestalteten sich die Verhältnisse für Grieß. und
Graupen. Hier vereinigten sich die Großhändler zu einer Grietz-
und Graupenverteilungs-G. m. b. H., die von „Ostsachsen" mit der
Abnahme und Verteilung dieser Waren betraut wurde. Jeder
Kleinhändler beliefert satzungsgemäß nur einen ihm zugewiesenen
Kommunalverband nach dessen Verteilungsanordnungen. Für
Dresden und Vororte gründet sich letztere Ordnung auf das
Karten- und Bezugsscheinsystem.
Im übrigen regelte Ostsachsen besonders die Einfuhr der
Fische, Fischkonserven, Mühlenfabrikate, Kaffee, Öl, Kakao, Schoko-
lade, Dörrgemüse, Konserven und dergl. mehr.
V. Das V e r t e i l u n g s p r o b l e m
Die Einführung der Brotkartenregelung war, wie überall
im Reiche, in Dresden gegeben, da die bloße Beschränkung
des Umsatzes der Bäcker schon in den ersten Tagen zu
einer unhaltbaren Jagd nach Brot führte. Sie erfolgte
mit Bekanntmachung vom 16. Februar 1916 in der Form,
daß. man Schwarzbrot-, Weißbrot-, Gasthaus- und Tagesbrot-
scheine einführte. Diese Rationierung genügte, wie auch sonst im
Reiche, für die Einschränkung des Verbrauchs insofern völlig,,
als damit Ruhe und Ordnung für die Verbraucher eintrat. Die
Tatsache, daß stets ein genügender Vorrat von Ware, insbesondere
dank der Selbstbewirtschaftung des Kommunalverbandes, am
Lager der Detaillisten war, hatte die Folge, daß jede Marke stets
voll beliefert werden konnte, also eine vollgültige Warenanweisung
darstellte.
Schwieriger erschien die Durchführung einer Überwachung
dahin, daß die Bäcker und Produktenhändler nicht mehr Ware aus-
gaben, als der Rationierung entsprach. Es fehlte an einem Maß-
stabe für die Zuweisung des Mehles an diese Stellen. Bereits
66
im Februar 1915 faßte man deswegen den Gedanken, die Zu-
weisung des Mehls von der Rücklieferung der vereinnahmten
Brotkarten abhängig zu machen, so daß also jeder Bäcker usw.
jederzeit an der Hand der vorgeschriebenen Bestandsanzeigen sich
über die Höhe seines Verbrauchs durch die zurückgelieferten Karten
ausweisen mußte und nur für den zulässigen Verbrauch Ersatz er-
hielt. Bei der Größe des Kommunalverbandes, der bereits da-
mals^ vier Kreise umfaßte und infolgedessen eine Unzahl von
Bäckereibetrieben und Mehlgeschäften aufwies, erschien es nicht an-
gängig, den Mehlzwischenhandel zwischen Mühle und Kleinhändler
völlig auszuschalten, zumal hierdurch etwa hundert Existenzen brot-
los geworden wären. Der Grundgedanke der Rücklieferung der
Karten wurde deswegen in der Form ausgebaut, daß die Karten
dem Händler und vom Händler der Mühle zurückzuliefern waren.
