Geschichte der Juden in Gablonz. Bearbeitet von Siegmund Urabin, Gablonz. Die Ansiedlung von Juden in Gablonz (c. Jablonec n./N.) geschieht erst ziemlich spät. Denn G. war jahr¬ hundertelang ein armseliges Dorf, das den handeltrei¬ benden Juden wenig Gelegenheit bot, hier Geschäfte zu machen. In späteren Jht. duldete die Gutsherr¬ schaft Kleinskai, zu der G. gehörte, keine Juden auf ihrem Gebiete. Zwei Umstände waren es, die G. groß machten: Erstens die Erfindung des Glasdruckverfahrens, die es ermöglichte, kleine Glasgegenstände rasch in großen Mengen herzustellen und eine beispiellose Vielseitigkeit der Glaskleinindustrie ermöglichte; zweitens die Ansiedlung von Juden in G., die die Mög¬ lichkeiten entdeckten, die in der Gablonzer Industrie schlummerten. Wie der Chronist Benda (1877) und Lilie (1894) berichten, war der erste Jude, der sich ständig in der hiesigen Gegend aufhielt, Salomon A 1 t s c h u 1, der sich im J. 1770 in Kleinskai als Pächter der dor¬ tigen Branntweinbrennerei niederließ. Wie Benda mitteilt, wurde am 3. Feber 1773 mit dem erwähnten Salomon Altschul in Kleinskal ein Protokoll aufge¬ nommen. Er wurde nämlich beschuldigt, fremde Juden veranlaßt zu haben, in das Gebiet der Gutsherrschaft einzudringen und den Glashandel an sich zu ziehen. Die grundherrliche Gerichtsverwaltung drohte mit schweren Strafen, wenn dieser Unfug nicht abge¬ stellt werden sollte1). Auch in Grünwald bei G., das nicht zur Herr¬ schaft Kleinskal gehörte, sollen sich gegen 1770 Ju¬ den aufgehalten haben. Wie jedoch Lilie berichtet, trug nach Ankauf von Grünwald durch die Herrschaft Kleinskal der Inspektor Johann Ferdinand Fischer am 18. Okober 1776 dem Ortsrichter Josef Kittel von Daniel Mendel Dr. Hermann Adler Amts wegen die Vertreibung des Israeliten Bernhard Israel auf 2). Obwohl sich schon i. J. 1847 der erste Jude dau¬ ernd in G. niedergelassen hatte, kamen Juden in größerer Anzahl erst gegen 1860 nach G. Wenn die Juden etwas in die hiesige Gegend zog, so war es die Erkenntnis, daß aus der Glasindustrie der hiesigen Gegend ein schwunghafter Handel erblühen könne. In dieser Hinsicht aber zog das benachbarte Morchen- stern die Juden mehr an wie G., denn dort war das eigentliche Herz der Glasindustrie. Aber die Bürger von M. setzten sich den Bestrebungen der Juden ent¬ gegen, indem sie beschlossen, diesen weder Wohnun¬ gen zu vermieten noch Grundstücke zu verkaufen3). So wandten sich die Juden notgedrungen nach G. Hier erschlossen sie der Industrie neue Absatzgebiete. Sie waren es, die G. in der Welt bekannt machten und der Industrie so ausreichende Beschäftigung boten, daß G. zusehends emporwuchs, mit einer Schnelligkeit, wie sie hierzulande wohl einzigartig geblieben ist, während Morchenstern weit zurückblieb. Die alte Generation, die mit ansah, wie die Juden nach G. kamen und was sie für G. gemacht hatten, würdigte das Verdienst dieser Juden. Juden standen damals im öffentlichen Leben der Stadt an hervor¬ ragender Stelle, wie Daniel Mendel, der die Würde eines Stadtverordneten eines Stadtrates bekleidete, ¡langjähriges Mitglied der Finanzsektion war, wie JUDr. Hermann Adler, der Gründer des Verfas¬ sungsvereins, langjähriger Obmann des Deutschen Schul Vereins. Als im J. 1894 nach jahrelanger Vor¬ bereitung der G.-Tannwalder Lehrerverein eine Ge¬ schichte des politischen Bezirkes G. unter der Schlußredaktion von Adolf Lilie herausgab, da konnte man nicht umhin die Verdienste der Juden¬ schaft ausdrücklich anzuerkennen. In diesem Werke, das nicht nur von 13 Lehrern, Oberlehrern und Schuldirektoren der hiesigen Umgegend gezeichnet ist, sondern an dem die gesamte Bevölkerung mitge¬ arbeitet hatte, in diesem Werke, das also nicht die Ansicht eines Einzelnen darstellt, sondern ein Doku¬ ment der Überzeugung der ganzen hiesigen Bevölke¬ rung jener Zeit ist, in diesem Werke heißt es wörtlich: „Man kann ihnen (den Juden) das Zeugnis nicht versagen, daß sie durch ihre geschäftliche Umsicht und Rührigkeit der Gablonzer Industrie neue Ab¬ satzgebiete in den fernsten Weltteilen erschlossen, überhaupt zu deren Förderung viel beigetragen haben. Im allgemeinen muß der Opfersinn, mit welchem die Israeliten gemeinnützige und nationale Zwecke jederzeit in rühmenswerter Weise unter¬ stützen und fördern (Dr. Adler war lange Jahre hin¬ durch Obmann der hiesigen Männerortsgruppe des deutschen Schulvereins, Koppelmann Lederer grün¬ dete den Fischereiverein), sowie ihre große Schul¬ freundlichkeit besonders hervorgehoben werden." Vor dem J. 1847 kamen aus den vorbesprochenen Gründen Juden höchstens vorübergehend nach G., meist durchziehende Hausierer. Erst im J. 1847 läßt sich als erster Jude Salamon Lustig aus Neubidschow hier nieder. 10 145 Gablonz 1