I. produktionszwang und Produktionsförderung.
Die Abschneidung der gewohnten Zufuhren hat das deutsche
Volk gezwungen, seine Ernährung so gut wie ganz auf die heimische
Grundlage zu stellen. Der Verbrauch von Nahrungsmitteln ging
jedoch im Frieden beträchtlich über den Umfang der Eigenerzeugung
hinaus; zudem ist der Landwirtschaft im Kriege auch die Aufgabe
erwachsen, stärker als bisher Rohstoffe für gewerbliche Weiter-
verarbeitung zu liefern. So entstand das bekannte Mißverhältnis
zwischen Nahrungsmittel-Angebot und -Nachfrage, das seit den ersten
Kriegswochen zu mannigfachen gesetzgeberischen und Verwaltungs-
Maßnahmen geführt hat. Diese Maßnahmen, als deren wichtigste
Höchstpreise, staatliche Bewirtschaftung der Vorräte und Rationierung
anzusehen sind, und die jetzt ihre einheitliche Richtung durch das
Kriegsernährungsamt empfangen, haben etwas Gemeinsames: sie
nehmen sämtlich die Erzeugung als eine gegebene Größe hin und
suchen ihr den Verbrauch anzupassen.
Selbstverständlich lies daneben auch eine Einwirkung auf
die Produktion her. Die Landesregierungen und ihre Ver-
treter, in Preußen das Landwirtschastsministerium, die Selbst-
verwaltungsverbände der Landwirte mit den Landwirtschaftskammern
an der Spitze, die Landwirtschastslehrer und die landwirtschaftliche
Presse, die landwirtschaftlichen Genossenschaften, alle übten pflicht-
gemäß in Fortsetzung ihrer Friedenstätigkeit den strengeren Anforde-
rungen der Kriegszeit gemäß ihren mächtigen Einfluß in der Richtung
der Aufrechterhaltung, Anpassung und Hebung der landwirtschaft-
lichen Produktion aus. Auch die Kriegswirtschafts-Gesetzgebung wie
das Kriegsernährungsamt haben die Produktionsfrage keineswegs
außer Acht gelassen, wie noch zu zeigen sein wird, aber die Verbrauchs-
regelung war doch das Maßgebende.
Die mannigfachen Ernährungsschwierigkeiten, wie sie sich seit
dem zweiten Kriegsjahre immer deutlicher zeigten, legten den Ge-
danken nahe, die Produktion mit allen Mitteln z n
l
[teiger n. Uber die Angemessenheit dieses Gedankens dürfte kein
Streit bestehen; fraglich ist nur, auf welchem Wege diese durchaus
erwünschte, ja notwendige Hebung der Produktion zu erzielen sei.
Über den einzuschlagenden Weg ist eine Klarheit bisher nicht erzielt
worden, oder besser gesagt, man ist sich über das Grund-
gesetz der P r o d u k t i o n s st e i g e r u n g nicht einig g e -
w o r d e n. Man wird in dieser Beziehung drei Richtungen
unterscheiden können. Die Grenze nach der einen Seite stellt die
Forderung dar, d a s f r e i e S p i e l d e r ^ r ä f t e n> a 11 e n
z u lassen, vor allem die Höchstpreise aufzuheben. Nach dem
Gesetz von Angebot und Nachfrage würden dann die steigenden Preise
der dringenden Nachfrage selbsttätig zu einem vermehrten Anbau, bzw.
zu einer vermehrten Aufzucht von Vieh führen. Diese Ansicht, die
namentlich von Richard Calwer, aber auch von landwirtschaftlichen
Kreisen vertreten wird, scheidet — abgesehen von den theoretisch
gegen sie zu erhebenden Bedenken — praktisch aus; es ist nicht
möglich, mitten im Kriege den Versuch eines völligen Umbaues
unserer Nahrungsmittelwirtschaft zu machen, auf die Gefahr eines
völligen Zusammenbruches hin. Die von ihr vorausgesagte Wirkung,
Steigerung der Erzeugung durch den Anreiz höherer Preise, kann
schließlich auch im Rahmen der bisherigen Höchstpreispolitik erreicht
werden.
Die entgegengesetzte Grenzforderung ist die Befür-
wortung eines P roduktionszwanges. Man will an
den Bedarf der Bevölkerung als Grundlage der weiteren Maß-
nahmen anknüpfen, und will der Landwirtschaft die Erzeugung des
errechneten Bedarfs vorschreiben. Es soll also an die Stelle der
bisherigen Konsumtionspolitik eine Produktionspolitik ausgeprägtester
Art gesetzt werden. Diese Forderung ist gerade in der letzten Zeit
wiederholt, sowohl in parlamentarischen Verhandlungen wie in der
Presse, ausgesprochen worden. Es soll hier gezeigt werden, was an
dieser Forderung als berechtigt und durchführbar anerkannt werden
kann. Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Sie erscheint, folge-
richtig zu Ende gedacht, völlig unmöglich, aus Gründen, die teils in
der Natur der landwirtschaftlichen Produktion selbst, teils in der
des Produzenten liegen. Nur in vereinzelten Fällen ist der Zwang
als Ergänzung anderer Maßnahmen denkbar.
Denn — und das ist die dritte Richtung — ein plan-
mäßiger Ausbau der bisherigen Ansätze zu
einer P r o d u k t i o n s p o l i t i k ist allerdings erforderlich.
Diese Produktionspolitik wird keineswegs in Gegensatz zu der bis-
3
herigen Konsumtionspolitik zu treten haben; beide gehören vielmehr
zusammen, genau so wie in Friedenszeiten der Staat als der Ver-
treter der Volksgemeinschaft Produzenten und Konsumenten zu
schützen hat und zwar zum beiderseitigen Wähle. Diese Pro -
duktionspolitik ist allerdings nicht auf Zwang
aufzubauen, sonder» auf technischer und mate-
rieller Förderung sowie auf Weckung und
Pflege des Verständnisses dafür, was auf dem
Spiele steht. Es bedarf dazu auch der Einwirkung plan-
mäßiger Belehrung des Bauernstandes, der nicht, wie vielleicht der
größere Gutsbesitzer, ohne weiteres imstande ist, seinen Betrieb an
die Gegebenheiten der veränderten Technik und die Forderungen der
veränderten wirtschaftlichen Lage anzupassen. So ist diese För-
derungspolitik nicht etwa eine mechanische Auslobung von
Produktionsprämien, wie dies in Frankreich geschieht, sondern ein
Weckruf an alle sittlichen und gei stigen Kräfte
unserer Landwirtschaft, gleich entfernt von
m e ch a n i s ch e m Zwang wie von einfachem G e h en-
lassen.
Unsere Untersuchung wird so verlaufen, daß zunächst der Be-
griff des Produktionszwanges in den verschiedenen Formulierungen,
die er erfahren hat, erläutert wird. Um Stellung gegenüber der in
ihm liegenden Forderung gewinnen zu können, wird das Wesen der
landwirtschaftlichen Produktion einer Betrachtung unterzogen werden
müssen, woraus sich die Unmöglichkeit eines Produktionszwanges im
eigentlichen Sinne ergeben wird. Dagegen wird sich zeigen, daß ein
mittelbarer Zwang unter Umständen angebracht sein kann, sofern er
auf die Besonderheiten der landwirtschaftlichen Erzeugung nach der
technischen wie der psychologischen Seite hin gebührend Rücksicht
nimmt. Die Untersuchung wird dann damit schließen, daß die
Förderungspolitik ihrem Grundsatz wie ihren wichtigsten Einzel-
maßnahmen nach gekennzeichnet wird.
II. Der produktionszwang.
Der Landwirt versieht seinen Beruf nicht ausschließlich um
seines Erwerbs willen, sondern als einen Dienst sür dao
Vaterland. Ihm obliegt es, seine Kräfte anzuspannen, um auö
der heimischen Scholle alles das herauszuholen, was ihr nach dem
heutigen Stande der Technik abgewonnen werden kann. Jeder
Zentner Brotgetreide mehr ist ein Beitrag zu dem letzten und höchsten
Ziele der staatlichen Politik, der Unabhängigkeit unseres Daseins
als Volk. Diese Auffassung ist keineswegs erst während des Krieges
lebendig geworden. Wenn das deutsche Volk durch Jahrzehnte die
Last der Schutzzölle auf sich genommen hat, weil ohne diese die Land-
wirtschaft Deutschlands dem ranbbaumäßig wirtschaftenden über-
seeischen Wettbewerb erlegen wäre, so geschah dies in der Absicht,
auch für den Fall des Krieges wie für den überseeischer Mißernten
die deutsche Nahrungsinittelerzeugung leistungsfähig zu erhalten.
Jetzt im Kriege ist die Zeit gekommen, wo die Zinsen dieses in den
Schutzzöllen angelegten Kapitals fällig werden. Aus dieser Auf-
fassung heraus hat der Deutsche Landwirtschaftsrat jetzt den Land-
wirten zugerufen: „In noch weit höherem Maße als je zuvor ist
es heute unsere vaterländische Pflicht, unsere ganze Kraft freudig in
den Dienst der Erzeugung von Lebensmitteln für unser Volk zu
stellen".
Eine solche moralische Produktionspflicht wird im „vater-
ländischen Hilfsdienst" zur gesetzlichen Verpflichtung; die Produktion
kann erzwungen werden. Niemand wird die Berechtigung eines
Zwanges etwaigen Säumigen gegenüber bestreiten wollen oder
können. Wohl aber muß die Frage aufgeworfen werden, was denn
der Inhalt dieser gegebenenfalls zu erzwin-
genden P f l i ch t l e i st u n g ist.
Fassen wir auch das Wort im allgemeinsten Sinne, so wären
doch drei Auslegungen möglich. Es könnte zunächst an einen
Zwang zur Betätigung gedacht sein, im Sinne des „vaterländischen
Hilfsdienstes". Wir können in diesem Falle von Arbeits-
zwang sprechen. Gehen wir nicht vom Menschen, sondern von
dem hauptsächlichsten Mittel der landwirtschaftlichen Produktion,
dem Boden, ans, so wäre die Forderung denkbar, daß aller überhaupt
der Bebauung fähige Boden innerhalb der Machtgrenzen des Reichs
bebaut werde; dies wäre als Anbauzwang zu bezeichnen.
Endlich aber ist auch eine Einstellung möglich, wonach weder Her-
steller noch Herstellungsmittel Gegenstand "der Zielsetzung sind, viel-
mehr das landwirtschaftliche Erzeugnis selbst, das in bestimmter
Menge hervorzubringen dem Landwirt auferlegt würde. Diese letzte
Forderung ist der „P r o d u k t i o n s z w a n g" im eigentlichen
Sinne; erst seine Durchführung, wenn sie möglich wäre, würde das
gewünschte Ergebnis, die hinreichende Menge von Nahrungsmitteln,
sichern. Um noch klarer zu machen, worum es sich handelt, sei die
Wortfassung wiedergegeben, die diese Forderung durch einen ihrer
Verfechter erfahren hat: „Notwendig ist nun zunächst, daß man sich
au maßgebender Stelle ein Bild darüber macht, in welchem
wünschenswerten Mengenverhältnis zu einander die hauptsächlichsten
landwirtschaftlichen Erzeugnisse stehen würden. Ist man sich dar-
über klar, daß produziert werden müssen
a Doppelzentner Kartoffeln,
b „ Roggen,
c „ Weizen usw.,
so ist die ganze Anbaufläche, die für diese hauptsächlichsten Nahrungs-
mittel insgesamt zur Verfügung steht, entsprechend dem prozentualen
Verhältnis der gewünschten Menge zu teilen. Der Anbau dieser
Feldfrüchte in dem ermittelten notwendigen Verhältnis zu einander
ist dann durch Umlegen auf die Bundesstaaten, Provinzen, Kom-
munalverbände usw. unter Berücksichtigung der durch die Anban-
statistik festgestellten Eigentümlichkeiten eines jeden Kommunal-
oerbandes sicherzustellen. In gleicher Weise ist auf dem Gebiete der
Viehwirtschast zu verfahren. Auch hier ist den Bundesstaaten, Pro-
vinzen, Komnmnalverbänden usw. die Haltung entsprechender Mengen
Vieh gesetzlich aufzuerlegen." („Eine dringende Forderung"; „Köl-
nische Zeitung" Nr. 475 vom 10. Mai 1916.) Es soll also jedem
Kommunalverbande, endlich aber jedem Landwirt ein Z w angs -
kontingent an herzustellenden Erzeugnissen des Landbaues und
der Viehzucht auferlegt werden, wobei die bisherige Anbau- und
Viehhaltungsstatistik als Maßstab zu dienen habe.
Untersuchen wir zunächst, ehe wir dieser weitestgehenden Forde-
rung näher treten, die beiden einfacheren Formen des Produktions-
zwanges.
Gegen einen „A r b e i t s z w a n g" unter den erforderlichen
gesetzlichen Schutzmaßnahmen wird niemand etwas einzuwenden
haben. Der vaterländische Hilfsdienst hat ihn tatsächlich auch zu-
gunsten der Landwirtschaft verordnet, wie schon vorher manche An-
ordnung militärischer Verwaltungsstellen. Aber es ist zu sagen, daß
der landwirtschaftlichen Bevölkerung Deutschlands gegenüber ein
solcher Zwang völlig gegenstandslos ist. Es kann keine Rede
davon sein, daß irgendwie eine Arbeitskraft
auf dem Lande während des Krieges ungenutzt
bleibt. Kinder, Greise, Krüppel, vor allem aber die Frauen ver-
langen von sich das Äußerste, um in Abwesenheit des Mannes den
Betrieb aufrechtzuerhalten. Pflichtgefühl, Standesehre, Arbeits-
gewohnheit und das Streben der Besitzerhaltung und Gewinn-
6
erzielung wirken hier als unwiderstehlicher Antrieb zusammen.
Vielleicht daß eher hier und da ein Raubbau au Arbeitskräften, ein
Zehren am Körperkapital stattfindet. Nur davon kann die Rede
sein, diese der Zahl nach unzureichenden Kräfte durch Zu-
weisung anderer zu ergänzen. Das geschieht bereits so ziemlich
seit Kriegsbeginn in einer umfangreichen Überlassung von Kriegs-
gefangenen, deren Einfügung nicht immer ganz leicht sein wird.
Inwieweit auch eine Zuweisung etwa verfügbarer städtischer Kräfte
in Betracht kommt, das liegt'außerhalb des Kreises unserer Unter-
suchung. Der Arbeitszwang der landwirtschaft-
lichen Bevölkcrun gscheidetsür De utschlan dal s
Notwendigkeit und Aufgabe aus.
