Noch zweier Verbrechen sei gedacht. Am 3. Oktober 1894 fiel die im 6. Lebensjahre stehende Olga, Toch¬ ter des Kaufmanns Julius F a n 11, einem Lustmord zum Opfer. Das Kind wurde unter ungeheuerer Betei¬ ligung aller Volksschichten zu Grabe getragen. Am 3. November 1929 wurde auf einem Spaziergange auf einem frequentierten Waldwege an einem Sonntag Vormittag der 23 Jahre alte, ledige Prokurist Erwin Löwy durch Kopfschüsse getötet. Die Leiche wurde in Wien beigesetzt. Beide Morde blieben unaufgeklärt und ungesühnt. Für die Aufnahme des K. V. Liebitzky und des Joa¬ chim Deutsch in den Geimeindeverband stimmten trotz der warmen Befürwortung des Stadtrats Dr. Sieber in der Collegiumssitzung vom 10. Februar 1866 von den Anwesenden 28 Stadtverordneten nur 10. Am nächsten Tage veröffentlichte hierüber die „R. Ztg." einen Leitartikel: „Die erste Probe hat der Liberalis¬ mus nicht bestanden. Eine Stadt wie R., ist engherzig genug, den ersten beiden Israeliten, die um Aufnahme in den Gemeindeverband baten, eine vollständig un¬ motivierte und unmöglich gehaltene Abweisung zu teil werden zu lassen. Irgend ein dunkles Gefühl, ein unerklärlicher Drang und naive Präjudiz muß zu der Ablehnung geführt haben, als sie in der zweiten Hälfte des 19. Jh. eine Entscheidung traf, die eigentlich um eine geraume Weile zu spät kommt. Der Grund liegt in der einfachen Form, die Bittsteller wurden zurück¬ gewiesen, weil sie Juden sind." Joachim Deutsch, der sein Ansuchen erneuerte, wurde bald darauf das Bür¬ gerrecht verliehen. Bis 1874 erwarben noch andere 8 Juden die Zuständigkeit. Im Stadtverordnetenkolle¬ gium, einer Körperschaft, in der bisher nur sachliche Arbeit geleistet wurde, erfolgte ein antisemitischer Vorstoß. In der Sitzung vom 9. Dez. 1890 erklärte Stadtverord. Dr. Jenneil, „daß die Zunahme der Rei- chenberger Bevölkerung wesentlich auf die Zuwande¬ rung zweier fremder Volkselemente zurückzuführen sei, deren Vermehrung der Stadt nicht zum Vorteile gereiche, des einen nicht, weil es meist proletarische Existenzen zuführe, die auf den Arbeitsmarkt drücken und wie die Kriminalstatistik nachweist, auch das sitt¬ liche Durchschnittsgefühl beeinflussen; des anderen nicht, weil dessen Anwachsen und Wohlbefinden in einem Lande oder Orte stets mit der Verarmung der einheimischen Bevölkerung Hand in Hand gehe.64 Diese Äußerung enthielt eine ungeheure Beleidigung der beiden Minoritäten der Stadt, der Cechen und Ju¬ den. Erst durch eine Bemerkung in der „R. Ztg." sei¬ tens dieses Redners wurde man auf den Angriff gegen die Juden aufmerksam gemacht. Stadtverordneter Oscar Hasenöhrl wies in der nächsten Sitzung den Angriff auf die Israeliten, die auch in sprachlicher und nationaler Beziehung stets ihre Pflicht erfüllt haben, zurück und forderte den Bürgermeister auf, die angetane Beleidigung in entsprechender Weise zu sühnen. Auch Stadtverordneter K. V. Heinrich Längstem wies den Angriff zurück. Für seine mannhafte Abwehr wurde ihm in der nächsten Sitzung des Kultusgemein¬ devorstandes der Dank ausgesprochen. Die Antwort des Bürgermeisters, die er den beiden Interpellanten erteilte, war sophistisch. Er übersah völlig, daß die Äußerung des Dr. Jennel, wenn auch nicht in der Form, so doch in der Sache eine verallgemeinerte Be¬ schuldigung und arge Beleidigung der Juden enthielt. Jahrelang zitterte noch in der Judenschaft von R. die Aufregung über diese Debatte im Stadtparlamente nach. Der Unwille hätte sich aber nicht nur gegen den Urheber, sondern auch gegen den damaligen Bürger¬ meister Dr. Schücker richten sollen. Sein Standpunkt war übrigens nicht zu verwundern. Denn das antisemi¬ tische Tagesblatt in R., die „Deutsche Volkszeitung", die vom Herbst 1885 bis Ende November 1919, also 34 Jahre erschien, betrachtete man allgemein als „Stadträtliches Organ". Noch zu Beginn der 90er Jahre trieb ein überspitzter Nationalismus sein Un¬ wesen, indem dem damaligen K. V., der obendrein Mit¬ glied der Stadtvertretung und des Bezirksschulrates war, die Aufnahme in den Gemeinde verband versagt blieb und Juden aus paar Vereinen verdrängt wurden. Der Weltkrieg. Auch unsere Gemeinde brachte dem Vaterlande Opfer an Gut und Blut. 18 Söhne und Angehörige derselben haben im Weltkrieg ihr Leben fürs Vater¬ land geopfert. Es sind dies: Breslauer Ernst Lederer Oswald Deutsch Albrecht Lustig Emil Freudenfels Otto Mendl Arthur Hermann Arthur Netti Hans litis Rudolf Netti Richard Iltis Theodor Pollak Alfred Jerusalem Viktor Schallheim Oswald Kraus Alfred Winterberg Fritz Längstem Julius Dr. Winternitz Fritz. Ewigen Ruhmes Schimmer sei ihr Anteil! Der Erin¬ nerung an die Gefallenen ist ein Heldendenkmal auf Heldendenkmal für die Gefallenen dem Friedhofe und eine Gedenktafel im Tempel gewid¬ met. Außerdem wird ihrer bei der Seelenfeier gedacht. Alle Kräfte sollten nur auf ein Ziel, den Sieg kon¬ zentriert werden. Deshalb wurde in der Gemeinde¬ vertretung die Vermeidung von Neuwahlen, die sta¬ tutenmäßig Mitte September hätten stattfinden sollen, angestrebt. Demgemäß ersuchte der Vorstand, an des¬ sen Spitze Dr. Wilh. Fleischer stand, die Aufsichts¬ behörde, die Neuwahlen erst drei Monate nach dem Friedensschluß einzuleiten und bis dahin die Geschäfte durch die derzeitige Vertretung fortführen zu lassen. 559 Reichenberg 31