Deutschlands Vereinsamung. 1902—1914 304 Auch in den wirtschaftlichen Fragen suchte Deutschland immer eine freundschaftliche Fühlung mit Frankreich aufrechtzuerhalten. In die sem Geiste nahm Kaiser Wilhelm II. in seine Thronrede vom 30. No vember 1909 die Bemerkung auf, er sehe mit Befriedigung, „daß das mit der französischen Regierung getroffene Abkommen über Ma rokko in einem Geiste ausgeführt wird, der dem Zwecke, die bei derseitigen Interessen auszugleichen, durchaus entspricht 1 “. Auch die Verhandlungen zwischen Frankreich und Marokko über eine Anleihe hat Deutschland gefördert, indem es beim Sultan auf eine möglichste Beschleunigung der Verhandlungen einzuwirken suchte, und es hat dazu beigetragen, daß am 21. März 1910 das Abkommen über die marokkanische Anleihe unterzeichnet werden konnte 1 2 . War somit Deutschland in den Jahren, die auf das Abkommen vom 9. Februar 1909 folgten, immer bestrebt, dem Geiste dieses Abkommens getreu freundschaftliche Beziehungen zu Frankreich aufrechtzuerhalten, obwohl es öfters Anlässe gab, an eigenmächtige Absichten Frankreichs in Marokko zu glauben, so nahmen im Früh jahr 1911 die Dinge eine ernstere Wendung. Anfangs März kamen aus Marokko alarmierende Nachrichten über den plötzlichen Aus bruch von Unruhen in verschiedenen Bezirken, die von der deutschen Gesandtschaft in Tanger allerdings als etwas übertrieben bezeichnet wurden. Am 4. April 1911 suchte der französische Botschafter in Berlin, Jules Cambon, den Staatssekretär des Äußern v. Kiderlen auf und sprach ernst von der Möglichkeit, daß Frankreich sich ge nötigt sehen könnte, durch die Entsendung einer Kolonne nach Fes den Abzug der Europäer von dort zu erleichtern. Die Regierung der Republik habe keinen anderen Wunsch, als die Sicherheit dieser Europäer zu gewährleisten und Katastrophen zu vermeiden, die schwere Folgen zeitigen könnten. Tatsächlich war im Januar 1911 eine französische Abteilung unter Leutnant Marchand von marok kanischen Stämmen in einen Hinterhalt gelockt und zum größten Teil niedergemacht worden. Kiderlen schrieb dem Botschafter am 7. April 3 , daß die Entsendung einer Expedition nach Fes und die Besetzung eines zweiten wichtigen Hafens durch Frankreich außer Casablanca von der öffentlichen Meinung in Deutschland als ein Schritt zur Beseitigung des Algeciras-Abkommens angesehen werden würde. Er, Kiderlen, hoffe, daß die Regierung der Republik nur im äußersten Notfälle zu einer militärischen Besetzungsmaßregel in Ma rokko schreiten werde. In den nächsten Tagen lauteten die deutschen Nachrichten aus Marokko beruhigender. Man war daher in Berlin erstaunt, als am 17. April der französische Botschafter mitteilte, in Paris habe man 1 Gr. Pol. Nr. 10486. 2 Gr. Pol. Nr. 10 506. 3 Gr. Pol. Nr. 10 527.