seine Uhren bei uns anzubringen, für die er uns übrigens wirklich vorteilhafte Preise machte. Er hatte in Frankreich gelebt und kannte unsere Sprache sehr gut; er sprach sie wenig, aber er verstand sie vollkommen. Das wußten nicht alle Gefangenen. Eines Tages tritt er in ein Büro, wo einige Franzosen arbeiteten, die davon nicht gerade unterrichtet waren. Einer von ihnen, schlechter Laune, begrüßt ihn mit dem klassischen Ausruf, in dem sich ganz natürlich die Seele eines jeden guten Franzosen ausdrückt, der an jedem Ort, und sei es in einem Gefan¬ genenlager, immer seine Portion — Maulfertigkeit besitzt: „Was, will dieses Schwein da uns schon wieder sch... laßen?" Katastrophe, wird man meinen! Krach, Wutgeschrei, Einsperren, Strafe! Durchaus nicht. Unter der Last der Beschimpfung ein wenig mehr gebeugt als gewöhnlich, in einem melancholischen und resignierten Ton, die Silben ein wenig betonend, wie einer, der feststellt, daß er kein Glück hat, antwortet unser Mann einfach auf Französisch: „Das ist das dritte Mal seit heute morgen, daß man mich mit Schwein anredet.. In den Arbeitervorstädten von Dresden und Leipzig, die wir durchfuhren, waren Frauen am Fenster, und sie warfen uns im Vorbeifahren Kußhände zu. Ich sage das, weil ich es gesehen habe. Ich erinnere mich, daß ich meinen Kopf zwischen die Hände nahm, den bittersten und erschöpfendsten Fragen zur Beute... Was war denn das? Was wollten diese Schwächlinge? Wenn wir im Kriege waren, warum nicht dabei bleiben? Ich hätte einmal wenigstens den Haß, der sie gegeri mich in den Krieg trieb, greifen mögen!... Cs gibt eine gewiffe deutsche Ritterlichkeit, die man zu oft verkennt, und über die ich persönlich mich lobend aussprechen muß. Der Deutsche liebt es, in gewiffen Fällen seinen Feind gut zu behandeln; er schätzt ihn, wenn er tapfer ist, er sagt es ihm, er läßt ihm gerne seinen Degen. Als die ersten Gefangenen von Verdun im Lager ankamen, erklärte uns der Feldwebelleutnant, der sie empfangen mußte, im voraus feierlich, daß er sie als „Helden" betrachtete. Auf dem Schlacht¬ feld selbst kann man häufig einen Offizier zu den Gefangenen herantreten sehen, um sie zu beglückwünschen, ja beinahe, um ihnen zu danken, daß sie sich gut ge¬ schlagen haben. Im übrigen wird er ihnen sogar heftige Vorwürfe machen, wenn er urteilt, daß ihr Widerstand ungenügend gewesen sei... Der Lagerkommandant fragte einen aufgegriffenen Flüchtling, warum er aus- geriffen sei. „Weil es meine Pflicht war!" läßt sich der vernehmen. Am nächsten Tage versammelte der Kommandant alle Gefangenen und hielt ihnen eine Rede: „Dieser Mann hat gesagt, daß er seine Pflicht tat, als er entfloh. Ich erkläre laut, daß ich das zugebe. Ich muß ihn bestrafen. Aber ich achte sein Verhalten. Wenn es das Unglück wollte, daß ich Gefangener in Frankreich wäre, dann hätte ich keine Ruhe, bevor es mir nicht gelungen wäre, zu entkommen." Jawohl, aber wenn er eingefangen würde und das nämliche „Weil es meine Pflicht war!" vorzuschützen wagte, würde er, so sage ich, einen viel geringeren Erfolg haben, als 56