30 Der Ansturm der russischen Heeresmassen gegen Oesterreich daß ärger als Gefahr, Hunger und Ermüdung ihre Unsauberkeit sie peinigt. Mit Schmerz und Ekel sehen sie die notgedrungene Verwahrlosung ihres Körpers und ihrer Kleidung; sehr wahrscheinlich unterscheidet dies die Helden von 1914 von jenen früherer Jahrhunderte. Reine Wäsche... warmes Wasser... Seife... sie schwelgen in den Wor ten, in der Vorstellung. Für einige Minuten sind alle Erinnerungen des Heroismus, der übermenschlichen Anstrengungen hinuntergetaucht, alle denken: Ein Bad! Und ein langer ungarischer Major zieht feierlich aus seiner Kartentasche einige dünne zerblät- ternde Scheiben hervor: Seife in Blattform. Neidisch sehen die Kameraden ihn an. Die Hühner kamen. Es sind zwar noch Federreste an ihnen, aber sie schmecken köstlich. Kaffee duftet, dampft. Man schreibt eilige Karten, sammelt Unterschriften; erste Grüße nach der Schlacht. Als man die Karte vor der Schlacht schrieb, dachte ein jeder: Vielleicht sind es die letzten Grüße. Wie ein Geschenk ist alles: dieser Tag, diese Sonne, diese Möglichkeit, wieder Abschied nehmen zu dürfen, die Hoffnung. Ein Oberleutnant fragt: „Hast Du Brestany gesehen?" „Ja," ruft ein anderer: „Vorgestern bei Grodek. Er hat famos gehalten, sein Regiment war das erste, das"... Der Major hört zufällig zu: „Brestany? Den haben wir heute ftüh begraben. Er sah schrecklich aus." Das Signal zum Aufbruch. Alle schwingen sich auf die Pferde. Drei Minuten später ist ihre Munterkeit, Hoffnung, der aufgewachte Frohsinn dieser aufatmenden Stunde ver schwunden, und nichts bleibt außer gebrochenen elenden Bänken vor einer leeren rauch geschwärzten Dorffchenke, Verlassenheit und einer vergessenen Kuh, die verzweifelt brüllt. Der Gefangene Bei Sonnenuntergang bekam der Feldwebel den Befehl, mit einigen Mann beim nahen Wäldchen Posten zu beziehen, dort, wo es in Gestrüpp überging. Weit und breit war kein Feind zu sehen; man war ihm schon seit Tagen nicht begegnet, und die Sache hatte also keine andere Unannehmlichkeit, als daß die Leute um ihre Nachtruhe kamen. Die Nacht war wohl dunkel, doch mild, die Luft angenehm, warm, von friedlichster Sanftheit. Die paar Soldaten schritten in gemächlichem Marsche dahin, der Feldwebel ziemlich weit voran. Während die Mannschaft noch an fünfzig Schritt hinter ihm über ein kleines Holzbrückchen ging, war er schon am Bestimmungsorte angelangt. Mit einem mißtrauischen Blicke musterte er das Wäldchen; nichts regte sich. Als er sich wie der zu seinen Leuten umdrehte, sah er ganz unmittelbar vor sich zwei andere Soldaten, so nahe, daß er sie greifen konnte. Er hielt sie für irgend eine andere Patrouille, die heimkehrte, und wollte sie mit einem gut österreichischen „Servus" begrüßen. Da kamen ihm ihre Uniformen fremdartig vor, und im selben Augenblick begriff er, daß es Rusien waren, die genau den gleichen Auftrag hatten wie er: die Oeffnung vor dem Wäldchen zu bewachen. Er hatte jedoch keine Zeit, weiter über diesen sonderbaren Zufall nachzu denken, denn der eine Russe griff schon nach seinem Bajonett. Indes der Feldwebel war rascher gewesen und hatte die Waffe dem Feinde mit einer kurzen, überraschenden Be wegung entrissen. Der Mann selbst aber war ihm entwischt und wollte in den Wald laufen wie sein Kamerad, der einen Schritt weiter gestanden war als er. Der Feld webel schrie ihm zu, stehen zu bleiben, sonst werde er schießen. Und wenn der Russe auch sicher die Worte nicht verstand, so muß er ihren Sinn doch wohl begriffen haben. Denn mit einer wie automatischen Bewegung hob er beide Arme hoch und stand un beweglich. Der Oesterreicher näherte sich ihm bedächtig, packte ihn, schob ihn mit einer beinahe gemütlichen Geste derart vor sich hin, daß der Russe chm den Rücken zukehrte, und gehorsam schritt nun der Gefangene der Brücke zu, über die gerade die anderen Oesterreicher marschierten, die von dem ganzen Zwischenfall nichts bemerkt hatten. Aber sie waren nun alle außerhalb des Waldschattens, und auf einmal kamen aus dem Walde