Bürgerkämpfen ging die Eidgenossenschaft zwar nicht von ihrem Zinsendienst befreit und ihrem Boden wiedergeschenkt hervor, jedoch politisch erneuert, in ihrem Bewußtsein gestärkt, um frei¬ sinnige Regierungsgrundsätze bereichert und national einheitlicher, als sie jemals gewesen war. Die schöne und großartige Zeit zittert noch heute mit ihren Lichtern und Donnern in den eid¬ genössischen Seelen nach, und vielleicht wird man diese Innigkeit und Leidenschaft des eidgenössischen Gedankens nicht zum zweiten¬ mal erfahren. Wenn aber der Gott der Berge noch lebt und sein Volk noch lieb hat, dann beschert er ihm bald eine Auf¬ erstehung und Renaissance jenes heftigen und guten Geistes. Neutrale Gegenwart Der Krieg traf also die schweizerische Eidgenossenschaft als ein nach europäischen Prinzipien geordnetes Staatswesen von besonderem Gehalt und mit besonderen Problemen. Jnnerpolitisch erscheinen die abstrakten französischen Ideale insofern mit nationalem Blut erfüllt und schweizerisch umgebildet, als man sie geradehin völkisch praktiziert. Die Eigentums- und Persönlichkeitsrechte sind in einem guten, gemeingültigen Zivilgesetzbuch niedergelegt; ein humanes nationales Strafgesetzbuch ist auf dem Weg. Von der vielberufenen Kantonswirtschaft haben die verschiedenen Ver- faffungsrevisionen wenig übriggelassen, und dem wenigen wird mit Eifer weiter nachgestellt, unter anderm dem Schulwesen, wo einem Gesamtstaat freilich auch ein ernsthafter Einfluß zusteht. Die Post, die Bahnen, das Münzwesen, der Zoll, die National¬ bank, das Wehrwesen sind in der Schweiz ebenso allgemeinstaat¬ lich wie in jedem andern Land. Die Volksfreiheiten drücken sich aus im allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahl- und Stimmrecht, im Recht der Verfassungsinitiative und des Referen¬ dums — dreißigtausend Bürger können die allgemeine Abstimmung über ein Gesetz verlangen und fünfzigtausend eine Verfaffungs- revision —, und in einer Anzahl Kantonalfreiheiten, wie der Trennung von Kirche und Staat in Basel und Genf, und be¬ sondern Rechten, zum Beispiel dem Proportionalwahlsystem, das wie alle Volksrechte eine Freiheit oder ein Anrecht scheint, je nachdem es einer Partei paßt oder nicht; es kann vorkommen, daß dieselbe Partei ein solches Recht im Bund bekämpft und in 15