XL Kapitel. Die nationalen Probleme des Kerngebiets. 1. Litauen und Weißrußland*). Der Begriff Litauen, das sich wie ein Block zwischen Kurland und Ostpreußen bis zur Küste vorschiebt (dies Stück ist das alte Samogitien), schwankt in Vergangenheit und Gegenwart, je nachdem man ihn historisch oder ethnographisch nimmt. Ethnographisch ist Litauen in der Hauptsache das Gebiet des untern Njemen und gehört zu den Gouvernements Kowno, Wilna, Kurland, Suwalki und der Provinz Ostpreußen. Mit den Letten zusammen bilden die Litauer eine indogermanische Völkergruppe. Sie sitzen heute wohl noch ziemlich in denselben Grenzen wie damals, als der deutsche Orden zuerst in ihr Gebiet eindrang, dessen Grenzlinie von Labiau bis Goldap, von da östlich und nordöstlich bis Dünaburg und von da an der Südgrenze von Kurland entlang geht^). In der Vergangenheit umfaßte das Großfürstentum Litauen freilich ein Gebiet, das weitaus größer war. Zum überwiegenden Teile waren aber die Bewohner dieses zwischen Polen und Moskau zeitweilig fast von Meer zu Meer reichenden litauischen Staates an der Düna, der Wilja und dem Njemen Weiß- und Kleinrussen. Zwischen Moskau, dem Ordensstaat und Polen suchte er sich selbständig zu behaupten, unter seinen Fürsten Gedymin und namentlich Witowt, aber mit einer Volksbasis, die von vornherein zu schmal war. 1386 verband er sich durch die Heirat Jagiellos mit der polnischen Königs tochter und Erbin Hedwig mit Polen, und damit endet seine selbständige Geschichte. Der kulturelle Druck Polens wirkte so stark, daß Adel und *) S. zum folgenden den Atlas „Völkerverteilung in Westrußland". Verlag der Kownoer Zeitung 1916. 2 ) Nach Bezzenberger. HoeHsch, Rußland. 25