Anlage 1 2* 19 belgischen Neutralität angeführte Vorwand, um belgisches Gebiet zu betreten, der deutschen Regierung selbst so wenig beweiskräftig erschien, daß in den Unterredungen Sir Edward Goschens mit dem Kanzler und dem Staatssekretär von Jagow keineswegs von den französischen Angriffsabsichten die Rede war, sondern davon, daß „das Durchschreiten Belgiens sowie das Verletzen seiner Neutralität für Deutschland eine Lebensfrage bedeute“ und von „Papier fetzen 1 “. Außerdem gab dies der deutsche Kanzler in seiner Rede vom 4. August durch die berühmten Worte zu: „Meine Herren, wir sind in der Notwendigkeit gewesen, uns zu verteidigen, und Not kennt kein Gebot. Unsere Truppen haben Luxemburg besetzt und vielleicht schon belgisches Gebiet betreten. Meine Herren, das widerspricht den Geboten des Völkerrechts .... Wir waren ge zwungen, uns über den berechtigten Protest Belgiens und Luxem burgs hinwegzusetzen. Dieses Unrecht — ich spreche offen — werden wir wieder gutmachen, sobald unser militärisches Ziel er reicht ist. Wer so bedroht ist wie wir und um sein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich durchhaut 1 2 .“ Diesem Geständnisse des deutschen Kanzlers, Herrn von Beth- mann Hollweg, schließt sich das erdrückende Zeugnis des Grafen Lerchenfeld an, der in einem Bericht vom 4. August 1914 anführt, daß der deutsche Generalstabschef es für „nötig erachtet, durch Belgien zu ziehen. Frankreich, sagt er, kann nur von dieser Seite her angegriffen werden. Deutschland könnte die belgische Neutrali tät nicht respektieren, selbst wenn es Gefahr liefe, Englands Ein schreiten herauszufordern“. Was die österreichische Regierung betrifft, so wartete sie bis zum 28. August, um Belgien den Krieg zu erklären 3 ; aber von Mitte dieses Monats ab haben die großen von Österreich entsandten „Motor-Batterien ihre Vortrefflichkeit in den Kämpfen um Namur bewiesen“, wie dies aus einer Proklamation des deutschen General leutnants hervorgeht, der zu diesem Zeitpunkte die Festung Lüttich, der sich die deutschen Truppen eben bemächtigt hatten, befehligte 4 . Der Anteil, den Österreich-Ungarn an der Verletzung der belgischen Neutralität hat, wird demnach durch die Tatsache verschärft, daß es sich ohne vorangegangene Kriegserklärung daran beteiligt hat. B. Luxemburg. Die Neutralität Luxemburgs war durch den Artikel 2 des Londoner Vertrages vom 11. Mai 1867 garantiert. Preußen und Österreich zählten zu den Garantiemächten. Am 2. August 1914 drangen die deutschen Truppen in das Gebiet des 1 Blaubuch Nr. 160. 2 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, Dienstag, 4. August 1914. Siehe auch E. Müller, Der Weltkrieg und das Völkerrecht, Berlin, O. Reimer, 1915, S. 24 u. ff. 3 Oraubuch I, Nr. 77. 4 Graubuch II, Nr. 104.