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Jugend h e ft e
T nach Mauveuge ©
Schilderungen aus dem Weltkrieg dem deutschen Volke und
-er deutschen Zugend dargeboten von 3. K. vrechenmacher
Verlag der Suchhanölung Ludwig Kuer, Donauwörth
SIKNIKiSM
von Lüttich über Nanmr
nach Maubeuge.
Schilderungen aus dem Weltkrieg.
8 Dem deutschen Volke und -er deutschen Jugend dargeboten
von Joses ttarlmann vrechenmacher.
0« Druck und Verlag der Buchhandlung Ludwig Kuer 2
(Pädagogische Stiftung Tassianeum) :: Donauwörth.
16080
Der Sturm bricht los!
Hls zu Anfang des Erntemondes 1914 der völkermordende Krieg
ausbrach und im Osten die Russen, im Westen die Franzosen
über unsere Grenzen fluteten, da hielt die Welt den Atem an in
furchtbarer Spannung. Wird Deutschland sich der grimmigen Über-
macht erwehren können, oder wird es von den nach seinem herzen
vorstoßenden Keilen eingepreßt, zerdrückt, zermalmt werden? Die
Russen wollten ja schon im September in Berlin stehen, und die
Franzosen hatten prahlerisch verheißen, ihnen dort die Hand zu
reichen. Der Ruf: „Nach Berlin! Nach Berlin!", der wie Donner-
prall vom Westen heranrollte, pflanzte sich in den unendlichen Ebenen
Rußlands fort bis zu den Schneewüsten Sibiriens. Der lange nieder-
gehaltene haß unserer zahllosen Feinde lohte mit einem Male in
furchtbaren Flammen empor, deren fahler Widerschein bis in dis
fernsten Siedlungen entlegener Erdteile hineinzuckte.
In der Tat war die Lage Deutschlands höchst bedrohlich. Die
östliche Grenze stand den Moskowitern offen, und diese hatten ihre
zahlreichen Heere schon seit Wochen auf den Kriegsstand gebracht.
Die russische Dampfwalze brauchte nur in Bewegung gesetzt zu werden.
Unser Nachbar im Westen fühlte sich vollends sicher, vierzig Jahre
hindurch hatte Frankreich seine Grenzen gegen Deutschland hin ge-
panzert. Festung war an Festung gereiht, und immer neue furcht-
bare Forts hatten sich dazwischen geschoben: von Beisort bis Luxem-
burg ein Wall von Waffen, der ohne die unerhörtesten Menschen-
opfer nicht durchbrochen werden konnte. An dieser Mauer von
Stahl und Eisenbeton - so hofften die Franzosen - würden sich
die Deutschen den Kops einrennen.
Während noch der Deutsche Kaiser sich um Erhaltung des Friedens
bemühte, ballte Frankreich im Norden, an der belgischen Grenze,
Heeresmassen zusammen, um gemeinsam mit England durch Belgien
hindurch zu stoßen. Venn das treulose England, das diesen Augen-
blick seit Jahren mit brennender Sehnsucht erwartet hatte, verhieß
den Franzosen ausgiebigste Waffenhilse.
Allein die deutsche Regierung hatte seit geraumer Zeit sichere
Kunde, daß die belgischen Frcmzöslmge mit Frankreich und England
Der Sturm bricht los!
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verräterische Abmachungen getroffen hatten, um den Heeren dieser
Staaten das Tor nach den reichen, aber unbeschützten Rheinlanden
zu öffnen. Die rheinische Stahl- und Kohlenindustrie ist nämlich
gleichsam die Lunge der riesigen deutschen Militärorganisation, hier
konnte Deutschland tödlich getroffen werden, und darum hätte sich
die deutsche Regierung am deutschen Volke versündigt, wenn sie
hätte abwarten wollen, bis die Flutwelle der Feinde über die Grenze
gebrochen wäre. Für Deutschland handelte es sich um Sein oder
Nichtsein, und einer so furchtbaren Frage gegenüber konnte sich
unsere Regierung nicht in einen lächerlichen Streit um eine längst
papiergewordene Neutralität einlassen. Der rasch gefaßte Entschluß
lautete: Ein deutsches Heer greift die Nordgrenze Frankreichs an.
Der Weg dahin führt durch Belgien. Werden die Anmarschstraßen
gesperrt, so muß Gewalt entscheiden.
Belgien wußte, daß England hinter ihm stand, und da es den
großen Inselnachbar für unbesiegbar hielt, erklärte es uns keck den
Krieg. Auch das lauernde England deckte jetzt die geschickt ge-
mischten Karten auf: es kündete uns den Rrieg aufs Messer an.
Nun war volle Klarheit' wir hatten Rußland und Frankreich und
England und Belgien niederzuringen, oder wir mußten in der töd-
lichen Umklammerung elend umkommen. Es hieß jetzt handeln,
und zwar schnell handeln. Für uns war der Angriff die beste
Verteidigung.
wie wir dar stolze Lüttich nahmen.
Belgien hatte dem gallischen Nachbar gut vorgearbeitet. Es hatte
mit englischem und französischem Geld die Maaslinie aufs
stärkste befestigt, um unseren Feinden Stützpunkte zu schaffen, oder,
wofern Deutschland rascher Zugriffe, die französische Grenze wirksam
zu decken. Für Deutschland war es außerordentlich wichtig, sich
dieser belgischen Festungen zu bemächtigen, ehe sich darin die Fran-
zosen festgesetzt hatten.
Ein paar Eisenbahnstationen von der deutschen Grenze weg liegt
Lüttich, eine reiche Stadt von 250000 Einwohnern. Um Lüttich
dehnt sich ein Kranz von 12 furchtbaren Forts mit ungeheuren
Lisenbetonmauern und kanonengespickten panzertürmen. Diese Festung
sperrte den Marsch durch das städtebesäte Maastal, uni sie mußte
zuerst genommen werden, wenn uns nicht die Engländer und Fran-
zosen zuvorkommen sollten. Befanden sich doch schon zahlreiche
französische Offiziere in den Forts.
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wie wir das stolze Lüttich nahmen.
Km 4. August - an dem Tage, als uns England den Fehde-
handschuh hinwarf — wurden die Truppen der Grenzgarnisonen
gegen Lüttich in Marsch gesetzt. Die Regimenter standen noch aus
Friedensfuß; denn die Mobilisierung hatte ja erst begonnen. Rn
der Grenze erwartete General Cm mich die jungen Truppen, die
zu Heldentaten ohnegleichen ausersehen waren. Mit jubelnder Be-
geisterung wogten die Heersäulen über die Grenze. Bereits am
5. Rugust versuchte eine kleine deutsche Reiterabteilung einen Hand-
streich auf Lüttich. Es war beabsichtigt, den Rommandanten der
Festung, General Leman, gefangen zu nehmen. Mit unzähmbarem
Tatendrang jagten die Reiter in die Eisenstadt hinein und ver-
breiteten überall lähmendes Entsetzen. Mit knapper Rot entging
der Rommandant der Gefangennahme, indem er sich über eine
Gartenmauer des Stadthauses flüchtete, von prasselndem Geschoß-
hagel verfolgt, brausten die deutschen Reiter wieder zurück.
Mittlerweile waren die deutschen Sturmkolonnen näher gekommen.
Ein Mitkämpfer erzählt darüber:
„Dienstag, 4. Rugust. Morgens früh durch den Rachener Wald,
er ist herrlich! Gegen ll1/* Uhr überschreiten wir die belgische
Grenze; die Bevölkerung winkt mit deutschen Fahnen und stellt
Wasser vor die Türen, weiter geht's; wir sind todmüde, aber der
Feind soll in der Nähe sein. Stunden um Stunden verstreichen.
Tausende von Soldaten sind im Marsch nach Belgien hinein. Man
sieht an der Straße verendete Pferde liegen, Automobile mit ver-
wundeten sausen vorbei - die ersten Anzeichen des Rrieges. Es
gilt, noch rechtzeitig die Maasbrücke zu erreichen, vergebens!
Rurz ehe wir vise erreichen, fliegt die Brücke aus. Jetzt beginnt
der eigentliche Ramps. Schlimmer als die Soldaten sind die Zivi-
listen, die hinterrücks aus den Häusern schießen. Unsere Reiter, vor
denen die Bevölkerung eine Heidenangst hat, weil die Rerle wie
die Teufel drauf losgehen, haben auf die Art sechs Leute verloren.
Das andere Ufer der Maas ist vom Feinde besetzt, und ein heftiges
Gewehrfeuer wütet bis zum Abend. Rm Abend wird ein feind-
licher Flieger von unserer Artillerie heruntergeholt.
Mittwoch, 6. August. Um halb 3 Uhr heraus, da unsere Artillerie
ein vors aus dem anderen User beschießen will. Es ist sehr kühl;
überhaupt haben wir viel unter dem Regen und der Rälte zu leiden.
Am Nachmittag ziehen wir nach X. Fortgesetzt wird an Fähren
gearbeitet, um die Maar zu überschreiten. Mit einem Damenfahr-
rad sauste ich umher, es ist funkelnagelneu. Als wir übergesetzt
sind, fällt plötzlich aus einem Hause ein Schuß. Wir erwidern das
Feuer. Da stürzt weinend eine Frau aus dem Hause und zeigt durch
ihre Gebärden, daß sie von nichts weiß. Lin Offizier dringt mit
wie wir das stolze Lüttich nahmen.
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mir und ein paar Leuten in das Haus, ohne etwas zu finden. Erst
als kurz darauf wieder, und zwar aus dem Nebenhaus, geschossen
wird, werden fünf Zivilisten im Kampf erschossen. Mir haben keinen
verwundeten. Km Kbend mußte wieder eine Menge von Zivilisten
standrechtlich erschossen werden, aber ich kann zur Ehre des deut-
schen Heeres behaupten, daß keine unbeteiligte Person berührt worden
ist bis zur Stunde, wo ich dies schreibe, ebensowenig das Eigentum
eines Belgiers, der sich uns gegenüber nicht feindlich gezeigt hätte.
Gegen die anderen müssen wir rücksichtslos vorgehen; denn es gibt
nichts Unheimlicheres, als hinterrücks überfallen zu werden.
Km Kbend konnte ich mich an der Maas zum erstenmal wieder
waschen, welche Wohltat! hier am Ufer pfiffen zum erstenmal
Schrapnellkugeln über uns weg, ohne jedoch Schaden anzurichten.
Mein Hauptmann fragt mich, ob ich ihn auf einer gefährlichen
Fahrt begleiten will. Natürlich stimme ich freudig zu. Nach Kn-
bruch der Dunkelheit setzen wir über den Fluß und ziehen mit einer
Truppenkolonne los. Zwei bis dritthalb Stunden dauert der Marsch,
wie ich jetzt weiß, um Lüttich zu überrumpeln. Ganz in die Nähe
der Stadt sind wir gekommen,- es ist halb l Uhr.
Die Nacht von Mittwoch aus Donnerstag, den 6. Kugust, be-
ginnt — ich werde sie wohl in meinem Leben nicht vergessen.
Während wir noch im vors stehen, schlagen plötzlich feindliche
Schrapnells ein. Die meisten gehen zu weit, nur einige tun ihre
furchtbare Krbeit, und der Tod hält seine Ernte. Ich will euch
nicht schildern, was ich alles sah. Einen verwundeten Infanteristen,
der ein Bein verloren hatte, schleppte ich beiseite. Er schrie: „Nehmt
mein Bein mit! Nehmt mein Bein mit!" Ich dachte mir im Feuer:
Du kannst hier getroffen werden und da, und so bin ich immer bei
meinem Hauptmann gewesen. Kls es hieß: „Leute vor!", um
Hindernisse zu zerstören, und der Hauptmann mich neben sich sah,
ries er: „Gut, bleiben Sie nur immer vorn!" plötzlich bekamen
wir von einem Busch von rechts ein lebhaftes Feuer, hinwerfen
und das Feuer erwidern war das Werk eines Kugenblicks. Dann
ging es mit aufgepflanztem Seitengewehr und Hurra zum Sturm
die Knhöhe hinan. Mein Nebenmann fiel und riß mich mit, ich
wieder auf und vorwärts,- aber meine Leute hatte ich verloren.
Wir waren nun zwischen zwei Forts, Lüttich lag zu unseren Füßen,
von den Forts konnten wir nun nicht beschossen werden. Lüttich
liegt in einem Tal, und die ganze östliche Seite von der Knhöhe
hatten wir besetzt.
Da ich immer mit den Offizieren vorne war, als wir langsam
die Knhöhe hinabstiegen, wobei wir natürlich mehrfach Feuer er-
hielten, fragte mich ein Offizier nach meinem Regiment. Kls ich
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wie wir das stolze Lüttich nahmen.
ihn kurz daraus bat, mich seiner Truppe anschließen zu dürfen,
sagte er, es wäre eine Ehre für ihn, wenn ich mit ihm ginge. Ms
ich das später meinem Hauptmann erzählte, sagte er, das werde
er mir nicht vergessen.