Da in der Praxis das Zahlen und Verrechnen der Karten auf diese
Weise zu schwierig geworden wäre, schaltete man eine behördliche
Stelle ein, bei der der Bäcker usw. in bestimmten Zeiträumen die
vereinnahmten Karten aufzuliefern hatte. Hierbei wurde dezen-
tralisiert; während auf dem Lande die Gemeindevorsteher die
Karten prüften und an die zuständige Amtshauptmannschaft
lieferten, die als Mehlbezirk für die abgelieferten Karten eine
Quittung in Form eines Mehlbezugsscheins ausstellte, wurde die
Stadtgemeinde Dresden in 23 solche Mehlbezirke eingeteilt, bei
denen die bezirkseingesessenen Bäcker usw. ihre Karten abzuliefern
hatten. Der Mehlbezirk wurde hauptamtlich mit einem Be-
zirksvorsteher und den nötigen Hilfskräften besetzt und führte
einen Kontokorrentverkehr für jeden Bäcker und Produktenhändler
ein, so daß er in seinen Büchern und den Bestandsanzeigen jeder-
zeit ein genau arbeitendes Kontrollsystem hatte. Die verein-
nahmten Karten verblieben dem Mehlbezirk, um später als Maku-
latur vernichtet zu werden. Die ausgegebenen Mehlbezugsscheine
erhielt der Bäcker. Der Bezugsschein wanderte nunmehr in um-
gekehrter Richtung der Ware vom Bäcker zum Händler und vom
Händler zur Mühle, so daß er in Dresden als die „rückwandernde
Karte" bezeichnet worden ist. Händler wie Mühle mußten sich über
ihre Bestände und Verkäufe einer Zentralstelle gegenüber durch
Vorlage der jeweils vereinnahmten Mehlbezugsscheine ausweisen
können. AIs Zentralstelle wurde eine Mehlzentrale bei dem
Kommunalverbande eingerichtet, die insbesondere an der Hand be-
sonderer Bestandsanzeigen den Verkehr der Mühlen mit Mehl
genau zu überwachen hatte, soweit diese Mühlen vom Kom-
munalverbande zum Absatz ihrer Produkte zugelassen wurden. Im
67
übrigen erfolgte diese Kontrolle gegenüber der AbgabestelLe des
Kommunalverbandes, der sogenannten Mehlverteilnngs - Gesell-
schaft.
Dieses zwangläufige System hat seinen Mittelpunkt in dem
Unterbau des Mehlbezirks. Es hat den Vorteil gezeigt, daß durch,
die Dezentralisation stets ein Zählen der abgelieferten Karten
möglich gewesen ist und daß die rückwandernde Karte den
Zwischenhandel im möglichsten Umfange ausrecht erhalten hat; es
ist vorbildlich geworden für die gesamte weitere Behandlung der
Rationierungsfrage. Die später ausgegebenen Gemüsekarten
Grießkarten, Teigwarenkarten, Butterkarten, Kartofselkarten,
Eierkarten, Fleischkarten, Milchkarten und Kohlrübenkarten werden
stets vom Kleinhändler gesammelt und dem Mehlbezirk überbracht,
der sie zählt, verbucht und durch Erteilung eines Bezugsausweises
quittiert. Der Mehlbezirk hat aus diese Weise innerhalb seines
Stadtbezirks nach und nach eine genaue Kenntnis der Gewerbe-
treibenden erlangt und insbesondere eine vollständige Überwachung
der Schank- und Gastwirtschaften und ähnlicher Betriebe in der
Hand.
Es sei hierbei eingeschaltet, daß der Mehlbezirk mit der Aus-
gabe der Lebensmittelkarten an die Verbraucher nichts zu tun hat.
Diese Ausgabe erfolgt durch andere Organe, und zwar durch die
sogenannten Brotbezirke. Auch hierbei ist in Dresden eine starke
Dezentralisation für nötig erachtet worden. Jedem Mehlbezirk
sind mindestens 30 Brotbezirke beigegeben, so daß ein einzelner
Brotvertrauensmann in der Regel etwa zehn Häuser mit Karten
zu versorgen hat. Zurzeit bestehen etwa 800 Brotbezirke. Der Brot-
vertrauensmann kennt folglich seine Kundschaft annähernd genau
und vermag somit Hinterziehungen leichter zu begegnen. Er ist
mit der Ausgabe nicht nur der Brotkarten, sondern sämtlicher
Lebensmittelkarten betraut. Dagegen ist den Brotbezirken die Ver-
sorgung aller sogenannten Großverbraucher entzogen. Als letztere
gelten Gast- und Schankwirte und andere Großbetriebe. Diese
entnehmen ihre Karten vom Mehlbezirk, soweit sie sie nicht, wie
Brot-, Fleisch-, Kartoffel-, Teigwarenkarten vom Verbraucher
selbst innerhalb des Betriebes erhalten. Dies gilt also insbeson-
dere für die Lieferung von Butter, Fett, Kaffee, Tee und Eiern.