Ganz anders liegt es bezüglich des A n b a u z w a n g e s. Es
muß unter allen Umständen verhütet werden,
daß irgend etwas von den Produktivkräften
brachliegen bleibe, die uns im heimischen Boden
z u r V e r f ü gu n g st e h e n — unter b e r ein e n Voraus-
setzung allerdings, daß die dafür nötigen Ar-
beitskräfte und sonstigen Probn ktionshilfs-
m i t t e l vorhanden sind. So hat denn hier die Kriegs-
wirtschaftspolitik auch schon zeitig eingesetzt. Bereits am 11. Sep-
tember 1914 erging eine preußische Verordnung betreffend ein ver-
einfachtes Enteignungsverfahren zur Beschaffung von Arbeits-
gelegenheit und zur Beschäftigung von Kriegsgefangenen, wobei aller-
dings, wie sich aus dem Titel des Gesetzes ergibt, der Gedanke der
Notstandsarbeit im Vordergründe stand. Doch war durchweg, so in
einer Verfügung des Preußischen Landwirtschaftsminisieriums vom
10. September 1914, in der Begründung des dem Abgeordneten-
hause am 20. Oktober 1914 vorgelegten Etatsnotgesetzes der Zu-
sammenhang der Notstandsarbeiten mit „der zur Zeit hervorragend
wichtigen Frage der Vermehrung der Kulturflächen zwecks Ver-
stärkung der Erzeugung von Lebensmitteln für Menschen und Vieh"
deutlich ausgesprochen. Allmählich kehrte sich die Zwecksetzung völlig
um: nicht mehr die Beschäftigung von Arbeitslosen oder Kriegs-
gefangenen blieb der Ausgangspunkt, sondern an ihre Stelle trat die
Nahrungsmittelvermehrung, so schon in einer preußischen Verordnung
über die Bildung von Genossenschaften zur Bodenverbeflerung von
Moor-, Heide- und ähnlichen Ländereien vom 7. November 1914;
ohne jede Einschränkung aber in der deutschen Bundesrats-
verordnnng betreffs Sicherung der Ackerbestellung vom 31. März
1915. In Baden (1. März des Jahres), in Elsaß-Lothringen
(30. Mürz), auch in Österreich (6. März) waren ähnliche Bestim-
mungen schon vorausgegangen. Der Inhalt war überall der gleiche.
Die Nutzung solcher' Grundstücke, die der Eigentümer schuldhast oder
schuldlos zu bebauen nicht gewillt oder imstande war, konnte km
Kommunalverbande übertragen werden. Es sollte eben unbedingt
verhindert werden, daß nutzbringende Flächen brachliegen blieben.
Diese Verordnung des Bundesrats, die bis Ende 1915 befristet war,
wurde vornehmlich mit Hinblick auf die Verhältnisse in den ost-
preußischen Grenzkreisen getroffen, wo die zur Herbstsaat des Vor-
jahrs bestimmten Flächen zum größten Teile nicht bestellt, meistens
auch nicht gepflügt werden konnten, weil die Bevölkerung geflüchtet
und das lebende und tote Inventar vielfach zerstört oder schwer be-
schädigt war?) Durch Bekanntmachung des Bundesrats vom
9. September 1915 wurde die Wirksamkeit bis Ende 1916 ver-
längert; eine weitere bundesrätliche Verordnung vom 4. April 1916
dehnte den Bereich auch aus städtische, zur landwirtschaftlichen oder
gärtnerischen Nutzung geeignete Grundstücke aus. In welchem Um-
fange ein Zwangsanban auf Grund der angeführten Verordnungen
stattgefunden hat, ist nicht bekannt. Es wird sich in der Regel nicht
sowohl um einen durch Zwang zu brechenden bösen Willen, als viel-
mehr um eine durch die Verhältnisse bewirkte Unfähigkeit zum Anbau
gehandelt haben.
Daß die vorhandene Bodenfläche aufs äußerste ausgenutzt
werden muß, und daß gegen fahrlässige oder gar böswillige Nicht-
ausnutzung Zwang gerechtfertigt ist, dürfte kaum einem Zweifel
unterliegen. Es muß aber damit gerechnet werden, daß in Deutsch-
land nicht nur die Arbeitskräfte, sondern auch die Arbeitsmittel
(Gespanne, Maschinen, Kunstdünger usw.) knapp geworden sind und
daß deshalb wohl überlegt werden muß, wie mit diesen Mitteln das
Maximum der Erzeugung erreicht werden kann. Man i st sich
in einsichtigen Kreisen klar darüber, daß durch-
aus nicht immer die Ausdehnung der Anbau-
fläche dicse größtmögliche Erzeugung gewähr-
leistet. Das gilt häufig von den in den Städten oder in ihrer
unmittelbaren Nähe gelegenen Parzellen Baulandes, die nicht selten
wegen ihrer Beschaffenheit, wegen Beschattung durch Häusermauern
usw. das hineingesteckte Saatgut, ganz abgesehen von der Arbeit, in
keiner Weise auszunutzen imstande sind. Auch bei Moor- und
') Vergl. Dritten Nachtrag zur Denkschrift über wirtschaftliche Maß-
nahmen ans Anlaß des Krieges, vom 10. Mai 1916, S. 31.
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Ödland ist Vorsicht geboten. Sicher liegt hier noch jetzt, auch nachdem
mit Hilfe von Kriegsgefangenen ziemlich umfangreiche Neu-
kultivierungen stattgefunden haben, immer noch recht viel brauchbares
Land ungenützt. Im Reichstag (an? 4. November 1916) verwies
der Vorsitzende des Deutschen Landwirtschaftsrats, Graf v. Schwerin-
Löwitz, auf die an Stickstoff überreichen Moorböden, die deshalb
zur Zeit besonders wertvoll seien, weil für die Düngung unserer
Ackerböden der Stickstoff fehle. Er empfahl deshalb eine umfang-
reiche Verwendung irgend verfügbarer Arbeitskräfte, namentlich
unserer Kriegsgefangenen, zur Moorkultivierung. Demgegenüber
sind aber wieder Stimmen laut geworden wie die eines Oldenburger
-Landwirtes, der erklärt, das erste Ziel müsse sein, die vorhandene»
Kulturflächen, Wiese, Weide, Acker zunächst zur höchsten Ertrag-
fähigkeit zu bringen, ehe man daran denken könne, die Fläche durch
Neukultivierung von Od- und Moorland zu vergrößern. Es fei
technisch leichter und zudem erheblich billiger zu erreichen, minder-
ertragreiches Land zu verbessern, als den Dornröschenschlaf des
Moor- und Heidelandes zu stören. Er spricht deshalb die Hoffnung
aus, das Verbot der Generalkommandos, weitere Neukultivierungen
durch Kriegsgefangene in Angriff zu nehmen, möge für die Dauer
der Kriegszeit bestehen bleiben. (Bocker-Stollhamm, in den Mit-
teilungen der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, 1916, S. 447.)
Also zwei einander gänzlich entgegengesetzte Meinungen bedeutender
Fachleute; wer würde es unter diesen Umständen leicht auf sich
nehmen, das eine oder das andere Verfahren unbesehen und überall
zu erzwingen? Es liegt wahrscheinlich so, daß an der einen Stelle,
je nach den natürlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, der eine,
an der anderen Stelle der andere Weg richtiger ist; auch die ver-
schiedene Neigung und Befähigung des betreffenden Landwirtes könnte
für den Erfolg ausschlaggebend sein. Hier sehen wir in einer ver-
hältnismäßig einfachen Frage schon die Schwierigkeit, die jedem
zwangsmäßigen Eingriff in den landwirtschaftlichen Betrieb ent-
gegensteht und immer entgegenstehen wird: daß es sich nicht sowohl
um die Anwendung mechanischer Regeln als um freie Würdigung
der mannigfaltigsten Bedingungen handelt, deren Erkenntnis und
Benutzung trotz des hohen Standes unserer Landwirtschaftswissen-
schaft eine Kunst des einzelnen Mannes im einzelnen Falle ist.
Ganz anders läge es natürlich, wenn wir Arbeitskräfte, Rohstoffe
und Hilfsmittel unbegrenzt zur Verfügung Hütten; dann wäre der
Anbauzwang unabweisbare Forderung. Da es aber so liegt,
d a tz u> i r in i t karg bemessenen Mitteln u n t e r
9
V er m e i b u n g jeglichen Wagnisses u n b e b i n g t
das Höch st m aß der Erzeugung erreichen m üssen,
wird e S der p f l i ch t m ä ß i g e n Überlegung j-e d e s
einzelnen Produzenten zu überlassen sei n, o b
'er dieses Höchstmaß durch intensivere Bearbei-
tung des alten Kulturbodens oder durch A u S -
dehnung der Anbaufläche erreichen zu könne n
glaubt.
Etwas anders geartet ist die Forderung eines Zwanges
zur besseren Bewirtschaftung, die den Haushalt-
ausschuß des Reichstags beschäftigte. Der Berichterstatter Gras
Westarp teilte im Reichstag am 3. November 1916 mit, dem Ausschuß
habe ein Antrag vorgelegen, der darauf hinauslief, es möge in den
einzelnen Kreisen festgestellt werden, welche größeren Güter notorisch
schlecht bewirtschaftet würden; die Feststellung sollte durch einen un-
parteiischen Ausschuß erfolgen, und diese Güter möchten dann in
öffentliche Bewirtschaftung genommen werden. Der Plan habe so-
wohl bei dem Herrn Präsidenten des Kriegsernährungsamtes wie
auch in weiten Kreisen des Ausschusses keine Billigung gefunden.
Man habe bestritten, daß eine unparteiische und unumstrittene Fest-
stellung des Tatbestandes notorisch schlechter Bewirtschaftung über-
haupt möglich sei. Desgleichen sei entschieden bestritten worden, daß
eine Zwangsbewirtschaftung auch der größeren Güter nach den Er-
fahrungen, die mit der Sequestration, mit der Verwaltung selbst
durch landwirtschaftlich durchaus erfahrene Behörden wie Land-
schaften und Ritterschaften und dergleichen gemacht worden seien,
einen guten Erfolg verspreche, namentlich jetzt, wo schon die selbst-
wirtschaftenden Landwirte aufs schwerste unter dem Mangel an
geeigneten Persönlichkeiten und Leitern der Wirtschaften litten.
Diese Ausführungen sind durchaus zutreffend. Wenn allerdings,
wie ein nationalliberaler Redner im Haushaltausschuß am 23. Ok-
tober mitteilte, ein großes Gut zwei Jahre hindurch während des
Krieges brachgelegen hat, dann ist ein Anbauzwang durchaus am
Platze, aber auch nach den bestehenden Kriegsverordnungen möglich;
solche Fälle werden indessen sicherlich äußerst selten sein. Eher sind
schon „kriegsverwaiste" Bauerngüter denkbar.
Noch weiter als die Forderung des Arbeitszwanges geht die des
eigentlichen Produktionszwanges, d. h. der Auf-
legung eines dem Umfange des Gutes entsprechenden Kontingents
abzuliefernder pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse. Diese Forde-
rung schließt diejenigen des Arbeits- und des Anbauzwanges in sich;
SBÜ
< i
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sie will aber nicht nur vorschreiben, daß und wieviel Boden bestellt
wird, sondern enthält darüber hinausgehend die Vorschrift zum An-
bau ganz bestimmter Pflanzen bezw, zur Aufzucht oder Mästung
ganz bestimmter Tiere. Dem Landwirt wird ein Betriebsplan vor-
geschrieben, den er einfach auszuführen hat; er wird sozusagen von
Staats wegen enteignet und wiederum von Staats wegen zum Ver-
walter dieses enteigneten Gutes eingesetzt. Der Boden rvird
„requiriert", der Besitzer wird „kommandiert".
Dieser Gedanke ist von seinen Befürwortern verschieden gefaßt
worden. Eine solche Formulierung haben wir bereits mitgeteilt;
sie stammte von einem hervorragenden rheinischen Kommunalpolitiker.
Ein sozialistisches Blatt, die „Münchener Post", hat den Produktions-
zwang in der Weise befürwortet, daß die Produktionsregelung Auf-
gabe der ländlichen Gemeinden und der landwirtschaftlichen Genossen-
schaften sei, soweit deren Tätigkeit nicht bereits bureaukratisch ge-
lähmt sei; für den Besitz über 100 Hektar verlangt sie, einem Vor-
schlag des altkonservativen Schriftstellers Dr. Rudolph Meyer aus
dem Jahre 1890 folgend, die Stellung unter Staatsaufsicht unter
Vorschreiben des Wirtschaftsplans durch Landwirtschaftsinspektoren.
Einen ähnlichen Gedankengang verfolgt der „Kriegsausschuß für
Konsumenteninteressen" in einer Erklärung vom 21. September
1916, in welcher er zwar in erster Linie den Produktionszwang „in
weiser Beschränkung auf Anbauverpflichtungen" fordert. Für die
nach rein kaufmännischen Grundsätzen geleiteten Großbetriebe aber
verlangt er, daß sie „einem berechtigten Druck" nicht nur zur Be-
stellung etwaigen Brachlandes, sondern auch auf anderweitige An-
ordnung beabsichtigter, weil einträglichster Produktion nachgeben
müßten. Eine ganze Reihe ähnlicher Forderungen hat Kindler in
einer seiner dankenswerten Veröffentlichungen über die Möglich-
keiten einer Produktionssteigerung zusammengestellt (Mitteilungen
der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft vom 12. August 1916).
Wir heben daraus nur noch eine hervor, die wegen des Ansehens der
sie vertretenden Persönlichkeit besondere Aufmerksamkeit beanspruchen
kann; das ist die des berühmten Münchener Nationalökonomen
Brentano. Er verlangt, daß der für diesen Zweck zu schaffenden
Zentralstelle „die Befugnis erteilt werde, die Gesamtproduktion so
zu leiten, daß einer jeden einzelnen Wirtschaft und insbesondere
einem jeden Landwirt das vorgeschrieben wird, was er produzieren
muß". Fragen wir die Anhänger des Produktionszwanges, woher
es denn komme, daß die landwirtschaftliche Produktion nicht die Wege
eingeschlagen habe, auf denen sie sie zu sehen wünschen, so bekommt
man zwei verschiedene Antworten oder sogar manchmal beide zu-
gleich: entweder wird angenommen, daß der Landwirt nicht die
nötige Einsicht habe oder daß er ausschließlich Rentabilitütsgesichts
punkten folge. Gewiß kann das eine oder andere der Fall sein, viel-
leicht gar nicht selten. Aber esi st doch zu fragen,obnicht
die P r o d u k t i o n S v e r t e i l u n g in der Landwirt-
schaft vor allem durch die Natur des Pro-
duktionsvorganges selbst und die damit zusam-
menhängenden B e s o n d e r h e i t e n- b e st i m m t wir d.
Erst wenn wir diese Frage, beantwortet haben, ist eine Klarheit dar-
über möglich, ob überhaupt und gegebenenfalls in welcher Richtung
und in welchem Umfange ein Zwang möglich ist.
III. Die Eigenart der landwirtschaftlichen Produktion.
Sicherlich ist die Landwirtschaft von allen wirtschaftlichen Be-
tätigungen der Menschen eine der ältesten; schon seit Jahrtausenden
ringt der Mensch dem Boden vervielfältigte Frucht ab und hegt er
Tiere um ihrer mannigfachen Nutzung willen. Trotz dieser für die
Menschengeschichte unendlich langen Spanne Zeit aber ist er keines-
wegs Herr dieser Technik geworden. Während der Fabrikant oder
der Handwerker das Ergebnis seiner Arbeit bis auf Pfund und
Meter vorherbestimmen kann, ist das Endergebnis der
landwirtschaftlichen Arbeit immer noch im
gleichen Grade vom Zufall beeinflußt wie von
seiner p l a n b e w u ß t e n Mühe. Das ist eine Tatsache, die
gar nicht deutlich genug empfunden, gar nicht eindringlich genug ge-
macht werden kann. In der Darstellung der Kartoffelversorgung im
Kriege (Heft 2 dieser „Beiträge" S. 46) teilt der Stellvertretende
Vorsitzende der Reichskartoffelstelle De. Arnoldi mit, daß unsere
Frühkartoffelernte 1916 zwischen 65 und 155 Zentner vom Morgen
schwankte. Darauf könnte vielleicht eingewendet werden, daß diese
Schwankungen von der verschiedenen Fähigkeit der Betriebsleiter her-
rührten; aber wir finden solche Unterschiede durchaus gesetzmäßig.
