(124) der Laternen erkannte Elise zwei Wachleute, welche in ihrer Mitte einen schwankenden Mann führten. Dieser war in seiner Kleidung zerrüttet, beschmutzt, ohne Kopfbedeckung, das wirre Haar war ganz nass, wie die Kleidung. „Nummer 23 sagten Sie, wir sind bei Ihrer Wohnung angelangt", hörte Elise einen der Wachmänner sagen. „Mein Weib — mein Kind", seufzte der Verunglückte und schüttelte sich im Fieberfroste. Rosa hatte einen Blick auf die Herankommenden geworfen und rief jetzt entsetzt aus: „Mein Gott, der arme Vater ist es — er stirbt." „Mein Anton, mein unglücklicher Mann," schrie Elise auf, ihre Hände dem vor Kälte Schlotternden entgegenstreckend. „Der Herr ist vor wenigen Minuten vom Donauquai in der Düsterheit des Nebels in den Strom gestürzt, von uns aber mit Hilfe des Rettungskahnes wieder heraus gezogen worden," sagte der eine Wachmann; „ein kaltes Bad in dieser Jahreszeit ist ge fährlich, sehen Sie um heißen Thee um." Elise hatte mittlerweile heftig am Glockenzuge geläutet, ein — zwei — drei mal, unbekümmert, ob der nervöse Mops Tschogerl auch dreimal in Ohnmacht fallen mochte. „Vater, lieber Vater, kennst du mich?" rief Rosa, sich zu des Vaters Füßen werfend und dessen Hände ergreifend, „dein Kind, deine Rosa, liegt aü Büßende im Ball kleide vor dir, verzeih' mir, sieh herab auf mich, die allein es gewesen, die dich ins Elend, in den Tod gestürzt hat." „Steh' auf, Rosa", lispelte der Ver unglückte, „nicht du, der Fuchs hat mich elend gemacht — dein Vater ist kein — Dieb." „Barmherziger über den Sternen, nimm mein Leben, wenn du eines als Sühne forderst, nur erhalte das meines Vaters, denn ich habe gesündigt, ich allein will büßen," rief Rosa, sich langsam erhebend. — Die Hausthüre ward jetzt aufgethan und die Wachleute übergaben Moser der Hilfe des Hausmeisters und entfernten sich. — Das waren die Ereignisse einer Winter nacht in der Großstadt. 5. Capitel. Hei der Hausmutter. Ein düsterer Wintertag hatte den Ste phansdom mit seinem Riesenthurme, diesem ehrwürdigen Wahrzeichen Wiens, ganz in ein Meer von Nebeln gehüllt. Ein junges Mädchen trat in das Dunkel der heiligen Räume der Kirche und suchte den Altar „bei der Hausmutter" ans. Dort kniete es nieder, faltete die Hände und betete mit aller Innigkeit eines tiefbetrübten Herzens für sich hin. Das Licht in der Ampel brannte hell auf, es wurde zum vollglühenden Sterne, der wie ein Hoffnungsstrahl aus das Mädchen herableuchtete. „O, Du Mutter der Gnaden, Mutter der Barmherzigkeit, sieh herab auf eine arme, reuige Sünderin, die wie jene Nonne Maria Dir zu Füßen liegt und Dich anfleht um Hilfe in dem Unglücke, das meinen armen Vater getroffen, nur um meinetwillen ge troffen. Wie das Licht vor Deinem Altare leuchtet, so sende auch einen Strahl herab, | der das Dunkel erhellt, welches meinen Vater umfangen, der die finsteren Rachepläne be leuchtet, wie sie der böse Feind meines Vaters ersonnen. Werde Du unsere gute Haus mutter und zu Deinen Füßen gelobe ich, ein gutes Marienkind, Deine Tochter, zu werden und Dir in Treuen zu dienen. Die Untugend der Eitelkeit und Genusssucht nach den Freuden der Welt will ich ablegen und fürderhin in schlichter Einfachheit meine Wege der Tugend wandeln. Rette meinen guten Vater und übergib ihn nicht in die Hände seiner Feinde, um dieses bitte ich Dich, Du barmherzige Hausmutter einer schwer ge prüften Familie, höre und erhöre mich huld reich, Amen." Der Leser hat die andächtige Beterin, welche sich selbst erkannt und damit auch den ersten Schritt zur Besserung gethan, gleichfalls erkannt. Rosa war es, die Tochter des Diurnisten Moser, die ihren Herzens kummer der lieben Hausmutter bei Sanct Stephan anvertraut, von der ihr ja die eigene Mutter erzählt hatte. Sie hatte ihr Gebet vollendet; mit einem andächtigen Kreuzzeichen verließ sie das Gotteshaus und trat durch eines der Seiten-