So zogen wir singend in die Stadt hinein. Kein Mensch zeigte
sich. Die Fenster standen offen und vielfach lagen Kissen aus den
Fensterbänken. Ruf den Straßen waren Holzstapel in Brand ge-
steckt. Das alles fiel mir auf,- denn die Kissen waren die schönsten
Gewehrauflagen. Ms wir nun halb in der Stadt waren, brach
auch richtig ein furchtbares Feuer aus allen Fenstern los und wir
mußten schnell zurück. Buch ich bekam einige kleine Geschoßsplitter
in das Knie. Bis wir die Rnhöhe wieder erreichten, waren wir
unter Feuer, hier traf ich meinen Hauptmann, der mir erfreut die
Hand reichte, als er mich wieder sah. Nun lagen wir kleiner Haufen
auf dem Berg, abgeschnitten von jeder Verbindung nach rückwärts,
sodaß, als auch die feindliche Mtillerie das Feuer auf uns begann,
unser Führer sich ergeben mußte. Wir paar Mann wurden ohne
Gewehr und Tornister durch die Stadt in das Gefängnis gebracht.
Die Nacht haben wir trotz des Geschützfeuers vor Übermüdung ge-
schlafen. Freitag, den 7. ctuguft, öffnete sich plötzlich unsere Zellen-
türe und ein preußischer Generalstabsoffizier befreite uns. Lr ver-
kündete uns, daß die Stadt in deutschem Besitz wäre, vor allem die
Zitadelle. Wir sitzen seit gestern darin, und wenn die Belgier sie
wieder haben wollen, bekommen sie ihre eigene Munition zu kosten,
denn wir haben genug davon erbeutet."
Sehr anschaulich schildert den Sturm aus Lüttich ein Neserveosfizier,
der bei dem Kamps verwundet worden war:
„Um 7 Uhr abends Marm. Hauptmann stürzt heran: „Sturm
auf Lüttich!" Unmöglich, die Leute können nicht gehen, die Forts
sind 35 Kilometer entfernt. Bereits nach 30 Minuten schießt's von
den höhen herab, da jetzt direkt neben uns. Revolver los und
drauf! Drei Kerle fliehen — eine ganze Horde. „Levez les mains!“
Kriegsgericht! Weiter — es wimmelt von Truppen aller Gattungen.
Furchtbarer Kegen. Gewittersturm, rabenschwarze Finsternis. Immer
weiter! Die Leute fallen, sie bleiben liegen, massenhaft. Um l 2 Uhr
Mondenschein, besseres Wetter, Granatendonner, plötzlich Nachricht:
unsere Bagage überfallen, eine Kompagnie zurück, das Dorf nieder-
gebrannt, die Leute erschossen. Franktireur-Scheußlichkeiten! Wir
inzwischen stürmen weiter — dicht vor Lüttich. Wir biegen hinter
einem Walde ab. vier Regimenter Tornister abgelegt, eiserne
Ration heraus. Letzte Ermahnung. Rntreten zum Sturm! Granaten
pfeifen, aber ohne Ziel. Hohlweg,' unsere Rrtillerie sitzt hilflos bis
an den Bauch im Schlamm und kann nicht vorwärts; wir vorbei;
wie wir bas stolze Lüttich nahmen.
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Kein Marsch — Galopp! plötzlich wilder Kugelregen neben uns -
unsere eigenen Leute beschießen uns. Die Erkennung gelingt noch.
Direkt vor der Feuerlinie des Forts . .. Wildes Geschrei: „Parole
Wörth!" Freund und Feind nicht zu erkennen,' ich liege vor einem
Baum- und Drahtverhau, Kamerad Leutnant G. neben mir, Haupt-
mann rechts. Granaten platzen überall, Höllenlärm, Gewehrfeuer,
daß die Luft heiß ist. Einige Schritte vor uns bessere Deckung.
Ich stoße Leutnant G. an: „Vorgehen?" Keine Antwort — tot!
Hauptmann springt auf, in die Brust getroffen, hintenüber. Ich,
Arm hoch,' Kompagnie hört auf mein Kommando; ich springe los,
furchtbarer Schlag, fliege drei Schritte zurück, wahnsinniger Schmerz:
Granate in die linke Hüfte! Lin Offizier vor mir ruft noch meinen
Namen, gibt mir die Hand — und tot! vor mir eine Fahne,
Träger tot; ich will hinkriechen, da - zweiter und dritter Schuß
in den linken und dann in den rechten Arm. Ich beiße vor Schmerz
in die Erde; ein verwundeter Offizier neben mir ruft nach Ver-
stärkung, aber alles geht nach links ab. Wenige Schritte vor uns
der belgische Schützengraben. Trotz Kugelregens passiert mir weiter
nichts. Fast zwölf Stunden gelegen, inzwischen von einem Arzt ver-
bunden, kann noch nicht transportiert werden. Mittags von Leuten
weggetragen, treffe in halbem Fieber Regiment; furchtbare Verluste:
3 Hauptleute, 6 Leutnants tot, fast alle von meinem Bataillon . . ."
Weitere bemerkenswerte Einzelheiten über diese Kämpfe, die den
Geist der Offiziere und Mannschaften im besten Lichte zeigen, schildert
der Bericht eines Hauptmanns, der hier seine Kompagnie zum Siege
führte:
„Als in Anane du Bois der Angriff nicht vorwärts ging,
erhielten wir Befehl zum Vormarsch. Ich ließ meine Kompagnie
„Deutschland, Deutschland über alles" anstimmen und ging ohne
Schuß geschlossen vor. Meine brave Kompagnie riß die stockende
Linie vor, nahm zusammen mit unserer vierten Kompagnie zwei
belgische Geschütze und befand sich von da ab immer geschlossen in
vorderster Linie. Haus um Haus wurde unter persönlicher Führung
des Generalmajors Ludendorff, der an Stelle des gefallenen Generals
v. Wussow trat, genommen. Offiziere gaben ein glänzendes Beispiel.
Meine Kompagnie schlug sich brillant. Ls war der schönste Tag
meiner bisherigen militärischen Laufbahn, als ich den Dorfausgang
hatte und dort 150 Gefangene machte. Gegner ging fluchtartig
zurück. Wir folgten bis vor den Brückenkopf von Lüttich und
machten dort nachmittags halt. Abends erhielt ich auf die Nachricht,
daß die Sturmkolonnen des anderen Korps nicht vorwärts gekommen
seien, den Befehl, die Stadtbrücken zu besetzen und zu halten, also
ganz allein vorgeschoben in eine Stadt von 200 000 feindlichen Ein-
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wie wir das stolze Lüttich nahmen.
wohnern. Ich ging durch das belgische, schon niedergekämpfte Fort
de la Thartreuse ohne Schuß durch und hatte um halb 3 Uhr in
der Nacht zum 7. die drei Hauptbrücken ohne Kampf im Besitz.
Ich richtete mich zu einem verzweiflungskampse ein. Dieser erfolgte
aber nicht. Die Belgier waren in der Richtung „anderes Maasufer"
abgezogen, und ich habe den Ruhm, mit meiner braven Kompagnie
als erster „drin" gewesen zu sein, von da ab blieb ich als vrücken-
schutz bis zum 9. August, wo wir abgelöst wurden und die place
Barthelemy in der Stadt besetzten. - Der Kommandierende war auch
stets in vorderster Linie, sodatz mancher den Kops schüttelte, weil er
sich so exponierte. Er hat den Orden pour le mente reichlich ver-
dient."
Furchtbar waren die Kämpfe an den Drahthindernissen, hinter
denen die belgischen Maschinengewehre ihre Todessaat aussäten, hier
wurde die Zähigkeit und Todesverachtung unserer Feldgrauen auf
die härteste Probe gestellt,- hier wurden aber auch unverwelkliche
Lorbeeren gebrochen. Lin Gedicht von Paul Zech schildert diese
Ruhmestaten in packender Weise:
Die Todspringer.
vor Lüttich war's und war ein Fort,
Lin eisenüberzacktes Tor.
Blut spieen die Ranonen.
Und endlos wie ein Riesenwurm
Brach aus dem Riefernforst der Sturm
von sieben Bataillonen.
Und ihm vorauf ein Stahlinsekt,
von falben Wolken gut gedeckt,
Zog steile Ulafterschrauben,
Brach Bahn, wo herflog das Schrapnell,
Riß auf das kraulbehaarte Zell
Der schweren Panzerhauben.
Noch war die Gasse, die der Pflug
Lingrub in den geschrägten Bug
Der Wälle, Pallisaden,
Nicht breit genug; noch waren 3mm,
Noch Dornverhaue wegzuhau'n,
Und dann die flämischen Brigaden.
Doch da Signal: Freiwillige vor!
Breitbrüstig sprangen sie empor,
wie Trauben hochgebunden,
Und rissen mit dem Sprunggewicht
Die pfähle aus der Felsenschicht,
Sich selber Tod und Wunden.
3weihundert pflückten diese Lhr',
Und über sie in rasender Uarriere
Durch breite Feuergarben
Der deutsche Sturm und nahm das Fort
Und pflanzte auf das höchste Tor
Die schwarz-weiß-roten Farben.
Zehr interessant sind die Berichte von Augenzeugen. Lin Be-
wohner von Lüttich erzählt:
„Dienstag früh (4. August) hörten wir den ersten Kanonendonner.
Ls waren Schüsse des Feindes, denn die Zitadelle rührte sich nicht.
Vas Schießen dauerte an bis Mittwoch früh. Das waren bedrückte
Stunden für die Stadt, obwohl die Schüsse der deutschen Kanoniere
TOte wir hnc stnlzp ti'itiich ttnfjmen
o
ausschließlich aus die Festungswerke gerichtet waren und nicht auf
die Stadt. Mittwoch früh schien der deutsche Befehlshaber, offenbar
durch das Schweigen der Zitadelle verführt, der Meinung zu fein,
jetzt dürfe er den Sturm wagen. Line deutsche Patrouille gelangte
bis zur Schleuse am Museum und schoß den Einnehmer, der an
seinem Pult arbeitete, durch das Fenster nieder. (Die Patrouille,
die den Kommandanten gefangen nehmen wollte.) Durch diesen
Schuß aufgeschreckt, kam eine Abteilung der Besatzung herbei und
schoß die sechs Mann starke Patrouille nieder. Nun entstand ein
allgemeines Gewehrfeuer zwischen Verteidigern und Angreifern; die
reitende Artillerie rückte aus. Nach einiger Zeit kam die Besatzung
triumphierend zurück; die Deutschen waren zurückgetrieben; die
Artillerie hatte indes viele Verwundete mitgebracht, von neuem
eröffnete die deutsche Artillerie das Feuer auf die Forts, ohne daß
diese antworteten. In der Nacht zum Donnerstag begannen die
schweren Festungsgeschütze der Zitadelle ihr donnerndes Gebrüll. Lin
ohrenbetäubendes Artilleriefeuer entwickelte sich, das bis vormittags
II Uhr anhielt."
„Bis zum 6. August vormittags," erzählt ein anderer, „beschossen
die Deutschen Lüttich. Sie wollten damit offenbar der Aufforderung
zur Übergabe Nachdruck geben, die der General v. Lmmich der
Stadt Lüttich vorzulegen gedachte. In der Tat kam um 2 Uhr
nachmittags ein Parlamentär in einem Auto in Gesellschaft eines
belgischen Offiziers. Lin Reiter mit der weißen Flagge ritt neben
dem Auto. Das rollte in den Binnenhof des Stadthauses. Dort
fand die erste Unterhandlung statt. Acht Minuten später fuhr das
Auto nach dem Gebäude der Provinzregierung, und dort fanden sich
auch der Lütticher Bürgermeister Kleyer und der General Leman ein.
Die Unterhandlungen zogen sich langsam und mit Mühe hin. Der
deutsche Parlamentär sagte, ansehnliche Streitkräfte ständen vor der
Festung, und es geschehe aus einem Gefühl der Humanität heraus,
daß man zum letzten Male um die Übergabe der Stadt und der
Forts ersuche. General Leman antwortete, er habe bestimmte Be-
fehle und diese würde er als Soldat ausführen. Lr könne und
dürfe die Festung nicht übergeben und werde bis zum letzten Mann
fechten, was nun die eigentliche Stadt Lüttich betreffe... „G,"
antwortete der Parlamentär, „alles oder nichts. Wir wollen sowohl
die Stadt wie auch die Forts. Das ist für uns eine Sache von
zwingender Notwendigkeit." Im Namen der Bevölkerung Lüttichs
drang dann der Bürgermeister Kieper beschwörend auf den Unter-
händler ein. Doch vergebens. Der Unterhändler zog sich zurück
mit der Bemerkung, daß vor 6 Uhr die Antwort einlaufen müsse;
wenn bis dahin die Antwort nicht da sei, werde die tatsächliche
Deutsche Zugendhest« XXXN. 2
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wie wir das stolze Lüttich nahmen.
