handelt zu werden pflegen in dem Augenblicke, wo sie unan¬ genehme Verpflichtungen auferlegen (siehe Italien jetzt!), nicht mit der Nibelungentreue Deutschlands gerechnet und schreckte vor einem solchen Kampfe noch zurück; dazu fühlte sich Rußland eben noch nicht stark genug. So wurde ab¬ gewiegelt, und der europäische Friede blieb erhalten. Da kam es unmittelbar darauf in Konstantinopel zu einem Umschwünge, von dem auch England überrascht wurde: dem Ausbruch der jung-türkischen Bewegung, die den Zweck hatte, den morsch gewordenen Bau des türkischen Reiches zu verjüngen und mit neuer Kraft zu erfüllen. Wenn sie ge¬ lungen wäre, so hätte sie auf die weitere Entwicklung der Balkanstaaten stark hemmend einwirken können und das mußte um jeden Preis verhindert werden. Darum kam es unter der Leitung von Rußland und England zur Bildung des Balkanbundes und zum Kriege desselben gegen die Tür¬ kei. Diese, mitten in ihrer Neubildung begriffen, brach vor dem vereinigten Angriffe zusammen und die Balkanstaaten tri¬ umphierten. Gewehr bei Fuß hatte Österreich-Ungarn diesem Ereignisse zugesehen, und dabei Beweise für seine Friedens¬ liebe gegeben, die gar nicht mehr zu überbieten waren. Aber als dann Serbien seine Hand nach der A d r i a k ü st e ausstreckte, und Montenegro Skutari behalten wollte, da mußte die österreichische-ungarische Monarchie Einspruch erheben, und sie konnte es um so leichter tun, als sie dabei Italien durchaus auf ihrer Seite fand. Der Dreibund stand einig dem Drei¬ verbände gegenüber, und vor einem solchen Kampfe wich letzterer zurück. So legte sich Lord Grey ins Mittel, und auf den Botschafterkonferenzen in London wurden die Balkan¬ verhältnisse notdürftig geordnet, Serbien und Montenegro wiegelten ab, der Friede blieb gewahrt. Man hätte bei ober¬ flächlichem Hinschauen wirklich meinen können, daß Lord Grey der Friedensapostel von Europa sei; seine spätere 26