202 Die türkische Niederlage bei Lüle Burgas. □□ von Byzanz oft genug geschaut hat. Aber dies mal kamen die gefangenen Bulgaren nun leider nicht. Die Polyei sprengte wütend auf die immer mehr anwachsenden Scharen ein. Ein eisiger Wind wehte durch die Herbstnacht; aber die Leute von Stambul harrten auf ihren Plätzen von einem Gebetsruf zum anderen und vergasten darüber Heiliges und Unheiliges. Ein anderer Anblick würde sie mit grösterer Genugtuung haben erfüllen können. Das waren diese prächtigen Ba taillone aus dem vierten Armeebezirk Erzemm, die gestern durch Stambul zo gen. Aach all den Aedifdivisionen mit ihrem bunten Ge misch von Mann schaften boten diese auserlesenen Regi menter in tadelloser Ausstattung und Uniformierung einen herzerfreuenden An blick. Ihre grauen Bafchliks geben den Leuten einen echt asiatischen Anblick. Diese östlichen Tür ken und Kurden zeigen unter diesem malerischen Kopf putz Profile, die an diejenigen auf den Parther- und Sassa- nidenmünzen er innern. Ihre Be wegungen sind frisch und schneidig. Die Truppe lästt er kennen, dast man sich viel Mühe mit ihrer Ausbildung gegeben hat. Gestern waren sie von der langen, anstrengen den Äeise äusterst ermüdet. Einen baumlangen „Tschanosch" hörte ich einem würdigen Effendi gegenüber, der sich teilnehmend nach seinem Befinden erkundigte, über die Ermüdung klagen. Die ganze Aacht sei er auf Posten gewesen und habe kein Auge zugetan. „In einer solchen Zeit wie dieser," bedeutete ihm der alte Herr, „ist es natürlich, dast Ihr viel zu ertragen habt, mein Sohnl Aberdenke an das Vaterland und denGlaubenl" Der Tfchanosch rückte seinen Patronengürtel zurecht und nahm eine martialische Haltung an. Es schien, als ob ihn diese Worte seine Müdig keit vergessen machten. Der Hornist der Kom pagnie hatte eben sein Horn von der Schulter gerissen und schmetterte ein helles Signal in die Herbstluft. Die Truppe ordnete sich, um auf den Bahnhof zu rücken. Sie wird den Bulgaren mehr zu schaffen machen, als die müden und abgehetzten Aedifs, die noch in zerrissene Uni formen der absolutistischen Zeit gekleidet, zum Teil sogar noch in ihren buntgestickten Bauern kleidern stecken, am Wege hockend, vor sich hinbrüteten. Der Halbmond verfinstert sich.Daran ist nicht mehr zu zweifeln. Aber es gibt noch genug Menschen, denen diese Eklipse zu Her zen geht. Sie er warten voll Ver trauen, dast die Mondsichel bald wieder hell und scharf am Himmel erscheint. Kein Volk ist so reich an jugend lichen Idealisten,wie die Türkei, in keinem Volke schlagen so leidenschaftliche Her zen für die Wieder geburt ihres Landes. Aber das türkische Volk hat zu lange gebraucht, um die tiefe Kluft, die es von westlicher Kultur trennt, zu über brücken. Ein junger türkischer Dichter hat einmal dem Gefühl der Distanz, das der Orientale dem eu ropäischen Wesen gegenüber hat, in ergreifender Weise Ausdruck verliehen. Er belegt dieses Gefühl mit der ebenso wahren wie harten Bezeichnung „Groll". Es ist noch mehr. Es ist Hast und Misttrauen. Das Verhängnis hat es so gewollt. Die geschichtliche Entwicklung hat die Kluft zwi schen West und Ost immer mehr vertieft. Die edelste Eigenschaft des osmanischen Stammes, den ritterlichen Stolz, hat sie in Trotz verwandelt, die träumende Sinnlichkeit in moralische Schwäche, die philosophische Gleichgiltigkeit des Derwisch- tums gegen die Realität der Dinge in sträfliche