104 Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. drückten Ägypten Leben und Freiheit wiederzugeben. Das von getreuen Muselmanen bewohnte Tripolitanien mag uns heilig sein, aber da wir nicht die Absicht hegen, alle Mohammedaner unter unsere Verwaltung zu bringen, wollen wir nicht das Leben der Mohammedaner beeinträch tigen, die sich unter einer zivilisierten Regierung befinden. Aber abgesehen von allen Erwägungen, erfordert unser vitales Interesse, daß wir uns keine neuen Schwierigkeiten schaffen. Wir können aufrichtig versichern, daß, solange Italien der Freund unserer Freunde bleibt, mit denen zusammen wir auf Leben und Tod kämpfen, keine Möglichkeit besteht, daß ihnen von unserer Seite aus Wies wider fahre." Diese Ausführungen hatten in Ver bindung mit entsprechenden amtlichen Erklärungen den vollen Erfolg, daß Italien an seiner Neutralität festhielt. Aber noch eine andere, nicht uner wartete Wirkung hatte der türkische Krieg. Schon am 4-November meldete der „Tanin", daß die Engländer Ägypten annektiert hät ten. Sie ernannten den Onkel des Khedive, den Prinzen Hussein Kamel Pascha (Bild nebenstehend), zum Generalgouverneur und dessen Sohn, den Prinzen Kamel Eddin Pascha, zum Oberkommandanten. Diese englischen Maßnahmen sollten die Verwaltung des Landes vereinfachen. Zu demselben Zweck wurde auch ganz Ägypten ohne weiteres unter die Gewalt des Gene rals Maxwell gestellt und das Kriegsrecht eingeführt. Die Er nennung des neuen „Generalgouverneurs" aus dem Kreise der vizeköniglichen Familie war nur eine Äußerlichkeit, die auf die Eingeborenen Eindruck machen sollte, diese Wirkung aber verfehlte. Die Rolle des Prinzen Hussein Kamel, der ein Bruder des verstorbenen Khedive Tewfik ist, beschränkt sich darauf, das ihm von England ausgesetzte Gehalt zu beziehen. Die Ägypter waren, da ihr Land schon seit dreißig Jahren als englische Provinz behandelt worden war, gegen diese Änderung weniger empfindlich als gegen die Proklamierung des Kriegsrechtes, die jede freie Regung und jede Äuße rung der Sympathie für die türkischen Befreier mit dra konischer Strenge unterdrückte. Die Erklärung der An nexion, die zu anderer Zeit als die endgültige Entscheidung über das Schicksal des Landes aufgefaßt worden wäre, war in dem Augenblick, da die früheren Herren den englischen Photothek, Berlin. Prinz Hussein Kamel Pascha, der von England eingesetzte Sultan von Ägypten. Eroberern den Besitz Ägyptens mit Waffengewalt streitig machten, nur eine Formsache. Der Kampf sollte darüber entscheiden, wer künftig über dieses Gebiet, das schon der erste Napoleon als das wichtigste Land der Erde bezeichnet hat, herrschen sollte. Am 5. November wurde in London amtlich verkündet, daß England auch Zypern annektiert habe. Die Aneignung dieser großen, dem Suezkanal gegenüber liegenden Insel, die von England seit sechsunddreißig Jahren auf Grund eines Vertrages mit der Pforte besetzt ist, hatte man für den Fall eines Krieges ebenso bestimmt voraussehen können, wie die-Annerion Ägyptens. Aber diese Ge walttat stellt sich in einem ganz besonders eigentümlichen Lichte dar, wenn man sich den Vertrag vom 4. Januar 1878 näher ansieht, auf Grund dessen die Pforte der Besetzung der Insel durch England zu stimmte. Der Vertrag war nämlich nichts anderes als ein englisch-türkischer Bünd nisvertrag gegen Rußland! Zypern war das Unterpfand dieses Bündnisses. Der Sultan gestattete England die Besetzung und Verwaltung der Insel gegen das Versprechen, daß England ihm den Be sitz seines asiatischen Gebietes gegen Ruß land gewährleiste! Von weiteren Ereignissen des kriege rischen Vorgehens der Türkei wurde nach der Aktion im Schwarzen Meere sehr viel berichtet, aber wenig davon läßt sich auf seine Richtigkeit nachprüfen. In den russischen Städten des Schwarzen Meeres hatte das Vorgehen der Türkei eine Panik erzeugt. Aus Livadia wurden schleunigst alle Kost barkeiten der Zarenbesitzungen nach Moskau übergeführt. Die größte Aufregung herrschte in Jalta, wo eine Massen flucht begann. In Odessa kam es zu äußerst unruhigen Szenen in der Bevölkerung, die die Banken, städtischen Gebäude und den Bahnhof stürmten. Auch die russische Schiffahrt wurde lahmgelegt. In die Pruthmündung flüch teten sich aus Furcht vor der türkischen Flotte 70 russische Frachtschiffe und 14 Schleppdampfer, die sonst den Verkehr zwischen den russischen und rumänischen Donauhäfen ver sahen. Auch der russische Personendampfer „Bulgarin", der sonst die Verbindung mit Odessa versah, suchte auf dem Pruth Zuflucht. Selbst der russischen Kriegsflotte wurde das Auslaufen aus ihren Häfen zum Eingreifen in den Englisches Kamelreilerkorps in Kairo.