406 Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/19. iutionszeit in Kiel als Gouverneur Verdienste erworben. Seinem Auftreten dort glückte es, die Matrosen vor Un besonnenheiten zu bewahren und eine tatkräftige Stadt herrschaft aufzurichten, die Sicherheit, Ruhe und Ordnung für die Stadt durchzusetzen verstand. — Zum Nachfolger des aus seinem Amt scheidenden deutschen Außenministers Dr. Solf (siehe Bild Seite 154) wurde der bisherige Gesandte m Kopenhagen, Graf v. Brockdorff-Rantzau (siehe. Bild Seite 404) zum Staats sekretär des Äußern ernannt. _ Des Grafen Brockdorff Name war schon früher ver schiedentlich als der des „kommenden Mannes" genannt wor den; so soll er beinr Rücktritt des Grafen Hertling für den Neichskanzlerposten in Frage gekommen sein, den dann aber Prinz Mar voir Baden übernahm. Jedenfalls war seine politische Haltung stets so, daß ihn auch die Unabhängi gen nicht für „belastet" halten konnten. Bei der Wichtigkeit der fachmännischen Führung der deutschen Außenpolitik war es ein gutes Zeichen, daß die Berliner Regierung einen in diplomatischen Geschäften erfahrenen Mann ge funden hatte, der das undankbare Amt der Vertretung eines zur Machtlosigkeit verurteilten Staates in. denkbar schwerster Zeit zu übernehmen bereit war. Unterstaatssekretär inr Reichswirtschaftsamt wurde Pro fessor Wichard v. Moellendorf (siehe untenstehendes Bild), der sich durch Schriften, die die Gemeinwirtschaft in geist voller Dar legung emp fehlen , ei nen Namen gemacht hat. Auf Ver anlassung der unabhängi gen sozialde mokratischen Partei wur de der be kannte Pazi fist IR. Georg Gras Arco (siehe ncben- schhendes Bild) in das preußische Hände ls- ministeriuni berufen. Graf Arco, einer der Er finder der drahtlosen Telegraphie, hat sich als Vorsitzender des Bundes „Neues Vaterland" während des Krieges mehrfach betätigt. — Auch in Berlin gewann der Wille zur Ordnung An hänger. Er kam zum Ausdruck in einer Versammlung von Abgeordneten aller Berliner Truppenteile, die der Anarchie auf denr Gebiete der militärischen Befehlsgewalt ein Ende bereiten wollten, und in einem Massenumzug, den die Groß-Berliner Bevölkerung am 29. Dezember veranstaltete (siehe Bild Seite 404 unten). Schätzungsweise waren 400 000 Anhänger der Mehrheitssozialisten an der Kund gebung beteiligt. Das bedeutete eine nicht mißzuver- stehende Warnung für die gewalttätige Minderheit, die am gleichen Tage die Leichen der bei den Kämpfen um Schloß und Marstall gefallenen Matrosen nach dem Revolutions friedhof ini Friedrichshain geleitete (siehe Bild Seite 402). Wie in Berlin, so sah es auch an vielen anderen Orten im Deutschen Reich unerfreulich aus. Am bedauerlichsten und verhängnisvollsten war die Unruhe in den Industrie gebieten an der Ruhr und in Oberschlesien. Zusammen stöße zwischen Unruhestiftern und Arbeitswilligen führten dort zu einer Zeit zu umfangreichen Arbeitseinstellungen, wo es nötig gewesen wäre» jeden Arm zur Erzeugung von Werten dienstbar zu machen. Die Zustände in Deutsch land während der letzten Dezemberwoche beschworen die Gefahr des Zerfalls oder der Zerstückelung des Reichs herauf, worunter namerrtlich die südlichen und östlichen Gebiete Deutschlands litten. Man hielt allgemein die deutsche Regierung für militärisch schwach und suchte sich von den wertvollen deutschen Gebieten ein Stück nach dem andern zu sichern. So begnügten sich die Tschechen nicht nur mit der Be setzung ganz Böhmens, sondern veabsichtigten auch, die sächsische