In dem gleichen eben genannten Hefte berichtet Geheimrat Hansen,
daß im Durchschnitt der Jahre 1904 bis 1913 der Kartoffelertrag
auf den Hektar sich stellte in Ostdeutschland auf 142 Doppelzentner,
in Mitteldeutschland-auf 131, in Westdeutschland auf 127, in Süd-
deutschland auf 113 Doppelzentner. Bei dieser verhältnismäßig
langen Reihe von Jahren und der Größe der einbezogenen Gebiete
gleichen sich Zufälligkeiten aus; diese großen Unterfchiede müssen
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dauernde Ursachen haben. Das ist auch der Kall; es ist die ver-
schiedene Eignung des Bodens, welcher der einzelne
Landwirt so gut wie machtlos gegenübersteht. Endlich die Kartoffel-
ernte zum drittenmal, nicht in ihrem örtlichen Nebeneinander,
sondern in ihrem zeitlichen Verlaufe. Die gesamte Erntemenge an
Kartoffeln betrug in Deutschland
im Jahre 1909 . . . 46 706 252 Tonnen
„ „ 1910 . . . 43 468 395
„ „ 1911 . . . 34 374 226
„ „ 1912 . . . 50 209 466
„ „ 1913 ... 54121 146
„ „ 1914 ... 46 569 559
Die Zahlen mögen bei den bekannten Mängeln der Erntestatistik
keinen Anspruch auf genaueste Richtigkeit in der Menge machen
können, wohl aber sind sie, worauf es hier allein ankommt, in ihren
Schwankungen unter sich vergleichbar. Im Durchschnitt aller land-
wirtschaftlichen Besitzungen also, gut und schlecht geleiteter, östlicher
und westlicher, von Jahr zu Jahr Schwankungen nach oben und
unten von empfindlichstem Umfang. Das gleiche gilt von allen
anderen Feldfrüchten; die Erntemenge ist nicht das Ergebnis der
planmäßigen Berechnung, sondern von tausend Umständen, dessen
wichtigster das Wetter ist. Und was gibt es außer den Wetter-
einflüssen noch alles für andere Umstände, die den Landwirt um die
Frucht seines Fleißes bringen können! So zählt der letzte von der
Kaiserlichen Biologischen Anstalt für Land- und Forstwirtschaft er-
stattete Bericht über Krankheiten und Beschädigungen
der Kulturpflanzen 21 pflanzliche und 53 tierische Schädlinge der
Getreidepflanzen auf, ganz abgesehen von Wild, Vögeln und Schädi-
gungen unbekannter Natur. Dabei ist es wichtig, daß, wie es den
Anschein hat, die Pflanzen um so leichter von Krankheiten befallen
werden und um so weniger widerstandsfähig sind, je höher sie ge-
züchtet wurden. Das gleiche gilt von den Nutztieren; wurden doch
beispielsweise von der Maul- und Klauenseuche im schlimmen Jahre
1911 nicht weniger als 31/,, Millionen Stück Rindvieh, über
1 x/2 Millionen Schafe, 2a/2 Millionen Schweine befallen; gingen
doch 1913 fast eine Viertelmillion Schweine an Rotlauf oder
Schweineseuche ein. Der Landwirt i st aber auch über
die einzelnen Bedingungen der landwirtschaft-
lichen Erzeugung meistens nicht Herr, und zwar
einfach aus dem Grunde, weil wir sie noch nicht kennen. Man
muh sich klar machen, daß es sich hier nicht um eine mechanische
Produktion handelt, die toten Stoff mit Werkzeug oder Maschine
oder durch ein genau berechnetes chemisches Verfahren in eine andere
Form zu bringen hat, sondern um eine organische Er-
ze u g u n g. Das heißt, es handelt sich um die Entstehung von
Leben und um Wachstumsvorgänge, bezüglich deren die Wissenschaft
erst am allerbescheidensten Anfang der Erkenntnis steht. Wir können
die Landwirtschaft als angewandte Physiologie bezeichnen; die
Physiologie aber ist eine Wissenschaft, die kaum so viel Jahrzehnte
zählt wie die Landwirtschaft Jahrtausende. Erst in der allerjüngsten
Zeit konnte die pflanzliche und tierische Physiologie sich rühmen, die
Methoden gefunden zu haben, mittels welcher die Erzeugungs- und
Wachstumsvorgänge nicht etwa begriffen, sondern vielmehr nur in
ihrem Verlaufe festgestellt und kontrolliert zu werden vermögen. Die
Anreicherung des Bodens durch den Anbau von Leguminosen war
schon den Römern bekannt; erst 1886 stellte Hellriegel fest, daß die
an den Wurzeln der Leguminosen befindlichen, durch Bakterien
hervorgerufenen Knöllchen die Fähigkeit besitzen, den freien Stickstoff
der Luft zu assimilieren und den Pflanzen zuzuführen. D i e
Landwirtschaft ist bis in die Gegenwart in der
ganz überwältigenden Mehrheit ihrer Vor-
gänge nicht sowohl ein planmäßig zu berech-
nender Prozeß, als eine auf Kenntnis der
Besonderheiten jeder Parzelle, jeden Stücks
Vieh beruhende Kunst. Alles, was die Landwirtschafts-
wissenschaft lehren kann, und das ist allmählich doch ziemlich viel
geworden, wird erst in der Hand des einzelnen Landwirts lebendig;
eine mechanische Übertragung der Weisheit des Hörfaales oder der
landwirtschaftlichen Winterschule ist aussichtslos.
Einen besonderen Hinweis verdient noch die Tatsache, daß die
P r o d u k t i o n s b e d i n g u n g e n s e l b st innerhalb ver-
hältnismäßig enger Gebiete, ja in einem $orf
und von Parzelle zu Parzelle verschieden sind.
Die Beschaffenheit des Bodens in bezug auf seine Bestandteile, die
Wasserverhältnifse (Feuchtigkeit oder Trockenheit), die Höhenlage,
der Neigungswinkel, alle diese Bedingungen engen, ganz abgesehen
vom Klima und Wetter, die Wachstums- wie die Bearbeitungs-
möglichkeiten ein. Nur ein Beispiel für diese Verschiedenheiten!
Die preußische Regierung veranstaltete im Jahre 1861 eine der
Schwierigkeit und Kostspieligkeit halber nicht ivtederholte Boden-
einschätzung zum Zwecke der Grundsteuerveranlagung. Dabei
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wurden für jeden Kreis sieben verschiedene Kulturarteu unter-
schieden, für jede von diesen konnten wieder bis zu acht Bonitäts-
klassen gebildet werden. Dabei ist diese Einschätzung verhältnis-
mäßig roh und trifft jedenfalls nur die äußersten Umriffe. Der
Landwirt kennt aus der langjährigen hingebenden Beschäftigung mit
seinem Boden die Eigentümlichkeit eines jeden Stückchens und dessen
Eignung für bestimmte Kulturen, die übrigens nicht wenig auch durch
die vorher gebaute Frucht beeinflußt wird. Zwischen dem schweren
Rüben- oder Weizenboden an einein Ende bis zum Heideland aus
dem anderen ist eine unendlich abgestufte Stufenleiter vorhanden,
während in der Industrie eine Maschine gleich der anderen ist, ob
sie in Eßlingen steht oder in Kattowitz. Diese natürlichen
Verschiedenheiten des Bodens sind durch die
Kultur noch vermehrt und w erden deshalb durch
jede Änderung dieser Bedingungen aufs emp-
findlichste berührt. Wenn die Wässerungsanlagen der
Kunstwiesen nicht in Ordnung gehalten werden können, wenn man
dem leichten Boden des Ostens nicht genügend Kunstdünger zuführen
kann, äußert sich die Rückwirkung davon noch stärker wie auf den aus
sich reicheren Böden des Westens oder auf den Naturwiesen. Da nun
als Kriegsfolge Störungen dieser Art häufiger eintreten als im
Frieden, ist die Behandlung des Bodens jetzt noch schwieriger als.
je vorher.
Der Kampf mit der Laune und der Unbeständigkeit der Natur-
gewalten ist jedoch nicht der einzige tiefgreifende Unterschied, der die
landwirtschaftliche Produktion von der industriellen trennt. Die
gewerbliche Erzeugung ist durchweg auf dem Grundsatz der
Arbeitsteilung aufgebaut. Jede Fabrik, jeder Handwerker,
aber auch jeder Kaufmann hat seine „Spezialität". Darauf ist
alles eingestellt: die Technik, die Ausbildung und die Erfahrung des
Leiters, die Leistung der Arbeiter. Es gibt, besonders in Amerika,
Fabriken, die überhaupt nur eine oder zwei Maschinen herstellen.
Die Einarbeitung auf ein ganz bestimmtes eng umgrenztes Gebiet
der Betätigung ist in der nichtlandwirtschaftlichen Erzeugung die 1
Regel, und gerade aus dieser weitgehenden Arbeitsteilung ergibt sich
die Leistungssteigerung. Wer nichts herstellt als Schuhe oder Knöpfe
oder wer nur mit Kaffee handelt, gewinnt in diesen Dingen eine
Fertigkeit, die ihn vielleicht einseitig, jedenfalls aber im höchsten
Grade leistungsfähig macht. Zwar gibt es auch in der Industrie
„gemischte" Betriebe, und namentlich für die moderne Schwer-
industrie ist die Zusammenfassung sich ergänzender Produktions-
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Vorgänge wie Kohlengewinnung, Eisenherstellung und Eiscnverar-
beitung kennzeichnend. Aber abgesehen davon, daß es sich hier erst
um eine neuere Entwicklung handelt, sind das Betriebe, die ein-
ander zwar ergänzen und vor allem auch kaufmännisch einheitlich
verwaltet werden, die aber im übrigen ihre arbeitsteilige Selb-
ständigkeit durchaus bewahren und von ganz verschiedenen Fach-
männern geleitet werden. Der Direktor der Kohlengrube, wenn
diese auch dem Hochofen das Rohmaterial an Brennstoffen unmittel-
bar liefert, wird die Leitung des Hochofenprozeffes sicherlich dem
Eisenfachmann überlassen und umgekehrt.
Die Landwirtschaft d a g e g e il i st bis zum
k l e i n st e n Bauerngütchen herunter von Anfang
an „gemischter Betrieb" gewesen und zwar ein
solcher, bei deni jeder einzelne Teil lebens-
wichtig für jeden anderen war. Die Zahl der viehlosen
Betriebe oder umgekehrt der Abmelkwirtschaften, die ganz auf zu-
gekauftem Futter stehen, ist im Verhältnis zur Gesamtzahl ver-
schwindend. Jeder Landwirt ist zürn mindesten zugleich Ackerbauer
und Viehhalter, in den meisten Fällen hat er noch Wiese oder Weide
und nicht selten Wald. Ackerbau und Viehzucht laufen aber nicht
unverbunden neben einander her, sondern stehen im engsten Ver-
hältnis zu einander. Das Vieh ist die Maschine, mittels welcher
der Landwirt die in seiner Wirtschaft gewonnenen Futtermittel
(Hafer, Gerste, Kartoffeln, Rüben, Heu usw.) in höherwertige
Nahrungsmittel oder industrielle Rohstoffe (Fleisch, Milch, Fett,
Eier, Wolle, Häute usw.) umwandelt; umgekehrt aber ist das Vieh
Lieferant des wertvollsten Stoffersatzmittels für den Acker, nämlich
des Düngers, und zugleich als Zugkraft Produktionswerkzeug.
Viehhaltung und Anbau müssen also auf ein-
ander a b g e st i m m t sein ; es ist nicht ohne weiteres möglich,
das Rindvieh beliebig abzuschlachten oder zu verkaufen, weil dann
Zugkraft und Dünger ermangeln und die Bodenbearbeitung un-
möglich gemacht würde. Auch die Verwertung des „Nurfutters" wie
Heu und Rüben wäre dann unmöglich. Es kann aber auch umgekehrt
die Viehzucht nicht aus eigenein beliebig gesteigert, muß vielmehr dann
auf zugekauftes Futter gegründet werden. Endlich aber ist auch die
Auswahl der Pflanzen nicht frei ins Belieben des Betriebsleiters
gestellt; vielmehr muß (außer der schon erwähnten Rücksichtnahme
auf Boden und Klima) noch die Fruchtsolge beachtet werden.
Diese beruht ans der Tatsache, daß die verschiedenen Pflanzen den
Boden sowohl nach seinem Nährstoffgehalt wie nach seinen physi-
tauschen Eigenschaften verschieden beanspruchen. ES gibt Pflanzen,
die andauernd gebaut werden können, allerdings in unserem Klima
eine Seltenheit; andere, deren der Boden bald „müde" wird. Die
Hackfrüchte, also vor allem Rüben und Kartoffeln, die eine besonders
gesteigerte Bodenbearbeitung während der Reifezeit verlangen, hinter-
lassen den Boden dafür auch in einem Zustande, der ihn für das
Gedeihen der nachfolgenden Halmfrüchte besonders geeignet macht;
ebenso wirkt der Wechsel zwischen Halm- und Blattfrüchten wohl-
tätig wegen der verschiedenen Ansprüche, die sie an die Bodenkräfte
stellen. Diese Wechselwirkung der Pflanzen ist seit den ältesten
Zeiten bekannt und hat zu Anbauplänen, eben den sogenannten
„Fruchtfolgen" geführt, die in der Gegenwart außerordentlich ver-
feinert sind, und bei denen selbstverständlich zuerst die natürliche
Bodenbeschaffenheit in Rechnung gestellt werden muß. Der Land-
wirt ist also bei einer etwa beabsichtigten Änderung der Fruchtfolgc
keineswegs frei, sondern muß auf Vor- und Nachfrucht ebenso Rück-
sicht nehmen wie auf das, was der Boden überhaupt hergibt, und was
das Vieh verlangt.
In sehr vielen Fällen wird der Betrieb dadurch noch ver-
wickelter, daß der land- und viehwirtschaftlichen Produktion
weiter verarbeitende Betriebe angegliedert sind.
Diese, von denen die wichtigsten Brennerei, Brauerei, Zuckerfabrik
und Molkerei sind, stehen nun wieder nicht bloß in einem rechnungs-
mäßigen, sondern im organischen Zusammenhang mit dem Haupt-
betriebe, indem ihre Rückstände (Schlempe, Melasse, Magermilch usw.)
ein vortreffliches Viehfutter sind, das namentlich für Mästungs-
zwecke unersetzlich ist. Umgekehrt ist die Ausnutzung der gewerb-
lichen Betriebe nur bei ganz darauf zugeschnittener Ausgestaltung
der landwirtschaftlichen Erzeugung möglich.
