Freiherr Grote ~ Vorsicht! Feind hört mit! wohl hat man so oft verstoßen wie gegen diesen. Ein jeder Frontoffizier wird aus seinen Erfahrungen genügend Beispiele von plötzlichen artilleristischen Fenerüberfällen bei Truppenansammlungen in Dörfern, bei Ablösungen nsw. anführen können, die nur auf Verrat, das heißt auf das Abhören dieser oder jener unvorsichtiger Gespräche zurück¬ zuführen gewesen sind. Alle blutigen Opfer, die solche überraschenden Beschießungen im Gefolge hatten, kamen auf das Schuldkonto jener Unbekannten, die aus Bequemlichkeit oder Vergeßlichkeit sich nicht des Telefonschlüssels bedient hatten, jener Decksprache, die die eigentliche Bedeutung der Worte und Sätze verschleiern sollte. Der Feind hatte mit¬ gehört und erteilte auf die Minute die mörderische Bestätigung des Gespräches. Sehr oft mag das Fehlen des betreffenden Chiffriertextes daran schuld gewesen sein, daß sich bei Telefonaten Unvorsichtigkeiten ereigneten. Es war nicht schwer, in einem niedrigen und überfüllten Unterstand den schmutzigen Pappdeckel zu verlegen. Dann kamen die betreffenden Hilflosen auf eine rettende Idee, indem sie eine eigene Verschlüsselung ersannen. Allzu schwer durfte diese auch nicht sein, denn sonst hätte ja der Mann an der andern Seite der Strippe das Gespräch auch nicht verstehen können. Eine lustige Episode aus dem Jahre 1917 kommt mir dabei in den Sinn. Wir hockten in einer Höhle auf dem Bergrücken des Chemin des Dames, mein Abschnittskommandeur, ein zur Infanterie abkommandierter Rittmeister von den Garde- Kürafsieren und ich, fein Adjutant. Es war acht Wochen vor dem gewaltigen Durch¬ bruchsversuch bei Pargny-Chavignon, dem ich an anderer Stelle ein Denkmal gesetzt habe*. Plötzlich blöckte das Feldtelefon, und der Rittmeister griff eifrig zum Hörer. Unser Regimentskommandeur war ein sehr tätiger Vorgesetzter und kümmerte sich mehr als genug um den Stellungsbau. Die kommenden Ereignisse gaben ihm auch voll recht. Während der Rittmeister telefonierte, das heißt, man hörte nur: „Wie befehlen? Ich verstehe nicht!" usw., war ich mit irgendeiner Schreibarbeit beschäftigt, die im sogenannten ruhigen Stellungskrieg das Trommelfeuer des Großkampfes reichlich ersetzte. Da ruft der Rittmeister meinen Noamen, ich sehe sein verzweifeltes, verstörtes Gesicht und denke zuerst nichts anderes, als daß er soeben die Nachricht von einem großen Unglück erfahren hat. „Kommen Sie nur her," befiehlt der Kommandeur jetzt aus tausend Nöten heraus. Ich folge gehorsam und nähere mich dem Apparat. Da läßt der Rittmeister die Hand von der Sprechtaste, damit der drüben, der ihn angerufen hat, nicht verstehen kann, und ich erfahre so auch den gefürchteten Namen des Anrufers, denn der Kommandeur flucht aufgeregt: „Der Oberstleutnant ist völlig verrückt geworden!" Das war nun etwas für mich. Wir begrüßten jeden Scherz Ln der häßlichen Grau¬ samkeit unseres Daseins. Ein wenig absonderlich war ja unser Kommandeur schon immer gewesen, aber ein ganzer Kerl, der für das Regiment eintrat, wo er nur konnte. Und diese Tatsache wog manches andere auf. „Ja, was ist denn los?" erkundigte ich mich * Vergl. Hans Henning Freiherr Grote: Die Höhle von Beauregard. Verlag L. S. Mittler & Sohn, Berlin 1930. 2. Auflage.