260 Der Kamps um Ndrianopel. co ersten Linie; sie kehren mit schwerfälligen Büffel- und Ochsengespannen, die Verwundete führen, zurück. Alles geht so ruhig ?», das) man auch da nicht glauben würde, das) Mann und Tier erst seit 14 Tagen diesen schweren Dienst leisten. Der Sanitätsdienst hinter der Front ist wohl das einzige, was wirklich ungenügend war. Aber Bulgarien hat da mit der Hilfe Europas ge rechnet und wirklich hat der Dienst bis jetzt den Anforderungen im großen und ganzen genügt. Notspitäler sind errichtet worden, Betten und Decken wurden requiriert und im Handumdrehen war alles da. Dieser Krieg ist ein ernster Krieg. Die Bul garen wußten es so gut, das) sie ihre Verluste auf ein Viertel der Armee schätzten — also etwa 70.000 Mannl Trotzdem sind sie in den Krieg gezogen und obwohl der Kern der Nation verblutet, bewahrt das Land eine ruhige und würdige Haltung. Bei den Opfern der bulgarischen Siege. Der bulgarische Siegeslauf hatte die ganze Welt in hohem Maße überrascht, aber er war von Anfang an mit schweren Opfern erkauft worden. Mir haben bereits gesehen, daß auf den Hügeln bei Kirkkilisse Tausende von Bul garen gefallen waren, daß die Blüte der Nation sich in den Weingärten der türkischen Festung verblutet hatte. Enorm waren die Nücktrans- porte Schwerverwundeter aus derFront; Mustapha Pascha, Stara Iagora und Sofia verwandelten sich in Lazarette, in denen das Stöhnen der Verwundeten den Jubel über die erfochtenen Siege übertönte. In der bulgarischen Hauptstadt selbst hatte man Gelegenheit genug, sich mit den Opfern des Krieges zu befassen. Aus Sofia, Anfang November, schreibt der Kriegsberichterstatter der „Kölnischen Zeitung", N. v. Mach: Das Bulgarenvolk ist hart. Man nimmt ohne Tränen Abschied, man stirbt still, sozu sagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit, man ist wie ein Körnchen im Sandmeer, das Vater land heißt. Der einzelne bedeutet wenig oder nichts. Als vor einigen Jahren jemand dem damaligen Kriegsminister sagte, daß er doch für rechtzeitige Anschaffung von Verbandzeug für die Truppen sorgen möge, fand das kein Verständnis; dem Minister soll diese Fürsorge unmännlich erschienen sein. So sind dann die Bulgaren ohne das kleine Verbandpäckchen, das in den meisten Heeren dem Soldaten mitgegeben wird, ins Feld gezogen. Die Verwundeten hantierten ohne viel Lärm mit dem, was sie gerade hatten und manche Wunde war mit Zeitungspapier ver klebt, als sie dem Arzt unter die Hand kam. Dann mußte mit dem ersten Verband nicht selten noch auf Ochsenkarren über Berg und Tal auf grundlosen Wegen eine Reise von mehreren Tagen gemacht werden, bevor man an die Bahn gelangte. Dort fand man keine ein gerichteten Wagen für Verwundete, im Ein- und Ausladen war niemand geübt, neue Leiden warteten. Und selbst in den großen Lazaretten der Hauptstadt wie der Provinz war keineswegs alles fertig, als die ersten großen Züge der Verwundeten eintrafen. Auf blutigen Trag bahren, auf Matratzen und Stroh wurden viele gebettet, bis dann endlich Betten in genügender Zahl aufgetrieben waren. Wahrscheinlich hat sich kein Bulgare darüber beschwert; und nicht einen einzigen Schmerzensschrei habe ich gehört. „Nema nischto", das macht nichts, sagt der Bulgar. Er sagt es, wenn man ihn fragt, ob wirklich die Frauen keine Mitteilung erhalten, sobald ihre Männer gefallen oder verwundet sind und er sagt es, sobald er von anderen Leiden für das Vaterland hört. ,,Nema nischto”, bes towa ne mosche”, das heißt: das macht nichts, ohne das geht es nicht. Daß man aber trotz dieser Härte nicht ver härtet ist, zeigen uns die bulgarischen Frauen. Wie alles, was auf zwei Beinen stehen und eine Flinte handhaben kann, hinausgezogen ist, so will auch die bulgarische Frau in diesen großen Tagen überwältigender Ereignisse nicht müßig bleiben. In den Städten und Dörfern werden Bettzeug und Krankenwäsche genäht, die fleißigen Hände der Bulgarinnen schaffen im Dienste des Vaterlandes. Sauber gewaschen und gebügelt wandern die Ballen in die Krankenhäuser. Bahnhof Sofia. Man sieht Anläufe, hier und dort nicht nur Nützliches, sondern auch Schönes zu schaffen. Aber die Muße dazu fehlt, das Notwendige ist noch nicht über wunden. So sind die Anlagen am Bahnhof etwas wüst und eignen sich gut zu dem Haufen türkischer Gefangener, der dort lagert, bewacht vom Landsturm ohne Uniform, aber mit dem Löwen oder dem Kreuz am Kalpak. Das schöne gelbe Lederzeug, das Mahmud Schefket in so großen Mengen als Kriegsminister angeschafft hatte, findet auch den Beifall des Landsturmes. Die alten Herrschaften haben sich die Leib riemen und die Patronentaschen der Türken an eignen dürfen und sind stolz darauf. Die Türken schauen gelangweilt in die Welt. Ein Tschausch (Unteroffizier) blickt erstaunt auf andere Haufen Landsturm, die geordnet vorüberziehen, dem Bahnhof zu. Ich frage ihn auf türkisch, was er denn zu den Ereignissen sage. „Man hat uns getäuscht," erwidert er ernst. „Man hat uns gesagt, daß es nur wenig Bulgaren gebe; jetzt sehen wir schon 10 Tage nichts als bul garische Soldaten, Hunderttausend, Millionen, was weiß ich."