Der Mehlbezirk rationiert sie nach vom Lebensmittelausschuß be-
stimmten Grundsätzen, um ihnen dann ebenfalls Bezugsscheine zu
erteilen.
AIs die Zeit eintrat, in der die Warenbestände einiger Gat-
tungen so knapp wurden, daß auch die Ausgabe von Nahrungs-
5"
68
mittelkakten keine Gewähr dafür bot, daß die Ordnung de
Nahrungsmittelverteilung aufrecht erhalten werden konnte, als
insbesondere die geringe Menge der verfügbaren Butter in keinem
Verhältnis zu der verausgabten Menge an Karten stand, was int
November 1918 eintrat, zeigte sich, daß die bloße Rationierung des
Verbrauchs durch Karten nicht mehr genügte. Das Publiknu
suchte nach der Ware und staute sich vor den Geschäften, was all-
gemeine Unruhe und Verbitterung zur Folge hatte.
Der Lebensmittelausschuß erkannte die Notwendigkeit, dafür
zu sorgen, daß einerseits die ausgegebene Kartenmenge und die
vorhandene Gesamtmenge der Ware in steter Übereinstimmung
blieb, und andererseits jeder Kaufmann soviel Ware er-
hielt, daß er seine Kundschaft bedienen konnte. Um letzteres
erreichen zu können, mußte der Kaufmann wissen, wie groß der
Kartenbedarf der Kundschaft war. Die Kundschaft mußte also ihre
Ware unter Ablieferung der Karten bei ihm bestellen, damit der
Kaufmann sich die hiernach notwendige Menge vom Mehlbezirl
durch einen Bezugsschein zuweisen lassen konnte. Dies führte zum
Bestellsystem und dazn, daß der Kaufmann seine Kundschaft auf-
zeichnen mußte, also zum Kundenbuch oder der Kundenliste.
Andererseits führte es/dazu, daß eine Zentralstelle darüber wachen
, mußte, daß die ausgegebenen Bezugsscheine und damit die im Wege
der Bestellung angemeldeten Karten in der Höhe beliefert wurden,
die dem verfügbaren Vorrat entsprach. Dies wurde zunächst prak-
tisch durchgeführt für die Butterversorgung, und zwar mit Ver-
ordnung vom 23. Dezember 1916. Man bestimmte, daß die
Bürgerschaft ihre Karten jeweils wöchentlich, und zwar bis zum
Dienstag Abend, in einem beliebig wählbaren Buttergeschäft zwecks
Bestellung der Kartenmenge anzumelden hatte. Der Kaufmann
trug die Bestellungen in die Kundenliste ein, um sie am Mittwoch
dem Mehlbezirk mit den Karten vorzulegen. Der Mehlbezirk er-
teilte den Bezugsschein. Der Bezugsschein trat seine Wanderung
durch den Zwischenhändler zur Zentralstelle an. AIs Zentralstelle
. arbeitete die Butter- und Fettverteilungsgesellschaft, die bis Don-
nerstag Mittag im Besitz sämtlicher Bezugsscheine zu sein hatte.
Zu diesem Zeitpunkt fand eine Sitzung statt, in der der Lebens-
mittelamtsvorstand die Bezugsscheinmenge mit der verfügbaren
Warenmenge verglich und bestimmte, welche Wochenmenge auf du
Bezugsscheine und damit auf die Karten entfiel. In der Regel
betrug dies damals 60 Prozent der aufgedruckten Menge. Der
Butter- und Fektverteilungs-Gesellschaft fiel sodann die Aufgabt
zu, den Händlern (etwa 18) den beschlossenen Prozentsatz auf die
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Bezugsscheine zuzuteilen, die Händler hatten ihre Kleinhändler-
kundschaft mit dem gleichen Prozentsatz zu bedienen, so daß vom
Sonnabend bis Dienstag in den Buttergeschäften von den Be-
stellern die prozentualen Anteile abgeholt werden konnten. Dies be-
seitigte mit einem Schlage jede „Polonäse" und jede Beunruhigung
l>er Öffentlichkeit.- Dank der aufopfernden Tätigkeit der Zentral-
stelle konnte auch stets die Verteilung der Ware, die allerdings
in durchaus nicht handelsüblichen Mengen zu erfolgen hatte,
durchgeführt werden.
