Siegesfahnen: Jeder Tag bringt ja neue Siege über die Russen, unerhörte Mengen an Gefangenen kommen aus Galizien und Polen, die Eisenbahnwagen sind zum Ber¬ sten voll mit den erdbraunen Uniformen. Jetzt erst wird dem Hinterland klar, wie gewaltig die mosko- witisdie Flut war, die sich hinter den Karpathen staute. Wieder einmal wird mit größtem Eifer das Fähnchen¬ spiel auf den Landkarten betrieben, alle Stammtische sind daran, Nikolaj Nikolajewitsch und seine Horden so zu zerschmettern, daß keine Kosakenlaus mehr übrig¬ bleibt, und jeder Monturdepot-Verwalter wird als Held und Befreier gefeiert. Wer beachtet da die kleinen No¬ tizen in den Zeitungen, die in steigendem Ausmaß von der drohenden italienischen Gefahr berichten? Kein Grund zur Beunruhigung! Die Verhandlungen gehen weiter. Und im übrigen wird Italien es nicht wagen. Heute, nach Gorlice weniger denn je. Ja, vor einem Monat noch! Aber jetzt, da bald die letzten Russen auf den Kartoffeläckern der österreichischen Bauern ar¬ beiten werden? Pfingstsonntag. Wie angenehm, nach dem kargen Mittagessen die Zeitung zur Hand zu nehmen und neue Gefangenenzahlen, neue Mengen erbeuteter Geschütze in sich hineinzuschlingen! Natürlich auch heute das unver¬ meidliche Italien. Aber die sollen sich nur hüten! Drei¬ hunderttausend Mann stehen an den Grenzen, um ihnen gleich zu Beginn ein Gorlice zu bereiten . . . Plötzlich wird es sonderbar in den Straßen der großen Städte, die ja fiebernder als das flache Land am Zeitgeschehen hängen. Rufe gellen: „Extraausgabe! Extraausgabe!“ Ein neuer Sieg über die Russen? Der Zar gestürzt? Großfürst Nikolajewitsch von seinen Sol¬ daten erschlagen? Warum drängen sich denn die Men¬ schen so zusammen, reißen den abgehetzten Zeitungs¬ jungen die Blätter aus der Hand? Die werden es doch wohl erwarten können! Morgen ist auch noch ein Tag... Aber da, ein druckfeuchtes Blatt — anders als sonst! Balkendick schreien die Lettern: AN MEINE VOELKER! Kein Sieg also, sondern der Dank des alten Kaisers an die, die zäh und opferwillig durchhielten, bis Gott 16