10 Einleitung Name Rosst oder Rhos bei den Esten und Byzantinern vermutlich von den Ruodslagen, Rudergemeinschaften, stammt, in die zur Zeit des ältesten Königtums in Schweden, im 9. Jahrhundert n. Chr., die schwe dische Küste eingeteilt war. Diese Genossenschaften waren Wehrbezirke, und die rudernden Wikinger hießen die Ruodsen. Sie kamen über die Ostsee, drangen in die Ströme ein, die im Slawenlande entsprangen und auf finnischem Boden mündeten, fuhren die Gewässer aufwärts und gründeten unter den Anwohnern ihre Herrschaft. Diese wuchs zuerst von Norden nach Süden- früher oder später aber mußte das russische Wachstum auch die Richtung nach Westen einschlagen. Deutschtum und Russentum waren damit von Anfang an dazu bestimmt, aufeinander zu treffen. Der erste deutsch-russische Zusammenstoß geschah um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert, im baltischen Küstengebiet zwischen der Düna und dem finnischen Meerbusen, auf livischem und estnischem Boden. Die Deutschen gewannen dabei Livland den Russen ab, und es wurde auf Jahrhunderte eine Vormauer für Deutschland und die westliche Kultur gegen das von Osten herandrängende Russentum. Mit der später geglückten Eroberung Livlands beginnt die russische Abermacht in Europa, und die livländische Geschichte in ihrem Zusammen hang mit den großen und allgemeinen Ereignissen des europäischen Geschehens hat von ihren Anfängen bis auf die Gegenwart stets einen sicheren Anzeiger des Verhältnisses zwischen Deutschtum und Russen tum gebildet. Das galt bis heute und das gilt auch für den Krieg, in dem wir stehen. Es ist nun schon das dritte Mal in sieben Jahr hunderten, daß zwischen Deutschen und Russen eine große Entscheidung auf baltischem Boden fällt. Darum hat es ein nicht geringes Interesse, diesen Zusammenhängen durch eine Darstellung der Geschichte Livlands unter dem Gesichtspunkt des säkularen deutsch-russischen Kampfes nach zugehen. Um hierfür die notwendige Grundlage zu gewinnen, müssen wir uns erst die normannisch-germanischen Anfänge Rußlands und danach die Ausbreitung des alten russischen Staates und seine Ver wandlung in ein slawisches Gebilde vergegenwärtigen. Das 9. Jahrhundert n. Chr. war die Blütezeit der Normannen züge. Auf dem „Westweg" führten sie durch die Nordsee und den Atlantischen Ozean bis ins Mittelmeer, und auf dem „Ostweg" durch die großen Wasserläufe im Westen des heutigen Rußland nach Kon stantinopel. Durch den finnischen Meerbusen gelangten die Nor mannen in die Newa, von dort nach dem Ladogasee und auf dem mächtigen Wolchowfluß zum Ilmensee. Am Ausfluß des Stromes -aus dem See lag der große Handelsplatz Nowgorod. Die Slawen