Beschießung der Stadt beginnen. Diese Nachricht verbreitete sich
blitzschnell durch die ganze Stadt und rief unter der Bevölkerung
eine unbeschreibliche Panik hervor. Zahlreiche Familien meinten,
die Stadt würde mit Feuer und Schwert vernichtet werden, und so
warfen sie das Nötigste in die Koffer und stürmten nach dem Bahnhof
Guillemins, um hier einen Zug nach Brüssel zu erreichen. Um halb
6 Uhr war Lüttich eine verlassene Stadt, keine Seele zu erblicken:
alle Häuser waren geschlossen und verrammelt, um 6 Uhr krochen
alle in ihre Keller. Eine Stunde verlies, alles blieb still. Endlich
um 7 Uhr abends fiel der erste Schuß."
„Donnerstag abend," fährt der erste Bericht fort, „während die
Garnison noch verschiedene deutsche Soldaten und Offiziere kriegs-
gefangen einbrachte, nahmen die Belagerer das Feuer wieder auf
und begannen nun Bomben in die Stadt zu werfen (Zeppelin!),
verschiedene Häuser wurden zerstört und stürzten teilweise ein. Drei-
zehn Häuser standen in Brand. Sn einem Hause wurden eine Frau
und acht Kinder durch eine Bombe getötet. Eine wahnsinnige Panik
bemächtigte sich der Bevölkerung. Ls wurde geschrieen, gejammert,
gebetet und geflucht. Die Menschen krochen in Ställe und Keller,
überallhin, wo sie einige Deckung zu finden meinten. Vis halb 4 Uhr
früh dauerte das höllische Nachtschauspiel. In diesem Augenblick
wurde die Zitadelle selbst in Brand geschossen, und jeder begriff,
daß nun kein halt mehr war. Die Garnison zog ab. Sie nahm
die Richtung nach Seraing. Vis halb 7 Uhr feuerten die Deutschen
weiter, dann schwieg die Artillerie, und große Massen Infanterie
und Kavallerie zogen in die Stadt hinein."
Ein holländischer Journalist, der die Belagerung miterlebt hat,
schildert den Eindruck, den die eingerückten deutschen Truppen auf
ihn machten.
„Als ich auf den Theaterplatz komme, finde ich dort deutsche
Grenadiere, sauber in Kaki-Uniformen, auch die Helme mit einem
Überzug in gleicher Farbe, sie stehen in Reih' und Glied mit Gewehr
bei Fuß und lösen einander in der Bewachung der Straßen ab.
Den ganzen Weg, den Maaskai entlang, wo die Brücken, auch
zwei der innersten, jämmerlich verwüstet sind, und auf dem Wege
nach den Hügeln, wo die Zitadelle liegt, stehen die deutschen Soldaten,
hinter und vor ihnen das Publikum, neugierig, aber totenstill. Kein
Wort, kein Gemurmel, nichts wird vernommen. Sie schauen nur nach
den gefürchteten Deutschen, die jetzt so ruhig dastehen oder höchstens
die Menschen mit einem „Circulez Messieurs!“ nötigen. (Es fiel mir
auf, wie viele Deutsche offenbar Französisch verstehen und sprechen.
Man dürfte beinahe sagen, die Einnahme von Lüttich ist durch
Überraschung erfolgt. Niemand weiß es recht, einige sagen, daß die
wie wir das stolze Lüttich nahmen. II
Forts von Fleron und Evegnee nicht mehr zu halten waren, andere,
es sei alles nach einer Besprechung des Generals Leman und des
Bürgermeisters Kletjer mit Parlamentären der Deutschen geschehen.
Sicher ist, daß um 8 Uhr die Zitadelle noch belgisch war."
Wie die Berichte erkennen lassen, haben sich die deutschen Sol-
daten in Lüttich alsbald häuslich eingerichtet. Die Aufregung der
Einwohner begann sich zu legen, als sie die tadellose Disziplin unserer
Truppen gewahrten.
„Überall deutsche Truppen, wir gehen, ohne behindert zu werden
und ohne eine Bemerkung zu hören, durch mindestens zwei Regimenter
hindurch. Die Lütticher erzählen, daß die Eroberer sich korrekt
betragen. Die Soldaten bezahlen alles bar, was sie in den wenigen
offenen Läden kaufen. Sie bezahlen sogar eine Mark, wenn ein
Frank gefordert wird. Wir gehen weiter. Rn den Mauern und
hauswänden allerlei Bekanntmachungen: die eine regelt die preise
der Lebensmittel,- eine andere befiehlt der Bürgerwehr, in Uniform
in dem und dem Bureau zu erscheinen und dort die Waffen abzu-
liefern ; eine dritte fordert alle Bürger zur Waffenabgabe aus und
bedroht die, in deren Besitz man Waffen findet, mit dem Tode
durch Erschießen,- eine vierte droht damit, die deutsche Artillerie aus
der Zitadelle werde die Stadt unter Feuer nehmen, wenn sich die
Fälle, wo Bürger auf Soldaten geschossen haben, wiederholen sollten.
Endlich sind wir im Herzen der Stadt, aus dem Sankt Lamberts-
platz. hier wird gerade für die Truppen gekocht und die Suppe
verteilt. Die Deutschen wohnen in den öffentlichen Gebäuden, in
der Universität und den Schulen, nicht aber in Privathäusern. Auf
dem Platz vor dem Palast des Fürstbischofs werfen deutsche Soldaten
den dort umherschwärmenden Tauben Brot zu wie aus dem Markus-
platz in Venedig." Eine spätere Notiz in einer holländischen Zeitung
sagt: „In dem von Deutschen ganz besetzten Lüttich geht Leben und
Treiben wieder den gewohnten Gang, vier große Fabriken sind
in vollem Betrieb. Die Verheerungen sind weit weniger bedeutend,
als gemeldet worden ist... Die Bürgerwache versieht im Einver-
ständnis mit der deutschen Militärbehörde den polizeidienst. In den
Kaffeehäusern wird Musik gemacht."
Bei dem Sturm aus Lüttich war auch einer unserer Zeppeline
erfolgreich in Tätigkeit getreten. Zum erstenmal hatte die neue
Waffe der Luft Gelegenheit, ihre Uriegsbrauchbarkeit zu beweisen,
und sie tat es so gründlich, daß sich der Spott des Auslandes in
Furcht und Zittern verkehrte.
Es war am Donnerstag nacht, den 6. August, als ein nie ge-
hörtes Rattern in der Luft die Bewohner aufhorchen machte,
hunderttausend Augen richteten sich angstvoll gen Himmel. Sollte
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Mie wir das stolze Lüttich nahmen.
wirklich der märchenhafte Lustkreuzer des schwäbischen Grafen über
den Wolkenbänken segeln? Noch war nichts zu sehen,- aber das
Summen der Propeller wurde vernehmlicher. Da plötzlich schießt
ein breiter Lichtstrom aus den Wolken herab — der Luftriese läßt
seinen Scheinwerfer spielen. Noch einmal huscht der Lichtstrom über
das Häusermeer hin, als suchte er gierig die geeignete Beute. Und
auf einmal ein ungeheurer Rnall, und noch einer, und ein dritter.
Feuergarben schlagen empor. Rauchschwaden fahren über die Straßen-
züge. Zeppelin hat seine eisernen Grüße entboten: zwölf schwere
Bomben, die hundertfachen Tod trugen. Uber nun bricht wie auf
einen Schlag höllisches Geschützfeuer los. In den schwarzen Wolken
entzünden sich die feurigen Rosen zahlloser Schrapnells und Granaten.
Über dieses sinnlose Feuer ist nur der Stadt zum verderben. Der
Luftkreuzer steuert in unerreichbare höhen und entschwindet.
Rls die Sonne des 7. Rugust emporstieg, war die Stadt Lüttich
mit der Zitadelle und einigen Forts im Besitz der Deutschen. Rudere
Forts trotzten noch.
Den Sturm auf Fort Fleron, dem ein hartnäckiges Dorf-
gefecht voranging, schildert in prachtvoller Weise ein mitkämpfender
Offizier:
„Ls blitzte aus allen Häusern, unablässig rollte der Donner der
Geschütze, unablässig geht der Lisenregen nieder. Stockdunkel . ..
wie sehnlich wünschen wir den Morgen heran! — Rein Gegner zu
sehen, und doch steht man Mann gegen Mann. Rus den Mauern
der Häuser sind nur wenige Steine gelöst. Die Feinde lausen durch;
in den Fensterladen ein kleines Loch - der Lauf einer Jagdbüchse
sprüht Flammen heraus; aus den Rellerfenstern, von den Böden
pfeift es ... Wie im Hexenkessel ... und wir dürfen nicht schießen,
um die Rameraden, die rechts und links neben uns im Gefechte
stehen, nicht zu gefährden. Einer neben dem anderen sinkt —
Rchzen und Stöhnen überall, hinweg über einen Haufen zuckender
Leiber, vorsichtig — um keinem wehe zu tun - um uns blitzt's
und kracht's. Rus einem Eckhaus prasselt uns Hagel entgegen.
Zwanzig, fünfzig Läufe heben sich - da brülle ich: „Reinen Schuß,
Rerls! Wer kommt mit? Veil her!" Ein kleiner Musketier reicht
mir eine picke. Zehn braune Bengels drängten hinter mir nach.
Dann ein paar hiebe mit Veil und Rolben — die Tür kracht ein —
von der Decke her zucken Geschosse nieder... „Reiner die Boden-
treppe hinaus! hier bleiben! Streichhölzer her!" Und schon habe
ich ein paar Strohballen vorgerissen, 5 Minuten später züngeln
die Flammen aus allen Fenstern. „So, Jungs, nun vorwärts!" -
hinein wieder in die Dorfgasse, da treffe ich meinen Rompagnie-
sührer. „hierher!" schreit er über die Mauer.
XDte wir das stolze Lüttich nahmen.
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Zwei Kerle heben mich hoch, im Nu haben wir eine Garten-
mauer überstiegen und stürmen weiter, einer belgischen Abteilung in
den Rücken zu fallen. Mannshohe Hecken mit Stacheldraht bezogen,
vier, fünf - vor uns. „Her, Kerls!" ruf'ich, „gebt mir die Draht-
scherei" Gin paar wuchtige Jungens treten her, ich knipse den
Draht durch und gehe ihnen voran. Meine Hose hängt in Fetzen
herunter. Die Hecken werden genommen - aus einmal kracht es
auf uns her - nur wenige Sekunden, dann saust eine Haubitze in
den verruchten Hügel, Steine spritzen umher, das Gemäuer sinkt
donnernd zusammen. Feuer von links! - Da sind die Unsern, sie
schießen auf uns — wir erkennen uns noch immer nicht, wir brüllen
ihnen die Losung zu: „Der Kaiser, der Kaiser!" Sie hören uns
nicht in dem Höllenlärm. „Hornist," rufe ich, „blasen Sie Signal!"
Der brave Junge nimmt das Horn und schmettert das Ganze. Da
kommt's von drüben zurück, wir »^kennen uns, es sind die Sieben-
undzwanziger; ich drücke dem Hauptmarm. den ich seit Jahren kenne,
die Hand.
Anderen Tags bricht ein heller Morgen an. Es ist 1/j Uhr.
vor uns liegt ein Kohlenbergwerk. Zwei Kohlenhalo^ sind einige
Meter hoch ausgeschüttet, da stürmen wir hinaus. Ein Iägen»>tnant,
ein Kompagniekamerad von mir, dann ein riesiger Adjutant
den Siebenundzwanzigern, ein tapferer Junge, der nicht mit der
Wimper zuckte - am Wege unten bleibt H. zurück, der furchtlose
Regimentsadjunkt vom Regimente Louis Ferdinand, und mit un-
gefähr zehn Mann nimmt der Hauptmann v. B. die Häuser in
unserem Rücken unter Feuer, wir selbst hatten eben angelegt.
Dben von meiner Halde sehe ich ein Gehöft und zum erstenmal
belgische Infanterie - sonst waren die Kerle gelaufen, als sei der
Deibel hinter ihnen. Jetzt heben wir die Büchse an die Backe, ich
lasse das Feuer aufnehmen und beobachte durch das Glas die
Wirkung. „Ruhig zielen, Kerls, ihr schießt zu weit!" .. . Zwei
schwarze Mäntel sehe ich sich im Sande wälzen.