Auf Grund dieser Erfahrungen ist dieses System der Vor-
ausbestellung der Ware mit wöchentlich oder monatlich wechselnder
Bestimmung der Lieferungsmenge in Dresden soweit wie irgend
möglich durchgeführt worden. Zurzeit führen die Kleinhandels-
geschäfte Bestellungslisten in Form von Kundenbüchern für Butter,
Margarine, Teigwaren, Eier, Kartoffeln, Fleisch, Süßstoff,
Trockengemüse, Grieß und etwa sonst im einzelnen vom Rate zu
verteilende Waren. Bei Zucker ist die gleiche Form möglich, aber
in der Regel solange nicht nötig, als genügend Vorräte im Handel
sind, um jede Karte sofort zu beliefern. Das Lebensmittelamt be-
stimmt periodenweise die Lieferungsmenge, die für Butter wöchent-
lich, später in einer Dekade, meistens ein achtel Pfund, für Mar-
garine 100 Gramm in vier Wochen, für Kartoffeln 6 bis 7 Pfund
i\\rv. betrug.
Selbst in den Fällen, wo die Ware, wie z. B. bei Butter, Eiern
und Kartoffeln, zeitweise ganz ausblieb, wurden häßliche Ansamm-
lungen des Publikums vermieden, da dies ja nicht mehr im Besitz
der angemeldeten Karten war und folglich lediglich auf die
Lieferung der Ware durch seinen Kaufmann zu warten hatte. Es
konnte mithin bestimmt werden, daß eine einzeln angemeldete
Kartenreihe ausfiel, oder daß an Stelle der bestellten Kartoffeln
eine Ersatzware, z. B. Mehl oder Kohlrüben, entnommen werden
konnte. Das System hat sich so eingebürgert, daß das Publikum
-oft Karten zu Kundenlisten anmeldete ltrtb daß die Kaufleute
solche Kundenlisten bereits führten, ehe dies- für die betreffende
Warengattung überhaupt vorgeschrieben war. Es ist nur möglich
geblieben, trotz seiner starken Verbreitung, durch die stark dezen-
tralisierte Prüfung der Kundenlisten mit Auszählung der Karten
und durch die Tatsache, daß für jede Warengattung eine kauf-
männische Verteilungszentrale in Form eines Handelssyndikats
zur Verfügung stand, das mit größter Beschleunigung die jeweils
nötige Quotenverteilung unter Zuhilfenahme des Zwischenhandels
durchführte.
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Ganz besondere Sorgfalt erforderte in nur einigen Fällen
die Frage der Unterverteilung bei sehr knapper Ware. EK
gilt dies einmal für Süßstoff, dessen zu starke Zersplitterung in
allzu winzige Kundenlisten dadurch vermieden wurde, daß die
Kundenanmeldung nur bei Apotheken und Drogerien zugelassen
wurde. Ebenso wurde die Anmeldung von Spiritus und von
Eiern, wenigstens zeitweise, auf eine öffentlich bekanntgemachte
Liste von zugelassenen Geschäften beschränkt. Im übrigen
wurden alle Geschäfte zugelassen, die die fragliche Ware schon vor
dem Kriege geführt hatten. Bei der Kartoffelverteilung trab
schließlich der Fall ein, daß die Kundenliste zwar die Anmeldungen
gut verteilte, daß aber Unzufriedenheit entstand, weil bei knappem
Eingang die Händler der Kartoffelverteilungsgesellschaft die Ware
nicht streng gerecht prozentual überall hin austeilten, sondern alte
Kunden, insbesondere größere Abnehmer, zum Schaden der
kleineren vorzogen. Auch dies wurde abgestellt: die Mehlbezirke
erhielten Anweisung, den Kleinhändlern nicht mehr den der Kun-
denlistenanmeldung entsprechenden Wochenbezugsschein zur freien
Auswahl des liefernden Händlers zu überlassen. Pie Bestellungen
wurden vielmehr vom Mehlbezirk in eine Liste gesammelt, die der
„Bezirkshändler" zur Erledigung erhielt. Der Kartoffelvertrieb von
der Zentrale, dem Kartoffelkontor, an die kleineren Händler wurde
verboten, so daß nur der für den einzelnen Stadtbezirk behördlich
zugelassene Händler die Verteilung auf seine Liste unter täglicher
Kontrolle der Wohlfahrtspolizei zu erledigen hat. Es arbeiten so
23 Bezirkshändler. Die ihnen erteilte Wochenliste zerfällt in zwei
Teile: Unter K wird der laufende Wochenbedarf laut Kundenliste
aufgezeichnet, unter 0 befindet sich die Anmeldung von Winter-
vorratskartoffeln, die nur nach Erledigung der Spalte K in An-
griff genommen werden darf.
