Unruhen und P o g r o m e 223 abgehalten, ihnen Weisungen erteilt und zum Pogrom sogar ermutigt haben. Auch besaß die Bande, wie feststeht, Listen ihrer künftigen Opfer. Jedenfalls ist sicher, daß der Minister des Innern, Maklakow, von der „patriotischen Kundgebung" wußte, und daß der Generalissimus mit Ungeduld die Meldung der Ergebnisse erwartete. Ohne es zu wollen, hatte der bereits am 14. Mai 1915 neu ernannte Oberkommandant von Moskau, Fürst F. F. Jussupow, Graf Ssumarakow-Elston, durch seine Ausführungen zu dem Gesetz über die Liquidation der Geschäfte feindlicher Staatsangehöriger (S. 209) vor allem durch seine Worte, Rußland führe nicht gegen die Geschäfte Deutscher, sondern gegen das Deutsche Reich Krieg, zum Vorgehen gegen sämtliche deutsche Unternehmungen, d. h. Unternehmungen von russischen und ausländischen Untertanen mit nichtrussischen Familiennamen und Firmen, vor dem 1. Juni 1915, dem letzten Termin, beigetragen, da man so einen abermaligen Fristaufschub verhindern zu können glaubte. Der Moskauer Stadthauptmann Adrianow reichte sein Rücktrittsgesuch ein und wurde durch den Generalmajor Solotareff ersetzt. Außerdem ist von der Regierung ein Unter suchungsausschuß mit weitgehenden Vollmachten eingesetzt worden, zu dessen Mitgliedern der frühere Vorsitzende des Petersburger Höchstgerichts, Krascheninnikow, als Präsident und der Ministerialrat im Ministerium des Innern, Charlanow, ernannt wurden. Wie in der Eingabe einer Deputiertengruppe der Duma an die Regierung vom 1. September 1915 ausgeführt worden ist, hatte der Pogrom nach den Aussagen des Moskauer Brandmeisters 61 Feuersbrünste zur Folge. Darunter haben nach den Angaben der Stadtverwaltung gelitten 113 deutsche und österreichische Staatsangehörige, 189 russische Staatsangehörige mit ausländischen Namen und Angehörige verbündeter und neutraler Staaten, ferner 90 russische Staatsangehörige mit russischen Namen, insgesamt also 692 Personen. Der materielle Schaden belief sich auf etwa 103 Millionen Franken, von denen nur 16 Millionen auf deutsche und österreichische Staatsangehörige entfallen. Dabei fehlten noch Angaben über 122 beschädigte Betriebe und 59 Wohnungen. Der Schaden soll aus Kronmitteln ersetzt werden. Der neue Moskauer Stadthauptmann aber erließ, wie der „Frankfurter Zeitung" von einem gelegentlichen Mitarbeiter indirekt aus Moskau geschrieben wurde, folgenden charakteristischen Befehl: „Nachdem ich an einer ganzen Reihe von Läden, die bei den Un ruhen gelitten haben, Anschläge gesehen habe, daß diese Läden „aus Versehen" ge plündert worden sind, befehle ich den Polizeibeamten, daß sie die Entfernung dieser Aushänge verlangen. Ich gehe dabei von der Erwägung aus, daß in Zukunft Pogrome weder „aus Versehen" noch „ohne Versehen" zugelassen werden." Auch in Petersburg kamen wiederholt Unruhen vor. So soll die Explosion in der Fabrik für Sprengstoff in Ochta am 29. April 1915, bei der eine große Anzahl Arbeiter und Soldaten getötet und verletzt wurden, auf einen wohlüberlegten Anschlag der revo lutionären Partei zurückzuführen sein. Auch bei den Ausständen der Arbeiter der Putilow-Werke kam es am 19. Juni 1915 infolge der Einmischung revolutionärer Ele mente zu schweren Unruhen und bedrohlichen Kundgebungen, die nur mit Hilfe der Petersburger Garnison blutig unterdrückt werden konnten. In der ersten Hälfte des Juli 1915 sollen dann in den Fabriken auf der Wiborger Seite und in den angrenzenden Villenorten abermals Kundgebungen und Pogrome stattgefunden haben. Darauf wurde in allen Fabriken ein Erlaß des Höchstkommandierenden angeschlagen, in dem es, wie dem „Tag" aus Stockholm berichtet wird, heißt, daß alle in Fabriken beschäftigten Deutschen notwendig für die Landesverteidigung gebraucht würden. Alle Pogrome, auch die durch patriotische Gefühle hervorgerufenen, schädigten nicht die Betroffenen, sondern das ge samte Rußland, da die Arbeiter von der Tagesarbeit abgezogen und Produktions stockungen hervorgerufen würden. Das russische Volk müsse ruhig sein und arbeiten.