26 II. Die religiösen Ansichten der Wiedertäufer, insbesondere die über den Unwert des äusseren Gottesdienstes, über die Bedeutung der Sacramente als blosser Symbole, über das allgemeine Priester¬ thum, über Eid und Obrigkeit wurden im Anfange der Refor¬ mationszeit von einer Reihe von Männern getheilt, welche nicht den Wiedertäufern angehörten, und überhaupt gegen die Gründung religiöser Secten und die Zugehörigkeit zu einer derselben in Wort und Schrift eiferten. Wir finden gerade unter diesen Männern nicht wenige, welche zu den erleuchtetsten Geistern des 16. Jahrhunderts gehören. Sie zogen aus der Ansicht, dass es der innere Glaube, der Glaube des Herzens, die Gesinnung sei, welche zur Seligkeit führe, die vollen Oonsequenzen, behaupteten die Gl ei ch gilti gk ei t des äusseren Bekenntnisses und verlangten ein lediglich praktisches Christenthum. Durch Angriffe von orthodoxer Seite gereizt, scheuten sich einzelne unter ihnen nicht, der Schrift den göttlichen Ursprung abzusprechen, und ihr nach dem Vorbilde der Mystiker eine fort¬ währende innere Offenbarung des göttlichen Willens entgegen¬ zusetzen, ja schliesslich sogar die Gottheit Christi, die Dreieinig¬ keit, die Ewigkeit der Höllenstrafen und andere Mysterien zu leugnen. Sie beteten eine pantheistische Gottheit an, welche sich in jedem Menschen nach seinem Vermögen spiegelt und hatten so alles Dogmatische abgestreift. Zu dem orthodoxen Lutherthum traten sie insbesondere auch durch die Annahme eines freien Willens, den der Adel der menschlichen Natur bedinge und durch die Behauptung der Rechtfertigung aller durch die fromme Gesinnung, welche ein Erlösungswerk im dogmatischen Sinne überflüssig mache, in Gegensatz. Man fasste diese meist philosophisch gebildeten Leute von orthodoxer Seite unter dem Namen „Schwärmer" oder „Enthusia- ßten" zusammen,