Die Stimmung in Konstantinopel nach den Niederlagen bei Kirkkiliffe und Kumanovo. beiden schweren Riederlagen, welche die türkische Armee auf dem östlichen ^y)l/ und auf dem serbischen Kriegsschau- ^ » platz erlitten hatte, muhten selbstver ständlich in der osmanischen Hauptstadt M großen Besorgnissen Anlaß geben. Zunächst versuchte die türkische Regierung die Nieder lagen abzuleugnen, oder doch den Eindruck ab zuschwächen, den sie Hervorrufen mußten. Cs ist von Interesse, wie sich am 26. Oktober, zwei Tage nach den großen Schlachten, die Stim mung in Konstantinopel darstellte. Ein Korre spondent schreibt darüber: Als die Hoffnungen auf die Vermeidung der kriegerischen Ereignisse auf dem Balkan immer geringer wurden und der Krieg schließ lich nicht mehr aufzuhalten schien, suchte man allerseits nach den europäischen Diplomaten, horchte man ängstlich auf den Ton, den das europäische Konzert von sich geben würde. Ver gebens suchte man in dem Gerichtssaal, in dem die Streitenden abgeurteilt werden sollten, nach den Richtern. Der Brand war angesteckt. An ein Löschen war nicht mehr M denken. Daher begrüßte sich Europa und gefiel sich in der Rolle des Zuschauers, nur darauf bedacht, nicht etwa selbst aus dem Gleichgewicht )u fallen. Wie lange es in dieser passiven Stellung ver harren werde? Das war die Frage, die man fogleich nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten stellte. Daß die Mächte einem monatelang an dauernden Schlachten ruhig Zusehen werden, daran hat wohl niemand geglaubt, viel eher an die Wahrscheinlichkeit, daß Europa nach der ersten entscheidenden Schlacht die Hand in den Gang der Ereignisse legen wird. Die öffentliche Meinung der Türkei hat sich gleich beim Ausbruch des Krieges die Möglichkeit eines solchen Endes vergegenwär tigt und die Konsequenzen in Betracht gezogen, die sich aus einer Intervention der Mächte für die Türkei ergeben werden. Mit einem etwas unangenehm berührenden Hurrageschrei haben die Türken den Gedanken an eine Intervention abgewehrt: bis aufs Messer sollte gekämpft werden. Es ist nicht ausgeschlossen, ja wohl wahrscheinlich, daß bei dieser Interventions abwehr unangenehme Erinnerungen an die von den Mächten bisher in Szene gesetzten Konfe renzen maßgebend waren, bei denen das otto- manische Reich, insoferne es daran beteiligt war, nie zu seinem Vorteil abgeschnitten hat. Die Vermutung, daß die Türkei in jedem Fall, ob sie nun nach fchwerem Kampf aus den Schlachten als Sieger hervorgeht oder nicht, die schlechtere Karte ziehen würde, wehrte sich gegen eine europäische Intervention bis zum letzten Augenblick. heute ist das Schlachten in vollem Gang. Viel Blut ist bereits geflossen. Roch ist keine Entscheidung den Ereignissen in den Weg ge treten. Rur das Bewußtsein hat sich auch in allen türkischen Kreisen ausgedehnt, daß die Stunden des Ernstes gekommen sind. Auch in denjenigen Kreisen, deren Führer die grüne Fahne entrollten, mit der sie, selbst unter der Gefahr, vollkommen vernichtet zu werden, über die Leichen des Feindes stürmen wollten. Dieser Ernst der Stunde, in der noch mit wechselnden Erfolgen gekämpft wird, hat einen Meinungs umschwung auch in der türkischen Presse zur Folge gehabt. Der französische Ministerpräsident hat neuerdings gesprochen und eine Intervention zur Beendigung des Krieges in Aussicht gestellt, und der türkische Ministerrat hat sich am Frei tag — eine durchaus ungewohnte Begebenheit — mit dieser Angelegenheit beschäftigt. Die öffentliche Meinung tut jetzt desgleichen. Die Tatsache ist unverkennbar, daß sich auch hier die Meinung zugunsten einer Intervention ver schoben hat, und daß auch die Türkei Herrn poincare für eine günstige Lösung dank wissen würde. Den Weg zu finden, daß die Lösung nicht zum Rachteil der Türkei geschehe, bleibt nun Sache der Mächte. Eine gedrückte Stimmung liegt über der haupstadt des ottomanischen Reiches. Fast keine Rachrichten kommen vom Kriegsschauplatz. Die wenigen, die hier eintreffen, sind kaum darnach, eine siegessreudige Stimmung vorzubereiten. Die offiziellen Meldungen haben eine merk würdige Färbung: noch gestern abends sprachen