24 Bethmanns Sturz Massen, daß der Krieg von einem kleinen Kreise gewinnsüchtiger Leute ausge nützt und verlängert werde. Wir ständen bereits „mitten in der Revolution". Noch in diesem Jahre werde das deutsche Volk den Frieden bekommen, wenn nicht „durch die Regierung, so gegen die Regierung". Daß die Revolution kom men werde, sei seine felsenfeste Überzeugung. Hoch war Mehrheitssozialist und hatte sich den abtrünnig gewordenen Ge- nosien der Fraktion der Unabhängigen nicht angeschlosien. Wenn man dies nicht wüßte, dann könnte man meinen, daß hier nicht ein maßgebender Vertreter der Sozialdemokratie, sondern mindestens der „Unabhängigen" gesprochen hätte. Diese Angriffe wurden vom Vizekanzler Helfferich und dem Staatssekretär des Reichsmarineamtes von Capelle mit Nachdruck pariert. Immer noch aber schien es sich mehr um eine agitatorische Demonstration als um einen ernsten Vorstoß mit einem bestimmten politischen Ziel zu handeln. Bis am übernächsten Tag, am 6. Juli, der Zentrumsabgeordnete Matthias Erz berger erneut in die Beratungen eingriff und der ganzen Diskussion eine neue, und zwar die entscheidende Wendung gab. Jetzt ging er mit einem Male ganz anders ins Zeug. Er machte sich die pessi mistischen Schilderungen der Sozialdemokratie „restlos" zu eigen. Vor allem bemühte er sich, den unbedingten N-Boot-Krieg als Fehlschlag nachzuweisen, und kam zu dem Ergebnis, die Weiterführung des Krieges könne „zum Ruin" führen. Infolgedessen müffe man an den Ausgangspunkt des Krieges zurück gehen. Wenn im Reichstag sich eine riesige Majorität auf den Gedanken des 1. Auguft1914 zurückfinde und den Standpunkt des Verteidigungskrieges pro klamiere, und wenn der Reichstag dies der Reichsregierung sagen könne, so sei das der beste Weg, der zum Frieden führe. „Oie Art der diplomatischen Ver wertung einer solchen Entschließung des Reichstages sei dann Sache des Reichskanzlers." Man möge sich dabei nicht um die 25 000 Alldeutschen küm mern, sondern die Leute ruhig verrückt werden lassen. „Sanatorien für sie zu bauen, sei viel billiger, als den Krieg noch ein Jahr lang fortzuführen." Diese Ausführungen von Erzberger schlugen wie eine Bombe ein. Jeder der Teilnehmer merkte sofort, daß es sich hier um eine hochpolitische Aktion han delte, und zwar in doppelter Richtung. Es war das erstemal, daß ein führender Reichstagsabgeordneter die Initiative des Reichstages gegenüber der Reichs regierung in der Außenpolitik vertrat. Cs war aber auch das erstemal, daß ein führender Reichstagsabgeordneter den Friedenswillen in dieser fast resig nierten Form an dieser Stelle aussprach. Denn immer noch standen die deutschen Heere in Gst und West Lief in Feindesland, noch war ihre GffensivkrafL unge brochen, und noch schien auch der A-Boot-Krieg im besten Zuge. Noch waren sogar erst wenige Wochen seit dem fast kläglichen Zusammenbruch der franzö sischen Entscheidungsoffensive am Ehemin des Oames vergangen. Oie meisten Zuhörer waren von dem VorstoßErzbergers überrumpelt worden, vor allem die Relchsregierung. Trotzdem war dieser Akt keine Im-