Wer also hat die ersehnte Freundschaft unter den Völkern Europas zerstört: das Deutsche Reich oder seine Neider? Warum hat Frankreich nicht die starke Hand ergriffen, die Bismarck ihm entgegenstreckte, als er im Jahre 1879 zum Vertreter Frankreichs in Wien die denkwürdigen Worte sprach: „Ich glaube, daß in der nächsten Zukunft unsere Beziehungen sich immer inniger gestalten und daß mir die besten Freunde von der Welt sein werden." Aber noch war kein Jahr vergangen und schon hat sich Gambetta erhoben, um von der Wiederher¬ stellung zu sprechen, die aus dem Recht hervorgeht: „Wir oder unsere Kinder können auf sie hoffen, denn die Zukunft ist niemand versperrt." Damals war über dem Sternenhimmel des europäischen Friedens der erste zuckende Wetterstrahl geflogen. Er wäre vielleicht verflogen, wenn nicht nach der Ermordung Alexan¬ ders II. im Osten die dunkle Wand des Panslavismus aufge¬ stiegen wäre und jenen feurigen Ankömmling mit gieriger Hast aufgefangen hätte. Bestimmte Anzeichen stellten nämlich außer Zweifel, daß sich aus dem Vorhandensein des Deutschen Reiches eine Ver¬ stärkung der österreichisch-ungarischen Monarchie ergibt. Bisher ging, wie Rußland wußte, der Weg nach Konstantinopel über Wien. Jetzt auf einmal erklärten Bismarck und sein Kaiser, daß der Weg nach Wien über Berlin gehe. Diese neue, bis dahin nicht bekannte Tatsache rückte zwar das eigentliche Zu¬ kunftsziel, Konstantinopel, zunächst in die Ferne, dafür aber das Mittel, dieses Ziel erreichen zu helfen, nämlich Frankreich, umso näher. Zwei Interessenten lernten sich verstehen, beide von der Lust ergriffen, auf Beute auszugehen — Rußland und Frankreich; zwei Verwandte boten sich die brüderliche Hand, einig in dem Bestreben, abzuschlagen, was immer ihnen in den Weg tritt, Deutschland und Österreich-Ungarn. So kontrastiert das Charakterbild der beiden Bündnisse, seither zu Formationen größten Stils angeschwollen, schon in seinen Anfängen; gleich einer kombinierten Licht- und Schatten¬ quelle wirft es fortan helle und dunkle Streifen in die poli¬ tischen Vorgänge Europas, wirft sie nicht minder in den Krieg, wie auch darüber hinaus in die verschwommenen Umrisse zwiespältiger Hoffnung auf Sieg. Während sich nämlich in dem Siegesgedanken der Mittel¬ mächte bisher stets nur das Bestreben gezeigt hat, einem Friedensbilde die Verwirklichung zu verschaffen, das die zu Recht bestehenden Machtverhältnisse Europas dauernd zur 13