Oberlausitz an sich zu reißen. Diese kleine deutsche Landschaft war ihnen wichtig für die Besitzergreifung auch der preußischen Niederlausitz. Mit ihrer Losreißung von Deutschland mußten ihnen nicht nur die wertvollen Rieder- lausitzer Braunkohlenfelder in die Hände fallen» sondern sie konnten dann auch die Kohlenzufuhr von Oberschlesien nach denr übrigen Derrtschland so gut wie vollständig ab schneiden. Diese Gefahr war umso größer, als die Tschechen außer dem Teile Oberschlesiens an sich zu bringen wünschten, das sich gleichzeitig die Polen sichern wollten. Die zeit weilig abschwellende Streikbewegung in Oberschlesien wurde durch polnische Werberedner immer wieder in Fluß ge bracht, so daß sich aus der Lohnbewegung sehr bald eine politische Bewegung entwickelte, die auf die Lostrennung Oberschlesiens von Deutschland abzielte. Diese Bewegung nahm in den letzten Tagen des Dezembers gewalttätigen Charakter an. Die spartakistischen Aufwiegler erreichten im vollsten Unifange die Unordnung, die sie wollten. Die Bergarbeiter stürmten die Grubenverwaltungen, holten die Geschäftsführer heraus, setzten sie auf kleinen Karren dem Spott der Menge aus, mißhandelten sie und zwangen sie dnrch Todes drohungen zur Bewilli gung maß loser Lohn forderungen. Es ereigne ten sich auch Überfälle auf Militärab teilungen und ernste Zusammen stöße, wobei es Verwun dete und Tote gab. Zwischen Deutschen und Polen kam es auch in Posen (siehe die Bilder Seite 407) zu blutigen Straßen kämpfen, bei denen die Polen schließlich die Oberhand gewannen. Den Anlaß gab der Einzug des Präsidenten der polnischen Republik Paderewski. Sc in Auftreten hatte schon in Danzig Unruhen zur Folge. In Posen führte sein Besuch zum offenen Bruch zwischen Deutschen und Polen- Die Auftritte in Posen wären nicht erfolgt, wenn die frühere Regierung der Volksbeauftragten rechtzeitig für die Aufrechterhaltung der Ordnung gesorgt hätte. Die neue deutsche Regierung mußte nun versuchen, die Lage in den östlichen deutschen Randgebieten wiederherzustellen, umso mehr als die Begeisterung der deutschen Polen für die neue polnische Volksrepublik nicht recht stichhaltig war. Die deutschen Polen waren Katholiken, die polnische Volks republik unter Leitung Pilsudskis (siehe Bild Seite 362) trug aber radikal-sozialistisches Gepräge. Außerdem rückte auch für die deutschen Polen eine nicht zu unterschätzende Gefahr immer näher: die russischen Bolschewist. Diese folgten entgegen allen Abmachungen und der angeblich freundlichen Haltung der russischen Sowjetregierung gegen Deutschland den abziehenden deut schen Truppen (siehe Bild Seite 409) auf dem Fuße und zwangen die Deutschen geradezu zur Wiederaufnahme des Kampfes. Mer die Zusammenstöße mit den Sowjettruppen gab das deutsche Kriegsministerium an mehreren Tagen gegen Ende Dezember Berichte aus. Trotz der Revolution in Deutschland bewahrten die deutschen Osstruppen noch guten Zusammenhalt und wiesen die Sowjettruppen blutig zurück. Die Kämpfe spielten sich gegen - Ende Dezem- Phot. Welt--Preß-Photo, Wten. Dr. Frarrz Klein, früherer österreichischer Iustizminister, wurde als Vorbereitet und Leiter der Frledensver Handlungen in den deutsch- österreichischen Smatsrat gewählt. Phot. Presse-Centrale, Berlin. Professor Wichard v. Moellendorf, Unterstaalssekretär im Reichswirt- schaflsalnt. Dr. Georg Graf Arco, einer der Miterfinder der drahtlosen Telegraphie, wurde als unabhängiger Sozialdemokrat m das preußische Han delsministerium berufen.