Es liegt nun ferner keineswegs so, daß die
pflanzlichen Erzeugnisse sich glatt in „Nur-
futter" und „N u r n a h r u n g" teilen ließen. Einzelne
Produkte, die regelmäßig als Futter verwendet werden wie Hafer
und Gerste, können ebensogut der menschlichen Ernährung dienen,
wie umgekehrt das Vieh auch den gemeinhin als „Brotgetreide" be-
zeichneten Roggen und Weizen ohne weiteres annimmt. Andere
Produkte, wie z. B. die Kartoffeln, sind schon ihrer ersten Be-
stimmung gemäß zugleich Nahrung, Futter und Rohstoff für ge-
werbliche Weiterverarbeitung. Im regelmäßigen Verlauf der Dinge
werden die besseren Sorten und Mengen des Roggens, der Kar-
toffeln usw. dem Menschen vorbehalten, und das Vieh muß sich mit dem
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feuchten Roggen, den Futterkartoffeln begnügen. Aber diese Unter-
schiede sind nur gradweise und fließend; sie schließen keineswegs den
anderen Verwendungszweck völlig aus. So können Lagen entstehen,
ivie während dieses Krieges, daß der Landwirt trotz verhältnismäßig
hoher Preise sich weigert, die Kartoffeln zu verkaufen, und sie lieber
als Futter verwendet; nicht aus besonderer Bosheit, sondern weil er
für zugekauftes Futter mehr zu zahlen hätte, als er für die Kar-
toffeln bekommt. In dieser engen Verflochtenheit
aller Zweige der Landwirtschaft liegt eine
außerordentliche Schwierigkeit für jeden Ver-
such behördlich regelnden Eingreifens; denn
jeder Eingriff an einer Stelle wirkt nicht nur
auf diese, nicht nur im Sinne seiner Urheber,
sondern durch die netzartige Verschlungenheit
des Gesamtbetriebes auch auf ganz andere
Stellen und oft in recht unerwünschter Weise.
Der Vollständigkeit halber sei schließlich noch erwähnt, daß den
drei Hauptbetriebszweigen (Landwirtschaft, Viehwirtschaft, gewerb-
liche Weiterverarbeitung) sich mehr oder weniger zufällig und ge-
legentlich noch weitere N e b e n z w e i g e wie Obstbau, Geflügelzucht,
nicht selten auch Ziegelei, Fuhrwerksbetrieb und andere mehr an-
gliedern können. Das alles findet seine Einheit ausschließlich in der
Person des Betriebsleiters.
Auf dessen Schultern ruht die ganze Last: die Aufstellung des
Betriebsplanes unter Berücksichtigung all der erwähnten Be-
dingungen, die Ausgleichung zwischen den verschiedenen Zweigen des
Betriebes, die Anpassung an die wechselnden äußeren Zufälligkeiten,
die Verfügung über die täglich und stündlich an anderen Stellen an-
zusetzenden Arbeitskräfte, ganz abgesehen von Beschaffung von
Kapital, Kauf von Rohstoffen, Maschinen, Tieren, Verkauf der Er-
zeugnisse. In der Fabrik verläuft jeder Tag dem anderen gleich,
in der Landwirtschaft hat jede Stunde ein anderes Gesicht. Während
in der Industrie zwar nicht Enderfolg und Entwicklung, aber doch
der normale Arbeitsverlauf einfach durch gewissenhafte Pflicht-
erfüllung innerhalb des fcstgeordneten Betriebes bedingt sind, ver-
langt die Landwirtschaft täglich neue Entscheidungen. So ist denn
s e l b st im k l e i n st e n B e t r i e b e die Persönlichkeit
des Unternehmers ausschlaggebend; vor; feiner
Einsicht, seinen! guten Willen hängt alles ab.
Das gilt für den kleinsten wie für den größten Betrieb. Die
Bedeutung der Unternehmungsleitung im Großbetriebe ist allgemein
anerkannt. Wenn jetzt die Ersetzung schlecht wirtschaftender Be-
triebsleiter durch bessere verlangt wird, liegt darin die Bestätigung
dieser Anschauung; es werden bei dieser Forderung aber die eben
geschilderten Werte, die in dem Verwachsensein mit dem Betriebe
und der Kenntnis aller seiner Einzelheiten liegen, nicht genügend ge-
würdigt. Weniger bekannt ist die gleiche Bedeutung, welche die
„U n terneh merlei st un g" des Kleinbauern hat, der
meistens nur als Arbeitskraft gewürdigt wird. Nehmen wir z. B.
die Schweinezucht, die zu 73 % in den Händen der Kleinbetriebe
unter 20 Hektar liegt, zu 20 % in den Betrieben von 20 bis 100
Hektar und nur zu 7 U in den Großbetrieben! In einer kenntnis-
reichen Untersuchung über „die Organisation der agraren Pro-
duktion im Kriege" (Zeitschrift für Sozialwisfenschaft 1916) gibt
Friedrich Beckmann eine anschauliche Schilderung der Schweine-
haltung in den Kleinbetrieben. In diesen kleinen Betrieben dient
zur Fütterung: ein Brühfutter aus Grünzeug, Disteln, Nesteln, alle
möglichen Abfälle aus dem Garten, Rückstände aus Küche und Hos,
kleine für menschliche Nahrung kaum in Betracht kommende Kar-
toffeln und Magermilch. Es sind Abfälle und zusammengesuchtes
Futter, die hier verfüttert werden. Was für eine Mühe steckt in
diesem Zusammensuchen, was für eine Hingabe in der Pflege dieser
oft sehr empfindlichen Tiere! Das find Leistungen an Arbeit wie
an Ein- und Umsicht, die nur deshalb nicht genügend geschätzt
werden, weil sie sich in der Stille vollziehen. Man muß sich klar
darüber werden, daß auch diese unscheinbare und in ihrem Gesamt-
erfolg so überaus wichtige Tätigkeit eine planmäßig und tatkräftig
durchgeführte besondere Unternehmerleistung darstellt, deren Be-
dingungen von Fall zu Fall verschieden sind. Eine mechanische
Pflichterfüllung, und sei sie noch so treu, würde niemals das gleiche
Ergebnis erzielen können.
IV. Ist Zwang mit dem Wesen des Landwirtschafts-
betriebes vereinbar?
Wir haben gesehen, wie aus der gegenwärtigen Notlage heraus
die Forderung erhoben worden ist, der Landwirtschaft einen Pro-
tz u k t i o n s z w a n g aufzuerlegen; in den letzten Verhandlungen
des Haushaltsausschustes des Reichstages und auch des Haupt-
ausschusses des Abgeordnetenhauses ist bei der Debatte über die
Ernährungsfragen wiederholt davon die Rede gewesen. Auch in der
politischen Presse und in den Fachblättern der Landwirtschaft ist das
i'f
Für und Wider erörtert worden. Nachdem wir nunmehr das Wesen
der Landwirtschaft kennen gelernt haben, werden wir in der Lar-
sein, die Frage des Produktionszwanges zu beurteilen.
Jeder Zwang setzt zweierlei voraus: einmal, daß genau an-
geordnet werden muß, was zu geschehen habe, und zweitens, daß die
Durchführung dieser Anordnungen durch entsprechende Aussicht
sichergestellt wird.
Läßt sich nun wirklich vorschreiben, wieviel
und was der Landwirt zu produzieren hat?
Unsere Untersuchungen in dem vorhergehenden Abschnitt haben hin-
reichend deutlich gemacht, daß davon keine Rede sein
kann. Wir können zwar die Kalorien, die Nährwerteinheiten,
festlegen, über die wir in Deutschland gern verfügen möchten,
obgleich die bloße Kalorienrechnung auch schon eine ganze Reihe
von Gesichtspunkten nicht berücksichtigt, die für die Ernährung
von höchster Bedeutung sind, wie namentlich das Bedürfnis nach
Abwechslung und nach Wohlgeschmack. Aber sehen wir auch von
letzteren Einwänden ab, so bleibt doch immer nur der Wunsch und
die Hoffnung bestehen, eine bestimmte Menge landwirtschaftlicher
oder tierischer Erzeugnisse herzustellen, niemals aber die Gewißheit.
Trockenheit und Nässe, Mäusefraß und Seuchen können alle Hoff-
nungen und Berechnungen über den Haufen werfen, wie umgekehrt
auch einmal ein besonders fruchtbares Jahr den Fleiß des Land-
ivirtes über jede Hoffnung hinaus mit Segen belohnt.
Weiter: gesetzt, es wäre möglich, ein sicheres Ergebnis zu er-
zielen, so doch eben nur unter bestimmten Voraussetzungen. Man
müßte dann dem Landwirt so und soviel an brauchbarem Saatgut,
an Dünger, an Futtermitteln, an Zugkräften, an Arbeitern un-
bedingt sicher zur Verfügung stellen. Wenn auch in dieser Be-
ziehung alle denkbaren Anstrengungen gemacht werden — wir
kommen noch darauf zurück —, so ist von einer Sicherheit während
des Krieges natürlich nicht die Rede.
Endlich aber, und das ist in manchen der Vorschlüge eines
Produktionszwanges auch ausdrücklich gesagt, ist es natürlich
gänzlich unmöglich, eine Z w a ng s a u f l a g e ein-
fach nach der Fläche u m z u l e g e n. Der Boden leistet eben
nicht überall das gleiche; er ist von so unterschiedlicher Beschaffen-
heit, daß jeder Versuch, diese Unterschiede außer acht zu lassen, zum
Scheitern verurteilt wäre. Die Leistungspflichi müßte demnach von
Fall zu Fall ausgestaltet werden, d. h. es müßte unter genauer Be-
rücksichtigung der obwaltenden Verhältnisse, der Bodenbeschaffenheit,
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der klimatischen Umstände, des vorhandenen Acker- und Wiesenlandes,
der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, der Lage der Grundstücke
zum Hof, der Wegebeschaffenheit, der Entfernung des Absatzortes
und endlich der besonderen Fähigkeiten des Betriebsleiters (nüc
Liebe und Verständnis für Viehzucht) jedem seine Menge an
Roggen, Kartoffeln, Eiern, Schweinen usw. auferlegt werden. Es
liegt auf der Hand, daß man damit eben die Arbeit auf sich nehmen
würde, die jetzt auf Millionen verteilt ist, und daß man dafür, auch
wenn man die Gemeindebehörden heranzöge, einen Apparat geschulter
Beamter zur Verfügung haben müßte, wie er auch im Frieden nicht
aufzutreiben wäre. Dabei müßte dieser Apparat immer wieder von
neuem arbeiten, wenn Auswinterung, Hagelschlag, Viehsterben den
ursprünglichen Plan umwerfen würden und eine Betriebsänderung
eintreten müßte. Nun denke man an die tausend einzelnen Ent-
schlüsse, die der Betriebsleiter in der Landwirtschaft zu fassen hat:
soll er, wenn Gewitter am Himmel steht, nun erst bei der vor-
gesetzten Behörde anfragen, ob er das Heu hereinbringen darf?
Davon aber, wie das Heu eingebracht wird, hängt seine Verwend-
barkeit in nicht geringem Grade ab. Ebenso allgemein die Reihen-
folge der Arbeiten vom Wetter, von dieser aber großenteils An-
lieferung und Verwendung.
Nicht anders liegt es bezüglich der K o n t r o l l c. Auch die
beste Verordnung nützt nichts, wenn sie nicht vorschriftsmäßig aus-
geführt wird. Der Produktionszwang könnte sich nicht auf das
Endergebnis beschränken, da dies nicht in der Hand des Landwirts
liegt; es würde also nicht genügen, wenn man einfach die Ab-
lieferung einer auferlegten Menge verlangte, sondern man müßte die
Durchführung des vorgeschriebenen Wirtschaftsplans beaufsichtigen.
Das heißt, man müßte in rund 53/4 Millionen Betrieben aus Acker und
Wiese, im Stall und in der Scheune sachkundige Aufseher haben, die
dem Landwirt ständig auf die Finger sehen. Das bloße A u s -
sprechen dieser sich ergebenden Forderung ge-
nügt, um die Unmöglichkeit klar zu mache n.
Aber nicht nur die Technik des landwirtschaftlichen Betriebes,
sondern auch seelische Schwierigkei t e n ersten Ranges
stehen einem Vollzwange gegenüber. Die La n d w ! r t s ch a f t
v e r l a ii g t » i ch t n u r E i ns i ch t, sondern auch g u t e n
Willen ihres Betriebsleiters. Es sei nur daran
erinnert, was über die Schweinefütterung gesagt wurde; die Summe
von mühseliger Arbeit, die im .,Zusammensuchen" sonst nutzlos ver-
kommenden Futters liegt, kann schlechterdings nicht erzwungen
werden. Es ein altes Wort vom Pferdeknecht: sagt er „die
Pferde meines Herrn", so ist er nicht brauchbar; spricht er von
„unseren" Pferden, so geht es an mit ihm; wenn er aber von
„seinen" Pferden redet, dann ist er erst der rechte Mann. Das
gilt natürlich erst recht vom Besitzer selbst. Der Vielgestaltigkeit
und Unberechenbarkeit des landwirtschaftlichen Betriebes kann allein
die völlige Hingabe Meister werden. Wenn das Heer der Zurück-
gebliebenen zur eigenen noch die Arbeit bewältigt, die sonst von den
jetzt im Felde stehenden Männern geleistet wurde, wenn es diese
Arbeit unter dem Friedenszustand gegenüber unendlich erschwerten
Umständen leistet, so ist das eine Tat der freiwilligen
Hingabe; niemals hätte ein Zwang auch nur annähernd eine
gleiche Anstrengung bewirkt. Es ist nach allen bisherigen Er-
fahrungen mit älteren Zwangswirtschaftsstzstemen, die wir aus der
Geschichte genau genug kennen, mit völliger Sicherheit zu sagen,
daß die höchste L e i st u n g nur auf Freiwilligkeit
beruht. So find denn in ihrer Ablehnung gegen den Zwang in
der Landwirtschaft alle Sachkenner einig. Wir wollen nur zwei
Stimmen aus ganz verschiedenen Lagern anführen. In den
„Sozialistischen Monatsheften" (2. November 1916) sagt Julius
Kaliski: „Man darf schon glauben, daß es keine Übertreibung ist,
wenn einsichtige Landwirte von einem Produktionszwang einen Rück-
gang der Produktionsleistungen erwarten. Eine solche Wirkung
hätte dabei keineswegs etwa die Ausübung passiver Resistenz zur
Voraussetzung, sie könnte oder würde wahrscheinlich ohne jede böse
Absicht der Landwirte eintreten. Zahlreiche Industriezweige können
sich reglementierenden Eingriffen in die Betriebsführung wesentlich
leichter anpassen als die Landwirtschaft, in der nicht nur jede Wirt-
schaft unter besonderen Bedingungen arbeitet, sondern in der auch
eine gedeihliche Tätigkeit in den meisten Fällen von den persönlichen
Eigenschaften des Wirtschafters abhängig ist, also von Faktoren,
die die bestausgedachten Verordnungen nicht ersetzen können." Und
diejenige Stelle, bei der sich die Erfahrungen über die landwirtschaft-
liche Produktion sozusagen zentralisieren, die zugleich in eindring-
lichster Weise seit langen Jahren den Produktionsbedingungen Wissen-
schaftlich nachgegangen ist, die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft,
erklärt, zum Abschluß des in ihren „Mitteilungen" erfolgten
Meinungsaustausches über die staatliche Beeinflussung der land-
wirtschaftlichen Produktion, am 26. August 1916 durch den Mund
ihres Vorstandes: „Zwangsmaßnahmen, welche die Eigenart der
einzelnen Landwirtschaftsbetriebe nicht berücksichtigen, zerreißen, wie
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die Erfahrung lehrt, wichtige wirtschaftliche Zusammenhänge, be-
unruhigen und hemmen auf die Dauer die Gütererzeugung zum
Schaden der Allgemeinheit."
