8 Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. Verwaltung weiter, während sich Österreich-Ungarn das Recht auf Garnisonen und Strahenbauten vorbehält. — Was Andrasty bei dieser Politik im Auge gehabt hat, das hat er in jenen Tagen einmal Ernst v. Plener gegenüber so umschrieben: „Wenn wir Bosnien bekommen, ist das ganz gut; das nehmen wir so mit. Aber das ist nicht das Ziel und die letzte Aufgabe unserer orientalischen Politik. Unsere Aufgabe geht viel weiter. Die Erwerbung Bosniens ist ein Polizeimittel, das wir benötigen, um der Aufstände au der Grenze Herr zu werden; aber das Ziel unserer Politik geht dahin, die westliche Hälfte der Balkanhalbinsel —ich will sie nicht erobern — dauernd unter unseren Einfluß zu bekommen." Ob er dabei auch an Saloniki gedacht hat, ist strittig, aber wahrscheinlich. Nach der Convention ad- ditionnelleüomlB. März 1877 sollten Timvkund Wardar die österreichisch- ungarische Einfluß sphäre am Balkan von der russischen scheiden; strengge nommen hätte also Saloniki nicht zu Andrassys West- hälfte gehört. Aber die Stadt war schon damals viel zu wichtig, als daß er sie hätte drau ßen lassen dürfen. Handel und Wan del in Österreich würden sich, das erkannte sogar der Serbe Petro witsch an, so lange im Bann einer fast aussichtslosen Wirtschaftspolitik bewegen, wie sich die Monarchie auf dem Landwege keinen freien Zu gang zu den Häfen am Agäischen Meere verschafft haben werde. Der schmale Küsten strich am Adria tischen Meere ge nügte längst nicht mehr, um Öster reich - Ungarn die ihm gebührende Stellung im Le vantehandel zu ge währleisten. So konnte man sich nur darüber wun dern, daß diel. u.k. Regierung fast drei Jahrzehnte lang zögerte, die Folge rungen aus den ihm 1878 für den Sandschak verliehenen Rechten praktisch zu ziehen. Erst am 27. Januar 1908 eröff nete Freiherr v. Aehrenthal der ungarischen Delegation, er plane die Fortsetzung der Bahnlinie Serajevo—Uvatsch bis Mi- troviza, um damit unabhängig von Serbien.den Anschluß an die türkische Linie nach Saloniki zu erreichen und dem schwer blütigen Orienthandel der Monarchie durch Zuführung bele bender Meeresluft einen kräftigeren Pulsschlag zu verschaffen. Dagegen aber wandte sich die Verbandspresse in geräusch vollem Sturm, und zwar überließ England damals den französischen Blättern gern die Führung. Da gegen den unanfechtbaren Rechtsboden, auf dem Aehrenthals Er öffnung stand, nicht anzukommen war, versuchte man es mit dem Aufrollen der Kompensationsfrage: das heißt der Verband schlug den Bau einer den Serben den Weg zur Adria öffnenden Bahn Radujevaz—San Giovanni di Medua vor. Doch machte beiden Konkurrenzplänen der Wirbel ein Ende, den der nächste Schritt Aehrenthals her aufbeschwor. Unterm 5. Oktober 1908 erstreckte Kaiser Franz Joseph die Rechte seiner Souveränität auf Bos nien und die Herzegowina, unter Räumung des San- dschaks. Gegen diesen „unerhörten Rechtsbruch" bäumte sich mit bekannter Ehrlichkeit ihrer Entrüstung die in Eduards VII. Einkreisungssystem befindliche Presse geschlossen auf. Und diesmal führte England selbst den Reigen an. Solange Großbritannien in Rußland seinen gefähr lichsten Rivalen erblickt hatte, war sein Verhältnis zu Österreich-Ungarn ziemlich ungetrübt geblieben. Aber seit der einschneidenden Schwenkung der britischen Weltpolitik, wie sie sich im Asienvertrage vom 31. August 1907 bezeugte, wandte sich das Blättchen. Das hatte vornehmlich zwei Ursachen: die aus Sorge um In dien entsprungene und durch frei maurerische Bezie hungen genährte Neuaufnahme der einst von Disraeli- Beaconsfield ge-- pflegten Begön- nerung des Sul tans und die wach sende Spannung mit Deutschland. Um letzterer willen hatte König Edu ard am 12. August 1908 versucht, den greisen Kaiser Franz Joseph von seinem Bunde mit Kaiser Wilhelm abzuziehen.Welche Anerbietungen damals gemacht worden sind, ver hüllt einstweilen noch das Geheim nis der Archive; gering dürfte aber der in Aussicht ge stellte Preis (vor teilhafte Beden- kung bei der ge- p laute nAufteilung des nahenOstens?) sicherlich nicht ge wesen sein. Doch der Zwei bund hielt die ihm zugemutete Be lastungsprobe selbstverständlich aus; und die un mittelbare Folge war ein heftiger Groll der „könig lichen Diplomatie auf Reisen", der sich fortan in verschärfter Gegnerschaft Großbritanniens durch all die letzten Jahre hindurch ausgelöst hat. Mit allen Mitteln, die niedrigsten Gemeinheiten nicht ausgeschlossen, versuchten die vom Foreign Office beeinflußten englischen Blätter und das fa mose Balkankomitee der Brüder Burton Österreich-Ungarns Rechtstitel anzuzweifeln und die gesamte Kultur- und Halbkulturwelt gegen den „Briganten" und „Falschspieler" Aehrenthal aufzuhetzen. Darin hat sich seit der Bezeugung der „Nibelungentreue" durch Deutschland (im November 1908 und im März 1909) auch nicht das geringste geändert. Ganz im Gegenteile! Von der Begegnung zu Reval am 9. Juni 1908 bis zu dem Morde von Serajevo am 28. Juni 1914 zieht sich eine lange, schwere Kette von offenen und versteckten Feindseligkeiten Großbritanniens gegen Österreich-Ungarn. UL Phot. Bnsa. Der Kronprinz des Deutschen Reiches und von Preußen mit seinem Generalstavschef Oberst Graf von der Schulenburg.