322 Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. bezeichnete er als Kriegsziele Rußlands die Befreiung der dem „türkischen Joche" unter worfenen asiatischen Völker, die grundlegende Neubildung, das heißt Zerstücklung Öster reich-Ungarns, die Errichtung eines tschechisch-slowakischen Staates, die Zurückdrängung Deutschlands in seine „ethno graphischen Grenzen", das heißt die Wegnahme der öst lichen Provinzen Preußens bis etwa an die Oder, die Vereinigung der auf öster reichisch-ungarischem Gebiete wohnenden Italiener und Rumänen mit Italien und Rumänien, der Ukrainer mit Rußland und die Einigung Serbiens auf Kosten der k. u.k. Monarchie. Dazu forderte er die Besetzung Konstantinopels und der Dardanellen durch Rußland. Das war ein Programm, das sich mit den Wünschen der Verbündeten Rußlands deckte, wenn die Engländer im Grunde auch nicht gern sahen, daß Konstantinopel den Russen zufalle. Doch schon am 10. April erließ die vorläufige russische Regierung eine vom Ministerpräsidenten Lwow gezeichnete Kundgebung, in der die Entscheidung über Krieg und Frieden dem russischen Volke anheimgestellt wurde und in der mit großem Freimut zum Ausdruck kam, daß Rußland keine Eroberungsabsichten habe, sondern nur für seine eigene Freiheit kämpfen wolle und einen Frieden auf der Grundlage des freien Selbstbestimmungsrechtes der Völker anstrebe. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, daß Rußland zu einer hoffnungsvollen Kriegführung auch gar nicht mehr in der Lage sei. Die russische Regierung be kämpfte also die Äußerungen Miljukows und verkündete Kriegsziele, die friedfertig und mit den Absichten der Mittel mächte vereinbar waren. Die Regierungserklärung fand begeisterte Aufnahme bei Tscheidse und seinen Anhängern, die die durch diese Feststellungen geschaffene Lage nach Kräften ausnützten. Erleich tert wurde ihnen das durch die Hal tung der Mittelmächte, die von neuem hervorhoben, daß sie Frieden und Freundschaft mit Rußland wünsch ten. Sie stellten fest, daß die Erklä rung der Petersburger vorläufigen Regierung vom 10. April vollständig mit den Friedensabsichten, die sie den kriegführenden Staaten wieder holt bekannt gegeben hatten, über einstimmte. Die Russen wurden nicht darüber im Zweifel gelassen, daß nicht die Mittelmächte die Schuld trügen, wenn sie noch länger bluten und leiden müßten und keine Ruhe zUm Ausbau ihrer Freiheit fänden. Die Schuld laste ausschließlich aus den mit Rußland Verbündeten, die ein Interesse am Fortgang des Krieges hätten, um ihre eigenen Eroberungs pläne durchzusehen. Für die Wahr haftigkeit der Friedensäußerungen der Mittelmächte sprach auch die Tatsache, daß Angehörige verschie dener Parteien des deutschen Reichs tags mit russischen Politikern auf neu tralem Boden Fühlung nahmen. Ferner erlaubte die deutsche Regie rung dreißig friedensfreundlichen rus sischen Sozialisten, die sich im Aus lande aufgehalten hatten, die Heimreise durch Deutschland, nachdem ihnen die englische Regierung die Rückkehr über England verweigert hatte. Auch hierbei zeigte sich, wo die Hauptgegner eines bal digen Friedens zu suchen waren, der den Russen die gewünschte ruhige Ordnung ihrer inneren Staatsangele genheiten gewährleistet hätte. * * * Während die politischen Umwälzungenim Zarenreiche vor sich gingen, war es an der russischen Front nicht ruhig geblieben. Nordwest lich von Baranowitschi grif fen stärkere Kräfte der Rus sen am 2. April eine deutsche Feldwache an. Diese vertei digte sich aber mit solcher Ruhe und Kaltblütigkeit, daß die Feinde unverrichteter Sache abziehen mußten. Bei derseits der Bahn Zloczow— Tarnopol eröffneten die Rus sen ein heftiges Wirkungs feuer; auch an der Zlota- Lipa und am Dnjestr schienen sie größere Unternehmungen vorzubereiten, doch ließen sie dem starken Eeschützfeuer keine Infanteriestöße folgen. Zu solchen kam es an der Bistritz, wo die Feinde aber leicht abgeschlagen werden konnten. Die Deutschen an der Front des Generalseldmarschalls Prinzen Leopold von Bayern überfielen nordwestlich von Dünaburg die russischen Gräben, aus denen sie als Beute 1 Offizier, 93 Mann und 2 Maschinengewehre wegführten. Nordöstlich von Bogdanow, bei Miljawitschi, hatte ein Stoß trupp ebenfalls guten Erfolg und brachte von seinem Unter nehmen 26 Russen mit zurück. Das bedeutendste Ereignis der letzten Zeit trat am 3. April ein. Am mittleren Stochod hielten die Russen auf dem westlichen Flußufer den Brücken kopf von Toboly, der ihnen in einem glänzenden Anlauf entrissen wurde, und worüber wir in einem beson deren Artikel aus der Feder des auf dem Schauplatz der Kämpfe weilenden Kriegsberichterstatters vr. Fritz Wertheimer auf Seite 326 be richten. Neben k. u. k. Schützen stürmten,nach kräftiger artilleristischer Vorbereitung, an der zum größten Teil österreichisch-ungarische Batte rien beteiligt waren (siehe Bild Seite 325), Bayern und andere deutsche Bataillone über das Sumpf gelände gegen den Fluß, wo sich an mehreren Punkten ein heißer Kampf entspann. Lebhafte Tätigkeit entfaltete die russische Artillerie am 5. April süd lich von Riga bei Jllurt und auch bei Toboly. Südwestlich von Brze- zany brachen die Russen gegen die Höhe Popielicha vor, doch scheiterte der Angriff, trotzdem ihm eine um fangreiche Minensprengung voraus gegangen war. Am nächsten Tage wurden wieder russische Streifab teilungen bei Baranowitschi und süd lich von Stanislau zurückgeschlagen. In der Folge' blieb die Eefechts- tätigkeit bis zum 15. April auf der ganzen Ostfront gering, wenngleich die russische Artillerie vom Norden Photopresse Kankowskh, Budapest. Fahrbare und zusammenlegbare österreichisch-ungarische Beobachtung- stelle mit Telephon.