Eine weitere Besonderheit ergab noch die Ausgestaltung der
Fleischerkundenlisten. Hier war ein Übelstand, daß die Gast- und
Schankwirte von den Fleischern gern vorweg bedient wurden,
so daß sich Gefahren für die Sicherheit der Belieferung der übrigen
Verbraucher ergaben. Dem wurde so abgeholfen, daß die Fleischer
eine Kundenliste A für Verbraucher und eine Kundenliste B für
Restaurateure führen müssen. Die Liste B darf erst beliefert
werden, wenn die Liste A erfüllt ist, so daß Ausfälle von den Wirt-
schaften zu tragen sind, die gegebenenfalls nur mit einem Prozent-
sätze des durch Marken nachgewiesenen Bedarfs beliefert werden.
Die Kundenliste wird auch dazu benutzt, den Bedarf der Gast-
und Schankwirte einerseits, der Verbraucher andererseits, für
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Butter urtö Margarine getrennt anzumelden. Die Trennung wird
im Mehlbezirk beachtet, der verschieden gefärbte Bezugsscheine er-
teilt. Ist dann zu wenig Butter usw. vorhanden, so wird ange-
ordnet, daß etwa die Verbraucher die Normalquote erhalten, die
Restaurateure nur 20 oder 50 Prozent usw. des Bestellbedarfs.
Bei der Eierkundenliste werden die Bestellungen sogar nach der
Farbe der LebeWmittelkarte (siehe unter VI) getrennt vom Kauf-
mann gebucht, so daß der Mehlbezirk, ihm getrennte Bezugsscheine
(auf gelbe Karten für Unbemittelte bis 1900 Mark Einkommen,
auf graue Karten für besser gestellte Verbraucher) erteilen muß.
Das Lebensmittelamt kann deshalb wöchentlich bestimmen, wieviel
Eier die Ärmeren, die Wohlhabenderen und schließlich die Gast- und
Schankwirtschaften bekommen sollen. Es kann auch nur eine
dieser Kategorien oder mehrere bedenken; es ist die Gewähr da,
daß die Eierzentrale dann nur die entsprechenden Farben beliefert
und die Kunden vom Kleinhändler entsprechend bedient werden.
V!. Kartensystem
Die Brotkarte wurde in Dresden zunächst für Schwarz- und
Weißbrot getrennt ausgestaltet, wobei die Kartenarten nach Wahl
entnommen oder eingetauscht werden konnten. Die Unterschei-
dung der zwei Arten war sehr zweckmäßig wegen der durch sie
möglichen straffen Zuweisung von Roggen- und Weizenmehl an die
Bäcker. Sie mußte später, da für Sachsen gewisse Einheits-
normen für die Brotkarten vorgeschrieben wurden, aufgegeben
werden. Seither gilt für den Dresdner Kommunalverband die
Einheitsbrotmarke von 1O0 Gramm Schwarzbrot oder 75 Gramm
Weißbrot oder 60 Gramm Mehl, die in Streifen von IO Stück
Zusammen mit einer 1-Kilogramm-Marke die Normalwochenration
(4 Pfund Brot) darstellt. Es werden je auf 4 Wochen vier
solche zu einer Karte vereinigte Streifen ausgegeben. Kinder
unter einem Jahre erhalten nur ein Viertel, Kinder vom vollendeten
ersten bis zum sechsten Jahre nur drei, Viertel dieser Karte, wäh-
rend ein Viertel der Karte zugleich die für Schwerarbeiter übliche
Zusatzkarte darstellt. Es werden also mit dem Einheitsformular
alle Abarten der Zuteilung durch den Vertrauensmann leicht
dargestellt.