„Hol's der Deibel!" Sie schießen von rechts her, von der anderen
Halde ... Da steht noch aus unserem Flügel der lange A. Seine
Schärpe flattert, die (fluchten sind schwarz vom Kohlenstaub, er schießt
auf die Bande rechts — jetzt knallt's auch von hinten her aus den
Häusern.
Ich setze das Glas ab und sehe mich um. Da links am Flügel
liegt mein Kamerad Sch. Hat einem verwundeten das Gewehr ab-
genommen und schießt nach dem Gehöft .. . Rechts von mir —
ja, was ist denn das? Einer nach dem anderen klappt ab. Der
läßt den Kopf vornüber, der rollt den Abhang hinunter, der schreit...
sie schießen wie besessen auf uns. Nun liegt nur noch einer rechts
14
wie wir das stolze Lüttich nahmen.
von mir, eben fängt auch der an, sich hin und her zu wälzen, Blut
geht aus dem Rock hervor,' ich werde ihm sein Gewehr abnehmen,
ich richte mich aus. Donnerwetter, ich fühle einen Schlag vor der
linken Brust. „Rinder, jetzt hat's mich auch ..." Im Tragstuhl -
das Gehen machte mir Schmerzen - haben mich vier Kerle die
Dorfstraße hinuntergetragen zum Lazarett. Die Mordstraße, den
Weg des Todes, den Weg des Sieges, unseres ersten deutschen
Sieges! — Ts waren nicht schöne Tage, die nun kamen, und qual-
volle Nächte .. . aber dann - ich erlebe es noch einmal: ein Tag
war's wie der von Großbeeren; es goß vom Himmel, es hörte nicht
auf, die Kanonen brüllten noch immer ... da kam es ins Dorf
hinein, Mann neben Mann, und Lauf neben Lauf! Unsere Ver-
stärkung, unsere Ersatzbataillone! Hurra! Wie haben wir empor-
gejubelt auf dem elenden Lager, und konnten wir ihnen auch nicht
ins Rüge sehen, konnten wir auch nicht ausrichten, es war doch
eine Stunde stolzester Lust -.. Nun kann's nicht mehr schief gehen,
nun wird gehalten, wofür wir geblutet! Der Krieg ist furchtbar,
doch auch das Größte, was ich je geschaut."
Gegen öie wenigen Forts, die sich nach dem glorreichen 7. August
nock gelten, wurde ein ganz neues, unerhörtes, fast fabelhaftes
irciegsmittel angesetzt: es sind die 42-Zentimeter-Haubitzen, die
„großen Brummer", von deren jungem Ruhme die Welt wider-
hallt. Vas Erstaunen über diese sestungbezwingenden Ungeheuer war
allenthalben groß. In England und Frankreich wirkte die Über-
raschung um so peinlicher, als man dort für die Spionage in deut-
schen Waffenwerkstätten ungezählte Millionen geopfert hatte.
„Die Herstellung und Beschaffung dieser Belagerungsstücke," schrieb
ein deutscher Reichstagsabgeordneter, der seit langem Generalbericht-
erstatter für das gesamte Waffenwesen der Armee ist, an eine führende
Schweizer Zeitung, „geschah mit der durch die Sachlage gebotenen
absoluten Geheimhaltung, sodaß selbst im Reich nur wenige Kreise
darüber unterrichtet waren. Rls die versuche abgeschlossen waren
und die Bestellung beginnen konnte, galt es, dies Wunderwerk deut-
scher Kriegstechnik ohne Rufsehen zu beschaffen. Rn den Besprechungen
zur Vorbereitung des Militäretats nahmen über 40 Offiziere teil.
Rls man an einen neuen Titel im Abschnitt „Waffenwesen" kam,
bat der Rbteilungsvorstand für das Waffenwesen, diesen Titel nicht
jetzt besprechen zu wollen. Rm Schluß der Sitzung erklärte er mir
streng vertraulich, daß es sich um die neuen Belagerungshaubitzen
handle. Der Generalstab habe die dringende Bitte, daß über die
ganze Angelegenheit kein Wort in der Kommission berichtet werde-
nicht einmal die anwesenden Offiziere hätten Kenntnis von diesem
Fortschritt. Der Wunsch des Generalstabs fand glatte Erfüllung.
wie wir das stolze Lüttich nahmen. 16
Nun ging es an die Arbeit. Line große Anzahl von Geschützen ist
bereits in der Front, andere stehen in den Zeughäusern, vor sechs
Wochen weilte ich als Mitglied der Rüstungskommission in einer
Munitionsfabrik und konnte feststellen, daß jede beliebige Anzahl
von Geschossen und Hülsen für dieses Geschütz in kürzester Zeit her-
gestellt werden kann, ganz abgesehen von den zahlreichen Beständen.
Auf die Frage, ob sich diese Haubitzen nicht schnell abnützen, gab
ein sachkundiges Direktionsmitglied die bestimmte Antwort, daß es
auf der ganzen Welt nicht so viele Festungen gebe, um nur eine
einzige verwendungsunsähig zu machen/
Die Wirkung dieser Riesenmörser übertrifft alles, was man bis-
her von artilleristischen Zerstörungswerkzeugen gesehen hat. Lin
Eisenbahn-Unteroffizier, der beim Bau der Geleise für die Rolosse
dabei war und dem Bombardement anwohnte, erzählt:
„. . . Die Geschosse, die wir schmeißen, haben ungefähr l Meter
Länge und wiegen 14 Zentner, also ganz nette Apparate. Wie du
aus den Zeitungen wissen wirst, ist die Stadt Lüttich sofort gefallen,
aber mehrere Forts bestanden noch. Zwei dieser Forts sollten wir
beschießen. Wir bauten über Nacht unsere großen Brummer ein.
Am 13. August um 8 Uhr morgens sollte der erste Schuß fallen,'
doch die beiden Forts zogen es vor, sich vorher zu ergeben. Die
Kerle hatten irgendwie Wind von der Sache bekommen und kriegten
es mit der Angst zu tun. Am nächsten Tage begleiteten wir die
Gefangenen, 706 Mann, zurück bis P., wo sie von der Infanterie
in Empfang genommen wurden. Nun bauten wir unsere Kanonen
wieder ab, verluden sie aus die Bahn und dampften weiter nach
Lüttich zurück. Sofort wurden die großen Brummer wieder ab-
geladen. Lin Feldbahngeleis wurde mitten durch die Stadt gebaut
bis zu einem schönen Park, wo wir über Nacht mitten zwischen
Blumenbeeten unsere „Großen" einbuddelten. Auf der Westseite
hielten sich nämlich noch zwei Forts. Montag früh um 7 Uhr fiel
der erste Schuß. Die Wirkung an den umliegenden Häusern war
ungeheuer. Sämtliche Fenster platzten, und in manchen Häusern fiel
die Zimmerdecke ein - ein derartiger Luftdruck entsteht durch das
Abfeuern. Den Flug des Geschosses konnten wir von Anfang bis
zu Ende verfolgen, da die Dinger die Luft mit einem ohrenbetäu-
benden Geräusch durchschneiden. Im ganzen gab unsere Artillerie
fünf Schuß ab,- die drei ersten dienten zum Einschießen, die beiden
anderen waren Treffer, für jedes Fort einer. Diese aber genügten-
schon hißten die Belgier die weiße Fahne. Nachmittags gingen wir
in ein von anderen Geschützen beschossenes Fort Loncin, um es zu
besichtigen, hier hatte ein Geschoß eine 4 Meter starke Betondecke
durchschlagen, war in die Pulverkammer gefallen und dort explodiert.
16
wie wir das stolze Lüttich nahmen.
Das ganze Zart flog in die Luft, und die Desatzung, 800 Mann,
wurde bis auf 6 verwundete getötet. Das ganze Fort bot einen
entsetzlichen Anblick. Kein Stein stand auf dem anderen. Schwere,
viele hundert Zentner wiegende Geschütztürme waren gleich durch-
schlagen oder umgeworfen. Ich hätte nie geglaubt, datz unsere
schwere Artillerie eine derartige Wirkung erzielen könnte..."
So war denn auch, knapp acht Tage nach der ersten Berennung,
das letzte Vollwerk um Lüttich gefallen. Nun aber gab es auf
den weiten Feldern des Todes schwere Arbeit für unsere wackere
Sanitätsmannschaft. Aus dem ausführlichen Bericht eines Kranken-
trägers heben wir die folgende Stelle aus:
„Wir gingen in das offene Feld hinein und kamen zunächst
an einen kleinen, von Buschweiden begrenzten Bach. Der Rasen
dämpfte unsere Schritte und wir gingen lautlos dahin. „Ob grand
malheur!“ klang es plötzlich seufzend an unser Ghr, sodaß wir
horchend stehen blieben. „Ob grand malheur — oh ..Gleich-
zeitig regte es sich einige zehn Schritte von uns entfernt in den
Weiden diesseits am Bachrande, und wieder klagte dieselbe Stimme:
„Ob grand malheur-----------", bis sie plötzlich in einem kurzen Schrei
brach, der ein halbes Stöhnen und halbes Schluchzen war. „Tin
Franzose," sagte mein Kamerad leise. - „Rein, ein Belgier!" fügte
ich hinzu, „laß uns sehen." Wir gingen der Stelle näher, vor-
sichtshalber nahm ich meinen Revolver in die Hand, denn man
konnte immerhin nicht wissen, um was es sich handelte. Je näher
wir der Stelle kamen, desto vernehmbarer wurde das knickende,
brechende Geräusch in den Weiden und desto deutlicher ein dumpfes,
schmerzliches Stöhnen. Es war sicher ein verwundeter. Als wir
nahe heran waren, blieb ich stehen und ries: „Wer da?" Gleich
verstummte das Stöhnen, alles wurde totenstill. Eben hatte ich
Deutsch gesprochen und fuhr nun aus Französisch fort: „Ist jemand
dort? — Ein Belgier? — verwundet? Wir sind deutsche Sanitäts-
personen und keine Feinde." Keine Antwort. Da bog der Rhein-
länder die Weiden kurzerhand auseinander, und vor uns lag am
äußersten Rande des Ufers ein verwundeter belgischer Soldat. Er
hielt beide Hände in das klare, rieselnde Wasser; die Hände waren,
wie wir gleich daraus sahen, furchtbar zerschossen und mußten den
Armen grausam brennen, sodaß er sicher um der Kühlung willen
das Wasser ausgesucht hatte. Als der verwundete merkte, daß wir
ihn entdeckt hatten, bog er mit scheuem Ducken den Kopf zu uns
herüber, und in seinen Augen schimmerte die dunkle Angst. Er
hatte wahrscheinlich gleich den Revolver in meiner Hand erblickt,
denn er hob, noch ehe wir etwas sagen konnten, flehentlich die zer-
schossenen Hände empor und bat zitternd: „Ob pardon — pardon —
Wie wir das stolze Lüttich nahmen.
17
brav prussiens — brav prussiens — pardon!“ Ich steckte den
Revolver rasch ein und kniete bei dem Geängstigten nieder: „Be-
ruhigen Sie sich, mein Kamerad! lvir sind deutsche Sanitätssoldaten
und wollen Ihnen helfen!" Das schien ihm etwas nie vermutetes.
In seinen Bugen leuchtete es dankbar auf, und ebenso flüsterte er:
„Brav prussiens — brav prussiens —!“ Ich beruhigte ihn noch
einmal, und dann hoben wir ihn auf, trugen ihn auf den Rasen
und legten ihn dort nieder, wo er uns mit einem schmerzlichen
Lächeln seine Wunden zeigte. Erst die beiden Hände. Sie waren
übel zugerichtet, total zerschossen, mit geronnenem Blute über Und
über verklebt, aus dem die zersplitterten Knochen hervorsahen. Die
anderen Wunden an dem heftig mitgenommenen Körper waren uns
mittlerweile selbst aufgefallen. Über die Stirne hin zog sich eine
tiefe, blutrünstige Rinne, die von einem Streifschuß herrührte, den
Stirnknochen verletzt hatte und stellenweise noch blutete. In diesem
Falle konnten wir dem Bedauernswerten helfen, während wir uns
an die zerschossenen Hände nicht heranwagen dursten. Während ich
dem Belgier dies sagte, holte der Rheinländer aus dem Bache Wasser,
um die Stirnwunde auszuwaschen. Dabei untersuchte ich die anderen
Wunden. Die linke Schulter war von zwei Schüssen gestreift worden.
Die hinterlassenen Verletzungen waren nicht bedeutend, obwohl sie
noch bluteten. Schließlich war dem Brmen noch eine Kugel in den
Oberschenkel des rechten Beines gefahren und drin stecken geblieben.
