dürfnis noch nicht genügt, noch nicht im richtigen Verhältnis zu dem steht, was wir wollen und leisten können. Aber es wäre der größte Fehler, wenn wir unsere Weltpolitik auf Kolonial¬ politik beschränken wollten. Zwar sind auch die Länder alter Kultur in Nordafrika und Asien zum Teil von europäischen Nationen in Besitz genommen worden oder sind der Gegenstand ihrer Eroberungsgelüste; aber die größten von ihnen widersetzen sich der europäischen Herrschaft, und mit der zunehmenden Aus¬ breitung der Kultur werden sie über diese hinauswachsen. Deutsch¬ land würde bei einer Aufteilung dieser Länder unter die Gro߬ mächte im Vergleich mit den anderen zweifellos den kürzeren ziehen. Die deutsche Politik hat sich darum mit Recht diesen Ländern gegenüber für die Politik der offenen Tür entschieden, sie sucht deren staatliche Anabhängigkeit zu bewahren und sie nach Möglichkeit zu entwickeln und zu kräftigen, mit ihnen Frieden und Freundschaft zu haben, um sich in ihnen wirtschaftlich und kulturell betätigen zu können. In den Staaten europäischer Kultur kann es sich ja überhaupt nur um wirtschaftliche und kulturelle Betätigung handeln; aber mehr als es bisher oft der Fall war, muß auch sie unter der Leitung des Staates stehen, also ein Gegen¬ stand der Politik sein. Für Deutschlands Betätigung in der Welt öffnen sich, ver¬ kehrsgeographisch betrachtet, zwei Wege, der ozeanische und der kontinentale. Es hat jenen vor Rußland, diesen vor England voraus, jedoch so, daß es für jenen viel weniger gut gestellt als England, für diesen viel weniger gut gestellt als Rußland ist. Den ozeanischen Weg hat es um die Mitte des vorigen Jahr¬ hunderts, den kontinentalen erst in den letzten Jahrzehnten be¬ treten. Der kontinentale Weg, d. h. ein Bündnis mit der Türkei und den dazwischen liegenden Balkanstaaten und unsere Betätigung in den vorderasiatischen Ländern, hat den Vorzug, daß er unab¬ hängig von der englischen Seeherrschaft und auch im Kriege vor der Anterbrechung durch diese gesichert ist, ja uns umgekehrt die Möglichkeit gewährt, an sie heranzukommen. Wir können hier ein geschlossenes Absatz- und Bezugsgebiet gewinnen, durch das unser Nahrungsspielraum erheblich erweitert wird. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß das ein Zukunftsbild ist, daß das türkische Vorderasien in absehbarer Zeit unserem wirtschaftlichen Bedürfnis auch entfernt nicht genügt und schließlich immer ein 27