20
Wort von der geistigen Freiheit missverstanden werde und seine
Wirkungen auch auf politischem und socialem Gebiete sich zu
äussern beginnen, d'a ist ihm vor seiner eigenen Lehre angst
geworden, und er hat sich beeilt, die evangelische Freiheit so aus¬
zulegen, dass an die Stelle der Autorität der Kirche die der Bibel zu
setzen sei. Hauptsächlich der Opposition gegen diese Einschränkung
des Beformationsgedankens ist es zuzuschreiben, dass viele der¬
jenigen, welche den Gedanken einer Kirchenreformation mit
Enthusiasmus begrüsst hatten, sich von Luther trennten, und im
Wege der Bildung besonderer Secten ihre weitergehenden An¬
sichten zum Ausdruck brachten, oder doch in Wort und Schrift
offen für dieselben eintraten.
Zu solchen Abtrünnigen, welche sich gegen Luther und
seine Anhänger in eine umso schärfere Opposition setzten, als
sie zweifellos die ersten Grundlagen ihrer Lehren miteinander
gemeinsam hatten, zählten auch die Wiedertäufer.
„Ob es vor einen guten Anfang göttlicher Erscheinung und
Anmut gehabt", lautet ein Urtheil der Wiedertäufer über Luther
und Zwingli „ist ihnen das Licht der rechten Wahrheit wiederum
verdunkelt worden. Es ist mit ihnen nicht anders gewesen, als
ob man einen alten Kessel flicket, dass das Loch nur ärger wird.
Damit haben sie ein freies Volk nur zu sündigen erzogen, gleich-
nissweis zu reden: Haben sie demPabst den Krug aus der Hand
geschlagen, aber die Scherben darin behalten. Es muss aber also
ergehen nach den Worten Christi: Wer in dem Kleinen nicht
treu ist, dem wird das Grössere nicht vertraut."
Die Lehre der Wiedertäufer enthält ein religiöses und ein
sociales Element. Ihre religiöse Lehre war entschieden mystisch.
Nur hatte der Anapabtismus die Mystik eines Eckart und Tauler
ihres poetisch-philosophischen Gehaltes entkleidet, er hatte ihn
gröber, sinnlicher, ich möchte sagen, handgreiflicher gemacht.
Am tiefsten hat Thomas Münzer das mystische Element erfasst.
Ihm ist der Glaube nichts anderes als das in der Seele des
Menschen lebendig gewordene Wort der Schrift, welches zugleich
das der Vernunft sei.