Die Anklage von Versailles 20 wohl an einer Umkehr der Deutschen im Sinne der Vernunft berech tigte Zweifel hegen. Trotzdem wolle er, Clemenceau, nicht zum Hasse gegen Deutschland treiben, denn auf Gefühle der Gewalt, aus so reiner Quelle sie auch stammen möchten, könne man nichts Bleibendes gründen. „Nichtsdestoweniger bleibt wahr, daß wir uns einem noch ungelösten Problem gegenüber befinden, daß die deut sche Nation vor unseren Toren steht, daß eine schwache Grenze uns von ihr trennt, und daß es sich nun darum handelt, zu wissen, was wir von einem Volke erwarten dürfen, das sich so schwer gegen die elementarsten Regeln der Menschlichkeit vergangen und Gewalt taten vollführt hat, die nach ihrem Bekanntwerden das ganze Men schengeschlecht unfehlbar brandmarken wird.“ Clemenceau machte schließlich die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund davon abhängig, was es über seine Schuld am Kriege und im Kriege zu sagen habe. Auch Po in ca re hat sich am Kampfe gegen Deutschlands An sehen in der Weltmeinung auf das stärkste beteiligt. Von einem Teile seiner eigenen Landsleute beschuldigt, zur Verschärfung der Gegensätze in Europa durch Anstachelung Rußlands zu immer grö ßeren Rüstungen selbst erheblich beigetragen zu haben, beschritt er den Weg der Selbstverteidigung und suchte in zahllosen Zeitungs aufsätzen und Vorträgen bei Denkmalseinweihungen — mitunter an einem einzigen Sonntage an mehreren Orten — den Nachweis zu erbringen, daß Frankreich und jedenfalls er persönlich an der großen Menschheitskatastrophe des Weltkrieges ganz unschuldig sei. Am wirkungsvollsten waren seine sechs Vorträge, die er im Früh jahr 1921 in der Societe des Conferences gehalten und in der „Revue de la Semaine illustree“ hat erscheinen lassen 1 . Das von Poincare in diesen Vorträgen gezeichnete Gesamt bild war für die Mittelmächte und besonders für Deutschland außer ordentlich ungünstig. Überall friedliebende Nationen, die keinen anderen Ehrgeiz hatten, als in Würde und Arbeit nach völkischer Wohlfahrt zu streben. Aber in der Mitte des Kontinents liegt Deutschland mit seinen Verbündeten auf der Lauer, um sich bei der ersten günstigen Gelegenheit auf seine friedlichen Nachbarn zu stürzen und so seine Weltherrschaftsträume zu verwirklichen. Frank reich ist bei Poincare das Land des Friedens und der Gesittung, das nur allmählich von den tiefen Wunden des Krieges 1870/71 ge nas, das sogar immer „seine Gefühle berechtigter Trauer“ im Zaume zu halten wußte und niemals einen Versuch unternommen haben soll, seine ihm entrissenen Provinzen wiederzugewinnen. Frankreich und 1 Wegen der Wichtigkeit dieser Aufsätze für unseren Kampf in der Schuldfrage habe ich unter dem Titel „Poincare und die Schuld am Kriege“ schon 1921 eine deutsche ausführliche Zusammenfassung bei der Deutschen Verlags gesellschaft für Politik und Geschichte, Berlin, erscheinen lassen.