Bulgariens Entschluß zur bewaffneten Neutralität 43 direktion übernommen worden und am 11. Oktober wurden die bulgarischen Behörden in den abgetre tenen Gebieten, die ungefähr 3000 Quadratkilometer umfaßten, eingesetzt. Nach der vollzogenen Abtretung sind zwischen dem König von Bulgarien und dem Sultan der Türkei bundesfreundliche Begrüßungs telegramme gewechselt worden. Diese Grenzberichtigung war ein Ereignis von erheblicher wirtschaftlicher, militärischer und poli tischer Bedeutung. Sie sprach Bulgarien die Bahn linie zum Aegäischen Meer und das ganze westlich des Maritzabogens gelegene fruchtbare Gebiet zu und machte damit den zukunftsreichen Hafen Dedea- gatsch zu Bulgariens gesichertem Ausfalltor nach dem Weltmarkt. Sie hat ferner durch die Ueber- gabe von Kara-Agatsch, der Vorstadt von Adria nopel, und eines Gebietsstreifens von zwei Kilometer Breite östlich der Maritza Bulgariens militärische Sicherheit erhöht. Die Türkei, die aus gewichtigen nationalen und religiösen Gründen die Stadt Adria nopel selbst nicht abtreten konnte, verzichtete auf den Wert der Festung Adrianopel als Basis einer etwaigen Offensive, wogegen Bulgarien seine An sprüche auf Kirkilisse fallen ließ, das befestigt in der Hand Bulgariens im Rücken des durch die Ab gabe von Kara-Agatsch entwerteten Adrianopels eine Bedrohung der Türkei gewesen wäre. Kara-Agatsch gegen Kirkilisse, das bedeutete, wie der Sonderberichterstatter der „Vossischen Zeitung" (24. VIII. 15) in Sofia hervorhob, politisch: „Keiner der beiden Nachbarstaaten will den andern in Zukunft bedrohen. Sie haben sich, durch die Festsetzung natürlicher, ethischer und Berkehrsgrenzen, endgültig freundschaftlich aus einandergesetzt, und dieser Wille zur Bewahrung eines dauernden freundschaftlichen Verhältnisses bildete die Grundlage für eine neue Politik Bulgariens." Die Politik beider Länder ging aber auch Hand in Hand mit dem Streben der Mittelmächte, die Vorbedingungen für die große Wirtschaftsstraße zu erringen, die ihre Gebiete mit den Ländern des nahen Ostens verbinden sollte. Der Maritza-Vertrag war also auch eine wertvolle Ergänzung der Politik der Zentralmächte, deren bedrohliche Bedeutung in den Regierungskreisen der Ententeländer tiefen Eindruck machte. Bulgariens Entschlußj. bewaffneten Neutralität Zar Ferdinand Von Or. Freiherrn von Mackay Bulgarien ist das Herz des Balkans, wie Deutschland das Nervenzentrum Europas. Das Volk hat die wilde Tapferkeit seiner thrazischen Vorfahren ererbt, wurzelt in einem knorrigen, arbeitszähen Bauernstand, ist urdemokratisch gesinnt wie das alte Germanen tum, glüht in hochgespannter, ernster Vaterlandsliebe, lebt einfach, sittenrein, ehrt Weib und Wiege, ist fromm — und verschlossen, mißtrauisch, verschlagen, wie die meisten Jägervölker und durch die Leiden langer Knechtschaft verhärteten Nationen. In seiner gefährlichen, schwierigen Mittenlage war es, genau wie Deutschland, jahrzehntelang der