88 Tignale. der weltabgeschiedene Winkel auch Grenzpunkt der drei Bis- thümer von Trient, Brescia und Verona; die beiden ersteren begrenzten sich hier zu Lande, zum Gebiete des Bisthums Verona gehörte die ganze Seeoberfläche. Auf diese That- sache spielen die Verse in Dante’s „Hölle“ XX. Gesang): Luogo e nel mezzo lä clove il Trentino Pastore, e quel di Brescia, e il Veronese Segnar potria, se fesse quel cammino an. Erst Kaiser Josef II. schied die Gemeinde Tremosine aus dem Trient er Bisthum aus und theilte sie demjenigen von Brescia zu. Auf der Nordhälfte des Deltas stehen die Ruinen einiger durch plötzliche starke Wildwässer des Tignalga 1807 zer¬ störten Schmelzwerke und des ebenfalls in Trümmer gelegten uralten Kirchleins S. Ercolano, welcher Heilige im 5. Jahrh. hier gelebt haben soll und als Schutzpatron der Riviera ver¬ ehrt wird. Auf dem südlichen Ufer eine grosse Wollspinnerei, die vielen fleissigen Händen Arbeit und Brot giebt. Von Campione führt ein felsiger und steiler Steig, der Sentiero del Salto, in der engen Klamm des Tignalga hinauf nach der Ortschaft Pregasio (477 m). An den steilen Wänden des Monte Castello (779 m) mit einer berühmten Kapelle der Madonna di M. Castello oben auf der Höhe — angeblich soll das Heiligthum von dem Scaliger Mastino II. um 1350 als Zufluchtsort für seine Familie begründet worden sein — und an der Punta diForbisicola vorüber, erreicht der Dampfer Tignale (Barkenlandung), wie Tremosine nur die Lande¬ stelle für eine Gemeinde, deren zugehörige fünf Weiler an der oberen Lehne der Berge liegen. Die Stelle, wo der Dampfer hält, heisst eigentlich die Hungerwiese (Pro, della ferne), weil hier der Ueberlieferung nach einst Schiffbrüchige, von jeder Verbindung abgeschnitten, in letzter Stunde durch zufällig vorbeisegelnde Schiffer vom sicheren Hungertode ge¬ rettet wurden. Südwärts mündet die V a 11 e d i P io v e r e mit einer engen Schlucht, aus der ein Bach in den See stürzt; das nördliche Thal ist die Valle di Oldes io. Die Berglehnen fallen allmählich weniger steil und unver¬ mittelt zum See ab und verlieren, je weiter der Dampfer seine Reise gegen Süden fortsetzt, mehr und mehr den Charakter wilder Felsschroffen, den sie bisher auf dem grössten Theil der Fahrt gezeigt. Der Blick schweift südwärts über die meeresgleiche Wasserfläche und das Cap San Vigilio nach Peschiera und zu den niederen Hügeln des Südufers, während im Osten die stolzen Kuppen des Monte Baldo sich auf- thürmen, dessen höchste Erhebungen, die Cima di Val Dritta (2218 m) und die Punta del TeUgrafo oder Monte Maggiore