Durch die Bildung des Balkanbundes hat die orientalische Frage ein neues, nicht eben sympathisch anmutendes Gesicht bekommen. Von Tscharykow und der „Nowoje Wremja“ seinerzeit konzipiert, ist diese im Zeichen der Orthodoxie stehende Verbindung teils mit, teils ohne Zutun des offiziellen Rußlands zustande gekommen, um für die Zu¬ kunft ein verfügbares Werkzeug der russischen Politik gegen alles Nicht- russische im Nahen Orient zu bilden1). Unseren Informationen zu¬ folge ist der Bund auf breitester Grundlage geschlossen und ein mili¬ tärisches Zusammengehen auch für die Zukunft durch alljährliches Zusammentreten der Generalstabschefs der vier Armeen vorgesehen. Der naheliegende Gedanke, daß die territorialen und politischen Ambitionen dieser vier Parvenüs, dieselbe über kurz oder lange übereinanderbringen könnten, bildet diesen Tatsachen gegenüber den Trost der sauren Trau¬ ben in der Fabel. Die englische Einkreisungspolitik, verständnisvoll sekundiert vom rus¬ sischen Panorthodoxismus, hat da einen Schritt nach vorwärts gemacht, welcher den Drahtziehern hinter der Bühne alle Ehre macht. Wir haben in den letzten Tagen ein geschäftiges Treiben im Lager der Tripelentente beobachten können, welches Herrn Poincare zu einem Augenblickserfolge verholfen, gleichzeitig aber auch den Beweis von dem soliden Zusammenarbeiten unserer Gegner geliefert hat. Ich glaube, wir sollten uns an ihnen ein Beispiel nehmen und die Lebensgeister des Dreibundes nicht kümmern lassen. Andernfalls würde der Dreibund unfehlbar zum Spielball seiner Widersacher werden. Ich zweifle nicht, daß Szögyenyi Euerer Exzellenz meine Auffassung über die Lage getreu interpretieren werde, und bitte Sie, hochgeehrtester Herr Staatssekretär, die Ausführungen desselben mit freundlicher Ge¬ sinnung entgegennehmen zu wollen1 2 *). Berchtold. Nr. 646. Der Botschafter in Wien von Tschirschky an den Reichskanzler von Bethmann Hollweg.8) Ausfertigung. Nr. 287. Wien, den 8. Oktober 1912. Vertraulich. (pr. 10. Oktober) Der hiesige griechische Gesandte, Herr Streit, erzählte mir heute im Laufe eines längeren vertraulichen Gesprächs einiges über die Ent¬ stehungsgeschichte des Bundes der vier Balkanstaaten. 1) Vgl. Kap. CCLXI, Nr. 12 058, Fußnote 2). 2) Vgl. dazu Nr. 12257, nebst Fußnote. *) Die Große Politik. Bd. 33. Nr. 12 254, S. 187 ff. 243