I. Buch. I. Kapitel. Das Erbteil der Vergangenheit. „Das griechisch-slawische Prinzip trat in Rußland mächtiger hervor, als es jemals in der Weltgeschichte geschehen; die europäischen Formen, die es annahm, waren weit entfernt, dies ursprüngliche Element zu erdrücken; sie durchdrängen es vielmehr, belebten es und riefen seine Kraft erst hervor" — mit diesen Worten von unnachahmlicher Knappheit und Fülle weist Leopold Ranke Rußland den Platz in seinen „Großen Mächten" an. Er sagt so, ohne die geographischen und ethnographischen Faktoren darin auch nur zu berühren, bereits das Entscheidende über das russische Problem. Gliedert man danach die russische Geschichte als den Werde prozeß eines europäischen Staates, so reicht das Altertum bis zu Wladimir I. (980—1015). Sein Mittelalter endet nicht, wie gewöhnliche Annahme ist, mit Peter dem Großen, sondern entweder mit Iwan IV. dem Gestrengen (ch 1584) oder mit der Thronbesteigung Michael Romanows (1613) — denn der Absolutismus und die Rezeption west licher Staats- und Lebensformen, die in Rußland am offensichtlichsten die Neuzeit herausführen, setzen nicht erst mit Peter ein, der kein Anfänger, sondern der gewaltigste Fortsetzer und teilweise Vollender war. Wenn ein Historiker aber die „Ansänge des zeitgenössischen Rußlands" schreiben will, so hat er mit dem Krimkrieg und den Reformen Alexanders II. einzusetzen; damit beginnt das Rußland der neuesten Zeit. Diese teilt sich in zwei Perioden, beide eingeleitet und in der letzten Wirkung ausgelöst durch zwei unglückliche Kriege, den Krimkrieg und den Krieg mit Japan. Beide Male haben die Folgen der auswärtigen Politik die innere Entwicklung auf das stärkste beeinflußt. Der Fehlschlag Hoctzsch, Rußland. 1