960 Die Philosophie der Religion. Diese Einheit, welche das Wesen der Religion ausmacht, theoretisch und praktisch in den Menschen hervorzubringen: darin besteht der Cultus? III. Der Cultus. 1. Glaube und Andacht. Der theoretische Cultus. „Im Cultus", sagt Hegel, „ist Gott auf der einen Seite, Ich auf der andern, und die Bestimmung ist, mich mit Gott in mir selbst zusammenzuschließen, mich in Gott als meiner Wahrheit zu wissen und Gott in mir — diese concrete Einheit." Es ist ein sehr wesent licher Unterschied zwischen dem Glauben an Gott, wie er, getrennt von Gott selbst, den Inhalt des religiösen Bewußtseins ausmacht, und dem Glauben als Cultus: jener ist Glaube an Gott, dieser ist Glaube in Gott; jener steht Gott gegenüber als seinem Gegenstände und beharrt im Dualismus, dieser dagegen tilgt die Zweiheit, ist eines mit Gott, selbst göttliches Leben und deshalb zum Wesen Gottes gehörig. Das Ich als endliches Bewußtsein ist beschränkt. Der Glaube an Gott steht noch diesseits der Schranken, der Glaube als Cultus ist jenseits derselben, in ihm ist das Ich, das eigensüchtige Selbst, das Ich, „der dunkle Despot", wie ein persischer Dichter dasselbe genannt hat, erloschen. Was der Tod im natürlichen Leben ist, die Vernichtung des Indi viduums als des fürsichseienden Subjects, das ist der Glaube als Cultus im religiösen Leben: Versenkung und Aufgehen in Gott, der von Gott erfüllte, andachtsvolle Glaube, in welchem der Mensch von sich und seiner Endlichkeit loskommt. Um meinen Lesern recht deutlich zu machen, was Hegel unter dem Glauben als Cultus versteht, habe ich den Ausspruch des Dschelaleddin-Rumi, dessen Hegel an dieser Stelle nicht gedenkt, angeführt: „Denn wo die Lieb' erwachet, stirbt das Ich, der dunkele Despot, Du laß ihn sterben in der Nacht und athme frei im Morgenroth"? Ich möchte auch au Goethes „Selige Sehn sucht" im Westöstlichen Divan erinnern, die dasselbe besagt: „Und zuletzt des Lichts begierig, bist Du, Schmetterling, verbrannt. Und so lang' du das nicht hast, Dieses: Stirb und Werde! Bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde." Um seine Lehre vom Glauben als Cultus zu beglaubigen, daß nämlich unser Leben in Gott Gottes Leben in uns ist, nicht im bild lichen, sondern im genauesten Sinne des Worts, daß ohne diese Religion - Ebendas. S. 196—200. — - Vgl. Hegel. Werke. Bd. VII. Abth. II. S. 462.