Die Mantelnote vom 16. Juni 1919 9 In seiner Mantelnote 1 bezeichnet Clemenceau den am 1. August 1914 zum Ausbruch gekommenen Krieg als das größte Verbrechen gegen die Menschheit und gegen die Freiheit der Völ ker, das eine sich für zivilisiert ausgebende Nation jemals mit Be wußtsein begangen habe. Getreu der preußischen Tradition hätten die Regierenden Deutschlands die Vorherrschaft in Europa ange strebt und sich nicht mit dem wachsenden Gedeihen und dem Ein flüsse begnügen wollen, nach dem zu streben Deutschland berechtigt gewesen sei. Von langen Jahren her hätten die deutschen Regierun gen geheime Offensivvorbereitungen getroffen. Als ihre Vorberei tungen vollendet waren, hätten sie sodann einen „in Abhängigkeit gehaltenen Bundesgenossen“, nämlich Österreich, dazu ermuntert, Serbien innerhalb 48 Stunden den Krieg zu erklären, obwohl sie genau wußten, dieser Krieg könne nicht lokalisiert werden und müsse daher den allgemeinen Krieg entfesseln. „Um diesen allgemei nen Krieg doppelt sicher zu machen, haben sie sich jedem Versuche der Versöhnung und der Beratung entzogen, bis es zu spät war, und der Weltkrieg ist unvermeidlich geworden, jener Weltkrieg, den sie angezettelt hatten, und für den Deutschland allein unter den Natio nen vollständig ausgerüstet und vorbereitet war.“ Dann folgen scharfe Vorwürfe über die rohe und unmenschliche Art, wie Deutsch land den Krieg geführt habe, und wegen der Verletzung der belgi schen Neutralität. Die Deutschen seien es auch gewesen, die als erste giftige Gase benutzt, Bombardements durch Flieger und Beschießun gen von Städten auf weite Entfernung angewendet hätten, nur um die seelische Widerstandskraft ihrer Gegner zu zerbrechen. Deutsch land habe den Unterseebootkrieg begonnen und mit brutaler Roheit Tausende von Männern, Frauen und Kindern nach fremden Ländern in die Sklaverei verschleppt. Wörtlich heißt es sodann: „Das Verhalten Deutschlands ist in der Geschichte der Menschheit fast beispiellos. Die schreckliche Ver antwortlichkeit, die auf ihm lastet, läßt sich in der Tatsache zu sammenfassend zum Ausdruck bringen, daß wenigstens sieben Mil lionen Tote in Europa begraben liegen, während mehr als zwanzig Millionen Lebender durch ihre Wunden und ihre Leiden von der Tatsache Zeugnis ablegen, daß Deutschland durch den Krieg seine Leidenschaft für die Tyrannei hat befriedigen wollen.“ Clemenceau fordert daher „Gerechtigkeit“ als einzige mögliche Grundlage für die Abrechnung. Gerechtigkeit müsse den Millionen menschlicher Wesen zuteil werden, denen durch die deutsche Roheit alles genom men sei. Den Versailler Frieden bezeichnet Clemenceau als einen Frieden des Rechts und ordnet die Deutschland abverlangten Opfer in diesen Gedankengang ein. 1 Siehe Anlage 3, S. 42*—55*.