Butzer den zerschossenen Händen konnten wir alle Verwundungen
in Behandlung nehmen, was wir auch sogleich taten, da noch weit
und breit keine Sanitätskolonne oder ein Bmbulanzwagen zu sehen
war. Bei dem verbinden der Schulterschüsse fiel mir aus, daß wir
es in dem Kranken mit einem Offizier zu tun hatten. Ich fragte
gelegentlich nach dem Grade und erfuhr, daß er Hauptmann war,
Franzose von Geburt, auch Angehöriger der französischen Armee-
jedoch war er vor einem Jahre der belgischen Armee als Instruktor
zugeteilt worden. Während er mir das erzählte, sah ich im Hinter-
gründe des Feldes kleine Lichter auftauchen, die scheinbar von Ambu-
lanzen herrührten. Ich machte den verwundeten daraus aufmerk-
sam und sagte ihm, daß er bald in ein Lazarett käme. Gr lächelte
sein liebenswürdigstes Lächeln und flüsterte einmal ums andere:
„Ob xrand malbeur — brav prussiens—!“ Rach und nach wurden
seine Worte immer matter, und als wir ihn verbunden hatten, war
er trotz der heftigen Schmerzen eingeschlafen. Gr hatte sicherlich
mehrere Nächte nicht mehr geschlafen und mußte sehr müde sein.
Bis wir mit dem verbinden fertig waren, nahmen wir den Mantel
des Schlafenden und deckten ihn behutsam zu. Blsdann setzten wir
Rnsere traurige Suche fort .. ."
18
Me wir das stolze Lüttich nahmen.
Die Siegesbeute war groß. Kn Gefangenen wurden rund
4000 Mann abgeführt; dem größeren Teil der Besatzung war es
gelungen, gegen Namur abzuziehen. Dagegen ging der Wert der
erbeuteten Waffen in die Millionen. Lüttich ist nämlich Hauptplatz
der großen belgischen Waffenindustrie. Ebenso wurden riesige Lager
von Benzin und Rutomobil-Gebrauchsgegenständen erbeutet, die für
die Franzosen aufgestapelt worden waren. Buch der Lütticher
Kriegsschatz von 5Va Millionen Franken fiel in unsere Hände, von
den Waffenfabriken und Stahlwerken wurden die größten sogleich
auf deutsche Rechnung wieder in Betrieb gesetzt und sie arbeiten
jetzt für das deutsche Militär. Die Festungswerke wurden aufge-
räumt und von neuem in Verteidigungszustand gesetzt, aber mit
deutscher Gründlichkeit, sodaß ein etwaiger Feind sich daran die
Zähne ausbeißen würde.
Der Jubel in Deutschland war groß und berechtigt. Wir, die
wir diese heiligen Schauer der Freude erleben dursten, werden den
Eindruck nie vergessen, den diese Nachricht überall hervorbrachte.
Im Krieg von 1870/71 hatte es drei Wochen gedauert - von der
Mobilmachung an gerechnet - bis der erste große Schlag fiel. In
diesem gegenwärtigen Weltkrieg brachte schon die erste Mobil-
machungswoche eine wichtige Entscheidung. Die ganze Welt staunte
über dieses Zeugnis deutscher Grganisationskraft. Die Feinde aber
tobten und wollten es nicht wahr lassen, was doch bittere Tatsache
war. Noch nach drei Wochen wagten führende englische und fran-
zösische Blätter ihren Lesern das Märchen von dem „unbezwungenen
Lüttich" vorzutragen, poincare verlieh der Stadt mit einer theatra-
lischen Gebärde das Großkreuz der Ehrenlegion.
So war denn Lüttich über Nacht wieder deutsch geworden.
Wieder deutsch; denn Lüttich war von seiner Gründung an
(um 720) bis zum Frieden von Lüneville (1794), also über tausend
Jahre, deutsch gewesen. Dann wurde die Stadt zum französischen
Departement der Gurthe geschlagen. Durch Beschluß des Wiener
Kongresses kam sie 1815 an die vereinigten Niederlande und durch
die Londoner Konferenzen von 1830/31 zu Belgien, hoffentlich bleibt
die Stadt jetzt für ewige Zeiten beim starken Deutschen Reich. Die
„Todspringer von Lüttich" sollen nicht umsonst geblutet haben.
Sehen wir uns noch einen Rugenblick die führenden Männer
auf beiden Seiten an.
Der Sieger von Lüttich, General Emmich, ist 1848 zu
Minden in Westfalen geboren, mithin 66 Jahre alt. 1866 trat
er als Fahnenjunker in das Heer ein, wurde 1868 Leutnant und
verdiente sich 1870 als Bataillonsadjutant das Eiserne Kreuz II. Klasse.
1880 wurde er Hauptmann, 1894 Kommandeur eines Jägerbataillons.
wie wir das stolze Lüttich nahmen.
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1897 bis 1901 befehligte er das Infanterieregiment zu Konstanz.
1901 wurde er Generalmajor, 1905 Generalleutnant, 1909 kom-
mandierender General. 1912 erhielt er den erblichen Adel.
Der Besiegte von Lüttich, General Leman, ist 1850 geboren,
mithin 64 Jahre alt. Gr wurde von den stürmenden deutschen
Truppen halb erstickt unter den Trümmern eines zusammengeschos-
senen Forts aufgefunden und in Sicherheit gebracht. Die deutschen
Offiziere nahmen sich seiner in kameradschaftlicher weise an und
labten ihn mit Erfrischungen. Dann wurde der Gefangene dem
General v. Emmich vorgeführt, dem er seinen Degen überreichte.
In Anerkennung dessen, daß General Leman die ihm übertragenen
Pflichten als Kommandant der Festung Lüttich trotz der Erkenntnis,
daß er sich aus verlorenem Posten befände, bis zuletzt erfüllt hat,
beließ General v. Emmich ihm den Degen - eine deutsche Ritter-
lichkeit, die der Gefangene nicht erwartet hatte und die ihn darum
tief erschütterte. Nachdem sich der Kommandant von den seelischen
Erschütterungen und körperlichen Strapazen der letzten Tage unter
ärztlichem Beistand erholt hatte, fand seine Verschickung in die
deutsche Gefangenschaft statt; er wurde nach Magdeburg gebracht.
wie wir die starke Zeste Namur nieder-
zwangen.
mit dem Fall von Lüttich waren drei Pforten ausgeschlossen
worden: der Weg nach Frankreich, der weg nach Brüssel
und der weg nach Antwerpen. Die beiden ersten Wege wurden
gleichzeitig eingeschlagen, während noch um die letzten Forts von
Lüttich gekämpft wurde. Die Streitkräfte für diese gewaltigen Unter-
nehmungen wurden dadurch freigemacht, daß am 15. August der
Landsturm einberufen wurde - zum erstenmal seit 100 Jahren
(1870 hat man sogar von der Landwehr nur einen kleinen Teil
einberufen). Durch diese Maßregel wurden große Massen von Linien-
truppen und Reserven, die vorher dem Frontdienst entzogen waren,
frei und konnten die ins Feindesland vorstoßenden Truppen ver-
stärken. Schon am 20. August brausten deutsche Reitergeschwader
durch Brüssel — doch davon erzähl' ich euch ein andermal. Wir
wollen nun den nach westen geleiteten Heersäulen folgen.
Der weg von Lüttich nach Namur führt der Maas entlang - eine
reiche, gottgesegnete Gegend, die aber jetzt infolge der verbreche-
rischen Heimtücke belgischer Franktireurs durch Blut und Trümmer
20 wie wir die starke Feste Namur niederzwangen.
bezeichnet ist. Der feige Meuchelmord, der hinter jedem Baum,
hinter jeder Gardine, hinter Kellergittern und Hintertüren lauerte,
konnte jedoch unsere Truppen nicht aushalten. Einen wahrhaft
höllischen Empfang bereitete unseren Feldgrauen die Fabrikstadt
Andenne, an der Maas unweit Namur gelegen. Hauptmann
Dr. Alexander Berg erzählt über diesen schlimmen 20. August fol-
gendes:
„Ls war gegen halb 7 Uhr abends, als die leichten Munitions-
kolonnen der Artillerie, die ich führte, etwa 10 Kilometer vor An-
denne angelangt waren, um sich in die Kolonne der Hauptabteilung
einzuschieben, wir machten vor einem Dorf, an dem die Landstraße
nach Andenne vorbeiführt, Rast. Andenne selbst war unseren Blicken
durch bewaldete Anhöhen entzogen, plötzlich vernahmen wir in der
Richtung nach Andenne heftiges Gewehrfeuer, das etwa eine Stunde
lang anhielt und von dem Donner einiger Kanonenschüsse begleitet
war. Dann wurde es still, wir zogen langsam durch das Dorf,
vor einzelnen Häusern mit Brunnen standen Trinkeimer. Da wurde
von vorne der Befehl durch die Truppen weitergegeben: „Nicht aus
den Brunnen trinken; die Brunnen sind vergiftet." Gleich daraus
pflanzte sich der weitere Befehl durch die Truppen durch. „Revolver
heraus, Achtung auf Franktireurs!" Diese Warnung war nur zu
berechtigt. Denn wenige Minuten später galoppierte ein Unteroffizier
mit der Meldung heran, daß er mit seinen Leuten aus einem Haus
beschossen worden sei. Sofort drang die begleitende Infanterie in
das Anwesen ein, erschoß. die erwachsenen männlichen Einwohner
und steckte das Haus in Brand.
Langsam vorrückend näherten wir uns bei einbrechender Nacht
Andenne. Über dem bewaldeten Höhenrücken, hinter dem die Stadt
liegen mußte, glänzte in breiter Ausdehnung ein Feuerschein, bald
stärker, bald schwächer werdend, das sichere Anzeichen eines ge-
waltigen Brandes. Um 11 Uhr nachts waren wir auf der höhe
angelangt. Da bietet sich unseren Augen ein wunderbar grausiger
Anblick, vor und in der Maasebene liegt eine brennende Stadt —
Andenne, brennend an allen Ecken und Enden. Der Brand mußte
schon stundenlang gewütet haben. Denn von vielen Häusern, ins-
besondere Fabriken, stehen nur noch die Mauern, zwischen denen
brennende, glühende Balken mit lautem Krachen zusammenstürzen.
An anderen Stellen, an denen das Feuer besonders günstige Nahrung
gesunden, lodern die Flammen zum Himmel empor, das furchtbare
Schauspiel grell beleuchtend. Es war kein angenehmes Gefühl, in
diese Stadt zwischen brennende Häuser einzureiten, immer gewärtig,
von glühenden Balken getroffen zu werden. Unsere Vermutung,
daß hier vor wenigen Stunden ein erbitterter Straßenkampf getobt
wie wir die starke Zefte Namur niederzwangen. 21
haben mußte, wurde zur Gewißheit, als wir beim weiteren Einrücken
die Leichen erschossener Franktireurs in wildem Durcheinander an
den Rändern der Straße liegen sahen.
Die innere, nach der Maas zu gelegene Stadt, in die wir kurz
nach Mitternacht einrückten, war vom Brand zum großen Teil ver-
schont. Die Läden der Däuser waren geschlossen. Rein Licht zeigte
sich. Alles schien in vollkommener Ruhe zu sein. Wir biegen gerade
nach einem freien Platze ein, als unter meinem Pferd ein harter
Gegenstand aufschlägt. In demselben Augenblick erdröhnt ein fürchter-
liches Machen und Zischen unter mir, Feuerstrahlen schießen knatternd
rechts und links an meinem Pferd empor, das noch einen gewaltigen
Satz in die höhe macht, dann nach der Seite zusammenbricht und
mich zum Teil unter sich vergräbt. Das Platzen dieser Bombe war
offenbar das verabredete Zeichen zum Beginn des Rampfes. Denn
nun begann aus allen Däusern des Platzes ein geradezu ohren-
betäubendes Schießen auf die Fahrzeuge der Munitionskolonne, die
in kurzen Abständen im Galopp über den Platz eilten, um dieser
gefährlichen Zone zu entrinnen. Man schoß aus allen Fenstern,
Kellerlöchern und Dachluken; man schoß von den Balkons, aus
Schießscharten und aus den halbgeöffneten Haustüren. Rechts und
links neben mir prasselten die Rugeln funkensprühend aus das
Pflaster. Ich versuchte, trotz der heftigsten Schmerzen, die ich infolge
des Sturzes verspürte, meinen Schenkel unter dem Pferd hervorzu-
ziehen. Ich bildete hierbei für die Franktireurs jedenfalls ein be-
quemeres Zielobjekt als die im Galopp dahinstürmenden Fahrzeuge.