Wir dürfen sagen, daß ein Produktions-
zwang im Sinne einer staatlichen Regelung der
gesamten landwirtschaftlichen Produktion, wie
er non verschiedenen Seiten als Heilmittel
gegen die N a h r u n g s k n a p p h e i t verlangt wurde,
undurchführbar ist, ja daß jeder Versuch dazu voraus-
sichtlich eine Verwirrung in die landwirtschaftliche Betriebsführung
bringen würde, die einen unabsehbaren Schaden bedeutete.
Soll nun aber der Staat, sollen die zum
Zwecke der Ernährungsfürsorge ins Leben g e -
rusenenBehördenundOrganisationen mitver-
schränkten Armen dem Gang der Dinge zusehen
und alles im Vertrauen darauf, daß wir „in der besten aller
ökonomischen Welten" leben, sich selbst überlasten? Ein solcher
Schluß aus der Ablehnung des Produktionszwanges wäre nur unter
zwei Voraussetzungen zu ziehen, wenn nämlich zunächst alle Land-
wirte wüßten, was zur Zeit dem allgemeinen Besten frommt, und
wenn sie weiter in der Lage wären, das, was sie für richtig erkannt
haben, ohne weiteres in die Tat umzusetzen. Beide Voraussetzungen
treffen durchaus nicht für die gesamte deutsche Landwirtschaft zu.
Schon in Frtedenszeiten ist der einzelne Landwirt, namentlich der
kleinere, nur im allgemeinen über die Marktlage unterrichtet, zumal
da zwischen dem Beginn der Produktion und ihrer Beendigung ein
langer Zeitraum, im Ackerbau zumeist ein Jahr, in der Viehzucht
unter Umständen mehrere Jahre liegen. Es kommt hinzu, daß der
Landwirt auf die Bedürfnisse seines eigenen Betriebes Rücksicht
nehmen muß, der, wie wir gesehen haben, ein Produktions-Mikro-
kosmus, eine geschlostene kleine Welt in sich selbst ist. Wenn dadurch
Unstimmigkeiten zwischen Angebot und Nachfrage entstehen, so ist
das im Frieden ohne Bedeutung, weil das Fehlende durch Einfuhr
zu beschaffen ist. Ganz anders jetzt im Kriege, wo aus bekannten
Gründen eine Umstellung der Wirtschaft erfolgen mußte, die in alle
Zweige des Betriebes tief etnschneidet. Das Fehlen von Produktions-
mitteln, in erster Linie von Futtermitteln, das Verlangen der Be-
völkerung nach Brotgetreide, Kartoffeln, Zucker, Fett, Ölen im
größeren Maße als jemals bisher ist dem Landwirt wohl im all-
gemeinen, keineswegs aber im genauen Ausmaß bekannt. Nehmen
wir aber selbst den Fall an, daß ein Landwirt ganz genau wüßte,
cß sei nach den Verhältnissen seines Betriebes, insbesondere nach
Boden und klimatischen Verhältnissen, sehr wohl angängig, den
Erfordernissen der Zeit gemäß mehr Zuckerrüben, mehr Ölpflanzen
anzubauen als bisher. Woher soll er für diese Mehr- und Anders-
leistung den Samen, den Dünger, die Arbeitskräfte, die Gespanne
hernehmen? Das freie Spiel von Angebot und Nachfrage, mittels
dessen er sich sonst alle diese Hilfsmittel beschafft hatte, hat auf-
gehört; er kann nicht mehr nach dem Stande seiner Einsicht gemäß
den natürlichen Verhältnissen wirtschaften, sondern nur nach dem
Maß dieser nicht mehr frei verfügbaren Hilfsmittel.
Endlich müssen wir daran denken, daß ein überaus großer Teil
aller landwirtschaftlichen Betriebe jetzt von Frauen oder anderen
Stellvertretern geleitet wird, die zwar im gewohnten Geleise wie
bisher weiterzuwirtschaften, aber nicht umzuschalten und neu auf-
zubauen verstehen, ganz abgesehen von den zahlreichen bäuerlichen
Wirtschaften, die schon vorher nicht gemäß dem gegenwärtigen
Stande der Technik, sondern nach dem alten und nicht immer guter,
Herkommen geführt wurden.
In allen diesen Fällen ist eine Einfluß-
nahme durch den Staat oder durch andere dazu
berufene Stellen nicht nur erlaubt, sondern
geboten. Das ist auch durchaus keine Kriegsneuerung, sondern
unsere ganze „Landwirtschaftspflege" im Frieden beruht, genau wie
bei anderen Zweigen der Volkswirtschaft, auf dem Gedanken, daß
es Recht und Pflicht des Staates und seiner Verrvaltung sei, treibend,
fördernd, hemmend dort einzugreifen, wo aus irgend einem Grunde
die private Tatkraft oder Einsicht fehlt und versagt. Man denke
nur an all die Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung, die vor tiefen
Eingriffen in die Betriebe nicht zurückschrecken, wie Stallsperre,
Zwangsabschlachtung erkrankter Tiere, Ausrottung reblausbefallener
Weinstöcke usw.; man erinnere sich des Ausmaßes von materieller
Unterstützung, von Belehrung, wie sie durch den Staat unmittelbar
oder durch Vermittlung der Landwirtschaftskammern auf der einen
Seite, der landwirtschaftlichen Hochschulen und Winterschulen auf
der anderen Seite der Bevölkerung zuteil geworden ist. Kein Land-
rat, kein Bürgermeister besinnt sich, im Frieden eine von ihm als
richtig erkannte Vorschrift über die Ausmauerung von Dünger-
gruben oder die Ankörung von Ziegenböcken zu erlassen; kein land-
wirtschaftlicher oder Bauernverein wird es sich nehmen lasten, feinen
Mitgliedern den Anbau irgend einer Getreide- oder Kartoffelsorte
zu empfehlen. Es ist also nur eine Fortsetzung der Friedenspraxis,
wenn eine Beeinflussung des landwirtschaftlichen Betriebes erfolgt.
Der grundsätzliche Unterschied einer solchen
„Beein f l u s s u n g " v o in „ P r o d u k t i o u s z w a u g "
liegt darin„ da ß die volle Verantwortung für
die B e t r i e b S f ü h r u n g und damit die Berufs-
freudigkeit dem Besitzer selbst gelassen wird,
daß diese Beeinflussung sich beschränkt, sich nicht auf die gesamte
Zielsetzung des Betriebes erstreckt, sondern nur auf einzelne Teile
,und Auswirkungen.
V. Lleferungszwang.
Die Landwirtschaft schafft teils für ihren eigenen Bedarf, teils
— und zwar in noch größerem Maße — für die Bedarfs-
befriedigung der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung. Die Er-
nährung dieses letzteren großen Bevölkerungsteiles sicherzustellen ist
die Aufgabe der Ernährungspolitik währen des Krieges. Die erste
Seite dieser Aufgabe ist die H e r a u s z i e h u n g desjenigen
Teils der landwirtschaftlichen Produktion,
der nicht für die Landbevölkerung selbst erfor-
derlich ist, aus d e m L a n d e und die zweckmäßige Zuführung
an den Verbraucher; die zweite Seite, wie wir jetzt schon sagen
können, die Sorge für die möglichste Erhöhung der Produktion.
Die G e f a h r e i n e r Z u r ü ck h a l t u n g ist nun aus mehr-
fachen Ursachen gegeben. Es ist ein ganz natürliches Gefühl im
Aushungerungskrieg, daß derjenige, der Nahrungsmittel besitzt, sie
festhält, auch über sein unmittelbares Bedürfnis hinaus, um sich für
alle denkbaren Wechselfälle sicherzustellen. Dieses Gefühl muß für
den Landwirt, der in vielen Dingen keine andere Nahrungsquelle
kennt als das eigene Erzeugnis, stärker wirken als auf den Städter,
der sich auf den Handel und notfalls auf den Staat zu verlassen
gewohnt ist. Auch die mehrfachen Preisänderungen konnten Anlaß
dazu geben, verkaufsreife Erzeugnisse zurückzuhalten, in der Hoff-
nung, später höhere Preise dafür zu erhalten. Es hat keinen Sinn, so
urwüchsigen menschlichen Empfindungen gegenüber eine Vogelstrauß-
politik zu befolgen und sie zu leugnen; die ganze „Preislenkungs-
politik", die wir noch zu besprechen haben, rechnet mit ihnen. Es
kommt noch hinzu, daß die Kriegsanforderungen, bei aller Rücksicht
gegen die „Selbstversorger", doch zu einer Herabsetzung der Mengen
des Friedensverbrauchs in einer Reihe von Fällen führen mußten,
die natürlich deni an der Quelle sitzenden Erzeuger hinsichtlich der
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uon ihm selbst erarbeiteten und ih»> gehörigen Nahrungsmittel »och
peinlicher fühlbar werden als dein Nurverbraucher.
So war es nicht zu umgehen, daß int Verlauf der Ausgestaltung
unserer Kriegsernährungswirtschaft in einer Reihe van Fällen ein
Lieferungszwang ausgesprochen werden wußte. Dieser
Lieferungszwang unterscheidet sich von dem Produktionszwang durch-
aus. Der letztere will die zu erzeugende oder doch die anzubauende
Menge vorschreiben; der Lieferungszwang aber verlangt nur, daß
von dem Erzeugten und Vorhandenen ein mehr oder minder großer
Bruchteil abgegeben wird. Er bedeutet also gar keinen Eingriff in
die Erzeugung, mindestens wenn es sich um ein reines Ver-
brauchsgut handelt, d. h. also ein landwirtschaftliches Erzeugnis,
das einer weiteren Verarbeitung entweder überhaupt nicht fähig ist,
oder ihr nach der Absicht des Landwirts nicht unterzogen werden soll.
So ist Obst oder Gemüse, so sind Eier, so ist Weizen oder Milch in
der reinen Abmelkwirtschaft ein Enderzeugnis. Es kann sich höchstens
darum handeln, den Verbrauch (durch Trocknung, Konservierung,
Lagerung, Kühlung) hinauszuschieben, nicht aber das Produkt zu
verändern. EsbestehtnichtdaSgeringsteBedenken,
i in Falle einer öffentlichen Dringlichkeit, wie
' siei m Kriege gegeben ist, die Herausgabe solcher
Verbrauchsgüter nach Sicherstellung des Eigen-
verbrauchs der Erzeuger zu verlangen.
Nun liegt es aber, wie schon gezeigt wurde, im Wesen der land-
wirtschaftlichen Erzeugung, daß ein sehr großer Teil der
V e r h r a u ch s g ü t e r zugleich Produktionsmittel
sind. Selbst das Brotgetreide, selbst die Milch können auf dem Wege
der Verfütterung zum Produktionsmittel werden; andere Erzeugnisse
wie Kartoffeln, wie das Rindvieh, wie die Gerste sind von vorn-
herein sowohl Verbrauchs- wie Produktionsgut. Hier kann der
Lieferungszwang zum scharfen Eingriff in den Betrieb führen und
hat es auch getan. So ist dem Landwirt am 1. November 1916 ver-
boten gewesen, irgendwelches Brotgetreide jeder Art sowie dessen Nach-
, Produkte (Brot, Mehl usw.), ferner mehr als 40 v. H. seiner Gerste,
einen Teil des Hafers, Buchweizen und Hirse, Erbsen, Bohnen und
Linsen, Kartoffeln, die noch irgendwie anders verwertbar find, Voll-
milch, Zuckerrüben, Bucheckern zu verfüttern. Wenn wir daran
denken, daß die Schweinezucht zum nicht geringen Teile auf der
Verfütterung von Gerste und Kartoffeln aufgebaut war, daß der
Landwirt gewohnt war, den Jungkälbern Milch zu geben, so sehen
wir, wie der A b l i e f e r u n g s z w a n g z u einer voll-
k o m m c n c n Neueinrichtung der W i r t s ch a f t s
weiseführen um ß t e. Wollte der Landwirt seine Viehhaltung
beibehalten, so mußte er entweder anderes Futter kaufen, und dies
war meistens entweder" überhaupt nicht oder nur zu außerordentlich
gestiegenen Preisen käuflich, oder aber er mußte die Anbauflächen
für Futter ausdehnen. War weder das eine noch das andere an-
gängig, so blieb als dritte Möglichkeit eben nur die Einschränkung
der Viehzucht, die mit Rücksicht auf den früher dargelegten Zu-
sammenhang aller Zweige des Einzelbetriebs eine tiefeinschneidendc
Produktionsumstellung mit sich bringt. In den verschiedenen Wirt-
schaften wird sich diese Wirkung nicht ganz gleichmäßig geltend
machen. So trifft die erzwungene Einschränkung der Rindvieh-
haltung aus den verschiedensten Gründen den kleinen Betrieb härter
als den großen. Im Kleinbetrieb ist das Rindvieh zugleich Zug-
kraft, die nicht durch Einstellung von Pferden oder gar Motor-
maschinen ersetzt werden kann; das Vieh ist Hauptdüngerquelle, bereu
Fortfall bei den hohen Preisen des Kunstdüngers besonders schmerz-
lich ist; im Vieh und seinen Produkten kann die persönliche hin-
gebende Arbeit des Kleinbauern und seiner Familie andere Erfolge
und letzterdings auch andere Gewinne erzielen als im Ackerbau, für
den der Großbetrieb die günstigeren Bedingungen bietet.
Diese hier angedeuteten Schwierigkeiten
sprechen nicht gegen einen Ablieferungszwang
überhaupt, welcher der Verbraucher wegen nicht zu umgehen
sein wird, solange der letzte Zentner der inländischen Erzeugung das
„Durchhalten" entscheiden kann; wohl aber wird man
daraus die Folgerung ziehen dürfen, daß auch
ein solcher beschränkter Zwang nicht ohne volle
Einsicht in die Folgen ausgesprochen werden
darf. Ist man sich der daraus erwachsenden Schwierigkeiten be-
wußt und zugleich geneigt, diese auf andere Weise auszugleichen,
so wird ein solcher Ablieferungszwang, wenn die Freiwilligkeit ver-
sagt, nicht verworfen werden können. Man kann darauf verweisen,
daß ein Ablieferungszwang auf vertraglicher Grundlage auch im f-
Frieden von der landwirtschaftlichen Bevölkerung selbst übernommen
worden ist, so z. B. beim Bau von „Pflichtrüben" für eine Zucker-
fabrik. Wir finden denn auch jetzt Landwirte und landwirtschaftliche
Vertretungen, die sich als Anhänger eines wohlerwogenen Abliefe-
rungszwanges bekennen. So ist in dem Jahresbericht des Anwalts
des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genofsen-
schaften, den er dem Genossenschaftstage am 26. Oktober 1916 er-
stattete, ausdrücklich ausgesprochen worden, daß nur eine in wirt-
schaftlichen Grenzen gehaltene Zwangsablieferung der Milch, das
Verbot der Handzentrifugen und der Butterherstellung im eigenen
Haushalt es den Genossenschaftsmolkereien ermöglichen könne, ihre
auf das vollkommenste ausgestatteten technischen Einrichtungen voll
auszunützen. Dies sei im Interesse einer möglichst reichen Fett-
versorgung notwendig. Ein solcher Milchlieferungözwang ist jetzt
von einer Reihe von Bundesstaaten verfügt worden. Beispielsweise
hat das Bayerische Ministerium des Innern Anfang Dezember 1916
die Kommunalverbände angewiesen, allmonatlich ziffernmäßig die
ivöchentliche Lteferungsschuldigkeit an Milch, Rahm, Butter und
Butterschmalz festzusetzen, die auf jede Gemeinde trifft; dabei ist
im einzelnen auf die Leistungsfähigkeit der einzelnen Kuhhalter, auch
auf einen Wechsel in dieser Leistung Rücksicht genommen.
