inmitten verfaulten, scheußlichen Aases, Gefühl der Befreiung, woran man noch gar nicht zu glauben wagt. Wie wird es möglich sein, daß sie uns nicht sehen und uns bis zu unserm Ziel in Frieden lassen? Wir erreichen die Linien. Und unsere Taffe heiße Bouillon und die kleine, traute Baracke, die uns von neuem aufnimmt, sind die höchsten Ziele unserer Sehnsucht. . . 36 Stunden Urlaub! Gerade Zeit, um im Lastauto nach Citadella zu rasen, die brave Telephonistin um eine Verbindung mit Venedig zu bitten, meinen Besuch meinem Vater anzumelden und mich zu ihm zu stürzen, um ihm zu zeigen, daß ich wohlerhalten bin, nachdem ich auch bei Ortigara dabei gewesen bin; jetzt kann ich es ihm ja sagen. „Ich habe aus deinen Karten erraten, daß du bei Ortigara lagst," sagt mein Vater zu mir. „Wieso?" — „Weil du immer dieselben Karten sandtest, mit dem stereotypen ,Nichs Neues'. Wenn du nämlich an einer Schlacht teilnimmst," erklärt mein Vater, „dann fängst du deine Karten immer mit der nämlichen Formel an, und immer schreibst du: Alles ist gut. Diese Gewohnheit hast du unbewußt angenommen, und ich habe das gemerkt." Wir find mitten in der Unterhaltung auf der Terraffe des Hotels, das zur Offiziersmeffe für den Stab geworden ist, und wir schauen auf den Canal Grande, der sich in der Sonne wie eine große gefleckte Katze hinstreckt. „Die Luft ist ruhig, das Wetter klar. Ob die Österreicher diese Nacht wieder kommen, um Bomben auf mein Hospital abzuwerfen?" Mit Stolz betrachte ich meinen guten Vater; er ist mager wie ich, sein Gesicht verbrannt wie das meine, und er ist in eine graugrüne Uniform eingeschnürt, die ihn in einem Alter des häuslichen Herds, der Pantoffeln und der Muße, zu allem, was unbequem und gefahrvoll ist, weiht. Aber ich spreche zu ihm nicht von meinem Stolz, weil ich von ihm seinen schweigsamen und verschloffenen Charakter geerbt habe. Auch er spricht nur wenig zu mir, einfach, mit einer gewiffen Scham, ungekünstelt. Jedesmal, wenn ich nach dort oben zurückkehre, drückt er mir wortlos die Hand, wie einem Kollegen. Heute indeffen hat er sich einen Augenblick verraten. „Du wirst sehen, daß dieser Krieg noch 2 Jahre dauert," sagte ich ihm 'bei der Tafel, als ich durch das schöne Wetter und den guten Wein großsprecherisch geworden war. „Wenn der Krieg noch 2 Jahre dauert," antwortete mein Vater, indem er mir in die Augen blickte, „dann werde ich vorher sterben. Diese tägliche Angst um dich wird mich schließlich töten." Cr hat sich soeben verraten, der arme Papa; er hat seinen Sohn dort oben und muß jeden Tag Dutzende von Reklamationen kräftiger junger Leute prüfen; die Blüte ihrer Raffe, die Hoffnung ihres Vaterlandes, die da bitten, daß man sie nicht die erste Linie vorschickt, weil sie keine starken Nerven haben oder herz¬ schwach sind! Aber für diese armen Frontschweine gibt es keinen Ruhetag, keinen Tag in irgendeinem Dorf, wo es Häuser mit Mauern gibt, Wirtschaften und 266