107 auch Descartes zu einem Kabbalisten? Das ganze Gerede beweist nur, daß die Leute von dem eigentlichen Charakter der kabbalisti schen Weisheit nichts verstehen und noch weniger von Spinoza's Lehre und seiner Geistesart. Sie wissen auch nicht, wie Spinoza selbst von den Kabbalisten geurtheilt hat. Hier ist seine Erklä rung: „ich habe auch noch einige kabbalistische Schwätzer gelesen und mich nie genug über ihren Unsinn wundern können*)." Er hatte die jüdische Theologie und Theosophic durchstudirt, und der letzte Erfolg war, daß er sich davon losriß, im Innersten unbefriedigt. Statt des Rabbiners war ein Skeptiker aus ihm geworden. Er dürstete nach Erkenntniß Gottes und der Natur, und dieser Durst blieb ungestillt durch das alte Testament, den Talmud und die Kabbala. IV. Der Bruch mit dem Judpnthum. l. Die Entfremdung. Die ersten Philosophen der neuen Zeit haben cs schwer, die Selbständigkeit zu erringen, welche das Werk der freien und vor aussetzungslosen Erkenntniß verlangt. Ihre Jugend und Erzie hung ist unter die Macht der Tradition gegeben, die mit einem geheiligten Ansehen und einer massenhaften Schulweisheit die Köpfe gefangen nimmt und die Geistesfreiheit bei Zeiten unter jocht. Descartes in der Jesuitenschule von La Fleche, Spinoza in der Rabbinenschule von Amsterdam! Jener ein Schüler des strengsten Ordens im Sinne der päbstlichen Autorität, dieser ein *) Tract. theologico-politicus. Cap. IX. (Ed. Paulus I p. 297.)