Die schnelle Rationierung führte bald zahlreiche Einzelkarten
an die Seite der Brotkarte, beginnend mit der Karte für Trocken-
gemllse, der die Butter-, Fett-, Kartoffel-, Teigwaren-, Milch-,
Grieß-, Zucker-, Fletsch- usw. Karten folgten. Als schon nach
wenigen Monaten bis zu 16 Formulare für den Einzelverbraucher
nötig erschienen, entschloß sich das Lebensmittelamt zu einer ein-
heitlichen Ausgestaltung, indem es eine sogenannte Lebensmittel-
karte einführte. Letztere ist eine einfache Jnhaberkarte aus zwei
Teilen. Der obere Teil ist die Sperrkarte, auf der Felder für
Waren vorgesehen sind, die nicht auf Kundenlisten rationiert oder
durch diese nur unregelmäßig zu haben sind. Hierunter fallen
Öl, Eier, Kunstfett, Kaffee, Tee. Der Verkäufer ist verpflichtet,
für jede Lieferung vorher bestimmte Felder zu streichen oder zu
stempeln. Im Höchstfälle konnten sonach erworben werden:
wöchentlich ein achtel Pfund Kaffee mit der gleichen Menge
Ersatzmittel,
monatlich ein viertel Pfund Tee,
wöchentlich bis zu einem viertel Pfund Öl,
wöchentlich die jeweils vom Rat bestimmte Eiermenge.
Die untere Hälfte des Vordrucks enthält abtrennbare Waren-
anweisungen, nämlich die Butter- und Fettkarten, die Kartoffel-
karten, die Teigwarenkarte und Anmeldeausweise, insbesondere
für Margarine- und Eierverteilung, neuerdings auch Blankoaus-
weise mit Nummern zur Anmeldung für künftig vom Rat auf
Kundenlisten etwa zu verteilende Waren. Diese Anweisungen
werden nach Abtrennung unter Anmeldung zur Kundenliste dem
Geschäft abgeliefert, das die Ware vermitteln soll.
Diese Einheitskarte umfaßt also alle Ausweise außer der Brot-
karte, da diese nicht von der Stadt, sondern vom Gesamtkom-
munalverbande verteilt wird, ferner außer der Fleischkarte, die von
Reichs wegen vorgeschrieben ist, und der Zuckerkarte, die landes-
rechtlich in Sachsen besondere Gestalt erhalten hat. Außerdem ist
in der Einheitskarte nicht enthalten die Milch- und Grießkarte,
da diese nur einem beschränkten Verbraucherkreise (Kindern,
Kranken, Müttern und dergl.) zusteht und deshalb besonders ver-,
teilt werden muß.
Zusatzkarten (Butter, Kartotoffeln) für Kranke und Schwer-
arbeiter, werden durch Hinzugäbe der betr. Karten neben der all-
gemeinen Lebensmittelkarte gewährt.
Süßstoff wird auf die Zuckerstammkarte abgeschrieben, was
an der Hand der Kundenliste einwandfrei läuft.
Für Kohlrüben ist neuerdings eine besondere Karte —
für einen längeren Verteilungszeitraum — ausgegeben worden.
Die besonderen Schwierigkeiten des Schankwirtschaftsverkehrs
mit seinem über den Bevölkerungskopfsatz hinausgehenden Ver-
brauch haben in Dresden, dazu geführt, daß neben der Karten-
Pflicht für Brot und Fleisch auch in den Wirtschaften die Karten-
pflicht für Teigwaren und Kartoffeln durchgeführt ist. Die
Karten sind entsprechend für geringe Mengen teilbar ausgestaltet
worden. Für Eier ist dies in Aussicht genommen, aber zurzeit
noch nicht durchgeführt worden. — Diese Regelung gilt für Wirt-
schaften und Massenspeisungen in gleicher Weise.
