45 Das Bild entstand im Herbst an einem Früh morgen. Die Sonne geht über den Höhen von Freinberg auf und durchleuchtet die oberen Ränder der goldgelb gefärbten Baumkronen, die Feste Ober haus glüht im goldigem Licht auf, während die Altstadt noch in schattigenr Dunkel liegt. Es ist ein Herbsttag mit jener Klarheit der Athmosphäre, die von Passau aus die Alpen sehen läßt und die Berge des bayerischen Waldes, in blauen Schleier gehüllt, zum Greifen nahe rückt. Dieses wunder vollste deutsche Städtebild künstlerisch zu erfassen, war Rueland Frueauf d. I. mit seiner neuen Land- schaftöklinst berufen wie kein zweiter deutscher Maler seiner Zeit. Gegenüber dem zeichnerischen Stil der Linie, den die Meister des älteren Stils an wandten, unter diesen Hans Eckel, der 1470/80 das älteste Pastauer Stadtbild und mit diesem eines der ältesten deutschen Städtebilder von annähernd dem gleichen Standpunkt wie der jüngere Frueauf malt (Bild 7), findet der Pastauer Meister alö einer der Ersten, mit dieser Errungenschaft ein Nutznießer und Vollender der Kunst Marx Reich!ichs, einen wirklichen malerischen Stil. Für ihn ist das Stadt bild nicht mehr eine Summe von einzelnen selb ständigen Teilen, sondern die Landschaft bietet ihm ein einheitliches Motiv; trotz aller Klarheit seiner Teile sind diese in ihrer Gesamtheit nicht wiederge geben, wie sie sind, also etwa in der Art, wie sie Hans Eckel bei seinem Stadtbild aus 1470/80 mit scharfem Strich zeichnete, sondern trotz allem Detail reichtum als Ganzes gesehen, wie sie optisch erscheinen. Rueland Frueauf malt die Athmo sphäre, durch welche das Landschaftöbild schimmert, er malt das Sonnenlicht, das die Bischofsburg am Jürgenberg, die er in ihrem Baubestand stilisiert wiedergibt, wie eine Märchenburg erscheinen läßt, er malt das Lichtmeer, durch das die Berge des bayerischen Waldes in tiefem Blau aufleuchten. Mehr als ein Jahrzehnt vor Albrecht Altdorfer hatte Rue land Frueauf d. I. die deutsche Landschaft künstlerisch entdeckt. 5 ) In die Jahre um 1497 fällt auch jenes Bild der Schutzmantelmadonna (Bild 47), das sich im Augu 5) Vergleiche Dr. Rudolf Guby „Die älteste Ansicht der Stadt Paffau von Hans Eckel vor 1482 und Rueland Frueaufs d. I. Herzogenburger Stifterbild von 1497. Eine vergleichende Gemäldestudie zur Heimatkunstgeschichte" in „Die ostbair. Grenzmarken", Monatschrift des Instituts für ostbair. Heimat forschung in Paffau, Iahrg. 1928, S. 46 ff. stinerchorherrenstift St. Nikola nächst Passau befand, mit der Säkularisation in den Besitz des bayerischen Staates gelangte, lange Jahre in der Filialgalerie zu Schleißheim aufgestellt war und sich jetzt im Germanischen Museum zu Nürnberg befindet?) Das Bild stellt in althergebrachter Weise die Gottes mutter dar, unter deren Mantel sich schutzflehend die geistlichen und weltlichen Stände sammeln. Ein Fliesenboden, dessen perspektivischer Fluchtpunkt nach Art des jüngeren Frueauf im unteren Bilddrittel liegt, schafft Raumtiefe für die sich sammelnde Menge der Schutzsuchenden. Unter den Frauenge stalten erkennen wir aus der rechten Bildseite das schöne Modell unseres Meisters, die Jungfrau mit dem geneigten Köpfchen, mit der hohen runden Stirne, dem schmalen feinen Näschen, der ausge prägten Lippenrille, und dem dünnen geschwunge nen Hals, auf dem das Köpfchen wie eine Knospe aufsitzt, die wir im II. Kapitel des I. Teiles unserer 0) Erstmalig publiziert von Baffermann-Iordan im III. Band der „Unveröffentlichte Gemälde im Besitz des bayerischen Staates", Verlag F. W. Hiersemann Leipzig, dort dem älteren Rueland Frueauf zugeschrieben. Bild 50. Paffau, Diözesanmuseum,Madonna mit St. Nikolaus und hl. Bischof