(111) schütter!, daß sich plötzlich die Binde von seinem geistigen Auge löste und sich ihm deutlich der Abgrund zeigte, vor dem er stand. Er wandte sich schaudernd ab, und war — gerettet, gerettet für ein ehrliches, recht schaffenes Lebens. Der jun ge Mann hatte gar wohl dieStimme erkannt, die ihm zum Retter geworden war und unschwer erriet er auch den weiteren Zusammenhang als er wußte, daß Lene während des Besuches von Markus im Neben raume gelegen war. Lenens Krankheit nahm einen schnellen Verlauf, und Georg, welcher gleich benach richtigt wurde, kam eben noch zur letzten Stunde zurecht. Die Sterbende erkannte beide, und deren Anblick mochte sie wohl darüber beruhigt haben, ob sie mit gutem Gewissen vor den ewigen Richter treten könne, denn ihr Ende war friedlich und leicht. Ueber der Leiche ihrer treuen Pflegemutter reichten sich die beiden Brüder voll herz licher Eintracht die Hände, vereint durch die gleiche Aufgabe, das Andenken an eine „edle Seele" zeitlebens zu ehren. An ihrem Grabe sprach Georg die Worte, von deren Geist das ganze Leben der guten Lene beseelt und geleitet war: „Die Liebe kann alles, sie tut alles, sie erduldet alles, sie überwindet alles, die Liebe hört nimmer auf." Stille leide. ■99 Sei stille, ruhig leide, Was Gott dir auferlegt; Dann wird zur heil'gen Freude, Was schmerzlich dich bewegt. Und müßtest du auch meiden, Was dir so teuer ist, Trag' freudig alle Leiden, Bis du am Ziele bist. Za, sinne nur und trachte Zu leben, wie Gott will. Die Welt und dich verachte, Sei ruhig, leide still. Th. M. v. Dalberg. Dem Pfarrer brach tiefergriffen die Stimme, aber in der Reinheit seines Wan dels ahnte er nicht, wie ganz anders es den schluchzenden Bruder neben ihm packe. Heinrich gab sein Fabriksleben auf und zog nah seinem Heimatsorte, wo er selbst ständig ein Schlossergeschäft errichtete, das bald von dem besten Fortgange begleitet war. Seine erste Arbeit als Meister war ein überaus kunstvoll geschmiedetes Grabkreuz für die Ruhestätte der Lene. Mit so feinen Arabesken, blütenförmigem Zierat und sinnig verschlungenen Schnörkeln war das Kreuz von oben bis unten geschmückt, daß wohl manch einer stehen blieb und das reiche Kunstwerk bewunderte. Er mochte wohl auch denken, daß darunter ein Menschenkind ruhe, das großen Besitz an Geld und Gut hinter lassen, und von seinen Hinterbliebenen mit so kostbarem Denkmal bedacht worden sei. Doch der Mann, der alljährlich am Tage der Toten das Grab mit den prächtigsten Blumen umwand, wußte es, daß dieses Kreuz tiefgefühlte Dankbarkeit der treuen, edlen Liebe einer armen Dienstmagd ge widmet habe. Und niemals vergaß er, daß diese Magd für das Leben seiner Seele das Leben ihres Leibes geopfert habe. Menschen Herz. Des Menschen Herz, es gleichet Dem tiefen Meeresgrund, Nicht tut es jedem Auge Gern fein Geheimnis kund, Und nur wenn du in Treue Gs zu ergründen denkst, Als Senklot deine Liebe In feine Tiefe senkst: Dann tut es seines Schoßes Geheimste Falte auf, Draus eine helle j)erle, Die Liebe, grüßt herauf. Heinrich Gafferl.