Sehr nahe liegt der Gedanke, den Ablieferungszwang in einem
bestimmten Falle noch weiter auszugestalten, nämlich als Aus-
gleichung einer dem Interesse der Volks-
ernährung zuwiderla ufenden Ausnutzung der
gegebenen Produktionsmöglichkeiten in einzelnen
Wirtschaften. So unbedingt ein Produktionszwang im Sinne der
Vorschrift eines Gesamtwirtschaftsplans aus den angegebenen
Gründen abzulehnen ist, wird man doch in den beiden Fällen der
inangelnden Einsicht oder gar des bösen Willens, wenn andere Mittel
versagen, auch vor dem Zwang nicht zurückschrecken dürfen, sofern
man nur sicher ist, dadurch nicht Schaden anzurichten. In seiner
Darstellung „Die Kartoffel in der Kriegswirtschaft" (Heft 2 dieser
„Beiträge", S. 12) weist Geheimrat Hansen daraus hin, daß in
beträchtlichen Gegenden Deutschlands, vor allem in einem Teil von
Nordwestdeutschland, der Kartoffelbau recht schwach betrieben werde,
obgleich dafür ausgezeichnet geeignete Böden sandig-lehmiger Natur in
größerer Ausdehnung vorhanden seien. Man decke dort im allgemeinen
nur seinen eigenen Speisebedarf; die Städte müßten schon von weiter
her versorgt werden, ganz abgesehen von der Schweinemast, die fast
ausschließlich auf russische Gersteneinfuhr gegründet war. — Auch
die Erscheinungen des „K o n j u n k t u r a n b a u e s", wie sie sich
gerade aus der kriegswirtschaftlichen Lage ergeben haben, verdienen
in diesem Zusammenhange ernste Beachtung. Wenn jetzt aus
mehreren Teilen Deutschlands berichtet wird, daß sich ganze Kreise
ausschließlich auf Frühkartoffelbau geworfen haben und in Spät-
kartoffeln nicht einmal den eigenen Bedarf der Erzeuger mehr decken,
so ist das höchst unerwünscht. Das war freilich zunächst eine Folge
des Preisunterschiedes zwischen Früh- und Spätkartosfeln, der zu
einer vorzeitigen Herausnahme auch erst später reifender Sorten
führte. Wir kommen hier a n die Frage, inwieweit
d a s i m m e r h i n m e ch anischc und rohe Mittel des
L i e f e run g s zwäuge s ni ch t d u r ch bessere ersetzt
werden kann, so daß eö nur nss ultima ratio, als äußerstes
Mittel, übrig bliebe.
VI. produktionsförderung.
Es besteht in allen sachverständigen Kreisen
kein Zweifel mehr darüber, daß die „Kriegs-
e r n ä h r u n g s w i r t s ch a f t" sich nicht auf ein Er-
fassen und Verteilen der vorhandenen Nah-
rungsmittelbeschränken darf, sondern daß sie
darüber hinaus die Produktion nach Möglich-
keit zu st e i g e r n versuchen muß. Auch das Kriegs-
ernährungsamt hat nach diesem Grundsätze gehandelt und ist an der
Arbeit, diese Förderungspolitik planmäßig auszubauen.
Notwendig ist dazu eine Unterstützung von allen Verwaltungen und
Stellen, die einer darauf bezüglichen Einwirkung überhaupt fähig
sind; also den allgemeinen Staatsbehörden, den landwirtschaftlichen
Vertretungskörpern und nicht zum wenigsten der öffentlichen
Meinung, unter deren Druck sich gewaltige Verschiebungen vollziehen
können.
Es ist die Einrichtung eines ReichSamtes für Pro-
duktionsförderung vorgeschlagen worden. Das Ergebnis
der Erörterung, die darüber einsetzte, war die Ablehnung dieses
Vorschlages. Es ist die pflichtmäßige Aufgabe sowohl der Staats-
regierungen wie der landwirtschaftlichen Verbände (Landwirtschafts-
kammern, Bauernvereine usw.), sich dieser Förderung im Kriege
anzunehmen, wie sie es im Frieden bereits mit so großem Erfolge
getan haben. Wer die Kriegsarbeit beider Stellen verfolgen konnte,
wird überzeugt sein, daß von ihnen das Menschenmögliche in gemein-
samer, Hand in Hand arbeitender Tätigkeit geleistet worden ist. Es
besteht durchaus kein Grund, diese vorzüglich eingearbeiteten Stellen
durch eine neue zu ersetzen, die bestenfalls nur dasselbe tun könnte
wie die alten, wenn nicht durch das Durcheinanderarbeiten der Ver-
waltungen sogar Störungen zu befürchten wären. Es ist möglich,
daß gelegentlich einmal die von den einzelnen Landesregierungen ge-
troffenen Maßnahmen nicht ganz in einander eingreifen, daß in
einem Bundesstaat eine Regelung anders erfolgt als in einem
anderen. Die gegebene Stelle für den etwa erforderlichen Ansgleich
ist das Kriegsernährungsamt.
Im übrigen wird die sachverständige Beratung sowohl des
Kriegsernährungsamtes wie des in diesen Fragen nunmehr eben-
falls mitsprechenden Kriegsamtes durch den zu gemeinsamer Mit-
arbeit bei beiden Ämtern bestimmten „Ausschuß zur Förde-
rung der Landwirtschaft" gewährleistet. Dieser Aus-
schuß, der im Dezember -1916 ins Leben getreten ist, besteht aus
Vertretern der hauptsächlichsten landwirtschaftlichen Körperschaften.
Endlich sind die durch Staatsministerialbeschluß vom 3. Januar
1917 in Preußen ins Leben gerufenen „K r i e g s w i r t s ch a f t s -
ämter" zu nennen. Diese Ämter werden für jede Provinz ge-
bildet. Vorsitzender ist jeweilig ein vom Kriegsamt ernannter
Offizier, der mit landwirtschaftlichen Angelegenheiten genau ver-
traut ist; Mitglieder sind zwei vom Oberpräsidenten ernannte höhere
Verwaltungsbeamte, je ein Vertreter der Eisenbahndirektionen, zu
deren Bereich die Provinz gehört, sechs von der Landwirtschafts-
kammer zu benennende Landwirte und ein Veterinär. Das Kriegs-
wirtschaftsamt hat innerhalb der Provinz die landwirtschaftliche
Produktion zu unterstützen und zu fördern und zwar bezüglich der
Beschaffung und nötigenfalls militärischen Zurückstellung von Be-
triebsleitern und Arbeitern, Beschaffung von Arbeitspferden sowie
von Maschinen und Betriebsmitteln (Kohlen, Benzol usw.), Für-
sorge für restlose Bestellung der Felder, Fürsorge für Einbringung
der Ernte. Dabei sollen sie durch K r e i s w i r t s ch a f is-
st e I l e n Fühlung nach unten gewinnen. Sie bilden die natürliche
Vermittlung zwischen den Staatsbehörden und der Landwirtschaft
selbst, werden von oben als ausführendes Organ, von unten als
Vertrauensstelle angesehen werden können. Im Rahmen der all-
gemeinen Wirtschafts- und insbesondere Kriegswirtschaftspolitik des
Staates werden sie die verantwortlichen örtlichen Träger wenigstens
eines Teils der Produktionsförderungspolitik im Sinne der folgenden
Ausführungen zu sein haben.
Was ist nun das Wesen dieser Förderungs-
Politik? Wir können vielleicht vier Gruppen einschlägiger
Maßnahnien unterscheiden, die einander durchaus nicht immer aus-
schließen, sondern in der Regel einander ergänzen. Diese Gruppen
können wir bezeichnen als
1. allgemeine Förderungsmaßnahmen,
2. Förderung durch Preislenkung,
3. Förderung durch Begünstigung in der Wirtschaft,
4. geistige Förderung.
30
Ehe wir auf die Besprechung dieser Förderungsformeu eingehe»,
muß zunächst noch, im Anschluß an unsere vorangegangenen Be-
trachtungen, kurz die Frage einer zwangs mäßigen Förde-
rung erörtert werden. Dies will heißen, daß zwar im allgemeinen
von jedem Zwange abgesehen wird, der den Wirtschaftsplan betrifft,
daß aber zur Förderung des von dem Betriebsinhaber selbst auf-
gestellten Betriebsplanes der Landwirt gezwungen wird, gewisse, von
Wissenschaft und Praxis einwandfrei und unwidersprochen als
wünschenswert anerkannte Betriebsmaßnahmen durchzuführen. Also
ein Vorgehen gegen Schlendrian oder Unwissen-
heit, deren Folgen im Frieden nur von dem Betriebsinhaber, jetzt
aber von der Allgemeinheit getragen werden. So ist von praktischen
Landwirten vorgeschlagen worden: zwangsweise Kalk-, Mergel- und
Kalidüngung, zwangsweise Körung der Getreide- und Kartoffelfelder
zwecks Durchführung der jahrelang erprobten pflanzenzüchterischen
Grundsätze, Zwang zur Erhaltung des Stickstoffdüngers der Jauche
durch Anlage von Jauchegruben, Tiefställen, Torfeinstreu oder-
anderen Einrichtungen (Boeker-Stollhamm in den „Mitteilungen der
Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft" vom 1. Juli 1916); Verbot
des Anbaues ertragärmerer Kartoffelforten, wie vieler feiner Speise-
kartoffeln, von denen man auf gutem Boden nur 15 bis 26 Doppel-
zentner vom Morgen erntete, gegen 50 bis 75 von anderen Sorten
(Dix-Hadmersleben, ebendaselbst, 19. August 1916). Im einzelnen
Falle kann eine solche zwangsmäßige Förderung gewiß vortrefflich
wirken; es sind doch aber noch soviel Nebenumstände dabei voraus-
zusetzen (z. B. die Sicherheit der Lieferung des Saatguts oder des
Düngers), daß man unter Umständen von dem Landwirt eine nn-
nrögliche Leistung verlangen würde. Jedenfalls sind andere Wege
der Förderung gefahrloser.
1. Allgemeine F ö r d e r u n g s m a ß n a h m e n.
Es handelt.sich hier um die s i n n g e m ä ß e Ausdehnun g
der Friedenspolitik der Landwirtschafts-
sörderung aufden Krieg, wobei als unterscheidend eigent-
lich nur die Notwendigkeit der Aufwendung erhöhter Mittel und
Anstrengungen angesichts der außerordentlichen Schwierigkeiten der
Kriegslandwirtschaft anzusehen sein wird. Als Beispiel sei erwähnt,
was Professor Remy (Ein Ausblick auf die Lage des rheinischen Kar-
toffelbaues und die Mittel zu seiner Hebung, Bonn 1916) bezüglich
der Kartoffelgewinnnng ausführt. Er stellt fest, daß die Kartoffel-
erträge stärker durch das Saatgut als durch die Sorte beeinflußt
werden. Insbesondere bedarf die tnt Rheinland überwiegend an-
gebaute „Industrie" unbedingt der steten Auffrischung durch Saat-
gut aus dem Osten; nach den Untersuchungen Remys steigt der
Minderertrag bei älterem Nachbau bis zu 60 und 70 v. H. der vollen
Ernte. Die Erschwerungen im Verkehr mit Pflanzkartoffeln im
Frühjahr 1916 haben nach ihm für die Rheinprovinz einen Ertrags-
ausfall in diesem Jahre von 10 bis 20 v. H. zur Folge gehabt. Eine
rechtzeitige Bereitstellung von Saatkartoffeln, wobei die vorherige
Auslese durch Prüfung und Anerkennung ebenso wichtig ist wie die
ungestörte Beförderung, bewirken also vermutlich eine stärkere Er-
höhung der Ernte, als jeder irgendwie geartete Zwang es vermöchte.
So hat denn auch der Haushaltausschuß des preußischen Abgeord-
netenhauses bei seinen Beratungen über die Volksversorgung in
den am 1. Dezember 1916 abgefaßten Leitsätzen die Sorge für
die ausreichende und rechtzeitige Sicherung von Saatkartoffeln für
die Frühjahrsbestellung 1917 an die Spitze gestellt.
Solcher allgemeinen Förderungsmaßnahmen gibt es natürlich
noch zahllose; es seien nur genannt die Fürsorge für Kunstdünger,
für Zugvieh, für Antriebsmittel (Benzin, Benzol, Treiböle,
elektrischer Strom usw.), die Herstellung und Bereitstellung von
Ersatzfuttermitteln und vieles andere mehr. Sie sind zum Teil
allgemeiner Natur, zum Teil müssen sie von Ort zu Ort und von
einem Zeitpunkt zunr anderen wechseln. Es handelt sich, wie schon
oben gesagt, hier nur um eine Anpassung der Friedenspolitik an die
durch den Krieg geschaffene und dauernd wechselnde Lage. Ihre
besondere Färbung erfährt die kriegswirtschaftliche Förderung der
Landwirtschaft erst durch weitere, nunmehr zu besprechende Maß-
nahmen.
2. Förderung durch Preislenkung.
Die Kriegslage machte es notwendig, daß erstens die landwirt-
schaftliche Produktion überhaupt so sehr wie möglich gesteigert wurde,
des weiteren aber, daß sie sich bis zu einem nicht unbeträchtlichen
Grade umstellte. Man hat mit gutem Grunde darauf verzichtet,
die Umstellung durch Zwangsvorschriften zu bewirken, weil eben
; eine Einsicht in die Leistungsmöglichkeiten jedes einzelnen Betriebes
nicht gegeben ist. Auch konnte man nicht wiffen, inwieweit der
einzelne Landwirt die technischen Fähigkeiten besaß, um neue, ihm
bisher nicht vertraute Kulturen aufzunehmen. Der Umstand, daß
der Staat einen sehr beträchtlichen Teil der Erzeugniffe ganz an sich
zog, für einen anderen Teil, um den Verbraucher vor einer Ausbeutung
durch den Erzeuger oder den Zwischenhandel zu schützen, mit Preis-
regelung eingriff, bot die Gelegenheit, damit auch die Produktion
32
zu beeinflussen. Denn, wie vielfach (so z. B. von Thieß in seiner j
Untersuchung über die Höchftpreispolitik, Heft 1 dieser Beiträge,
S. 21) ausgeführt worden ist, wirkt der Preis selbst-
tätig auf die Produktion zurück und zwar in einem
doppelten Sinne. Es werden einmal nach Möglichkeit solche Er-
zeugniffe hergestellt, die den verhältnismäßig höchsten Preis bringen,
es wird andererseits vermieden, solche Produktionsmittel zu be-
schaffen, deren Preis zu hoch ist. Nach der Berechnung von Beck-
mann (in seiner angeführten Abhandlung S. 622) können wir jetzt
bei den landwirtschaftlichen Gütern vier Gruppen mit verschiedenem
Preisstande unterscheiden:
a) Brotaetreide mit 50 bis 60 % Steigerung 1916 gegen
1912/14;
b) Rohstoffe für Viehhaltung, Futtergetreide und Futtermittel
mit 400% Steigerung;
c) Rohstoffe der Viehhaltung (Jungvieh) mit 500 bis 1000 %
Steigerung;
d) Endprodukte der Viehhaltung (Milch, Käse, Butter, Fett-
vieh) mit ungefähr 50 bis 100 % Steigerung.
