Vom russischen Volk 263 lands geleitet. Man will aus durchsichtigen Motiven den Petersburgern die Kehrseite der Medaille verbergen, will ihnen Schlüsse nach dieser und jener Richtung unmöglich machen und auch nicht allzu reichliche Gelegenheit geben, die Verwundeten auszufragen. Den noch sprechen sich Einzelheiten herum, die die russischen „Siege" ganz eigenartig beleuchten. „Von auffälliger Sorglosigkeit ist das Leben in den Restaurants, die ständig überfüllt sind," erzählt der schwedische Schriftsteller Harald Wägner im Stockholmer „Aften- bladet". „An patriotischen Festtagen singt man hier neben den Gassenhauern der Tingeltangel die Zarenhymne, die Marseillaise und „God save the King“. An solchen Festtagen wird schon vom frühen Morgen an sowohl von den Damen der höheren Klassen wie von eleganten Halbweltlerinnen auf den Straßen und in den Cafes eifrig für das Heer gesammelt. Noten und Silberrubel häufen sich dann aus Tellern und Tabletts, und erfahrene Leute behaupten, daß mindestens die Hälfte von dem gesam melten Geld auch dem Zweck zugute kommt, für den gesammelt wird. Damit muß man sich zufrieden geben. Diese Sorglosigkeit hat etwas Großes, vielleicht mit einem An strich von Barbarei. Um so mehr, als sich nahe dem Luxus und Ueberfluß Verzweif lung und Elend breit machen." Ein dafür charakteristisches Straßenbild schildert ein anderer Schwede in „Svenska Dagbladet": „An einem kalten windigen Wintertag be gegnete ich einer langen Kolonne einberufener Landsturmleute, die nach der Nächst liegenden Kaserne marschierte. Es waren 600 bis 700 Mann zwischen 40 und 45 Jahren. Es machte einen tieftraurigen Eindruck zu sehen, wie diese Leute im besten Mannesalter so schweigsam, niedergeschlagen und mißmutig, mit müden, schleppenden Schritten ihren Weg gingen. Sie machten den Eindruck von zum Tode Verurteilten, die ihre letzte Wanderung antreten. Neben der Kolonne zog eine Schar Weiber, ihre Frauen mit Kindern aus dem Arm oder an der Hand, und sie waren noch niedergeschlagener und trauriger. In der Nähe der Kaserne hielt mein Schlitten, um die Kolonne passieren zu lassen. Die Musik spielte einen flotten Marsch. Es war aber, als ob nicht einmal die Nächstgehenden die Töne hörten. Die Schritte blieben ebenso langsam schleppend und taktlos, die Köpfe ebenso gesenkt, die Gesichter ebenso traurig. Die schreiende Disharmonie zwischen dem frischen Militärmarsch und zwischen diesen lebensmüden, traurigen Wandernden, dem Jammer der Mütter und dem Geschrei der Kinder war schrecklich und tief ergreifend. ... Aber Petersburg ist groß. Petersburg hat für alles Raum." Die russische Sozialdemokratie und der Krieg Die russische Sozialdemokratie war vom Kriege überrascht worden. „Als er aus brach," schreibt die „Kölnische Zeitung", „waren die Ausstände unter der Petersburger Arbeiterschaft, die noch einen Schatten aus die Glanztage des Besuchs von Poincars warfen, eben beendet. Als dann die Mobilmachung angeordnet und in Petersburg der Kriegszustand erklärt wurde, schloß die Regierung sämtliche Arbeiterorganisationen. Die Gefängnisse füllten sich mit den Führern der Arbeiter und das Petersburger Proleta riat, das in der russischen Arbeiterbewegung eine führende Stellung einnimmt, war ohne Organisation und Presseorgane. Die von der Regierung und konservativen Elementen der Gesellschaft ins Werk gesetzten vaterländischen Kundgebungen, wie sie in der Zer störung des Gebäudes der deutschen Botschaft zum Ausdruck kamen, beeinflußten die Stimmung in den breiten Massen der Bevölkerung und erschwerten so auch die Stellung der russischen Sozialdemokratie, zumal da die verlogenen Hetzartikel der Presse über den deutschen Militarismus und die Befreiung der unterdrückten Nationalitäten wie das Bündnis mit den demokratischen Westmächten die wahren Ursachen des Krieges ver tuschten. Trotzdem hielt sich die russische Sozialdemokratie von allem Chauvinismus fern."