Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 437 die inzwischen bedeutende Verstärkungen herangezogen hatten, längs der ganzen Serethfront zur Gegenoffensive übergingen. Vor diesen überlegenen Streitkräften, die sich besonders dern Zentrum der Armee Bothmer entgegen warfen, mutzten die deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen in rückwärts gelegene Verteidigungstellungen gehen. Unterdessen dauerte an der Mündung des Sereth in den Dnjestr im Gebiet südlich von Czartkow der Kampf um das Ostufer des Sereth fort. Die Russen hatten dort sehr starke Artilleriestellungen inne, die dicht bis an die Uferabhänge vorgeschoben waren, um jeden llbergangs- versuch des Feindes sogleich unter Feuer nehmen und im Keime ersticken zu können. Um nun diese Artilleriestellungen, die recht geschickt angelegt waren, zu entdecken, griffen die österreichisch-ungarischen Truppen zu einer eigenartigen Kriegslist. In einer dunklen Nacht herrschte in den vor dersten Laufgräben und Unterstünden der Ungarn eine rege geheimnisvolle Tätigkeit. In einem Zelt, das gegen den Feind gut verdeckt war, brannte eine Kerze im Halse einer Flasche, die auf einer Kiste stand. Daneben lag eine grotze Anzahl dicker Wachskerzen, die eine nach der anderen von einem Soldaten an dem Licht angebrannt und dann von einem anderen in Bütten, Bottiche, Kisten und Fässer gesteckt wurden, die zur Hälfte mit Lehm gefüllt waren. Diese wurden nun schleunigst an den Flutz gebracht und hier von einem Mann mittels einer Stange vom Ufer abge- stotzen. So trieben diese kleinen Schiffchen aus den Binsen und dem Schilf am Ufer in die Strömung des Flusses, der sie langsam auf seinen Fluten weitertrug. Natürlich waren diese Lichter den Augen der russischen Wachposten nicht entgangen. Als sie diese verdächtigen Boote immer näher und in stets größer werdender Anzahl herankommen sahen, glaubten sie nicht anders, als die öster reichisch-ungarischen Truppen suchten im Dunkel der Nacht auf Kähnen den Sereth zu übersetzen und die russischen Stellungen zu überrumpeln. Die russischen Posten schlugen Alarm, und es dauerte gar nicht lange, da war man drüben wach und bereit, den Feind zu empfangen und zu ver nichten. Noch keine sechs der beleuchteten Bütten schwam men harmlos auf dem Sereth, als auf den Höhen die russischen Batterien in Tätigkeit traten und ein wütendes Feuer auf den vermutlichen Feind eröffneten. Die Ungarn beeilten sich nun um so mehr, dem Feind möglichst viele Zielpunkte für seine Artillerie über den Sereth zu schicken. Und was bei Tag nicht zu erkennen war und was der Feind sorgsam zu verbergen suchte — die Nacht ent- hüllte das Geheimnis der russis ch en Artillerie stel- lungen, die sich nun durch ihr Feuer verrieten. Als die Ungarn die Stellun gen der feindlichen Bat terien genau beobachtet hatten, löschten sie ihr Licht und zogen sich in ihre Gräben zurück, die kleine Flotte auf dem Sereth ihrem Schicksal überlassend. Noch lange donnerten die russischen Kanonen, bis die letzte Kerzeherabgebranntwar. Stolz konnten die Russen sich rühmen, einen Ver such des Feindes, bei Nacht den Sereth zu über schreiten, durch das wirk same Eingreifen ihrer Ar tillerie aufgehalten und abgeschlagen zu haben. Als ihre Patrouillen am anderen Morgen die ge strandeten Bottiche am Ufer fanden und die österreichisch - ungarische Artillerie mit einem Male die russischen Stellungen erreichte, da mochte der geprellte Feind wohl zur Einsicht kommen, datz er einer schlauen Kriegslist zum Opfer gefallen war. Heftiger und erbitterter tobten inzwischen die Kämpfe am mittleren Sereth, wo die Russen allenthalben zur Gegenoffensive übergingen und die Front der verbündeten Heere zu durchbrechen suchten. Alle verfügbaren Reserven hatten die Russen in Ostgalizien zusammengezogen, sogar Teile der Kaukasusarmee waren herbeigeholt worden. Am 9. September warfen deutsche und österreichisch ungarische Truppen den bei Ostrow über den Sereth ge setzten Gegner erfolgreich zurück. Schon am anderen Tage suchten bte Russen durch Massenangriffe das ver lorene Gelände wiederzugewinnen, aber mit Hunderten von Toten bezahlten sie ihr vergebliches Unternehmen. Zu gleicher Zeit griffen die Russen oft in zwölffachen Reihen die Stellungen der Verbündeten auf den Höhen von Moglia-Nowki und Lysa an. Kaum hatten sich hier die österreichisch-ungarischen Truppen in ihren Gräben ein gerichtet, als im Morgengrauen schon der russische Massen angriff einsetzte. Aber jeder Mann war auf seinem Posten und jeden Augenblick bereit, den Feind zu empfangen. In endlosen Scharen stürmten die Russen über die Steppe gegen das Hügelgelünde vor; mochten auch Hunderte von ihnen zu Tode getroffen niedersinken — gleich füllten sich die Reihen wieder auf. Bis an die Drahtverhaue vor den österreichischen Gräben wälzte sich die moskowitische Woge heran. Mit Drahtscheren und Handgranaten suchten die Kühnsten Breschen in die Hindernisse zu schlagen, aber an keiner Stelle konnten die Russen die neue Front der Ver bündeten zwischen Sereth und Strypa durchbrechen. Die neuen Militärerkennungsmarken. Von Paul Otto Ebe. (Hierzu die Skizzen Seite 440.) Unsagbar traurig ist es für die Angehörigen von Feld zugteilnehmern, wenn sie plötzlich monatelang, jahrelang ohne Nachricht aus dem Felde bleiben. Der Gatte, der Sohn oder Bruder ist und bleibt „vermißt". Der Truppen teil konnte nur melden, datz der Betreffende noch diese oder jene Gefechte mitgekämpft habe, seit dem Tage jedoch nicht mehr aufzufinden gewesen sei. Oft läßt sich aus der Art des Gefechts, ob Rückzugs- oder Patrouillenkümpfe aus- gefochten wurden, auf Gefangennahme schließen. Melden jedoch , die Vermittlungstellen nach gründlichsten Nachfor- Phot. Presse-Centrale, Berlin. Die Überreste von Brest-Litowsk, das nach Vertreibung der Einwohner und Plünderung der Häuser von den Russen eingeäschert wurde. Die Stadt zählte vor dem Brand 60 000 Einwohner. HI. Band. 66