Endlich gelang es mir, mich freizumachen. Ich versuchte, mich aus-
zurichten — da fällt aus unmittelbarer Nähe, aus einer Ecke des
Platzes, ein Schuß. Ich sehe den Feuerschein, empfinde eine Er-
schütterung am Knie und spüre gleich daraus, wie Blut an meinem
Schenkel herunterläuft. Ich raffe mich aus und taumle - begleitet
von einem wüsten Rugelregen, aber begünstigt durch die Dunkelheit
der Nacht - über den Platz nach der Straße, in welcher die Fahr-
zeuge verschwunden waren und sinke schließlich an der Treppe eines
Gartens zusammen. Da knallt es auch schon hinter dem Gartentor
und links und rechts hinter den Büschen und Bäumen und aus den
Fenstern des Hauses auf der anderen Straßenseite gegen mich. Ich
raffe mich noch einmal auf, schieße mit der Pistole nach den Rich-
tungen, aus denen ich die Feuerstrahlen leuchten sah, und wanke
auf die Straße, hier höre ich, wie im Galopp ein Munitionswagen
über dis Straße saust. Ich schreie dem Vorderreiter ein »halt!"
zu, die Fahrer reißen die Pferde zusammen - der Wagen steht.
Ich rufe den Kanonieren zu, ich sei verwundet. Sie erkennen ihren
Hauptmann an der Stimme, und während die Rugeln um die Räder
22 wie wir die starke Feste Namur niederzwangen.
sausen, werde ich langsam emporgehoben und auf der protze des
Munitionswagens gebettet.
In wenigen Minuten hatten wir die übrigen Fahrzeuge erreicht,
die in einer ziemlich schmalen, nach der Maas hinführenden Straße
zu zweien, vielfach auch zu dreien nebeneinander aufgefahren waren.
An dieser Stelle war es ruhig, sodaß sich die Munitionskolonne
ordnen konnte, um den Übergang über die Brücke zu beginnen.
Die Straße selbst wurde nur matt durch ein am Ende stehendes
brennendes Gebäude erhellt. Da ertönt plötzlich aus dem Haus,
vor dem ich halte, mitten in die Stille der Nacht ein Schuß, ihm
folgt aus dem Nachbarhaus ein zweiter, dritter, und im Augenblick
entwickelt sich aus beiden Häuserreihen aus die Kolonne eine wahn-
sinnige Schießerei. In blindem Fanatismus schießen die Franktireurs,
ohne zu zielen und ohne nur einen Augenblick Nuhe zu geben, auf
die Straße. Line Feuergarbe neben der anderen sprüht aus den
Häusern heraus. Die Mannschaften der Artillerie und Infanterie
erwidern das Feuer; Fensterscheiben rasseln klirrend zu Boden, Haus-
türen werden eingeschlagen. So entsteht in der schmalen Gasse ein
solcher Höllenlärm, daß niemand sein eigenes Wort versteht. Da im
Dunkel der Nacht und bei der bedrückenden Enge die Beschießung
der eigenen Truppen nicht ausgeschlossen ist, ergeht der Befehl, das
Feuer einzustellen. Vas Schießen der Franktireurs dauert aber in
gleicher Heftigkeit fort, plötzlich ertönt von der Maas her, erst
schwach, dann immer stärker werdend, der mit Jubel aufgenommene
Ruf „Andenne" — das Losungswort des Tages -, herrührend aus
den Kehlen der zu unserem Schutz herbeieilenden Gardeschützen. Sie
flankieren die Straßenseiten, schießen nach jedem Fenster, hinter dem
sich eine Bewegung zeigt, und bringen aus diese weise das Feuer
der Franktireurs sehr bald zum Schweigen. Unter diesem Schutz
vollzog sich alsdann in den frühen Morgenstunden in aller Ruhe
der Übergang über die Maas, der gegen 4 Uhr beendigt war.
Jetzt erfuhren wir auch, daß dieser ganze wohlorganisierte Straßen-
kamps ein Vorspiel hatte. Am Abend zuvor, gegen 6 Uhr, sei das
Zeichen zum Kampf gegeben worden. Im Anschluß hieran habe
ein heftiger Straßenkampf begonnen. Ls war jenes Gefecht, das
wir selbst von den höhen vor Andenne gehört hatten. Line Batterie,
die gerade im Begriff stand, einzuziehen, habe dann die Stadt in
Brand geschossen. Die feindselige Haltung der Bevölkerung sei um
so weniger zu erwarten gewesen, als die Gardeschützen, die schon
anderthalb Tage in der Stadt einquartiert waren, in der friedlichsten
weise mit der Bevölkerung verkehrt und sich anscheinend ihre Sym-
pathien erworben hatten. Nachdem dann dieser erste Anschlag ver-
eitelt war, hatte die Bevölkerung sich zunächst ruhig verhalten und
Me wir die starke Feste Namur niederzwangen. 23
Las Einbrechen der Nacht abgewartet, um unter ihrem Schutze erneut
in meuchlerischer Weise über die Truppen im Straßenkamps herzu-
fallen. Oie Franktireurs schossen ohne ruhiges Zielen in einer ge-
radezu fanatischen Wut. Diesem Umstand und dem Dunkel der Nacht
ist es wohl zuzuschreiben, daß unsere Verluste nicht erheblich waren.
Nur die Infanterie hatte, wie mir mitgeteilt wurde, in den Kämpfen
etwa 30 bis 40 Mann verloren, ctls im Morgengrauen die schweren
Nebel von der Maas aufstiegen, sah man Mauser der Innenstadt,
in denen der Straßenkamps getobt hatte, in Flammen aufgehen.
Gleichzeitig ertönte über den Fluß herüber in einzelnen Zwischen-
räumen das kurze, aber furchtbare Knattern von Gewehrsalven.
Das Strafgericht über Andenne hatte seinen Fortgang genommen..
Die vorauseilende Kavallerie verschleierte dadurch, daß sie alle
Drahtverbindungen vernichtete und keine feindliche Feldwache durch-
ließ, vortrefflich den Vormarsch des Heeres. Gleichsam im Vorbei-
gehen wurde das ziemlich genau in der Mitte zwischen Lüttich und
Namur gelegene Sperrsort hup genommen (dort liegt in einer Vor-
stadt Peter von Amiens begraben, den ihr von der Geschichte der
Kreuzzüge her kennt). Um ly. August kam es bei perwez unweit
Namur zu einem gewaltigen Neiterkampf, in dem unsere Lanzen-
reiter eine französische Kavalleriebrigade vernichtend schlugen.
Schon am anderen Tag — fast zu gleicher Stunde, als unsere
Truppen in Brüssel einzogen und in Lothringen die Riesenschlacht
bei Metz entbrannt war — bekamen unsere Truppen Namur in
Sicht. Die Annäherung war von einem dichten Nebel begünstigt
gewesen, und nur die oben geschilderten harten Franktireurkämpse
hatten einen kleinen, aber durch Feuer und Blut bezeichneten Auf-
enthalt verursacht.
Da lag nun das stolze Namur, umarmt von zwei wasserreichen
Flüssen, der Maas und der Sambre, eine Stadt mit etwas über
30 000 Einwohnern, von neun gewaltigen Forts beschützt. Eigent-
liche Zwischenstellungen (d. h. systematisch ausgebaute Befestigungen,
Laus- und Schützengräben zwischen den einzelnen Forts), wie wir
sie bei Maubeuge kennen lernen werden, besaß Namur nicht. Dafür
hatten die Belgier starke Erdwerke errichtet, die zuerst niedergekämpft
werden mußten. Schwere Artillerie war in Menge herangeschafft
worden, darunter mehrere der berühmten großen Brummer (42-Zenti-
meter-haubitzen), sowie österreichische Motorbatterien (30,5-Zentimeter-
Mörser). Unsere Truppen sollten geschont werden, da es sich ja nicht um
einen Sturm handelte wie bei Lüttich. Unter dem geradezu entsetz-
lichen Feuer der deutschen schweren Artillerie brach der Widerstand
der Verschanzungen rasch zusammen. Der Feuerstrom ergoß sich dann
auf die Forts. Am 25. August waren fünf von den neun Forts
24 wie wir die starke Feste Namur niederzwangen.
sowie die Stadt selbst in deutschem Besitz. Km 26. August fielen
die übrigen Forts. Namur war unser, von den 26000 Mann
der Besatzung entkamen nur 12000. Die übrigen waren verwundet,
tot, gefangen. Die Beute an Geschützen, Handfeuerwaffen, Aus-
rüstungsgegenständen, Vefestigungswerkzeugen usw. war ungeheuer
(genaue Zahlen sind nicht veröffentlicht worden). Der Eindruck im
Ausland war gewaltig. England schnaubte vor Wut, Frankreich zitterte.
Wir lassen jetzt einen Oberleutnant erzählen, der von Anfang
an dabei gewesen:
„... Als die Nacht anbrach, wurde uns klar, daß an ein Ouartier
in diesem Fleckchen nicht zu denken war, sondern es hieß, eine
starke Verteidigungslinie am Dorfrand ausbauen. Die ganze Nacht
wurde an Schützengräben gearbeitet, Drahtverhaue hergestellt und
abwechselnd im Schützengraben geruht. Die ersten Nachtpatrouillen
gegen den Feind traten ihren Gang an, die Parole wurde aus-
gegeben.
plötzlich tauchten drei riesige Scheinwerfer aus den drei vor uns
liegenden Forts von Namur im Dunkel der Nacht auf und beleuch-
teten mit unheimlicher Nuhe unsere Stellungen. Jetzt ging es erst
richtig los. hinlegen, wenn der Lichtstrahl kommt! Sssss... bumm —
Sssss... bumm — Sssss... bumm sangen die Granaten hüben und
drüben in ununterbrochener Folge; denn schon am Nachmittag hatten
die Batterien sich eingeschossen, hinter uns im Dorfe schlugen sie
vielfach ein, und wir waren froh, nicht in dem großen Gutshos,
wie erst beabsichtigt war, die Nacht verbracht zu haben, denn dieser
war mit Granatstücken reichlich gesegnet, vor uns waren schon
einige Dörfer von unseren großartigen Belagerungsgeschützen, denen
die stürmisch begrüßten Österreicher mit ihren Motorbatterien zur
Seite standen, in Brand geschossen. Helle Flammen ringsum ver-
kündeten das Ergebnis unseres Geschützdonners. Dazu vielfaches
nächtliches Schießen von Patrouillen oder kleinen Infanterie-Abtei-
lungen auf beiden Seiten. An den Geschützdonner gewöhnt sich
alles, trotz des großen Getöses, weil man das Summen des Ge-
schosses auf der ganzen Flugbahn hört und immer das Gefühl hat,
daß die Geschosse hoch über den Nöpfen hinweggehen. Wenn man
hinter dem Geschütz steht, kann man die Flugbahn sogar verfolgen.
Insanterieseuer ist viel beunruhigender, einmal die große Masse
der ganz unsichtbaren Geschosse und dann das unheimliche Pst . ..
pst ... pst ... dicht über den Nöpfen.
Am folgenden Tag hatten wir unsere Stellung noch immer be-
setzt, aber wesentlich schwächer, da der Feind offenbar keinen ernsten
Vorstoß wagte und wir daher den größeren Teil unserer Truppen
ruhen lassen konnten. Man hörte in der Hauptsache nur noch eigenen
wie wir die starke Feste Namur niederzwangen. 25
Geschützdonner. Die Erwiderungen aus den feindlichen Forts wurden
sichtlich dünner. Der Tod hielt schon seine Ernte in den furchtbaren
Massengräbern, wie man solche Forts gegenüber unseren Geschützen -
von den 42-Zentimeter-Mörsern, die in Tätigkeit waren, ganz zu
schweigen — mit Recht bezeichnen kann. Solche Erscheinungen be-
leben die siegreiche Truppe ungeheuer. Als wieder die Nacht herein-
brach, reckten bereits die Scheinwerfer in den feindlichen Forts nicht
mehr ihre Hälse aus. Die Forts waren in der Hauptsache schon
nach dem achten bis zehnten Treffer Trümmerhaufen, vielleicht ein
Teil der Besatzung schon wahnsinnig geworden, was gerade in den
Forts häufiger vorkommt, und unsere Artillerie schoß aus andere
Ziele. Manches Dorf war noch zu zerstören, vereinzelt sauste vom
Feind eine Granate zu uns herüber. Dann ging es am folgenden
Tage für uns auf der ganzen Linie vorwärts. Auch die Artillerie
schob sich weit vor und spie unaufhörlich weiter verderben. Schon
hißten die Forts die weiße Flagge. Der Tod überall! Bis zum
Abend hatte unsere Infanterie sich dicht vor Namur wieder ein-
gegraben. Die Türme, die Zitadelle von Namur grüßten bereits
herüber, und abermals tobte am Tage ein furchtbarer Artillerie-
kampf! denn um einen solchen handelte es sich in erster Linie bei
der Belagerung. Aus anderer Richtung suchten uns Granaten und
Schrapnells aus Namur selbst zu erreichen. Leider traten hier auch
die ersten größeren Verluste für uns ein. Line Kompagnie besonders
stand mitten im feindlichen Schrapnellseuer. Die Leute fielen in
Mengen, ehe die Züge auseinander getrieben werden konnten. Die
Krankenträger eilten mit ihren Tragbahren hin und her. Der
Verbandplatz wurde vorverlegt und bekannt gegeben. Wir waren
mitten in einem heftigen Kampf.
