Episoden von den russischen Kriegsschauplätzen 145 Unser Soldat bekam beide Beine zerschossen, und so drückte er sich hinter seinem Erd hügel Platt auf den Boden und lud und seuerte, lud und feuerte; so erzählte der russische Unterarzt, der in Deutschland studiert hatte und gut die Sprache beherrschte. „Lud und seuerte" betonte er bewundernd; und ein Kosak nach dem andern, der dem Ueberlebenden den Garaus machen wollte, fiel; die Russen wollten den Tapferen massakrieren. Sie wollten ihn umgehen, von der Flanke, von hinten, wie wenn eine militärische Macht umstellt wird. Da steckte der Offizier, der auch etwas Deutsch sprach, ein Weißes Tuch auf seinen Degen und winkte dem Helden. Der stellte das Feuer ein: der Offizier trat näher und bat ihn, sich gefangen zu geben. „Ein deutscher Soldat gibt sich lebend nicht gefangen." Alle Vorstellungen nützten nichts; der Offizier ging zurück. Die Feindseligkeiten be gannen. Die Russen richteten Salvenseuer aus den Soldaten; er feuerte gegen, mit Er folg; endlich schwieg sein Gewehr. Als sie ihn aushoben, deckte der Offizier den Braven mit seinem Körper. Der Soldat war vor Blutverlust bewußtlos geworden. Die rus sischen Feinde schauten den Besinnungslosen mit einer starren Scheu an; — sie mur melten sich untereinander allerlei zu... Der Unterarzt, der Moskowiter, erzählte weiter: „So sind die Deuffchen; wir haben beinahe gar keine deutschen Gefangenen. Verwundete lassen sich nicht gefangennehmen; sie sind jeder einzelne ein Held. Wenn alle unsere Gegner so wären, dann wehe uns. Ja, die Deutschen: sie kämpfen für eine Idee; der einfachste Mann ist bei ihnen ein Held. Aber bei uns: lassen Sie mich schweigen!..." Am Abend gruben wir dem einfachen Soldaten die letzte Ruhestätte. Kein lautes Denkmal meldet von dem Ruhme des Verblichenen. Niemand hätte seine Taten er fahren, wenn nicht der Russenarzt davon berichtet hätte. So sterben unsere Helden... So kämpsen sie, die unbekannt bleiben, vergessen sind da draußen auf den unendlichen Schlachtfeldern." Das erzählt I. Spier unter anderen Kriegserlebnissen in den „Leipziger Neuesten Nachrichten". Die Braut im Felde „Wir lagen im Polenland," wird der „Vossischen Zeitung" geschrieben, „ungefähr acht Kilometer von der sogenannten „Straße" in einem sogenannten „Dorf", entfernt von jeder Kultur. Die Bewohner gingen uns wie scheue Hunde aus dem Wege, kindisch furchtsam. Wenn sie etwas von uns erbitten wollten, knieten sie, wie zur Zeit der Leib eigenschaft, nieder und wollten den Rocksaum küssen. v Das Dorf bestand aus verfallenen Hütten, aus Räumen, die man bei uns nicht als Ställe benutzen würde, um die Pferde einzustellen. Regen, Regen strömte unaufhörlich hernieder, als ob der Himmel alle Sünden dieser Welt reinwaschen wollte. Unsere Pferde versanken bis zum Knie in den lehmigen Boden. 54 Stunden waren wir ständig vorgerückt, bis wir endlich in dem Dorfe Quartier machten. Als ich die Türe eines Bauernhauses öffnen will, kommt mir ein Unteroffizier mit strahlendem Gesicht entgegengestürzt — er hätte soeben im nahen Walde mit wenigen Leuten eine halbe Kompagnie Russen ohne Sicherung teils gefangen genommen, teils erschossen. Er habe sie zuerst fest herankommen lassen und dann losgefeuert. Wir treten durch die niedere Tür in den durch Wachskerzen spärlich erleuchteten Raum; als ersten sah ich einen kinderjungen russischen Soldaten lächelnd, wie schlafend auf einem Strohsack liegen. Wir treten näher, ich lege die Hand auf seine Stirn — eiskalt — er ist tot. Die Mannschaften nähern sich seinem Lager, um ihm die nassen Sachen zu lösen. Völkerkrieg. IV. 10