872 Die Aesthetik oder die Philosophie der schönen Kunst. Gott ruht. Diesen Gemüthsrichtungen, die aus dem christlichen Glauben hervorgehen, nur aus ihm, dieser Sammlung, Erhebung und Beruhigung der Seele in ihrem tiefsten Innern, will das Gottes haus in seinen architektonischen Gestaltungen gerecht werden und in grandiosen Formen entsprechen; daher muß sein Grundcharakter dem der classischen Architektur und des griechischen Tempels völlig ent gegengesetzt sein. Hier ist die Grundform Säule und Balken und deren gegenseitige rechtwinklige Lage, die es deutlich ausspricht, daß die Säule trägt, und der Balken ruht. Die Hauptsache ist hier Tragen und Ruhen. Mit dem Rundbogen verhält es sich ebenso. Dagegen in der romantischen Architektur ist die Grundform das Emporstreben und Gipfeln in spitzwinkligen Dreiecken und Spitzbogen. An die Stelle der Säule und des Balkens tritt der Pfeiler und die Wölbung, ein Wald von Pfeilern, welche emporstreben und sich in Spitzen zusammen wölben. Pfeiler und Gewölb erscheinen im Gegensatze der Säule und des Balkens als ein und dasselbe Gebäude: die Pfeiler tragen die Bogen in einer Weise, in welcher die Bogen als eine bloße Fortsetzung der Pfeiler erscheinen und sich gleichsam absichtslos in einer Spitze zu sammenfinden. Das ganz geschlossene Haus ist der architektonische Ausdruck der tiefen und stillen Gemüthssammlung; zu der vollständigen Abscheidung von der Außenwelt sind die Glasmalereien der Fenster nothwendig, welche das Sonnenlicht nur getrübter durchschimmern lassen. „Was der Mensch hier bedarf, ist nicht durch die äußere Natur gegeben, sondern eine durch ihn und für ihn allein, für seine Andacht und die Be schäftigung des Inneren gemachte Welt." „Denn hier soll ein anderer Tag Licht geben, als der Tag der äußeren Natur." Der Pfeilerwald mit seinen emporstrebenden Wölbungen und Spitzbogen ist der archi tektonische Ausdruck der unendlichen Gemüthserhebung, „die Pfeiler ragen so hoch hinauf, daß der Blick die ganze Form nicht mit einem Male überschauen kann, sondern umherzuschweifen, emporzufliegen getrieben wird, bis er bei der sanft geneigten Wölbung der zusammen treffenden Bogen beruhigt anlangt, wie das Gemüth, in seiner Andacht unruhig, bewegt vom Boden der Endlichkeit ab sich erhebt und in Gott allein Ruhe findet"? Die Theile der totalen Gliederung im Innern der gothischen Kirchen sind der Chor, die Kreuzflügel, das Hauptschiff und die - Ebendas. S. 334—340.