Durch diese Verschiedenheit des Preisstandes erklären sich manche
recht unangenehmen Erscheinungen. Was nützt dem Landwirt ein -
verhältnismäßig hoher Kartoffelpreis, wenn er an Stelle der Kar- i
löffeln, die er nicht verfüttern darf, Futtermittel zu sehr viel höheren /
Preisen kaufen muß? Wie soll er Lust haben, Milch und Käse zn
gewinnen, wenn die Preise für diese Enderzeugnisse nicht entfernt i
in dem Maße gestiegen sind wie die der dafür erforderlichen Roh- -
flösse ? Der Mangel an Futtermitteln, die wir früher in gewaltigen j
Mengen aus dem Auslande einführten, ist überhaupt der Angel- j
Punkt des ganzen Ernährungsproblems des Krieges; man hat leider
zuerst nur Preispolitik im Sinne des freilich sehr notwendigen
Verbraucherschutzes für die pflanzlichen Nahrungsmittel getrieben
und die Preise der Futtermittel (auch der im freien Handel befind-
lichen Düngemittel) ungehindert in die Höhe gehen lassen. Damit
wurde der tierischen Fettproduktion, die nach dem Verbot der Ver-
fütterung von Brotgetreide und der ausschließlichen Bereitstellung
der Kartoffeln für unmittelbare menschliche Ernährung mehr und
mehr auf Kauffutter angewiesen war, der Boden abgegraben. Die !
Viehhaltung hat, wie Beckmann richtig bemerkt, jetzt vielfach einen
anderen Sinn angenommen; sie arbeitet nicht mehr verkehrs-
wirtschastlich für den Markt, sondern hauswirtschaftlich für de» !
Fa m ilieubedarf.
33
Es muß bezüglich der Preise auch noch bemerkt werden, daß der
Landwirt bei mKaufvon Rohstoffen zudein noch der Gefahr
ausgesetzt ist, für sein Geld minderwertige Ware zu be-
kommen. Der Saatgut-, Futtermittel- und Düngemittelhandcl war
schon im Frieden, trotz einer großen Anzahl hochachtbarer Händler,
doch vielfach auch der Tummelplatz recht übler Machenschaften. Es
ist nicht anzunehmen, daß der Krieg diese Verhältnisse zum Besseren
gewendet hat. Wurde doch noch kürzlich in dem „Wochenrückblick"
der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (vom 23. September
1916) behauptet, der Kriegsausschuß für pflanzliche und tierische
Lle und Fette sei in diesem Jahre vom Handel mit der Rübsensaat
„in unglaublicher Weise hintergangen" worden, wodurch viel Acker
vollständig ertraglos geblieben sei.
Eine richtige Preispolitik ist unzweifel-
haft geeignet, p r o d u k t i o n s r e g e ln d zu wirken,
sofern die Preise genau aus einander ab ge-
st inunt sind. Dabei ist auf eine Steigerung der gesamten
Leistung und Ablieferung nicht immer zu rechnen. Oben ist schon
betont worden, daß die verbliebene Landbevölkerung durchweg schon
schafft, was sie irgend kann, oft unter Raubbau an ihren Kräften.
Ein erhöhter Preis kann freilich in manchen Fällen auf vermehrte
Anlieferung der erzielten Erträge unter Einschränkung des eigenen
Verbrauchs einwirken, wie das schon im Frieden in der Zeit der
Molkereigründungen namentlich hinsichtlich der Milch beobachtet
worden ist. Dem steht aber die andere Beobachtung gegenüber, daß
viele Haushaltungen, namentlich kleinere, Erzeugnisse wie Milch,
Butter, Eier, Geflügel nur in dem Grade abzugeben pflegen, daß
sie dafür Barmittel für Schuldzinsen, Unterhalt und Rücklagen in
gewohnter Höhe erhalten. Je teurer sie diese Erzeugnisse bezahlt
erhalten, desto weniger brauchen sie also abzuliefern, um die be-
nötigten Barmittel zu bekommen.
So hat der Preisanreiz zur Steigerung der Produktion
günstige und ungünstige Folgen, die sich gegenseitig ausheben und nach
dieser Richtung übertriebene Hoffnungen nicht rechtfertigen. Da-
gegen ist die Lenkung der Erzeugung zu den volkswirtschaftlich
metsterwünschten Produkten durch richtige Preisstaffelung und Preis-
politik von größter Bedeutung. Im Frieden hat die Marktpreis-
bildung diese Aufgabe geleistet und den Landwirt auf diejenigen
Kulturen aufmerksam gemacht, die der Gesamtheit am dringlichsten
waren, und für die deshalb die nämliche Arbeit am besten entlohnt
wurde. Jetzt muß die geordnete Kriegswirtschaft in diese Aufgabe
eintreten. Das Kriegsernährungsamt hat demgemäß, nachdem eine
"T-
MWA
34
Vereinigung der Preispolitik in seiner Hand erfolgt ist, planmäßig
in der Richtung einer solchen vollendeten Abstimmung der Preise
gearbeitet. Dahin gehört die Annäherung der Preise der Futter-
getreide an die bisher niedrigeren von Weizen und Roggen, die Er-
höhung der Zuckerrübenpreise für 1917, die neuerliche Heraufsetzung
der Magerkäsepreise, die wiederholten Abstimmungen der Preise von
Milch, Butter, Fleisch, die höheren Preise für schweres Schlachtvieh.
Eine für die ganze Kriegszeit zutreffende endgültige Abstim-
mung der Preise wird sich allerdings kaum ermöglichen lassen, weil
die Bedingungen der Erzeugung auch jetzt noch im Flusse sind.
Weitere Änderungen müssen also für den Notfall vorbehalten werden.
Es ist nicht zu verkennen, daß hierin für den landwirtschaftlichen
Betrieb auch Gefahren verborgen liegen; er hat sich auf eine be-
stimmte Verwendung seiner Mittel eingerichtet und muh nun doch
darauf gefasst sein, daß eine Grundlage seines Wirtschastsplans, der
Preis, sich verschiebt. Mit Rücksicht darauf, daß oft sehr beträcht-
liche Kosten für eine solche Umstellung aufzuwenden sind, scheint cs
geboten, in geeigneten Fällen eine P r e i s s i ch e r u u g eintreten
zu lassen, d. h. daß schon lange vorher erklärt wird, wer Früh-
kartoffeln oder Ölfrüchte baut, kann im nächsten Jahre mit Be-
stimmtheit auf den und den Preis rechnen.
Mit Rücksicht darauf, daß dem Kriege eine lange Zeit des
Übergangs bis zur Friedenswirtschaft folgen wird, während dessen
die Verhältnisse noch denen des Krieges recht ähnliche sein werden
(man denke nur an die Schwierigkeiten des Ersatzes des verbrauchten
Viehs oder an den Wiederaufbau der früheren Einfuhr von Futter-
mitteln), ist der Gedanke aufgetaucht, eine solche Sicherung
noch über den Krieg hinaus zu gewähren. Man muß
stets im Auge behalten, daß die Landwirtschaft unter dem Gesetze
des abnehmenden Bodenertrages arbeitet, d. h. daß der Bodenertrag
nicht in dem Maße wächst, wie die in ihn hineingesteckten Mehr-
aufwendungen. In der Industrie herrscht, wie jedem Volkswirt
bekannt, für die überwiegende Mehrzahl aller ihrer Gebiete auf
vorläufig noch unabsehbare Zeit das umgekehrte Gesetz, d. h. der
Ertrag steigt stärker als die Mehraufwendungen; daher die all-
gemeine Überlegenheit des Großbetriebes in der Massengüter er-
zeugenden Industrie. Der intensivere Betrieb, auf den die er-
wünschten Umstellungen der Landwirtschaft zum großen Teile heraus-
laufen würden, bedingt weitere Kapitalaufwendungen, die nur unter
der Voraussetzung entsprechend höherer Preise sich wirtschaftlich recht-
fertigen lassen. Das gleiche gilt aber auch von den immerhin denk-
baren Fällen, daß im vaterländischen Interesse ein Zweig höherer
35
Intensität mit einem extensiveren vertauscht werden soll; hier würde
sich nicht eine verhältnismäßige, sondern eine absolute Mindereinnahme
ergeben, sobald einmal die Kriegspreise fortfallen. Der Gedanke
eines Minde st Preises ist meines Wissens zuerst in England
ausgesprochen worden. Dort sind, da das Land die frühere Ver-
nachlässigung seiner Landwirtschaft im Kriege bitter gespürt hat,
im Jahre 1915 drei Kommissionen für England, Schottland und
Wales von der Regierung eingesetzt worden, die praktische Vorschläge
zur Vermehrung der landwirtschaftlichen Produktion machen sollten.
Die englische Kommission erklärte es in einem Vorbericht für un-
umgänglich, im Falle der von ihr empfohlenen Umwandlung von
Weiden in Getreide- oder Kartoffelland den Landwirten einen
Mindestpreis (45 Schilling für den Quarter Weizen) auf fünf Jahre
zu gewährleisten, und zwar in der Form, daß der Getreidebauer die
Freiheit habe, sein Getreide nach Belieben auf dem Markte zu ver-
kaufen und die Regierung ihm den Unterschied zwischen 45 Schilling
und dem im Amtsblatt veröffentlichten durchschnittlichen Getreide-
preis des betreffenden Jahres auszahle. Auch die irische Kommission
empfahl die Festsetzung eines Mindestpreises für Brotgetreide und
Hafer, allerdings nur für ein Jahr, was unserem deutschen Ver-
fahren der Zusicherung eines Höchstpreises, der tatsächlich ja immer
in der Preisgestaltung richtunggebend wird, durch die maßgebende
Stelle, für das nächste Erntejahr nahekommt. Den Vorschlag
der englischen Kommission, die Festsetzung eines Mindestpreises für
fünf Jahre, lehnte die Regierung ab; in der Tat ist er ohne Ein-
führung eines staatlichen Getreidehandelmonopols technisch kaum
durchführbar.^)
Das System der Preisabstimmung wie das der Preissicherung
läuft im Grunde darauf hinaus, das durch die „Kriegskrise" unter-
brochene freie Spiel von Angebot und Nachfrage zwar nicht der Form,
«der der Sache nach wiederherzustellen, insbesondere eine Gewähr
dafür zu schaffen, daß das Angebot sich den Wünschen der Nachfrage
anpaßt. Die Preise sollen nach wie vor vom Verbraucher getragen
werden, wobei im Falle der Zahlungsunfähigkeit durch Unter-
stützungen einzelner Käuferkreise ein Ausgleich geschaffen werden soll.
Der Staat und seine Verwaltungen sind nach diesem Verfahren nur
die Vermittler; sie bringen die Produktion in den richtigen Lauf,
tragen aber die Kosten nicht. Das wäre der Fall bei dem von der
englischen Konimission vorgeschlagenen System der staatlichen
*) Die Sicherung eines Mindestpreises für Wolle hat in Deutschland
der bekannte Schäferei-Fachmann Johannes Heyne-Leipzig verlangt.
3*
36
Deckung des Preisunterschiedes zwischen Marktpreis und „Mindest-
preis" gewesen. Das ist ebenso der Fall bei dem „Prämien-
syste m", das in Frankreich und Italien eingeführt worden ist.
In Italien hat für eine Anzahl Provinzen der Staat eine Prämie
von 50 Lire für den Hektar neu mit Weizen, Mais oder Hafer
angebauter Felder ausgelobt. In Frankreich hat die Kammer im
Oktober 1916 ein Gesetz angenommen, wonach zunächst einmal mit
Rücksicht auf die erschreckende Zunahme der Nichtbestellung
20 Franken für jeden Hektar gezahlt werden, der gegen das Vorjahr
mehr bestellt wird (also nicht etwa nur für bisheriges Brachland)
und ferner eine Prämie von 3 Franken für jeden überhaupt ge-
ernteten Doppelzentner. Letztere sehr merkwürdige Maßnahme soll
und kann allerdings zu einer Ersparung für den Staat führen.
Denn das reiche Frankreich, dem zur Heranbringung von Hilfs-
stoffen und Arbeitern die ganze Welt offen steht, ist nicht wie das
eingeschlossene Deutschland imstande gewesen, seinen eigenen Bedarf
zu decken, sondern hat beträchtliche Getreidemassen im Auslande
kaufen müssen, für die es zur Zeit der Annahme des Gesetzes
56 Franken für den Doppelzentner bezahlen mußte (jetzt noch viel
mehr), während es sie den Mühlen zu 33 Fxanken abzugeben
gezwungen war. Frankreich mit seinen kleinen Familien, seiner
Aushebung von mehr Altersklassen, seinen wohlhabenden Volks-
gewohnheiten mit minderer Mitarbeit der Frauen und Familien-
angehörigen ist in der Fortführung seiner Landwirtschaft sehr viel
schlechter dran als wir und braucht Anreizmittel, die wir entbehren
können.
In Deutschland ist eine gewisse Ausbildung des Prämien-
systems schon im Frieden nach zwei Richtungen erfolgt, nämlich
einmal als Anreiz für hervorragende Leistungen
(so die Züchterprämien), wobei auf der einen Seite
die vermehrte Mühe und Sorgfalt des Landwirts in Rechnung
gezogen wurde, der eine überdurchschnittliche Leistung aufweisen
konnte, auf der anderen Seite das gute Vorbild für die andere
Bevölkerung. Eine zweite Form war die Unter stützung
des kleinen Mannes, sei es durch Prämien, sei es
durch Beihilfen überhaupt. Mit Rücksicht darauf, daß in beiden
Fällen die Gewährung an die Erfüllung bestimmter, genau
zu prüfender Voraussetzungen gebunden war, erfolgte die Ver-
leihung regelmäßig nicht durch den Staat selbst, sondern durch
seine lokalen Nachgeordneten Stellen (Kreise, Landwirtschafts-
kanimern usw.), die auch aus eigenen Mitteln dazu beitrugen. Eine
solche Produktions st eigerung durch Prämien-
37
gewährung mit vorwiegendem sozialpoli-
tischem Einschlag ist auch mährend des Krieges vielfach er-
folgt. Der „Nachrichtendienst für Ernährungsfragen" vom 12. April
1916 konnte schon eine Anzahl solcher Fälle zusammenstellen: Stall-
prämien von 60 Pfennig täglich für jede Milchkuh im Kreise
Niederbarnim, Aufzuchtprämien für zweite und dritte Ziegenlämmer
durch die Landwirtschaftskammern, Geldpreise für besonders erfolg-
reiche Kaninchenzüchter. Ein anderes Beispiel geben die „Mit-
teilungen aus dem Kriegsernährungsamt" vom 17. November 1916:
der Landkreis Kehdingen gibt auf Antrag an Kreiseingesessene mit
einem Einkommen von weniger als 1600 Mark Beihilfen, um ihnen
den Kauf von Futtermitteln (oder auch von Fleisch) zu erleichtern.
