II. Das BundesWem Europas und die Unterschiede in demselben. Zugegeben, daß sich ein Ereignis wie die Gründung des Deutschen Reiches auf einem so komplizierten historischen Boden, wie ihn Europa vorstellt, nicht ohne Erschütterungen des euro¬ päischen Gleichgewichtes vollziehen konnte; durfte das doch für Frankreich kein Beweggrund sein, den Frankfurter Frieden nur unter dem Vorbehalte zu schließen, denselben umzustoßen, sobald sich hiezu Gelegenheit bietet. Zugegeben, daß ein Staat von den riesenhaften Dimensionen Rußlands zum Atemschöp¬ fen freie Zugangsstraßen ans offene Meer braucht; durfte das doch kein Beweggrund sein, sie dort zu suchen, wo die Lebens¬ ader einer „anderen europäischen Großmacht ausläuft. Ein Reich wie Österreich-Ungarn kann sich eben nicht von einer rein slavischen Macht wie Rußland bis gegen die Adria hin abschnüren lassen, ohne bei fortlaufender Entwicklung bis an die Stufen der Alpen zurückzusinken und dem nachdrängenden Kulturkreise des slavischen Ostens bis an die Tore Italiens und des süddeutschen Siedlungsgebietes das Feld zu räumen. Das zu verhüten liegt nicht allein im Interesse der Dynastie und des Selbstgefühls einer uralten europäischen Kulturmacht, sondern auch im Interesse des gesamten Völkerkreises der Monarchie, der, woraus Karl Lamprecht sehr geistvoll hinge¬ wiesen hat, fast zur Gänze mit den geistigen und materiellen Gewinnen der Vorkulturen von Rom her gespeist ist und sohin auf einem beziehungsreichen Untergründe ruht, der zwischen Polen, Tschechen und Deutschen, Magyaren und Südslaven eine innerliche Gemeinschaft begründet, die zwischen österreichischen Westslaven und russischen Ostslaven niemals hergestellt werden kann, nachdem die weltgeschichtliche Quelle, aus der Rußland ferne kulturellen Überlieferungen bezieht, nicht in Rom, sondern in dem westasiatisch-südosteuropäischen Kulturkreis des dahin¬ gesunkenen Byzanz gesucht und gesunden worden ist. Rußlands wahre geschichtliche Mission liegt eben in Asien, wo es mit ganz geringen Mitteln dauernde Erfolge erzielen könnte. Aber nicht immer haben Völker ihre wahre historische Mission erkannt, sondern dem echten Realismus zu huldigen geglaubt, wenn sie sich in eine bessere und schönere Welt hineinträumten, zu der aus zurückgedehnten Erinnerungen des Schmerzes oder der Lust gerade zufällig ein verheißungs¬ volles Stichwort aufstieg. So umgab das Testament Peter 11