Die allgemeine Lebensmittelkarte wird in verschiedenen
Farben ausgestellt, die eine verschiedene Behandlung der Minder-
bemittelten ermöglichen. So erhalten letztere mehr Teigwaren,
nach Befinden auch Zulagen in sonstigen Waren. Wenn der
Eiervorrat knapp ist, erhalten nur die Minderbemittelten ihren
Anteil, die übrigen gehen leer aus.
VII. Preispolitik
Im allgemeinen gewährt die geschilderte Dresdener Regelung
den Vorteil, daß der Stadtrat die Waren nicht selbst in die Hand
zu nehmen braucht, weshalb er an Gewinn und Verlust nicht be-
teiligt ist und folglich von jeder Abgabenerhebung absehen kann.
Dies gilt für den gesamten, nach Millionen zählenden Verkehr
durch die Einkaufsgesellschaft für Ostsachsen und die Warenvec-
teilungsgesellschaft. Hier ist die Stadt finanziell unbeteiligt, so-
weit sie nicht als Gesellschafterin von Ostsachsen mittelbares Inter-
esse hat. Ostsachsen arbeitet mit einprozentigem Unkostensatz und ist
in der Lage, hiermit Unkosten und Verluste zu decken. Nur in Ein-
zelfällen, z. B. bei langem Lagern von Waren, deren Absatz gesperrt
ist, kommt die Notwendigkeit einzelner Zuschläge, die der Über-
wachungsausschuß kontrolliert, vor. Die Warenverteilungsgesell-
schaft erhält drei Prozent vom Einkaufspreis, einen Satz, der, zu-
nächst vom Händel als zu niedrig angesprochen wurde, der aber bei
dem großen Umsatz, wie die Erfahrung lehrt, genügt. Der Satz
muß oft sogar stark beschnitten werden, weil die vorgeschriebenen
Preisspannen dies gebieten; so ist er niedriger bei Margarine,
Eiern und dergl.
Dem zugelassenen Zwischenhandel zwischen der Zentrale und
dem Kleinhändler (Bezugsscheinhandel) werden grundsätzlich eben-
falls drei Prozent zugebilligt. Die Preiskommission hat das bei
Eiern auf zwei Prozent, bei anderen Waren dann beschnitten, wenn
die Ware, z. V. Dosen-, Büchsenware, keine Verlustgefahren birgt.
Der Kleinhändler-Brnttonutzen wird bei den Waren der
Warenverteilungsgesellschaft auf Grund vpn Beschlüssen der Preis-
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kammisfion, gewöhnlich wöchentlich, für jede Ware festgesetzt. Er
darf, zuzüglich der sechs Prozent für die Warenverteilungsgesell-
schaft und die Zwischenhändler, höchstens 26 Prozent, also
19 Prozent des Einkaufspreises der Zentrale, • erreichen. Bei
Waren ohne große Verlustgefahren wird er weiter beschränkt. .
Nach ähnlichen Grundsätzen werden der Futtermittelver-
teilungsgesellschaft, der Butter- und Fettverteilungsgesellschaft,
der Kartoffelverteilungsgesellschaft, der Grieß- und Graupen-
verteilungsgesellschaft, der Vermittlungsstelle für Gemüse und
Obst usw., die Kleinkaufspreise im Einvernehmen mit der Preis-
prüfungsstelle vorgeschrieben.
Bei der Fleischverteilung wird hierbei die Schwierigkeit der
Qualitätsunterschiede auf einfache Weise dadurch beseitigt, daß die
„Talghaut" keinem Fleischer gleichzeitig verschiedene Qualitäten
zuweist. Sie gibt mit der Ware (z. B. Rindfleisch I) dem Fleischer
gleichzeitig ein Preisschild mit, das dieser auf die Dauer des
Verkaufs in feinem Laden aushängen muß. Es ist von der
Zentrale amtlich gestempelt. Der Fleischer ist also auf die Klein-
verkaufspreise völlig einflußlos.