Diese sozialpolitische Prämienpolitik scheint besonders glücklich, weil
sie Kräfte für die Produktionserhöhung nutzbar macht, die ohne
diesen Antrieb ungenutzt blieben. Ein planmäßiger Ausbau in
Stadt- wie in Landkreisen wäre besonders erwünscht.
3. Förderung durch B e g ü n st i g u n g in der Wirt-
schaft.
Die Produktionsprämien haben, wie dargelegt, entweder die
Bedeutung der Förderung einer überdurchschnittlichen Leistung oder
einen sozialpolitischen Anstrich. Ersteres kommt für die Mehrzahl
der Landwirte naturgemäß weniger in Betracht, letzteres nur für die
kleinsten. Es ist aber unbedingt notwendig, auch
auf eine Förderung der Produktion in der über-
großen Mehrzahl der Landwirtschaftsbetriebe
hinzuwirken, die als Durchschnittsbetriebe a n -
zusehensind. Diese alle treibt ihr eigener Vorteil an sich schon;
doch stehen einer Erhöhung der Leistung oder einer erwünschten
Betriebsumstellung, die beide naturgemäß erhöhte Anforderungen an
die Arbeit der Besitzer stellen, wie dargelegt, auch sachliche Schwierig-
keiten beträchtlicher Art entgegen: Der Staatist,wenn auch
m iteigenen Opfern,im stände,dieProduktions-
bedingungen in einer großen Reihe von Fällen
zu erleichtern.. Aber da er Opfer bringen muh,
da zudem auch seine Hilfsmittel während des
Krieges eng genug begrenzt sind, darf er sie nur
dann zur Verfügung stellen, wenn er eines Er-
folges sicher sein kann.
Es kann die Begünstigung in der Weise erfolgen, daß der
Staat auf die Ansichziehung von Erzeugnissen des Landwirts, über
die er sonst zugunsten anderer nach der bisherigen Gesetzgebung zu
38
verfügen berechtigt wäre, gegen die Zusage der gewünschten Leistung
verzichtet. Dieses Verfahren der Produktionsbegünstigung ist
seit dem Winter 1915/16 mit Glück ausgebaut worden und soll
immer weiter ausgestaltet werden.
Eine Begünstigung des Produzenten durch
V e r z i ch t l e i st u n g auf A b l i e f e r u n g s z w a n g liegt in
der Nichtanrechnung eines Teils des Fleisches bei Hausschlachtungen;
desgleichen dürfte es zu einer entschiedenen Förderung des Zucker-
rübenbaues führen, wenn — wie für das komniende Wirtschaftsjahr
in Aussicht gestellt wurde — den Landwirten ein größerer Teil der
Zuckerschnitzel für Futterzwecke zurückgegeben würde. Gerade eine
größere Verfügungsfreiheit über selbsterzeugte Futtermittel aller Art
muß mit Rücksicht aus die vorher geschilderte Preissteigerung der
Kauffuttermittel einen starken Produktionsanreiz geben. Von den
Rübenbauern selbst wird immer wieder der Wunsch auf Belastung
der vollen Schnitzel ausgesprochen.
Die zweite Form der Produktionsbegünstigung besteht in der
Zuweisung von Produktionsmitteln gegen die
Verpflichtung, eine entsprechende Menge von
Erzeugnissen zu vorher vereinbartem Preise
abzugeben. Muster dafür sind die Flachsbau- und die Schweine-
mastverträge. Nach den Flachsbauverträgen wird das Saatgut zu
einem mäßigen Preise von der Kriegs-Flachsbaugesellschaft an die
Produzenten geliefert; auch wird bei größerem Anbau die Zuweisung
von solchen Kriegsgefangenen, welche mit dem Flachsbau und der
Aufbereitung vertraut sind, in Aussicht gestellt. Der Erzeuger
verpflichtet sich zum Verkauf, die Kriegs-Flachsbaugesellschaft zum
Ankauf der ganzen Ernte zu vorher bestimmten Preisen, wobei in
allen Streitfällen ein Schiedsgericht entscheidet. Die Schweinemast-
verträge sind auf einer ähnlichen Grundlage (billige und ausreichende
Lieferung von Futtermitteln, Verpflichtung zum Verkauf der ge-
mästeten Schweine) aufgebaut; nach den Mitteilungen des Vor-
sitzenden der Landesfuttermittelstelle im Hauptausschuß des Ab-
geordnetenhauses am 25. November 1916 sollen in Preußen im
Laufe dieses Wirtschaftsjahres 800 000 bis 900 000 Schweine im
Wege des Futterlieferungsvertrages gemästet werden. In der
gleichen Sitzung erklärte der Landwirtschaftsminister, er hoffe, daß
die Heeresverwaltung bei ihrem Interesse an der Zuckerproduktion
Sonderzuweisungen von S t i ck st o f f an die Zuckerrübenbauer vor-
nehmen werde. Die Zuweisung von Düngemitteln kann auch
sonst an die Verpflichtung zu bestimmten, besonders dringlichen
Kulturen, z. B. Ölfrüchte, Hülsenfrüchte geknüpft werden.
39
Solche Begünstigungen kommen, wie wir gesehen haben, in
mannigfacher Form in Betracht. Saatgut, Futter, Düngemittel,
Arbeitskräfte, kurz also Produktionsmittel, die sich sonst der Land-
wirt weder für Geld noch für gute Worte beschaffen kann, werden
nach Maßgabe des vorhandenen Materials von der öffentlichen
Gewalt denen in erster Linie zur Verfügung gestellt, die sich zur
Übernahme solcher Produktionen verpflichten, deren Durchführung
für die Gesamtheit am nötigsten ist. Eine Benachteiligung anderer
Kreise liegt nicht vor, da sich jeder melden kann. Aber auch ein
Eingriff in die Wirtschaft, wie ihn der Produktionszwang darstellt,
wird völlig vermieden, da jeder Landwirt selbst darüber entscheiden
kann, ob und in welchem Umfange er seinen Betrieb nach der ge-
wünschten Richtung umstellen will. Damit ist in glück-
lichster Weise die Wahrung des vaterländischen
Interesses mit dem jedes Einzelbetriebes ver-
bunden.
Nach dieser Richtung bieten die Hilfsdienstpflicht und die Ein-
richtung des Kriegsamts wertvollste Handhaben gerade auch in der
Landwirtschaft. Beschaffung von Betriebsleitern, Vorarbeitern,
Massenarbeitern, insbesondere Gefangenen, Gespannen, Maschinen,
militärischen Hilfskolonnen in besonders dringlichen Fällen, alles das
fällt auf dem Gebiete der Produktionsförderung wesentlich ins
Gewicht.
4. Geistige Förderung.
Über kein Gewerbe hat sich während des Krieges eine solche
Flut von V e r o r d n u n g e n ergoffen wie über die Landwirtschaft.
Die Wichtigkeit der Nahrungsmittelversorgung wie die Schwierigkeit
der Aufgabe, die erst allmählich eintretende Erkenntnis der Zu-
sammenhänge, die Verschärfung der Lage durch die immer enger
werdende Absperrung und die längere Dauer des Krieges sind
genügende Erklärungen für diesen Umstand, welcher der Negierung
und den anderen zuständigen Stellen sicherlich ebenso unerwünscht ist
wie den Landwirten selbst. Eine tunlichst einheitliche und leicht-
verständliche Gestaltung der Verordnungen ist eine Aufgabe, die das
Kriegsernährungsamt sich selbst gestellt hat. Aber es wird sich unter
keinen Umständen vermeiden lassen, daß die Kriegs-Agrar-Gesetz-
gebung einen beträchtlichen Umfang behält, wie auch, daß die Ver-
ordnungen nicht immer für den Laien ganz durchsichtig sind. Hier
liegt ein Reibungswiderstand, der sicherlich das Jneinanderwirken
der Produktionserhöhung und Anpassung in seiner Wirksamkeit stark
beeinträchtigt. Das gilt natürlich in erster Linie vom Bauerntum,
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dessen Vertreter oder Vertreterinnen weder über die gleiche Bildung
noch über die gleiche Zeit verfügen wie der größere Landwirt, ob-
gleich auch der letztere nicht immer ganz auf der Höhe des jeweiligen
Verordnungsstandes sein wird.
Ein zweites Hemmnis liegt in der stellenweise i m m e r
noch recht wenig entwickelten Kenntnis der
neueren landwirtschaftlichen Technik und ihrer
Hilfsmittel, die sich wiederum aus einleuchtenden Gründen
namentlich beim Kleinbauernstand findet. Trotz der. vortrefflichen
Leistungen unserer Landwirtschaftsschulen und landwirtschaftlichen
Winterschulen herrscht in weiten Kreisen immer noch die — an sich
sonst ausgezeichnete, aber in der gegenwärtigen unerhörten Wirt-
schaftslage Deutschlands gänzlich veraltete — Tradition der „vor-
kapitalistischen" Wirtschaft, welche die Erzeugung stark unter das
auch während des Krieges mögliche Maß herunterdrückt. Kindler
(in den „Mitteilungen der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft",
27. Mai 1916) hat ganz recht, wenn er erklärt, daß zwar manche
Betriebe sich zu einer wundervollen Höhe emporgehoben haben,
andere aber noch aus einem erstaunlich niedrigen Stande verharren.
Man braucht nur an die Behandlung des Stalldüngers oder an
unwirtschaftliche Fütterung zu erinnern, um zu verdeutlichen, welche
ungeheuren Werte wir immer noch glatt verlieren.
Drittens aber ist zu sagen, daß zahlreiche Landwirte
die Kriegsgesetzgebung wohl kennen, aber zu
unbeholfen sind, um sich ihr ganz anzupassen
und die Vorteile daraus für sich zu ziehen, die
ihnen bei entsprechender Produktionseinstel-
lung geboten werden. So wird z. B. beim Anbau von
Ölfrüchten eine Menge von 30 Kilogramm für die Herstellung von
Nahrungsmitteln in der Haushaltung des Landwirts freigelassen.
Die Landwirte, die über Ölmangel zu klagen haben, können also
durch Anbau von Ölfrüchten sich diese Ölmenge sichern. - Aber zum
Teil ist ihnen die Tatsache selbst unbekannt, zum Teil wissen sie
nicht, wohin sie sich zu wenden haben, um sich das Öl schlagen zu
lassen. So unterbleibt die Produktion zum Schaden des Landwirts
wie der Gesamtheit. Oder es wird empfohlen, die Saat nicht mit
der Hand, sondern mit der Drillmaschine zu säen; der Kleinbauer
ist aber nicht in der Lage, für sich allein eine solche Maschine zu
beschaffen.
Hier hat Aufklärungund Belehrungin allen
ihren Formen einzusetzen. Der Landwirtschaft steht ein
umfassender „g e i st i g e r A p p a r a t" zur Verfügung, den teils
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der Staat, teils sie selbst geschaffen hat. Gedacht sei nur an
Schulwesen, Genossenschaftswesen und Verwaltung. Die Träger
des landwirtschaftlichen Schulwesens, die Pro-
fefforen der Hochschulen, die Lehrer der Landwirtschaftsschulen, die
Winterschuldirektoren und Wanderlehrer, die zahlreichen Fachlehrer
für Geflügelzucht, Obstbau, Flachsbau und wie sie alle heißen, sie
alle haben jetzt die Aufgabe, in Wort und Schrift immer wieder die
Tatsachen wie die Forderungen der Kriegswirtschaft der landwirt-
schaftlichen Bevölkerung einzuhämmern. Auch dies ist „vater-
ländischer Hilfsdienst"; denn — das muß gesagt werden — der
Landwirt steht der städtischen Welt und ihren Äußerungen vielfach
mißtrauisch gegenüber und nimmt Weisung und Belehrung nur von
seinen eigenen Vertrauensmännern an. In der gleichen Lage sind
die Träger der Verwaltung (Landwirtschaftsministerium und
allgemeine Regierungsstellen, die Landwirtschaftskammern, landwirt-
schaftlichen und Bauernvereine), und ebenso endlich die landwirt-
schaftlichen Genossenschaften. Der Winterschuldirektor, der
Vorsitzende des landwirtschaftlichen Kreis- oder Ortsvereins, der
Leiter des Spar- und Darlehnskassenvereins oder der Bezugs- und
Absatzgenossenschaft, das sind die Männer, auf die der Bauer und
die Bäuerin hören; sie sind die letzten Glieder der Kette. Auf-
klärung im technischen wie im wirtschaftlichen und endlich im
ethischen Sinne ist unbedingt nötig und darf nicht erlahmen, wenn
die ganze Landwirtschaft dazu gebracht werden soll, ihre Kräfte
restlos zu entfalten; davon aber sind wir noch weit entfernt. Daß
es erst des Hindenburgschen Briefes über die Fettversorgung der
schwerarbeitenden Jndustriearbeiterschaft bedurfte, ist das sichtbarste
Zeichen dafür.
VII. Schlußergebnisse.
Ein Produktionszwang in dem Sinne, daß die Führung des
Betriebes nach Art und Richtung vorgeschrieben würde, hat sich als
unmöglich, als sowohl dem Wesen der landwirtschaftlichen Pro-
duktion wie der seelischen Verfassung des Landwirtes widerstreitend
erwiesen. Ein Zwang zur Arbeit wie zur Ausnutzung der vor-
handenen Bodenflächen (Anbauzwang), soweit dies technisch und
wirtschaftlich möglich ist, dürfte keinem Widerspruch begegnen, aber in
Deutschland ziemlich gegenstandslos sein. Der Lieferungszwang für
reine Verbrauchsgüter hat auf die Produktion keinen Einfluß; er-
greift er auch Güter, die zu Produktionszwecken dienen können, so
ist die Rückwirkung auf die Produktion zu berücksichtigen.
Während ein eigentlicher Produktionszroang unwirksam sein
würde und deshalb abzulehnen ist, kann und muß auf anderen
Wegen eine sehr viel kräftigere Einwirkung auf die land-
wirtschaftliche Erzeugung erfolgen als bisher. Diese Einwirkung hat
in drei Richtungen zu geben: der Landwirt muß über die
allgemeine Lage und über die Bedeutung der landwirtschaftlichen
Arbeit für Sein oder Nichtsein unseres Vaterlandes aufs eindring-
lichste belehrt werden; es muß die gesamte landwirtschaftliche Er-
zeugung mit allen Mitteln gehoben werden; es muß endlich eine Um-
stellung der Erzeugung im Sinne der jeweiligen Kriegsnotwendig-
keiten erfolgen.
Als Mittel dieser Produktionsförderung
kommen in Betracht: allgemeine Aufklärung und Einwirkung, also
geistige Förderung auf der einen, materielle Förderung in ver-
schiedenen Formen auf der anderen Seite. Als wirksam haben sich
von letzteren erwiesen: richtig verstandene Preislenkung in ent-
sprechender Abstimmung, Prämien als Unterstützung für den kleinen
Wann oder als Belohnung für Erzeuger, die besonders wertvolle
Leistungen aufzuweisen haben, und Produktionsbegünstigung vor-
zugsweise durch Zuweisung von Produktionsmitteln gegen freiwillige
Verpflichtung zu entsprechenden Lieferungen. Diese einzelnen
Maßnahmen bilden zusammen ein System der
Produktionsförderung, dessen weiterer Aus-
bau der Weg zu einer restlosen Eingliederung
der Landwirtschaft in das „Heimatsheer" ist.
Druck von Wilhelm Greve, König!« Hofbuchdruckerei, Berlin SW. 68.