Die Nacht, die abermals in Schützengräben verlebt wurde, war
tageshell erleuchtet. Überall brannten die Dörfer lichterloh. AIs
ich am nächsten Morgen einige Stunden Ruhe in einem Hause suchte,
zitterte es in allen Fugen durch die Artilleriegeschosse derartig, daß
an Schlafen nicht zu denken war. An diesem Tage wurde haupt-
sächlich von unserer Artillerie mit Schrapnells auf lebende Ziele ge-
schossen. Unaufhörlich platzten sie in der Luft am Waldesrand und
streuten ihren Kugelregen wohlgezielt herunter. In manchem Walde
haben Hunderte von toten und verwundeten Belgiern und Franzosen
gelegen. Line Granate ging kaum 10 Meter neben mir nieder,
riß ein Loch, in dem vier Mann Platz finden konnten, krepierte
aber zu meinem Glück nicht in dem weichen Rübenboden, sonst
wären wir alle in Stücke gerissen worden.
In diesem Augenblick erscheint ein feindlicher Flieger. Frech
zieht er seine Kreise, kaum 300 Meter über uns, um unsere Auf-
26 wie wir die starke Feste Namur nieterzwangen.
stellung zu erkunden. Hunderte von Gewehren überschütten ihn
sofort mit einem Kugelregen. Auch die Schrapnells platzen davor,
dahinter, darunter. Leider trifft kein Geschoß richtig. Unbeschädigt
entkommt er mit seiner Meldung nach Namur. Es sollte ihm aber
dennoch nichts nützen, wie die nächsten Tage lehrten, Dann ver-
lassen wir wieder unsere so schön ausgebauten Stellungen, um bald
zum letzten Sturm gegen Namur auszuholen, vorwärts müssen wir,
vorwärts! „Lieb' Vaterland, magst ruhig sein," denkt ein jeder,
nach dem, was wir bisher erlebten.
In Marschkolonnen mit Spitze marschiert das Bataillon eins
Schlucht entlang. Da — ein heftiges Feuer von oben, vom an-
grenzenden Berg auf uns herab, vielleicht der letzte lviderstand.
„Mit Gruppen rechts schwenkt, marsch, marsch!" dröhnt es durch
die Luft. Mitten im Feuer stürmt das Bataillon den Berg mit
großer Mühe. Falle, wer falle, heraus müssen wir. „Seitengewehr
pflanzt auf!" schallt es jetzt. Die Hornisten blasen, und unaufhalt-
sam brechen unsere Linien durch den Wald. „Hurra!" tönt es durch
die Luft, und das kann der Feind nicht ertragen. Lr rückt aus.
Niemand ist mehr da, der sich unseren Bajonetten stellt, aber von
rechts, von links, von hinten schießen sie wieder. Weiter geht's mit
erhöhter Aufmerksamkeit. Bald zeigte sich, daß sich viele Feinde tot
stellten und dann von hinten meuchlerisch weiter schossen. Um diese
Leute war's jetzt aber geschehen. Auch die Hände erhoben die Bel-
gier, um sich zu ergeben, und wenn wir aus sie zukamen, ergriffen
sie schnell das Gewehr, um weiter zu schießen. Tine Kugel war
eigentlich zu schade für diese „Helden".
Leichen lagen in Massen umher, Turkos, Franzosen, Belgier,
fast nur Feinde zum Glück, meist mit entsetzlichen Artilleriever-
letzungen. Und weiter ging der Vorstoß über Drahtverhaue mit
nie geahnter Fixigkeit hinweg. Durch das letzte Dorf. „Schüsse aus
diesem Hause!" schwirrt es durch die Luft. Die Fenster gingen in
Stücke, und im nächsten Augenblick standen die Gardinen und
Scheunen in Flammen.
Aus war der Kampf, der Sieg unser! Wir standen aus der
Straße von Namur. Die Zitadelle der Stadt zeigte die weiße Flagge.
Inzwischen war die große Maasbrücke von der Besatzung gesprengt,
gerade als ein Parlamentär daraus war; aber die Pioniere zeigten
schnell, was sie vermochten. Leider verzögerte sich der Einzug noch
einen ganzen Tag, teils dadurch, teils deswegen, weil die Zitadelle
trotz der weißen Flagge noch weiter schoß, wir waren gezwungen,
diese Burg erst ganz zum Schweigen zu bringen. Dann brauchten
wir die weiße Flagge nicht mehr.
Am Abend dieses denkwürdigen Tages, an dem wir uns erst
IDic wir die starke Feste Namur niederzwangen. 27
alle als „richtige Soldaten" fühlten, sammelten sich zunächst die
Truppen vor Namur. Gar mancher fehlte leider. Aber es ergab
sich, daß in unserem Angriffsabschnitt 4200 Gefangene gemacht waren,
darunter auch Franktireurs, von denen die Wälder durchseucht waren.
Die Säuberung des Geländes von diesen Schandbuben bildete für
manche Kompagnie einen Spezialauftrag. Während eine Kompagnie
die Masse der Gefangenen an Belgiern und Franzosen, teils verwundet,
auch viele Offiziere waren darunter, auf freiem Feld während der
Nacht scharf bewachte, zog bald daraus die Hauptmasse der Truppen
in gehobenster Stimmung in Namur ein. Anderen Truppenkörpern
war dieser glanzvolle Siegerpreis schon etwas früher vergönnt gewesen,
weil diese weiter vorgeschoben standen. Jetzt endlich winkte wieder
ein wohlverdientes Ouartier. Freudig nimmt ein jeder die außer-
ordentlichen Strapazen des Krieges in Kauf, wenn es solche Lorbeeren
zu ernten gibt. Jeder einzelne fühlt sich bei diesem Einzug als
Sieger. Strammen Schrittes geht es die Straßen entlang. So war
es schon bei dem Durchzug durch andere belgische Städtchen gewesen.
Die Bewohner schauen verdutzt und meist ergeben in ihr Schicksal
diesem Schauspiel zu. Es mußte so kommen, kann man aus diesen
Gesichtern lesen. Sie fühlen sich nur als Schlachtvieh gegenüber den
sieggewohnten, gegen alles anstürmenden Deutschen. — Unvergeßliche
Tage für alle, die sie miterlebten!"
Wir würden das farbenreiche Bild nicht ganz gezeichnet haben,
wenn wir des Heldenstreichs eines jungen preußischen Leutnants ver-
gäßen, des ersten, der seit 1866 mit dem pour le merite geschmückt
wurde. Er berichtet in einem Briese an seine Eltern:
„Ich sollte mit 500 Mann in ungedecktem Gelände auf das
Fort Malonne losgehen. Überall starrten uns Schießscharten ent-
gegen, aus denen es jede Sekunde losknallen konnte, und wenn
das nicht, so konnte ich auf eine der vielen Minen treten, die rings
herum lagen, von allen Offizieren, die sich freiwillig dazu gemeldet
hatten, wurde ich ausgesucht. Ich nahm von meinem Zug nur vier
Mann mit, und im Gänsemarsch näherten wir uns dem Fort. Ms
der Kommandant uns bemerkte, rief ich ihn an und redete ihm vor,
daß ein ganzes Regiment und Artillerie draußen im Walde stehe
und das Feuer sofort erfolgen würde, wenn noch eine Minute mit
der Übergabe gewartet würde. Der Kommandant ließ die Brücke
herunter, und wir betraten das stark befestigte Fort. Ich ließ jeden
einzelnen hervortreten. Wir untersuchten sie. Die Waffen mußten
sie im Fort lassen. Meine vier Leute hatten das Gewehr im An-
schlag. Der Kommandant übergab mir seinen Säbel. Dann ließ
ich die Belgier in eine Ecke treten, damit sie nicht sehen konnten,
wer hereinkäme. Neben dem Kommandanten nahm ich 5 Offiziere
28
wie wir die starke Feste Ilamur niederzwangen.
und 20 Mann gefangen, die übrigen 400 Mann waren schon vorher
geflohen. Ich ließ nun meinen Zug nachkommen. Die Gesichter
der belgischen Offiziere hättet Ihr sehen sollen, als sie nachher unsere
geringe Anzahl wahrnahmen! Bis zur Ablösung mußte ich das
Fort, das gänzlich unbeschossen war, besetzt halten. Ich erbeutete vier
2l-Zentimeter-Kanonen, eine Anzahl kleinere Kaliber, 100 Gewehre
und mehrere tausend Gewehrpatronen. Erst am nächsten Morgen
wurde ich abgelöst."
Mailbeuge wird unser!
Hach dem Fall von Namur fluteten unsere Heersäulen nach Frank-
reich hinein. Lin Teil der Armee zweigte sich ab und folgte
weiter dem Laus der Maas, um Givet zu nehmen. Der hauptteil
der zweiten Armee, unter Generaloberst v. Bülow, ging aber im Tal
der Sambre weiter aus Maubeuge zu. Aber nur ein kleiner Teil
wurde vor dieser Festung zurückgelassen; die Hauptmasse flutete zu
beiden Leiten, den flüchtenden Engländern folgend, an Maubeuge
vorüber, ähnlich wie es die kronprinzliche Armee bei Longwq ge-
macht hatte. Wir folgen diesen Heersäulen nicht, sondern bleiben
bei der Belagerungsarmee und sehen zu, wie unsere Tapfern die
starke Feste niederrangen.
Maubeuge liegt an der Sambre und ist seit langem ein Stütz-
punkt gegen die nördliche Grenze. Im Juli 1814 war es von den
Preußen erobert worden. Nach 1870 wurde die Stadt zu einer
Festung ersten Banges ausgebaut, und die Franzosen hielten sie für
uneinnehmbar.
„Zum erstenmal in diesem Feldzug," schrieb der Kriegsbericht-
erstatter des „Berliner Tagblatts," „galt es, eine französische Festung
niederzuringen, die mit weit vorgeschobenen Forts und mit Zwischen-
werken versehen war, aus die der Gegner große Hoffnungen gesetzt
hatte. Diese Zwischenwerke sichern das Gelände zwischen den ein-
zelnen Forts und bestehen in verstärkten Schützengräben, zahlreichen
hohlräumen, z. B. bombensicher eingedeckten Unterständen und Muni-
tionsräumen, starken Drahtverhauen, zahlreichen, tief in die Erde
eingegrabenen Batterien und vor allem in einer starken, beweglichen
Artillerie. Außerdem war auf der Nordostfront ein Panzerzug tätig:
Geschütze, die auf kleinen Feldbahnen hin und her gefahren werden
können und die aus wechselnder Stellung Feuer zu geben imstande
sind. Wie erinnerlich, haben im Burenfeldzuge diese Panzerzüge
mit gutem Erfolg Verwendung gefunden. Namur und Lüttich, die
Maubeuge wird unser!
29
beiden genommenen belgischen Festungen, waren ohne derartigen
Schutz. Bei Maubeuge sollten unsere Truppen zum erstenmal aus
diesen Widerstand stoßen, der schon im Frieden mit großem Geschick
und dringlicher Sorgfalt angelegt und ausgebaut war. Sechs Forts
und sieben Zwischenwerke und Zwischenstellungen waren bei Mau-
beuge niederzukämpfen; durch die verhältnismäßig schnelle Einnahme
der Festung gewinnt der Sieg nicht nur eine ganz besondere Be-
deutung in strategischer Hinsicht, sondern der moralische Erfolg muß
im Hinblick auf die enttäuschten Hoffnungen der Gegner, namentlich
bezüglich der Zwischenstellungen, ganz besonders bewertet werden . . .
Infolge des Einbaus der Zwischenstellungen genügte es nicht, wie
z. B. bei Namur und Lüttich, die einzelnen Forts artilleristisch nieder-
zukämpfen, sondern es mußten die ganzen Zwischenstellungen und
die im Gelände sehr geschickt eingebauten gegnerischen Batterien
auf der nordöstlichen Angriffsfront mit Feuer stark zugedeckt werden,
ehe die eigene Infanterie zum Angriff schreiten konnte. Unsere schwere
Artillerie stand anfangs 8 bis 10 Kilometer von den Werken entfernt.
Sie setzte sich hauptsächlich aus 21-Zentimeter-Mörsern, weittragenden
Flachseuergeschützen, den modernen Steilfeuergeschützen und auch aus
den bekannten 42-3entimeter-Mörsern zusammen, zu denen sich noch zwei
österreichische Motor-Mörserbatterien gesellten, die mit sehr großem
Erfolg wirkten. Die deutschen Angriffstruppen standen dem Verteidiger
an Stärke der Infanterie bedeutend nach. — Nachdem die Forts und
Zwischenwerke der Angriffssront niedergekämpft waren - auch die
panzertürme hatte man in kurzer Zeit zum Schweigen gebracht —
wurde das Artilleriefeuer auf die Zwischenstellungen verlegt. Nach
kaum eintägiger Beschießung hatte auch hier die Artillerie volle
Arbeit getan. Unter ihrer verheerenden Wirkung gelang es, den
Infanterieangriff bis zum 7. September mittags auf Sturmentfernung
heranzutragen, kurz daraus wurden die Stellungen genommen..