Eigene Kapitalbewegung der Stadt erforderte der Ankauf
der Kartoffeln, der zugeteilten Fette und der Futtermittel. Nur
letztere können ohne Verlust weiterverteilt werden. Bei Kartoffel,',
muß die Stadt die häufigen Verluste tragen, die zeitweise —
z. B. zur Zeit der Frühkartoffeln und bei Preisermäßigungen —
eintreten, und die leider nach und nach eine sehr große Höhe er-
reicht haben. Auch bei der Butter trug die Stadt lange Zeit starke
Verluste, weil sie die Ware zum gesetzlichen Höchstpreise abgab,
obschon die Unkosten der Reichsfettstelle, der Butter- und Fett-
verteilungsstelle und der Stadt selbst annähernd das Doppelte des
zugelassenen Nutzens von vier Mark auf den Zentner betrugen.
Einen reinen Nutzen konnte die Stadt nur in der Zeit der
reinen Vorratspolitik, also so lange erzielen, als sie freihändig auf-
kaufen konnte. Sie hat damalsstrotz des Verkaufs zu einem weit
unter Marktpreis liegenden Satze eine Rücklage von etwa
200 000 Mark in einem Jahre gemacht, die inzwischen durch die
Verluste an Butter und Kartoffeln weit überstiegen wird.
Von besonderer Bedeutung ist die Brotpreispolitik des Kom-
munalverbandes. Die Stetigkeit des Brotpreises hängt von der
Gleichmäßigkeit des Mehlpreises ab, letztere litt aber unter den
sogenannten Reports, den Druschprämien usw. Der Kommunal-
verband entschloß sich daher, diese Hindernisse zu beseitigen. Er
lieferte das Getreide zum einfachen Höchstpreise seinen Vertrags-
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mühlen und trug alle Reports und Druschprämien endgültig selbst.
Den hierdurch entstehenden Kapitalaufwand, einschließlich der
Verwaltungskosten (Mehlbezirke, Brotkarten), legte er sodann mit
einer Mark auf den Doppelzentner Mehl dergestalt um, daß die
Mühlen diesen Betrag an ihn abzuliefern hatten. Diese Gebühr
hat jene Auslagen regelmäßig gedeckt, irgendwelche wesentlichen
Überschüsse sind ebenfalls nicht eingetreten.
Auf diesem Wege ist zurzeit z. B. ein ini Jahre gleich-
bleibender Mehlpreis von Mark 29,60 fiir 100 Kilo Roggenmehl
und Mark 35,— für 100 Kilo Weizenmehl sichergestellt worden.
Dieser Preis, einschließlich der geschilderten Umlage von einer
Mark, gilt als Erzeugerpreis ab Mühle ohne Sack und umfaßt
Mahlbruttolohn, Getreidelager usw. Beim Verkaufe dürfen die
Handelsmühle und der Bezugsscheinhändler zusammen bis zu
zwei Mark für 100 Kilo Unkosten (Frachten, Rollgelder, Kredit-
spesen und dergl.) aufschlagen. Der Schwarzbrotpreis berechnet sich
hiernach unter Beachtung eines in Dresden vorgeschriebenen
Zusatzes von 10 Prozent Weizenmehl (zur Verbesserung der Güte
und zur Verarbeitung des verhältnismäßig zu starken Weizen-
anbaues) wie folgt:
80 Kilo Roggenmehl .... 26,30 Mark
10 „ Weizenmehl .... 3,70 „
10 „ Streckung, rund . . 3,50 „
133 Kilo Brot .................... 32,50 Mark
Zuschlag für Backlohn .... 8,50 „
Zuschlag für Nutzen . . . 1.60 „ ■
42,50 Mark.
Hiernach kostet 1 Kilo Schwarzbrot 31,9 Pfennig, abgerundet
32 Pfennig, so daß 1 Pfund mit 16 Pfennig verkauft wird.
Weißbrot wird zu 75 Gramm für 5 Pfennig abgegeben.
Druck von A. Sehdel & Cie. G. m. b. H.. Berlin SW 61.
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