30 Die Ereignisse auf den serbisch-montenegrinischen Kriegsschauplätzen Tollheiten weiter. Im Osfizierskasino soll es zwischen ihm und seinem Bruder, dem Thronfolger Alexander, fast zu Handgreiflichkeiten gekommen sein und in der Belgrader Festung habe Prinz Georg dem Generalissimus Putnik die Türe gewiesen. Die Affäre kam vor den Ofsiziersehrenrat und Prinz Georg mutzte Abbitte leisten. Die Zustände in Alt-Serbien Im Einklang mit den kriegerischen Ereignissen hatten sich die zuvor schon kriti schen inneren Verhältnisse Serbiens (vgl.II,S.97) bis zur Einnahme Valjevos und Belgrads durch die österreichisch-ungarischen Truppen fortgesetzt verschlimmert. Besonders als der Fall von Valjevo bekannt wurde, entstand in Serbien eine unbeschreibliche Panik, auch bei der Regie- r u n g, die in der zweiten Hälfte des November 1914 von Nisch weiter nach Uesküb in Mazedonien zu flüchten beabsichtigte. Später durch die serbische Rückeroberung des eigenen Landes haben sich die Verhältnisse in mancher Hinsicht wieder etwas gebessert. „Es spielt sich jetzt," schrieb ein österreichischer Mitkämpfer der „Neuen Freien Presse" am 16. November 1914, „vor meinen Augen ein Drama ab mit täglich neuem Stoff und gleichbleibender Tragik. Seit einigen Tagen erfolgt die Rückwanderung der aus ihren Gebieten geflüchteten serbischen Bevölkerung, die zum Teile durch falsche Information über die ihr bevorstehende Behandlung durch unsere Truppen in Angst versetzt, zum Teile direkt vertrieben worden war. Ueberall kamen wir in arm selige Dörfer und Häusergruppen, in denen nur halbverhungerte Hunde, mit Holzklötzen oder schweren Ketten belastet, die letzte Andeutung menschlicher Behausung bildeten. Das Hundegeheul sollte den Serben unsere Ankunft verraten; es erhöhte den schauerlichen Eindruck wüster Verödung. Auf den Landstraßen ebenfalls ein trostloses Bild. Hunderte von Wagen, jeder mit dem ganzen Viehbestand der Familie bespannt, Pferde, Rinder und Kälber, die den Plunder vorwärtszogen, der aussah, als hätte er eben die Rumpel kammer verlassen. Aus jedem Wagen schauten fünf, sechs und noch mehr Schreihälse hervor, schmutzig und in Lumpen gehüllt." „Das Leben in der im Herzen des Königreichs gelegenen improvisierten Hauptstadt Nisch gestaltete sich," wie die „Neue Zürcher Zeitung" nach Berichten italienischer Korrespondenten schildert, „nicht allzu bequem. Nisch zählt in normalen Zeitläuften 25 000 Einwohner. Nach der Ankunft der Regierung mit allen ihren Funktionären und Dienstzweigen, den Deputierten, Gesandtschaften, Banken und Lieferanten und deren Anhang stieg die Einwohnerzahl rasch auf 100000 Köpfe, ein Zuwachs, den es unter zubringen galt. Wenigstens konnte sich die Regierung leidlich im Präfekturgebäude einrichten, einem modernen, geräumigen, zweistöckigen Bau, in dem sich vom Vestibül bis zum Dachboden auch nicht ein Winkelchen mehr befindet, das nicht ausgenützt worden wäre; die Beamten schlafen alle in den Büros. Die Skupschtina hält ihre Sitzungen in den Räumlichkeiten des Offiziersvereins; ihre Beratungen sind aber nur kurz und dauern nie über zwei Stunden. Die Masse von Flüchtlingen unterzubringen, war fast unmöglich. Die Kassee- häuser, der Bahnhof, die Läden haben sich in Schlafräume verwandelt, und Tische, Bänke und Billards dienen, der Not gehorchend, als Betten. Nicht leicht war es natürlich auch, für die Gesandtschaften der verbündeten und neutralen Staaten geeignete Quartiere zu finden, und schwierig gestaltete sich die Lösung der Verpflegungsfrage für die Herren Diplomaten. Im übrigen fehlt es in Serbien an Nahrungsmitteln vorläufig keineswegs; von einer Hungersnot ist man noch weit entfernt, wenn auch der Preis der Lebensmittel hoch gestiegen ist. An Mehl ist kein Mangel, und was die Fleischnahrung betrifft, so sind Ochsen und Schweine, Schafe und Ziegen, sowie Wild sogar in reichlicher