Der Nahe Orient. 1896—1897 149 Der Nahe Orient. 1896—1897 Im Frühjahr 1896 zeigte sich Rußland bereit, den Prinzen Fer dinand von Bulgarien als Fürsten anzuerkennen, nachdem der Fürst in den Glaubenswechsel seines Sohnes gewilligt hatte. In Berlin trat man dafür ein, daß auch Wien zustimmte, wenn man auch be fürchtete, der ehrgeizige Fürst werde nunmehr nach der Erlangung von Mazedonien und nach dem Königstitel streben. Das Wiederaufleben der armenischen Frage führte im Sommer 1896 zu neuen Erörterungen der Großmächte über die Meerengen frage. Für die deutsche Politik stand von vornherein fest, daß man alles vermeiden wollte, was geeignet schien, den Zerfall der Türkei zu beschleunigen. War dieser Zerfall nicht aufzuhalten, so war man bereit, Rußland unbehindert ins Mittelmeer gelangen zu lassen. Österreich wollte die Besetzung Konstantinopels durch die Russen nicht dulden und England die Meerengen für alle Nationen geöffnet sehen. Angesichts der russischen Haltung schien es schließlich das beste, das damalige Verhältnis aufrechtzuerhalten und die Türkei als „Portier“ an den Dardanellen zu belassen 1 . So einigten sich denn auch die Kaiser von Deutschland und Rußland bei ihrem schlesischen Zusammensein im September 1896 dahin, den vertragsmäßig fest gelegten Status quo im Orient zu erhalten und die Autorität des Sul tans zu stützen 1 2 . Für die deutsche Politik bildete die voraussicht liche Haltung Englands und Rußlands in dieser Frage den Angel punkt aller Erwägungen 3 . Schon im Dezember 1895 hatten sich neue mazedonische Wir ren angekündigt. In Rußland zeigte man sich besorgt, beteuerte aber, nicht an eine Änderung des Status quo der Türkei zu den ken, während man in Wien die Ansicht vertrat, die mazedonische Frage würde vollständig tot sein, sobald Rußland seine Hände davon zurückziehe. Da auch auf der Insel Kreta, die von jeher zu Aufstän den gegen die türkische Herrschaft geneigt war, seit Ende 1895 Un ruhen im Gange waren, die im Juni 1896 zu blutigen Kämpfen zwi schen türkischen Truppen und der von griechischer Seite unterstütz ten christlichen Bevölkerung führten 4 , schien es für die Großmächte unerläßlich, den immerwährenden Beunruhigungen, die von der Türkei ausgingen, durch die Schaffung einer durchgreifenden Re form endlich ein Ziel zu setzen. Trotz der Botschafterkonferenzen, die 1896 und 1897 in Konstantinopel stattfanden, konnte der Aus bruch griechisch-türkischer Feindseligkeiten nicht verhindert werden. Über das Kreta und Griechenland gegenüber einzuschlagende Ver 1 Gr. Pol. Nr. 2921. 2 Gr. Pol. Nr. 2925. 3 Gr. Pol. Nr. 2926—2942. 4 Gr. Pol. Nr. 2992—3063.