328 Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Phot. Berl. Jlluftrat.-Gef. nt. b. H. Feldgoktesdienst in den Dolomiten. mit der sie fallen gelassen werden in dem Augenblick, wo ich meine Befehle von der Kommandobrücke aus gebe, die sich in der vorderen Gondel befindet. Das Glück begleitet uns, denn es ist kalter und klarer Sternenhimmel und kein Mondschein. Es ist eine von den Nächten, in denen Ent fernungen und Gegenstände, wenn man himmelwärts blickt, verschwimmen und es äußerst schwierig ist, die richtige Schuß weite auf Gegenstände zu finden, die in schneller Bewegung sind. Unsere Instrumente dagegen geben uns unsere Höhe jederzeit genau an. Der Nebel teilt sich, und weit in der Entfernung erblicke ich die Themse, die mir den Weg nach Lon don weist. Sie bildet für uns den unzerstörbarsten Wegwei ser, und längs ihrer führt der sicherste Weg nach der großen Stadt. Die Engländer mögen London, soviel sie wollen, verdunkeln, aber sie können niemals die Themse beseitigen oder bedecken. Sie ist unser großer Orientierungsstützpunkt, von dem wir stets unsere Peilungen nehmen und jeden Punkt von London feststellen können. Langsam traten die Um risse der Stadt in Erscheinung, still und verschlafen in der Entfernung unter uns liegend. Kein Zeichen von Leben war zu sehen, nüt Ausnahme von Lichtern, die sich in großer Entfernung fortbewegten und wahrscheinlich Eisenbahnzüge waren. Wie gesagt, alles war ruhig, und kein Schall drang zu uns herauf, der laut genug gewesen wäre, das Sausen unserer Motoren zu übertönen. Plötzlich schießt ein enger Streifen glänzenden Lichtes aus der Dunkelheit und er reicht uns. Er fühlt suchend am Himmelszelt umher, dann sehen wir einen zweiten, dritten, vierten, fünften Licht streifen und dann immer mehr von diesen Lichtbändern, die sich überkreuzend uni uns her den Himmel absuchen. So, wie es von unseren Zeppelinen aus zu sehen war, nahm sich die ganze Stadt aus, als ob sie, plötzlich zum Leben erwacht, ihre Arme tastend am Himmel bewegte und ihn nach möglichen Gefahren absuchte. Man könnte auch sagen, daß diese Streifen sich ausnahmen wie Zangen, die uns zur Erde herabziehen wollten. London hält gute Wacht am Himmelszelt über sich. Unsere Motoren und Propeller verrieten bald unsere Gegenwart. Erst einer und dann ein anderer und dann noch mehrere der Lichtstreifen finden uns und verlieren uns wieder. Jetzt plötzlich kommt von unten ein unheimlicher Laut und übertönt den Lärm der Propeller. Kleine rote Blitze und kurze Sprengpunkte, die sich deutlich von dem dunkelschwarzen Hintergrund abheben, werden sichtbar. Von Norden und von Süden, von rechts und von links tauchen sie auf, und dem Blitze folgt von unten das Krachen der Geschütze. . . Ich stelle zunächst die St.-Pauls- Kathedrale fest, und mit diesem Firpunkt nehme ich meinen Kurs auf die Bank von England. Ein mächtiger Scheinwerfer befand sich unmittelbar neben der Kathedrale, und die Engländer hatten eine Batterie Geschütze unter der Bedeckung dieses Gotteshauses aufgestellt, wie ich deut lich an dem Aufblitzen der Schüsse erkennen konnte. Vielleicht würde ich vom militärischenStandpunkte aus unter diesen Umstän den berechtigt gewesen sein, Bomben auf die Batterie zu werfen, die sich in unmittelbarer Nähe von St. - Paul befand. Ich trug jedoch kein Ver langen, dies zu tun, da ich fürchten mußte, daß das Gotteshaus beschä digt werden könne. Ich meine aber, daß die Eng länder Kirchen, Museen und ähnliche Gebäude nicht als Deckung für ihre Geschütze benutzen sollten. Obgleich wir von allen Seiten beschossen wur den, hatte ich bis zu die sem Augenblick noch keine Bomben fallen lassen. Als wir uns über der Bank von England befanden, rief ich durch das Sprachrohr meinem Leutnant, der sich an dem Abfeuerungsapparat be fand, zu, das Feuer langsam zu beginnen; von jetzt an mischte sich in das Getöse und das Blitzen der Kanonen der Lärm des Platzens unserer Bomben, und wir sahen die Flam men, die von den getroffenen Stellen aufloderten. Meine Sinne waren ausschließlich darauf gerichtet, die Punkte ausfindig zu machen, die auf unserem Angriffsplan als Gegenstände von militärischer Bedeutung standen, insofern sie sich auf die Zusammenziehung und die Beförderung von Truppen bezogen. Gleichzeitig beschäftigte ich mich mit der Steuerung meines Fahrzeuges und der Direktion des Feuers, wobei der verhältnismäßig kurze Aufenthalt über London viel länger erschien, als er in Wirklichkeit war. Bald sah ich, wie Flammen aus den verschiedensten Ge bäuden schlugen. Aber dem Holbornviadukt, in der Nähe der Eisenbahnstation von Holborn, ließ ich mehrere Bomben fallen. Von der Bank von England zum Tower ist es nur eine kurze Entfernung; ich versuchte daher, die große Themsebrücke zu treffen, und glaube auch, daß ich hierin Erfolg hatte, obgleich ich nicht feststellen konnte, bis zu welchem Grade. Das Aufblitzen von Schüssen auf dem Tower zeigte, daß sich dort noch immer dieselben Geschütze befanden, die ich schon bei meinem vorhergehenden Angriff beobachtet hatte. Sie unterhielten ein lebhaftes Feuer auf uns. Nachdem ich nun mein Fahrzeug so gesteuert hatte, daß ich mich unmittelbar über dem Liverpoolbahnhof be fand, befahl ich Schnellfeuer, und die Bomben regneten auf die Station hernieder. Die nächste Wirkung bestand in einer schnellen Reihenfolge von Explosionen und dem Auflodern von Flammen. Ich konnte feststellen, daß wir gut getroffen und offenbar großen Schaden angerichtet hatten, was auch durch die Berichte bestätigt wird, die uns seither zugekommen sind. Flammen schlugen jetzt an allen Orten unter uns empor. Da ich meine Befehle ausgeführt hatte, lenkte ich daher meinen L ... heimwärts. Trotz der lebhaften Beschießung, mit der man uns zugesetzt hatte, waren wir nicht getroffen worden. Wiederholt lehnte ich mich hinaus und blickte auf- und rückwärts auf die dunklen Umrisse meines Luftfahrzeuges, konnte aber kein Loch in seinen grauen Flanken entdecken. Hinsichtlich des an gerichteten Schadens und des richtigen Treffens der Ziele meines Luftangriffs war dies mein erfolgreichster Besuch über London oder in der Umgegend. Auf- und nieder steigend, bis wir eine günstige Luftströmung trafen, bewerk stelligten wir die Heimfahrt in kurzer Zeit." Die Angaben des deutschen Luftschifführers über seine Erfolge wurden durch die von holländischen Blättern ge brachten Mitteilungen von Augenzeugen nach jeder Rich tung bestätigt. Dabei erfuhr man unter anderem, daß die Zeppelinangriffe auf London keineswegs, wie die Eng länder verbreiteten, der Truppenanwerbung neuen Anstoß