Die Werke aus den anderen Fronten waren bis zu diesem Zeitpunkt
größtenteils zusammengeschossen. Unsere Verluste waren verhältnis-
mäßig gering, da wir im großen und ganzen das Niederzwingen der
Verteidiger der Wirkung unserer schweren Artillerie überlassen konnten."
Über die Kapitulationsverhandlungen erzählte ein österreichischer
Artillerieoffizier, der an der Belagerung teilgenommen hatte, folgendes::
„Ein französisches Automobil mit weißer Fahne kam am Nach-
mittag in das deutsche Hauptquartier und fragte den Dberstkom-
mandierenden, einen prachtvollen alten Haudegen, ob er unter
gewissen Bedingungen die Übergabe der Festung annehmen würde.
Da schlug aber der deutsche Befehlshaber mit der Faust auf den
Tisch und ries: „was, Bedingungen? Bedingunglos bis 6 Uhr
abends, oder ich schieße die ganze Bude in Grund und Boden."
30
Maubeuge wird unser!
In begreiflicher Erschütterung zog daraus der Franzose ab. Nun
wußte man nicht, ob der Gberstkommandierende 6 Uhr nach franzö-
sischer oder nach deutscher Zeit gemeint hatte. Nls es nach deutscher
Zeit 6 Uhr war, wurde es jedoch klar, welche Zeit der Kommandeur
gemeint hatte! denn er befahl die Fortsetzung der Beschießung.
Kaum hatte aber diese eingesetzt, als auch schon in rasender Fahrt
das Nuto mit der weißen Fahne aus Maubeuge herauskam. Der
Uommandant nahm den Brief, den der Parlamentär überbrachte,
entgegen und sagte nichts weiter als „Schießen einstellen!" und damit
war die bedingungslose Übergabe von Maubeuge angenommen."
Es war der 8. September, ein Dienstag.
Die Kriegsbeute war außerordentlich: 40000 Mann, darunter
vier Generäle, 400 Geschütze und eine Unmasse Kriegsgeräte, auch
unübersehbare Munitionslager.
Über die Beschießung plaudert recht anregend ein deutscher
Motorradfahrer, der in französische Gefangenschaft geraten und in
der Festung Maubeuge untergebracht war. Er erzählt:
„Es war Tag und Nacht ein unaufhörliches Platzen und Ein-
schlagen von unseren Granaten, sodaß wir nur wie durch ein Wunder
dem Tode entronnen sind. Nachts war es am schlimmsten. Da
boten brennende Nachbarhäuser den deutschen Granaten ein wunder-
bares Ziel, unsere Kaserne, als der Mittelpunkt, hatte am meisten
zu leiden. Ein fortwährender Hagel von Dachziegeln, Balken und
Mauersteinen sauste an unserem Fenster vorbei, und Luftdruck und
Knall in unaufhörlicher Folge benahm uns fast die Besinnung. Nm
nächsten Morgen kam dann gewöhnlich ein Offizier zu uns und
stellte fest, daß noch alle am Leben waren. Mehrfach baten wir
den Kommandanten, uns doch wenigstens in das untere Stockwerk
zu bringen, da wir doch wehrlose Gefangene seien, aber vergeblich.
Bis am Sonntag, 6. September, ein Volltreffer unsere Frontwand
samt uns Gefangenen und den Posten, die vor unserer Türe standen,
so durcheinander warf, daß wir die vor Nngst zitternden Posten
einfach mitnahmen in das Treppenhaus. Wunderbarerweise hatte
niemand eine ernstliche Verletzung davongetragen, nur einigen waren
die Steine etwas unsanft gegen den Körper geflogen. Gleich danach
traf unseren Posten aber ein Granatsplitter und durchschlug ihm die
Brust. Da von seinen Kameraden sich niemand durch das Feuer
wagte, und auch kein Verbandzeug zur Stelle war, haben wir den
armen Kerl notdürftig verbunden, wofür uns der Kommandant nach-
her besonders belobte.
Jetzt ging es dem Ende zu. Die Wasserleitung war zerstört,
die Forts genommen, Kasernen und Häuser an den Wällen waren
zusammengeschossen. Da konnte Maubeuge sich nicht mehr halten.
Maubeuge wird unser!
31
Km Sonntag abend schon kam der Kommandant zu uns und sagte,
jetzt würden wir wohl bald die Herren sein. Er gab jedem die
Hand und fragte, wie wir behandelt worden wären,- wir möchten
doch zu ihren Gunsten bekunden,- das versprachen wir ihm auch,
da ja die Militärpersonen ganz gut zu uns gewesen waren. Be-
merken möchte ich noch, daß die in unserer Kaserne gleichfalls unter-
gebrachten Engländer sich nur mit Boxen und Essen beschäftigten und
in den Pausen aus den zerstörten Häusern raubten, was sie bekommen
konnten, sodaß sie von ihren schließlich wütend werdenden Bundes-
genossen fast wie Gefangene behandelt wurden. Der französische
Soldat ist jedenfalls in Gesinnung und Benehmen bedeutend mehr
wert als der englische, was ich auch schon früher feststellen konnte."
Über die saubere Arbeit unserer großen Brummer, der42-3entimeter-
haubitzen, haben wir einen Bericht des Amerikaners Irving S. Lobb,
Kriegsberichterstatter der „Zaturday Evening Post". Die Erzählung
bezieht sich aus das Fort Des Sarts.
„Das Fort Des Sarts ist 1883 angelegt, aber im Sommer 1913
weiter ausgebaut, also ein ganz modernes Fort, und seine Besatzung
wähnte sich in Sicherheit vor dem deutschen Angriff. Wie enttäuscht
und überrascht sie wurde, ist bekannt."
Der Amerikaner folgte bei seinem Besuche der Einschußöffnung
eines Treffers.
„Durch ein Loch in der ersten Brustwehr gingen wir hinein, dann
ging es über einen halb mit Trümmern angefüllten Graben, und
so kamen wir in das einstige herz des Forts, hätte ich nicht schon
eine gewisse Vorstellung von der vernichtenden Kraft der tonnen-
schweren, vier Fuß langen Geschosse gehabt, so hätte ich behauptet,
die Stelle, an der wir standen, sei stundenlang bombardiert worden,
daß Hunderte von Bomben hier eingeschlagen hätten. Nun aber
glaubte ich dem deutschen Hauptmann gern, als er mir erklärte,
wahrscheinlich hätten nur fünf oder sechs Geschosse das Ziel getroffen.
Mögen es selbst sechs gewesen sein! Aber was diese sechs angerichtet
hatten, läßt sich nicht beschreiben. Jetzt erst weiß ich, was das
Wort Thaos eigentlich bedeutet,- hier war es anschaulich definiert.
Alles zu schildern, ist nicht möglich, aber einige Einzelheiten werden
genügen, hier hatten sich die unterirdischen Gewölbe, die Schlafsäle,
die Magazine befunden. Alles war jetzt nur ein Loch im Loden,
und wir standen am Rand und sahen in die endlos scheinende Tiefe.
Als wir aufwärts blickten, sahen wir 40 Fuß über uns eine große
Öffnung im Erdboden klaffen. Um uns herum lagen Metallsplitter,
aus deren Form ich erkennen konnte, daß ich Stücke von einem
Schutzschilde einer Kanone vor mir hatten die Kanone war irgendwo
oben aufgestellt gewesen. Das Geschoß, das die Kanone zerstörte,
32
Maubeuge wird unser!
hatte die Panzerung hierher geschleudert. Ich suchte nach einem
vergleich, der den Eindruck des Panzerrestes schildern sollte, aber
ich fand ihn nicht; doch denke ich, wenn man sich einen irdenen
Topf von einem hohen Gebäude aus die Straße geworfen vorstellt,
hat man ein ungefähres Bild von dem Anblick. Alles um uns lag
in Trümmern, nur an der Mauer eines Raumes, der früher wohl
eine Dffizierskammer gewesen war, hingen noch ein paar eiserne
Bettstellen unbeschädigt, obwohl der Fußboden darunter wegge-
schlagen war. Die 42-3entimeter-Granaten haben die gleichen Launen
wie wirbelstürme. Der führende Stabsoffizier erzählte seinem Gaste
dann, wie sie die Ereignisse bei der Beschießung des Forts rekonstruiert
hätten: in die untersten Räume hatte sich die Besatzung geflüchtet,
und sie lag unter dem riesigen Trümmerhaufen begraben. Dann
ging man weiter durch den Hinteren Ausgang ins Freie, und hier
erzählte der deutsche Offizier dem Amerikaner, was für ein furcht-
bares, unauslöschliches Schreckbild er an dieser Stelle gesehen hatte,
hier nämlich hielt er, als das Fort die weiße Flagge ausgezogen
hatte, und hier sah er den Rest der Besatzung, an die 200 Mann,
aus dem rauchenden, brennenden Fort flüchten. Sie machten den
Eindruck von Wahnsinnigen, sie kamen taumelnd, nach Lust schnap-
pend, heraus, fallend und wieder aufstehend, offenbar geistig zu-
sammengebrochen. Der Rauch, die Gase, das Feuer, die Erschütterung,
alles, was sie überstanden und nun hinter sich hatten, hatte sie toll
gemacht; sie tanzten, sangen, schrieen, lachten und brüllten wie sinnlos,
bis sie niederfielen."
So haben wir uns die breite Straße nach dem herzen Frank-
reichs gebahnt — eine weit geöffnete Rampsbahn, aus der, wenn
hindenburg die Russen auf die Rniee gezwungen haben wird, die
Hunderltausende aus dem Osten wieder zurückfluten werden, um dem
Erbfeind den glorreichen Frieden zu diktieren, auf den wir in stolzer
Zuversicht harren. Gott füg' es in Gnaden!
Don den „Deutschen Jugendheften" sind im Verlage der
Buchhandlung £. ctuer in Donauwörth erschienen:
1. W. Hauff, Die Höhle von SteenfoII 10 Pfg.
2. Heinrich SienKiewicz, In Nubien gefangen 15 ..
3. Heinrich SienKiewicz, Afrikanische Abenteuer 15 „
4. Handel-Mazetti,'s Engerl, eine Wiener Erzählung 15 „
5. Hackländer, polizeimeister Abugosch 15 „
6. Paul Keller, Gedeon 10 „
7. M. Lervantes, von Efuixote, der verrückte Ritter 10 „
8. Leo Tolstoi, Im Kaukasus gefangen 10
y. Fr. Gerstäcker, Richter Black 20 „
10. Bret Harte, Geschichten aus Kalifornien 10 „
11. Defoe, Robinson Trusoe 30 „
12. Joseph Spillmann, 8.^., Der lange Philipp 10 „
13. 3- 5- Looper, Der letzte Mohikaner 20 „
14. Kamr-al-Akmar, Prinz von Persien.
Tin Märchen aus Tausendundeiner Nacht 10 „
15. Th. Mügge, Sam Wiebe 10 „
16. Aus den Fluten des Ganges. Tin nächtliches
Abenteuer aus den Missionen 10 „
17. Schönaich-Larolath, Die Kiesgrube und
W. Hauff, Das Märchen vom falschen Prinzen 10 „
18. Felix Rabor, Fünf Kriegsnovellen 10 „
19. Irving, Das Vermächtnis des Mauren 10 „
20. Tolstoi, Russische Erzählungen 10 „
21. Tortez, Der Untergang des Aztekenreiches 10 „
22. Hjalmar Boqefen, In Todesnot; Dostojewski;,
Weihnacht, und Korolenka, In der Gsternacht 10 „
23. Looper, Der rote Freibeuter 20 „
24. See-Abenteuer 10 „
25. Aus glühendem Pfad. Eine Erzählung a. Kolorado 10 „
26. Deutsche Sagen: 1. parzisal. 2. Lohengrin.
3. Ring der Nibelungen 10 „
27. Das Mädchen aus Sibirien 10 „
28. 3- S■ Lentner, Geschichten aus den Bergen 10 „
29. Edmondo de Amicis, von den Apenninen
zu den Anden 10 „
30. F. de Thateaubriand, Die Abenteuer
des letzten Abencerragen 10 „
31. kfeinrich Waiden, In Feindesland 10 „
32. 3- K. Brechenmacher, von Lüttich über Namur
. . ' nach Maubeuge 10 „
Die Sammlung wird sorlgesehl!